Protokoll der Sitzung vom 27.10.2011

Zunächst zu dem Antrag der drei Oppositionsfraktionen zum Thema Hauptausschussvorsitz: Ja, man könnte schon fast von einem Ritual reden. Solange ich dabei bin – das sind jetzt 16 Jahre –, kommt immer wieder zu Beginn einer Wahlperiode in unterschiedlichen Formationen der Antrag, der Hauptausschussvorsitz sollte von der Opposition gestellt werden. Aber immer ist es so, wie es auch heute wieder passiert ist: Ein Antrag wird gestellt, und selbstverständlich kommt von den Fraktionen, die zukünftig vermutlich die Regierung stellen werden, erst mal wieder ein glattes Nein. So lange ich hier dabei bin, ist es in dieser Frage bisher zu keiner grundsätzlichen Debatte gekommen. Diese würde ich mir jedoch sehr wünschen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Zumal mein Kollege Michail Nelken im Jahre 2001 – da hatten wir auch schon einmal solch einen Antrag gestellt – in der Debatte darauf hingewiesen hatte – wie es eben auch der Kollege Lux betont hat –, dass der Hauptausschuss eine besondere Rolle hat, dass der Hauptausschuss das älteste und substanziellste Recht hat, das das Parlament der Regierung gegenüber hat, nämlich das Haushaltsrecht. Somit stellt sich die Frage, warum der wichtigste Ausschuss, das wichtigste Kontrollorgan des Parlaments – ausgestattet mit dem Haushaltsrecht – in der Hand einer Regierungsfraktion sein soll bzw. sein muss. Ich unterstelle keinem Abgeordneten irgendetwas, jeder wird seine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung wahrnehmen, aber es soll schon mal vorkommen, dass Vertreterinnen und Vertreter von Regierungskoalitionen bei der Frage von Kontrollrechten oder Schutzbedürfnissen gegenüber der Regierung doch mal in den einen oder anderen Gewissenskonflikt kommen. Dem wollen wir mit dieser Regelung entgegentreten.

Die Fraktion der Linken hat auch einen Antrag gestellt, den wir in den zu bildenden Rechtsausschuss überweisen wollen. Dabei geht es auch um die Rechte kleinerer Fraktionen, nämlich die Frage, wenn kleine Ausschüsse gebildet werden und die kleineren Fraktionen dort nur mit jeweils einem Mitglied vertreten sind, ob es nicht im Sinne einer besseren Arbeitsfähigkeit der kleineren Fraktionen angebracht wäre, diesen Fraktionen ein beratendes Mitglied zuzugestehen. In der vergangenen Wahlperiode ist das per Geschäftsordnung nicht geregelt worden. Da hat man dies der FDP großzügig zugestanden. Wir möchten, dass das zukünftig in der Geschäftsordnung festgehalten wird.

Zu den Anträgen der Piraten: Ja, das ist nun mal so, am Anfang einer Wahlperiode können wir alle beklagen, dass Ihre Anträge erst eine Stunde vor Sitzungsbeginn eingetroffen sind. Das ist nun mal so, wird garantiert aber nächstes Mal anders sein. Der Punkt ist jedoch, dass Sie mit Ihren Anträgen substanzielle Fragen stellen. Mit dem neuen Blick von außen stellen Sie sich die Frage, wie es mit den Rechten der einzelnen Abgeordneten ist. Bisher ist es so, dass sich Abgeordnete in den Fraktionen organisiert haben. Das ist nicht ohne Hintergrund: Man schließt sich zusammen, um politische Interessen gemeinsam durchsetzen zu können und damit eine gewisse Stärke zu zeigen. Das ist der Hintergrund. Wenn Ihr Antrag – das entnehme ich Ihrer Begründung – bezogen auf die einzelnen Abgeordneten darauf abzielt – ich nehme jetzt das Beispiel dieser Anträge –, dass einzelne Mitglieder Ihrer eigenen Fraktionen sich mit diesen Anträgen nicht durchsetzen können und der Antrag nicht als Antrag der Fraktion gestellt wird, sondern Sie über den Umweg gehen wollen, Anträge als Einzelpersonen zu machen, kann man zwar darüber diskutieren, doch ich sage Ihnen: Man muss Anträge nicht des Selbstzwecks wegen stellen, sondern man will mit ihnen etwas politisch durchsetzen. Um etwas politisch durchsetzen zu wollen, braucht man Mehrheiten. Wenn man diese schon in seiner eigenen Fraktion nicht hat, wird es schwierig.

