Protocol of the Session on June 28, 2018

Login to download PDF

Endlich auch nicht mehr diese ständigen Shitstorms des Rad-Volksentscheids im Nacken zu haben – was für eine Erleichterung!

[Beifall bei der FDP]

Das alles hat aber nichts mit einer überzeugenden Mobilitätsvision für unsere Stadt zu tun, und es hilft auch herzlich wenig bei der Entwicklung optimaler Verkehrssysteme für die wachsende und verdichtete Stadt. Richtig ist: Ein integrierter, gesamthafter Blick auf die Mobilitätsbedürfnisse und die Zusammenfassung in einem einzigen Gesetz könnte wirklich viel bringen. Der Ansatz könnte Zielkonflikte deutlich machen und diese dann auch managen. Die Themen wurden ja genannt: Wie verteile ich die knappen Flächen in fairer Weise an die verschiedenen Nutzer? Wie werden Verkehr und Umweltschutz besser miteinander in Einklang gebracht? Wie wird die Verkehrssicherheit gewährleistet? – Frau Kapek! Mich macht das auch sehr betroffen, dass solche Unfälle passieren. Trotzdem ist die Brücke, die Sie da zum Mobilitätsgesetz bauen, schon ein bisschen weit hergeholt, wenn man das Gesetz sieht.

[Beifall bei der FDP]

Man könnte das jetzt alles zusammenfassen und integrativ bewerten und regeln – ist aber nicht. Fußverkehr, innovativer Verkehr – was immer das sein mag –, Wirtschaftsverkehr – das kommt später; wir werden da auf die Zukunft vertröstet. Autoverkehr fehlt ganz, und eine Behandlung im Gesetz brauchte man aber eben zum Abwägen der Zielkonflikte. Es geht eben nicht um den Kulturkampf „Fahrrad gegen Auto“, sondern um faire Abwägung zwischen allen am Verkehr Beteiligten. Wenn das Auto aber gar nicht vorkommt, dann wird eben auch nicht vernünftig abgewogen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Und wer bei der Koalition immer davon redet, dass für das Auto ja die Straßenverkehrsordnung ausreiche: In der Straßenverkehrsordnung kommt ja auch das Fahrrad vor, ohne dass man jetzt zu dieser Argumentation greifen

würde. Schlimmer ist: Wer so redet, der hat die Grundidee eines integrativen Ansatzes nicht verstanden, also den Kern des Mobilitätsgesetzes. Das ist wirklich traurig – sad, very sad, wie ein bekannter Politiker wahrscheinlich twittern würde.

[Beifall bei der FDP]

Dieser Entwurf ist eben nicht integrativ und gesamthaft. So ist das kein echtes Mobilitätsgesetz, und so wird es auch keins mehr werden.

Noch ein paar Worte zum Verfahren, das hier ja so ausführlich gelobt wurde: Der Rad-Volksentscheid war ein guter Aufschlag. Das war sehr ehrenwert, das war notwendig für die Debatte und ein wichtiges zivilgesellschaftliches Engagement. Die drängenden Probleme beim Radverkehr sind ja wirklich offenkundig. Aber der anschließende Umgang mit dem Parlament war dann schon von einer gewissen Herablassung geprägt, wenn erwartet wurde, dass Senat und Abgeordnetenhaus über jedes Stöckchen springen, und dann auch noch versucht wurde, da extremen Zeitdruck zu machen.

Diese Herablassung ist nicht gerechtfertigt. Auch der Volksentscheid vertritt nur einen Teil der Menschen, und viele handwerkliche Fragen wurden im ersten Entwurf gar nicht gelöst, sondern mussten hier im Parlament gelöst werden.

Genauso ärgerlich war, dass die Koalitionsfraktionen das Parlament auch nicht so ganz ernst genommen haben. Wir hatten schon die Kommentare einzelner Verbände zu den Änderungsanträgen der Koalition, als wir selber diese Änderungsanträge noch nicht auf dem Tisch hatten. Sie hatten mehr Angst vor den Lobbyisten und vor deren öffentlichem Druck als Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Haus – sad, very sad!

[Beifall bei der FDP]

Dieses Verfahren, viele Interessenvertreter in Diskussionsrunden einzubinden, hat auch Nachteile: Eine Versammlung von Pressure-Groups und Interessenvertretern ist eben nicht die Stadtgesellschaft, auch wenn uns das die Grünen immer gern erzählen wollen.

[Beifall bei der FDP]

Wenn viele Teilnehmer ihre Forderungen, ihre besonderen Interessen einbringen, dann entsteht noch nicht automatisch ein Konzept aus einem Guss – dann entsteht eine Wunschliste, und die wird dann in der Umsetzung problematisch.

