Protocol of the Session on June 9, 2011

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Ich eröffne die 84. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter – soweit sie schon da sind – ebenso herzlich.

Bevor ich zum Geschäftlichen der heutigen Sitzung komme, möchte ich Ihnen mitteilen, dass Frau Bilkay Öney am 3. Juni 2011 ihr Mandat niedergelegt hat. Die Nachrückerposition stand der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu. Daher begrüße ich heute Herrn Sebastian Basedow als neuen Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. –

[Allgemeiner Beifall]

Herzlich willkommen! Gute Zusammenarbeit!

Dem Vorsitzenden der Fraktion der Grünen, Herr Ratzmann, möchte ich noch einmal herzlich zur Geburt des Sohnes Paul gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch! Grüße an Mutter und Kind! Alles Gute!

[Allgemeiner Beifall]

Dann habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Es wird die Veränderung der Ausschussüberweisung der Vorlage – zur Beschlussfassung – auf der Drucksache 16/4134 über das Gesetz über die Integration des Berliner Betriebs für Zentrale Gesundheitliche Aufgaben in die Charité – Universitätsmedizin Berlin vorgeschlagen. Die Vorlage wurde in der 83. Sitzung am 26. Mai 2011 federführend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz und mitberatend an den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung sowie an den Hauptausschuss überwiesen. Die Überweisungen an den Gesundheitsausschuss und an den Wissenschaftsausschuss sollen nunmehr aufgehoben werden. Gibt es dazu Widerspruch? – Ich höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Die dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses werde ich als Tagesordnungspunkt 10 D aufrufen.

Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Berlins Wirtschaft boomt – faire Bedingungen für Beschäftigte sichern“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Ob bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Verbesserung des Kinderschutzes bis hin zu mehr Bildungschancen – Rot-Rot in Berlin hinkt der Politik der Bundesregierung meilenweit hinterher“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Atomausstieg richtig machen – neue Energie für Berlin!“,

4. Antrag der Linksfraktion zum Thema: „Berlins Wirtschaft boomt – faire Bedingungen für Beschäftigte sichern“,

5. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Daueranschläge auf Autos, S-Bahn, private Bauprojekte, Unternehmer, und Millionenkosten durch Mai-KrawallRituale – der Senat sieht der Gewalt und Lebensstilintoleranz linker Kiez-Taliban hilflos zu.“.

Die Aktualität soll begründet werden. Dazu erteile ich zunächst einem Mitglied der Fraktion der SPD in Person des Kollegen Jahnke das Wort. – Bitte, Herr Jahnke, ergreifen Sie das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Stimmung in der Berliner Wirtschaft ist hervorragend.

[Gelächter bei der CDU]

Die Industrieumsätze in Berlin lagen im ersten Quartal mehr als 4 Prozent über den Vorjahreswerten. Das Auftragsvolumen stieg sogar um 28 Prozent. Im Baubereich stiegen die Umsätze um mehr als ein Drittel gegenüber dem Vorjahreszeitraum, und selbst im Tourismus, wo das Jahr 2010 mit mehr als 20 Millionen Übernachtungen bereits ein Rekordjahr war, können wir im ersten Quartal 2011 abermals eine deutliche Steigerung verzeichnen. Der Geschäftsklimaindex der Kammern, bei dem die Unternehmen ihren Erwartungen Ausdruck verleihen, zeigt so gute Werte wie seit Jahren nicht. Diese positive Entwicklung allein der Senatspolitik zuzuschreiben, wäre vermessen, aber zweifellos hat die Senatspolitik einen entscheidenden Anteil daran.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die wirtschaftliche Basis Berlins verbreitert sich zusehendst. Der von Klaus Wowereit geführte Senat setzt eben nicht bloß – wie die Vorgängerregierungen es in den 90er-Jahren illusionär taten – auf Dienstleistungen und den Zuzug von Regierungsfunktionen, sondern wir setzen auf Kompetenzfelder, beispielsweise in der Medizintechnik, der Informations- und Kommunikationstechnik, der Mobilität oder der Energieerzeugung und -nutzung.