Ich nehme jetzt mal den Antrag – den ich sehr sympathisch finde – zum Grundmandat bei den Vizepräsidenten. Da kommen wir genau an diesen Punkt: Sie schreiben in dem Antrag selbst – was auch richtig ist –, dass eine Veränderung der Verfassung notwendig wäre – übrigens hätte dies zuerst kommen müssen, bevor man einen Geschäftsordnungsantrag einbringt. Bei einer Verfassungsänderung braucht man jedoch in diesem Parlament eine Zweidrittelmehrheit. Das heißt, man muss nicht nur in seiner eigenen Fraktion für Mehrheiten werben, sondern auch im Parlament. Deswegen braucht man einen anderen Umgang.

Nichtsdestotrotz: Ihre Sichtweise auf die Rechte einzelner Abgeordneter werden wir uns sehr genau angucken. Wir stehen auch diesem Antrag positiv gegenüber. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Doering! – Das Wort für die Restredezeit der Fraktion der Piraten hat nun der Kollege Mayer.

Sehr geehrter Herr Präsident ! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Es tut mir auch leid, dass wir erst so spät mit diesen Anträgen gekommen sind. Ich will auch um Verständnis werben, wenn ich meine Redezeit vielleicht um ein oder anderthalb Minuten überziehe.

[Heiterkeit]

Das soll auch das nächste Mal nicht wieder vorkommen.

Worum es hier geht, ist vielen von uns sehr wichtig. Ich kann es persönlich nicht fassen, wie wenig Rechte nach dieser Geschäftsordnung der einzelnen Abgeordnete hier im Haus hat. Jeder von uns repräsentiert ungefähr 20 000 Berliner Bürger, aber darf in diesem Parlament nicht einmal Anträge stellen. Ich bin der Meinung, hier sitzen lauter intelligente erwachsene Menschen, die auch mit ihren Rechten einigermaßen sensibel umzugehen wissen. Diese Geschäftsordnung ist eine Misstrauenserklärung an uns selbst!

[Unruhe – Beifall bei den PIRATEN]

Ich denke, es wird ausreichend Zeit bleiben, in den Ausschüssen und hoffentlich auch im Plenum das ganze Thema zu diskutieren.

Damit das Ganze jetzt nicht zu sehr auf die lange Bank geschoben wird, möchte ich auch noch ankündigen, dass wir, da wir der Meinung sind, dass das, was in dieser Geschäftsordnung steht, mit der Verfassung von Berlin und dem Grundgesetz so nicht in Einklang zu bringen ist, in dem Zusammenhang ein Organklageverfahren auf den Weg bringen werden. Wir hoffen, dass wir dann hier im Parlament etwas schneller fertig werden als das Gericht.

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank! Ich freue mich auch auf die nächsten fünf Jahre spannender Zusammenarbeit und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Mayer! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Zunächst lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und des Abgeordneten Martin Delius von der Piratenfraktion, Drucksache 17/0001-1, abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind Die Linke, die Grünen und die Piraten. Wer ist dagegen? – Das sind die SPD- und die CDUFraktion. Ich frage nach Enthaltungen. – Ich sehe keine Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich komme nun zu einer weiteren Abstimmung. Wer dem Antrag der vier Fraktionen Drucksache 17/0001 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Ich sehe langsam, aber sicher die Zustimmung der Fraktion Die Linke, der Grünen, der SPD-Fraktion und der CDUFraktion und einzelner Kollegen der Piratenfraktion. Wer ist dagegen? – Dagegen sind Einzelne aus der Piratenfraktion. Wer enthält sich? – Ich sehe eine Enthaltung der Piraten rechts neben mir.

[Zuruf von den GRÜNEN: Vier Enthaltungen!]

Damit ist die Geschäftsordnung der 17. Wahlperiode so beschlossen.

Zu den Anträgen der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0008, sowie der Piratenfraktion Drucksachen 17/0012 und 17/0013 ist die Überweisung an den künftig für Geschäftsordnungsfragen zuständigen Ausschuss beantragt worden. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe jetzt auf

lfd. Nr. 4:

Wahl der Präsidentin/des Präsidenten

Wahlvorlage Drs 17/0002

Vorschlagsberechtigt für die Wahl ist die stärkste Fraktion. Von der SPD-Fraktion wird für die Wahl zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin der 17. Wahlperiode der Abgeordnete Ralf Wieland vorgeschlagen. Wird in der Aussprache zum Wahlvorschlag das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Gemäß § 11 der Geschäftsordnung wird der Präsident mit der Mehrheit der Stimmen des Abgeordnetenhauses gewählt. Das sind mindestens 75 Ja-Stimmen.