Dann entstehen auch Zielkonflikte, und die hat man hier im Gesetz dadurch gelöst, indem man die vielen Ziele nebeneinander einfach hineingeschrieben hat. Man muss sich aber bewusst machen: Je mehr Ziele da drinstehen, desto weniger ist jedes einzelne Ziel wert. Genau deswegen wird es große Probleme in der Umsetzung geben. Hier rächt es sich dann, dass man einfach die Ziele

zusammen hineingeschrieben hat. Die müssen ja dann nicht alle in die Abwägung der Maßnahmen hineingehen, und wenn es z. B. – Herr Wolf hat es erwähnt – die Vorrangnetze gibt – da gibt es also einen Vorrang des ÖPNV; es gibt ein Vorrangnetz Radwege; es gibt übrigens auch die Erwähnung eines Vorrangnetzes Straßenverkehr –, dann hat in Wirklichkeit eigentlich gar keiner mehr so richtig Vorrang, wenn die alle gleichzeitig an derselben Stelle Vorrang haben.

In der Umsetzung – auch das wird schwierig – wird es an Ressourcen mangeln. Es gibt einen Mangel an Planern. Es gibt einen Mangel an Baufirmen. Es gibt einen Mangel an Koordination. Zeitliche Verzögerungen sind vorprogrammiert. Diese ganze schöne Rhetorik, diese geweckten Emotionen – das erweckt Erwartungen, die gar nicht erfüllbar sind. Auf diese Euphorie wird mit Sicherheit noch der Kater folgen.

[Beifall bei der FDP]

Unterschätzen Sie eines nicht, nachdem Herr Wolf erwähnt hat, wie stark die Gesellschaft hinter Ihnen steht: Die allgemeine Zustimmung der Leute zu einzelnen Forderungen und Zielen heißt nicht, dass diese Menschen dann die Einzelmaßnahmen auch superklasse finden. Da war das Beispiel von Michael Müller und den Parkplätzen in seiner Straße; da ist das Beispiel von den Anwohnern, die gegen die Tram in der Sonntagstraße kämpfen:

[Heiterkeit und Beifall bei der FDP]

Da wenden sich Menschen, die der Koalition politisch nahestehen, gegen konkrete Umsetzungsmaßnahmen Ihrer Politik, und so mancher, der jetzt frühzeitig jubelt, wird sich noch wundern, wenn er oder sie erlebt, was das Gesetz konkret vor der eigenen Haustür bedeutet. Auch der Grünen-Wähler möchte gerne seinen SUV parken; auch die SPD-Wählerin möchte nicht im Stau stehen.

Als Opposition könnten wir uns jetzt eigentlich freuen. Mit dem Mobilitätsgesetz setzen Sie als Regierungskoalition einen Prozess und viele, viele Maßnahmen in Gang, die vor Ort massenweise Ärger erzeugen werden – wenn die Parkplätze weggerupft werden, die Bäume abgeholzt, der Stau verursacht wird: Das wird ein Superwahlkampfthema für die Oppositionsfraktionen. Herzlichen Dank dafür schon mal im Voraus!

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Wir Freien Demokraten wollen nicht einfach so dagegen sein. Deshalb haben wir ja eine ganze Menge Änderungsanträge eingebracht, um zu zeigen, dass wir das Mobilitätsgesetz positiv mitgestalten wollen. Anders als CDU und AfD lehnen wir auch nicht diesen gesamthaften Ansatz ab, alles in einem Gesetz zusammenzufassen. Ich habe begründet, warum ich das für sinnvoll halte.

Wir haben in unserem eigenen Mobilitätskonzept viele konstruktive Vorschläge zu Verkehrsfragen gemacht, auch zu Themen, die hier in den begleitenden Anträgen

vorliegen: mehr grüne Wellen, Verlagerung von Parkplätzen in Tiefgaragen, um oben wirklich Platz zu schaffen, mehr U-Bahnen, um oben Platz zu schaffen, digitale Verkehrslenkung, digitale Parkplatzsuche und vieles mehr.

Wir haben auch konkrete Vorschläge zum Pendler- und Lieferverkehr vorgelegt. Wir haben darauf hingewiesen, dass wir Daten erfassen und als Open Data zur Verfügung stellen müssen, um digitale und innovative Lösungen erst einmal zu ermöglichen. Das wird ein ganz wichtiger Punkt für den zweiten Teil des Gesetzes.