[Zurufe von den Grünen]

Neue Betriebe und Branchen sind entstanden, die auf Berlins exzellenter Wissenschaftslandschaft aufbauen, und das Gründungsgeschehen setzt sich auch 2011 auf hohem Niveau fort.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Der Technologiepark Adlershof zeigt, wie die praktische Verknüpfung von Forschungseinrichtungen mit produzierenden Unternehmen vor Ort zur Schaffung von Tausenden von Arbeitsplätzen führt. In Adlershof siedeln auf dem Campus bereits mehr als 400 Firmen der Hochtechnologie, die jährlich deutlich mehr als 1 Milliarde Euro zur Bruttowertschöpfung Berlins beitragen. Ähnlich sieht es im Bereich der Biotechnologie in Buch oder in den

Bereichen Handel, Kreativwirtschaft in der City West aus. Die großen Areale der Flughäfen Tempelhof und Tegel sowie das Gelände um den Hauptbahnhof werden zu neuen Wirtschaftsräumen inmitten der Stadt.

Der Willy-Brandt-Flughafen wird in einem Jahr bereits in Betrieb sein, wird Tausende von Arbeitsplätzen in seinem unmittelbaren Umfeld schaffen und vor allem die für den Wirtschaftstandort Berlin notwendigen internationalen Flugverbindungen ermöglichen. Der Opposition fällt hierzu nichts weiter ein, als einen Regionalflughafen zu fordern – wie die grüne Spitzenkandidatin – oder die Anbiederung gegenüber Flugroutengegnern aller Art zu betreiben.

[Christoph Meyer (FDP): Aber wir nicht!]

Die Berliner Wirtschaft ist bei der von Klaus Wowereit geführten Regierung in den besten Händen. Das hört man bei Gesprächen mit Unternehmensvertretern durchaus immer wieder. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hängt mit diesem Thema aber auch untrennbar die Frage zusammen, zu welchen Bedingungen gearbeitet wird. Der Begriff „Gute Arbeit“ ist für uns ein zentraler Begriff. Wir wollen kein Lohndumping und keine sogenannten McJobs, bei denen die Beschäftigten durch Vollzeitarbeit ihren Lebensunterhalt nicht sichern können. Mit dem Ausschreibungs- und Vergabegesetz haben wir im vergangenen Jahr die Grundlage dafür geschaffen, dass zumindest bei Aufträgen des Landes und seiner Unternehmen kein Lohndumping mehr betrieben werden darf. Unser Ziel bleibt ein allgemein verbindlicher, über alle Branchen geltender gesetzlicher Mindestlohn.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Deutlich über 100 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind in der zu Ende gehenden Legislaturperiode in Berlin geschaffen worden. Die Arbeitslosenquote ist aufgrund des industriellen Niedergangs der 90er-Jahre noch immer viel zu hoch, doch der Aufholprozess Berlins zeichnet sich auch in diesem Bereich ab. In keinem anderen Bundesland ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit in den letzten fünf Jahren so deutlich ausgefallen wie in Berlin.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Lassen Sie uns in der heutigen Aktuellen Stunde über das zentrale Thema der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik reden, über die ökonomischen Perspektiven Berlins und seiner Menschen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Jahnke! – Für die CDUFraktion hat nunmehr zur Begründung der Aktualität Frau Demirbüken-Wegner das Wort. – Bitte sehr!

[Frank Henkel (CDU): Das geht von deiner Zeit ab!]

Entschuldigung! Ich habe mich nur gewundert, weil mich die Senatorin schon sehr kampfeslustig anguckte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie steht es um die Familienpolitik des Senats? – Nach wie vor schlecht, denn sonst hätte er mit seinem Arbeitszeitmodell für die Bediensteten der Berliner Polizei nicht tagelang negative Schlagzeilen produzieren können. Offenbar ist der Senat nicht gewillt, zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf seiner eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beizutragen. Er geht lieber mit dem Personal auf Konfrontation, erhöht mit seinem Modell den Stress, nimmt billigend in Kauf, dass das Familienleben vieler darunter leidet, sieht sehr wohl, dass die Arbeitsergebnisse sinken, der Krankheitsstand in die Höhe schnellt und das Verhältnis zwischen Personal und Führung hochgradig gestört wird. So viel zur Familienfreundlichkeit, familienfreundlicher Personalpolitik à la Rot-Rot! Finden Sie nicht auch, dass der Senat dafür den Audit Beruf und Familie verdient?

