Protocol of the Session on May 9, 2019

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Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kerker von der AfD zulassen.

Nein! Bei der AfD weiß ich, was sie erzählen. Ich möchte es nicht hören.

Es reicht mir ein Nein.

Ob es Ihnen passt oder nicht: Eltern erziehen in Deutschland ihre Kinder und haben das Recht, diese auch religiös anzuleiten. Hinzu kommt, dass Ihr Gesetzentwurf allein auf die Altersgruppe der schulpflichtigen Schülerinnen und Schüler abzielt, die sich nicht dem Eingriff in ihre Religionsfreiheit entziehen können. Privatschulen lassen sie völlig außen vor. Das ist auch interessant.

[Georg Pazderski (AfD): Reden Sie doch mal mit Frau Schwarzer!]

Zwar sieht Ihr Gesetzentwurf vor, dass die Schulleitung – hören Sie einmal zu – auf Antrag im Einzelfall Ausnahmen von diesem Verbot zulassen kann. Allerdings müssten sich dann die Betroffenen hier konkret religiös erklären. Wo kommen wir eigentlich hin? Es muss sich in Deutschland niemand dafür erklären, ob er religiös leben will oder nicht. Ich bin auch froh darüber, dass auch ich mich nicht erklären muss.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Es ist nach wie vor gute, gängige Praxis in Berlin, dass Probleme, wenn es sie an der Schule gibt, an der Schule auch pädagogisch gelöst werden. Das gilt übrigens auch dann, wenn wie auch immer gearteter Druck auf Schülerinnen und Schüler ausgeübt wird. Das kann religiös sein. Das kann im familiären Kontext sein. Es kann auch häusliche Gewalt sein. Dann haben Sie aber gar kein Interesse. Dann würden Sie mehr pädagogisches Personal oder Fortbildungen oder Elterngespräche oder sonst irgendetwas fordern. Sie fordern hier im Übrigen Mittel, die es auch längst gibt. Sie sagen, man müsste den Eltern oder Lehrern Handreichungen geben. Die gibt es.

[Gunnar Lindemann (AfD): Seit wann?]

Glücklicherweise kommen die Senatsverwaltung und Sandra Scheeres dieser Aufgabe nach. Die Senatsverwaltung für Bildung bietet Berliner Lehrkräften Hilfestellungen durch Fortbildungen oder die Handreichung „Islam

und Schule“ an. Es gibt hier Fortbildungen auf dem Gebiet. Es gibt die Gespräche.

Lassen Sie mich bitte noch zwei Sätze zum Kitabereich sagen, denn Sie wollen auch das KitaFöG ändern, damit Kindern in Kitas das Tragen von Kopftüchern verboten wird. Es gibt wieder aus den Berliner Kitas noch seitens der Eltern noch von Trägern oder seitens des Personals die Meldung eines kopftuchtragenden Kindes in einer Kita. Soviel zum Schüren von Ressentiments ohne irgendeinen Anlass.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ein Kopftuchverbot bei Schülerinnen und Schülern widerspricht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und so viel zu den verinnerlichten Rechten, auf die Sie immer eingehen: Es widerspricht der Religionsfreiheit, verdammt! Die AfD schürt Ressentiments und Fremdenhass, obwohl nicht einmal im Ansatz erkennbar ist, dass es dafür in unseren Kitas und Schulen einen Regelungsbedarf gibt. Der Antrag ist unbedingt abzulehnen. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für eine Zwischenbemerkung hat jetzt noch einmal der Abgeordnete Bachmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Kollegin! Mit Ihrem Beitrag haben Sie eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Sie die juristische Problematik nicht mal ansatzweise durchdrungen haben.

[Beifall bei der AfD – Lachen bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Bei der Religionsfreiheit ist erst mal der Schutzbereich zu prüfen. Der ist in der Tat bei Erwachsenen, die Kopftuch tragen wollen, eröffnet, aber bei Minderjährigen ist das höchst umstritten, und auch nach ganz herrschender Auffassung im Islam selber müssen Minderjährige sich nicht verhüllen. Es ist nicht Bestandteil des Islam – nach ganz herrschender Meinung.

[Zurufe von der LINKEN]

Deshalb ist es durchaus berechtigt, dass wir, wenn es im Einzelfall doch so sein sollte – deshalb haben wir ja diesen Erlaubnisvorbehalt eingefügt –, dann auch verlangen, dass er konkret und plausibel nachgewiesen wird.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Sie kennen die Rechtsprechung nicht!]

(Melanie Kühnemann-Grunow)

Befassen Sie sich mit der Rechtslage, und reden Sie dann weiter! So ist Ihr Beitrag kaum einlassungsfähig in rechtlicher Hinsicht.