Aber eines gilt: Wir Freien Demokraten wollen ein Mobilitätsgesetz für alle Verkehrsbeteiligten. Wir wollen keine Kämpfe zwischen Verkehrsteilnehmern. Wir wollen keinen Kulturkampf Fahrrad gegen Auto anheizen, denn dabei verlieren wir alle.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir wollen ein durchdachtes, ein zukunftsfähiges, ein vernünftiges Mobilitätsgesetz, das flexibel den Bedürfnissen der Menschen entgegenkommt. Ein solches Mobilitätsgesetz liegt hier heute nicht vor, und deshalb lehnen wir diesen Entwurf auch deutlich ab. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64, Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das überwiegend plan- und fantasielose Berliner Dahinregieren der letzten Jahre lässt jeden Esprit, jedes Vordenkertum schmerzlich vermissen – das Vordenkertum, das es in der Politik dringend braucht. Man wurstelt so vor sich hin; die Frau im Kanzleramt macht es vor. Aber das hat ja jetzt bald ein Ende. Man wurstelt so vor sich hin und setzt ideologische Pläne um, die für unseren Souverän, das deutsche Volk in Berlin, nichts oder nur wenig bringen. Vom gemischtgeschlechtlichen Einheitsklo über den Zwangsbecher bis zur Fairtrade-Town – was auch immer das sein mag! Oder ganz aktuell Herr Müller: Glückritter aus Afrika in unsere knappen Sozialwohnungen umsiedeln!

Unser Souverän bekommt immer schlechter Luft, aber Rot-Rot-Grün wickelt den Verband um den Hals immer enger und enger. Berlin braucht wie jede moderne Wirtschaft ein belastbares Straßenverkehrssystem. Wir können uns keine ideologischen Eingriffe erlauben, und

(Henner Schmidt)

selbstverständlich müssen Eingriffe auch evaluiert werden. Bringen sie tatsächlich den gewünschten Effekt? Hat die Umweltzone in Berlin etwas gebracht? – Nein!

[Zurufe von der LINKEN: Ja!]

Hat Tempo-60 im Tegel-Tunnel etwas gebracht? – Nein! Haben die unzähligen tageszeitabhängigen 30er-Strecken vor Schulen und Altersheimen etwas gebracht?

[Zurufe von der LINKEN: Ja!]

Gibt es dort messbar weniger Schadstoffe oder Verkehrsopfer? – Nein!

[Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN: Doch!]

Alle Eingriffe in den fließenden Verkehr sollen einen Mehrwert für unseren Souverän haben. Partikularinteressen müssen im Zweifelsfall hinter den Interessen des Gemeinwohls zurückstehen. Wir können weder auf innerstädtischen Bahnstrecken unsere ICEs herumbummeln lassen noch die Autobahn in eine verkehrsberuhigte Zone umwandeln, auch wenn in direkter Nachbarschaft Leute ihr Schlafzimmer haben. Eine Autobahn ist eine Autobahn, und eine Hauptverkehrsstraße ist eine Hauptverkehrsstraße. Weitere Einschränkungen schaden dem Berliner Verkehr, weitere Einschränkungen schaden der Berliner Wirtschaft, und weitere Einschränkungen schaden den Berlinern.

Seit Menschengedenken reist der Mensch von Ort zu Ort.

[Lachen bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Die Entwicklung der Reise ist vielfältig, aber eines ist ihr überall auf der Welt gemein. Die Geschwindigkeit, mit der wir uns von Ort zu Ort bewegen, nimmt immer weiter zu. Erst reiste der Mensch ausschließlich zu Fuß, dann per Kutsche, seit dem 19. Jahrhundert per Eisenbahn, dann im Auto und schließlich im Flugzeug. Die Zunahme der Geschwindigkeit findet überall auf der Welt statt, außer in Berlin.

[Lachen bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir werden immer langsamer, wir verringern die Fluggastkapazität auf unseren Flughäfen, bauen ohne Not Straßenbahnschienen in den fließenden Verkehr und müssen auf immer mehr Straßen aus physischen Gründen Tempo 30 anordnen. Der Stadtring wird als westlicher Halbmond auf Eis gelegt. Dabei hatten wir Berliner mal die erste Untergrundbahn Deutschlands, die erste S-Bahn, das erste Stück Autobahn in Europa und den größten Flughafen Europas. Die Zunahme der Geschwindigkeit findet überall auf der Welt statt, außer im rot-rot-grünen Berlin. In Berlin ist R2G der Spezialist für Verkehrsstenosen. Finger weg von unseren Lebensadern! Keine weiteren künstlichen Engpässe in unserem Verkehrssystem! – Danke schön!