Interfraktionell hat man sich darauf verständigt, die Wahl mit verdeckten Stimmzetteln – also geheim – durchzuführen. Ich möchte Ihnen das Wahlverfahren kurz erläutern, insbesondere deshalb, weil wir einige neue Kolleginnen und Kollegen unter uns haben.

(Alterspräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns)

Für die von mir aus gesehen rechten Kabinen erfolgt der Namensaufruf für die Buchstaben A bis K. Für die Buchstaben L bis Z stehen die linken Kabinen zur Verfügung. Jedem Abgeordneten wird erst nach Namensaufruf und vor Eintritt in die Wahlkabine der Stimmzettel ausgehändigt. Nach Ausfüllen des Stimmzettels in der Kabine ist dieser noch in der Wahlkabine zu falten und in den Umschlag zu legen. Der Umschlag ist anschließend in die entsprechende Wahlurne zu werfen.

Ich möchte ausdrücklich noch einmal darauf hinweisen, dass Abgeordnete nach § 74 Absatz 2 der Geschäftsordnung zurückgewiesen werden müssen, die außerhalb der Wahlkabine ihren Stimmzettel kennzeichnen oder in den Umschlag legen.

Wer dem Wahlvorschlag der SPD – Ralf Wieland – zustimmen will, der muss unter dem Namen ein Kreuz in das Kästchen mit „Ja“ setzen. Sie haben weiterhin die Möglichkeit, mit „Nein“ zu stimmen oder sich der Stimme zu enthalten. Ein leerer, nicht mit einem Kreuz versehener Stimmzettel gilt als ungültiger Stimmzettel genauso wie anders gekennzeichnete Stimmzettel oder Stimmzettel mit zusätzlichen Vermerken.

Nun bitte ich die vier jüngsten Mitglieder des Hauses, jeweils zu zweit an den Wahlkabinen bzw. Wahlurnen Aufstellung zu nehmen, um die Ausgabe der Stimmzettel vorzunehmen und deren Abgabe zu kontrollieren.

Ich appelliere ausdrücklich an Sie alle, den Wahlvorgang diszipliniert und geduldig durchzuführen, um einen geordneten und einwandfreien Ablauf zu gewährleisten. Insbesondere beim Einwurf der Umschläge bitte ich um Rücksichtnahme auf die jungen Beisitzer und neuen Abgeordneten.

Herr Abgeordneter Simon Weiß! Ich bitte Sie als nächstjüngsten Abgeordneten, die Namen der Abgeordneten zu verlesen. – Ich bitte Sie, mit dem Aufruf der Namen zu beginnen!

[Aufruf der Namen und Abgabe der Stimmzettel]

Meine Damen, meine Herren! Haben alle Ihre Stimme abgegeben? – Das ist offenbar der Fall. Der Wahlgang ist damit geschlossen. Ich bitte um Auszählung. Solange die Auszählung dauert, wird die Sitzung unterbrochen.

[Auszählung]

Meine Damen und Herren! Sie sind fast vollständig wieder zusammen. Bei der SPD-Fraktion sehe ich noch erhebliche Lücken, ebenso bei den Piraten. Ich finde, der Anlass ist angemessen, dass wir alle vollständig sind.

Ich kann Ihnen jetzt ein Ergebnis mitteilen. Die für die Wahl erforderlichen Stimmen wären 75 gewesen. Abge

geben wurden 149 Stimmen insgesamt. Ja-Stimmen: Auf Herrn Wieland entfielen 129 Stimmen.

[Beifall]

Es waren 11 Nein-Stimmen bei 9 Enthaltungen. – Herr Kollege und Abgeordneter Wieland! Sie sind damit mit der erforderlichen Mehrheit gewählt. Das Präsidium dankt und gratuliert Ihnen sehr herzlich. – Vorher muss ich Sie natürlich fragen, ob Sie die Wahl überhaupt annehmen.

[Heiterkeit – Vereinzelter Beifall]

Vielen Dank! Dann gratulieren wir noch mal sehr herzlich von hier oben.

[Beifall]

Herr Kollege Wieland! Sie sind als gewählter Präsident jetzt leider auch verpflichtet, hier oben Platz zu nehmen.