Wir sind deshalb der Auffassung, dass allein schon dieser aktuelle Vorgang berechtigt, sich nach relativ kurzer Zeit noch einmal intensiv mit der Familienpolitik des rot-roten Senats in einer Aktuellen Stunde auseinanderzusetzen, dieses Mal aber – im Gegensatz zu den Elogen von SPD und Linker vor vier Wochen – überwiegend kritisch. Denn was fällt auf, wenn das Politikverhalten des Senats in Bezug auf Familien, Kinder und Jugendliche näher betrachtet wird? – Erstens: Die wirklichen Probleme der Berliner Familien und ihrer Kinder stehen nur selten im Mittelpunkt der politischen Bemühungen von Rot-Rot. Wer sich die Mühe macht, beispielsweise die Berliner Internetplattform für Eltern, die „Elternliste“, täglich zu lesen, weiß, wovon ich spreche, und er erkennt, wie alleingelassen sich Familien in dieser Stadt oft fühlen.

Zweitens: Der Senat reagiert in erster Linie auf Druck, ist es doch sein Prinzip, erst einmal die Interessen und Anliegen von Familien und jungen Menschen wegzuwischen und mitunter sogar zu leugnen. Wunderbares Beispiel dafür ist das Volksbegehren für mehr Kitaqualität. Schlussendlich musste Rot-Rot klein beigeben.

[Beifall bei der CDU]

Das zeichnet sich auch beim nächsten Volksbegehren für mehr Hortplätze ab.

Drittens: Die Familien-, Kinder- und Jugendpolitik dieses Senats ist defizitär. Es fehlen Bedarfsanalysen, Konzepte und passgenaue Programme für die unterschiedlichen Zielgruppen. Damit erweist Rot-Rot dem Land Berlin und seinen Menschen einen schlechten Dienst.

Natürlich wäre es jetzt falsch zu behaupten, dieser Senat sei völlig untätig gewesen. Aber es reicht eben bei den Multiproblemlagen in dieser Stadt nicht aus, für alles und jedes nach folgendem Motto zu verfahren: Wir machen die Kita beitragsfrei. Wir schwenken die Regenbogen

fahne. Wir machen ein paar Aktionsprogramme. Wir wirbeln die Schule ein bisschen durcheinander und nennen das Reform. Wir schreiben die Kinderrechte in die Landesverfassung und machen schöne Presseerklärungen zum Kindertag. – Und siehe, schon wird alles wirklich besser! Die Kitaqualität stellt sich fast von selbst ein. Die Homophobie verschwindet von den Schulhöfen. Die Integrationsprobleme verringern sich. Die Bildungsqualität steigt sprunghaft. Berlin wird zur Hauptstadt des Kinderschutzes und zu einer guten Stadt für Kinder, wie Frau Staatssekretärin Zinke in ihrer Presseerklärung zum Kindertag sagte.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Gernot Klemm (Linksfraktion]

Ich übertreibe, meinen Sie? – Keinesfalls, meine Damen und Herren, denn ich habe mir den Hinweis von Herrn Senator Zöllner vom 12. Mai zu Herzen genommen. Er glaubte, mir von dieser Stelle aus den Ratschlag geben zu können und zu müssen, ich solle mit offenen Augen durch die Stadt gehen.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Gute Idee!]

Da ich das schon immer tue, verehrter Herr Prof. Zöllner, kann ich Ihnen versichern: SPD und Linkspartei sind nicht die Problemlöser, für die sie sich ausgeben.

[Beifall bei der CDU]

Es gibt zu viele Baustellen, die auf unzuverlässigem Grund stehen. Dazu gehört der Kinderschutz, zu dem ich Ihnen eine Diskussion in der nächsten Plenarsitzung nicht ersparen werde. Dazu gehören die nicht nachhaltig wirkenden Integrationsprojekte, deren Evaluation verheerende Ergebnisse für den Senat erbracht haben. Dazu gehören fehlende Kitaplätze, fehlende Hortplätze, Schulverweigerer, unzureichende Familienbildungsmaßnahmen, ein gescheitertes Inklusionskonzept für Kinder mit Behinderungen usw. Während vom Bund neue Ideen und verbesserte Rahmenbedingungen kommen wie z. B. die Aktion für eine familienbewusste Personalpolitik, die Verbesserung des Bundeskinderschutzgesetzes, das Gesetz zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Programm Bildungspatenschaften für Kinder aus Zuwandererfamilien usw., ist der Berliner Senat noch nicht mal in der Lage, über den Stand eigener Entwicklungen und notwendiger Unterstützungsmaßnahmen zu berichten.

Ich habe den Senat am 19. Mai gefragt, wie sich die Umsetzung des BuT gestaltet. Es ist schon sehr seltsam, dass ich eine Stunde vor der Plenarsitzung die Antwort bekomme, wie er dieses alles umsetzen möchte.