Weil Sie uns dann wieder Ressentiments unterstellt haben:

[Lachen bei der AfD]

Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, dass es uns um Schutz geht und nicht um Schikane. Uns geht es gerade um Schutz der betreffenden Mädchen davor, dass sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gehemmt werden, und davor, dass sie frühsexualisiert werden. Das ist eigentlich evident, wenn man unseren Antrag zur Kenntnis nimmt. Dass Sie das so nicht sehen wollen, ist Ihr Problem. Wir haben ja auch auf die durchaus renommierten Frauenrechtlerinnen oder auf Terre des Femmes verwiesen, die das ganz genauso sehen in ihrer Intention und eine Petition gestartet haben, die sogar noch über das hinausgeht, was wir hier gesetzlich vorgesehen haben. Nun können Sie denen natürlich auch Hetze unterstellen. Ich weiß nicht, wie weit Sie mit dem Vorwurf der Hetze gehen wollen und wer alles davon umfasst sein soll. Necla Kelek, Alice Schwarzer – alles Hetzer oder was? – Letztlich kann man Ihren Beitrag kaum ernst nehmen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Zur Erwiderung hat Frau Kühnemann-Grunow das Wort.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Die SPD strebt zur Einstelligkeit!]

Herr Bachmann! Sie berufen sich hier auf die Religionsfreiheit. Die Religionsfreiheit ist zu Recht – und das erfordert vor allem unser politisches Erbe und unser Umgang mit vor allem fremden Religionen – ein hohes Gut in Deutschland.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Was soll denn das? – Hanno Bachmann (AfD): Wenn sie einschlägig ist!]

Wie Religionsfreiheit eingeschränkt werden kann oder sollte oder wie auch immer, darüber gibt es bändeweise juristische Diskussionen, und immer – das hat auch mit dem Ramadan zu tun etc., es gibt viele Diskussionen darüber – ist die Religionsfreiheit besonders hochgehalten worden, und das ist auch richtig so. Ich möchte niemanden in seiner Religionsausübung einschränken.

Sie kommen hier mit dem Schutz von jungen Mädchen und sagen, Sie wollen die ja nicht schikanieren, sondern sie wollen die schützen. Mein Schutzverständnis sieht anders aus. Verbote helfen hier gar nichts. Ich stehe auf

Dialog. Ich stehe auf Diskussion. Man muss mit Eltern sprechen.

[Zurufe von der AfD: Ja, ja! Bla, bla, bla! – Anne Helm (LINKE): Bla, bla?]

Ja, man muss auf Eltern und Familien einwirken, und dann kann man vielleicht auch etwas erwirken.

Im Übrigen: Wenn die Frauen, die Sie hier zitieren – Necla Kelek, Alice Schwarzer, wer auch immer hier angesprochen wurde –, wüssten, dass sich die AfD mit ihnen gemein macht, würden sie sich schämen.

[Georg Pazderski (AfD): Sie würden sich für Sie schämen! – Frank-Christian Hansel (AfD): Für Sie würden sie sich schämen! Das hat sich verändert! Weitere Zurufe von der LINKEN und der AfD]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Simon das Wort. – Bitte schön!

[Zurufe von der LINKEN und der AfD]

Ich hatte dem Kollegen Simon das Wort gegeben.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Üblicherweise beschäftigen wir uns in diesem Hause – und das ist auch heute so – in der Mehrzahl mit Anträgen und mit Beschlüssen, nun mit einem Gesetz, und zwar mit dem Gesetz zum Schutz der freien Persönlichkeitsentwicklung von Kindern vor Erreichen der Religionsmündigkeit. Die Meinungsbildung in der CDU-Fraktion zu diesem Thema war im Vorfeld dieser Plenarsitzung nicht so schwer festzustellen, denn wir haben auf unserer Klausurtagung im Jahr 2018 dazu einen Beschluss gefasst. Wir sind folgender Auffassung: Wenn viele Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund aufeinandertreffen, heißt das auch, dass es eine breite kulturelle und religiöse Vielfalt gibt. So ist das in Berlin. Hier ist das so. Aber – und das ist unsere Auffassung zu dem Thema, die Auffassung der CDU-Fraktion – die Schule ist ein Ort der Bildung und der Aufklärung und muss daher frei von religiösem Streit und von religiösen und ethnischen Konflikten sein. So die Zielvorstellung!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir wissen, dass aber trotz aller politischen Zielvorstellungen religiöse Konflikte, Mobbing, Antisemitismus an Berliner Schulen gerade keine Einzelfälle sind, sondern bedauerlicherweise regelmäßiger Alltag. Diese Konflikte haben verschiedene Ursachen. Das sehen auch wir so. Neben mangelnder Kenntnis über andere Religionen und auch die eigene Religion spielen auch die kulturelle und

(Hanno Bachmann)

familiäre Prägung in Familien – auch in solchen mit islamischem Hintergrund und die hier über Jahrzehnte kultivierte Israelkritik – eine Rolle. Wir fordern, dass die Schule ein neutraler Raum ist – wir stehen auch hinter dem Neutralitätsgesetz –, der von individueller Religionsausübung gleich welcher Art möglichst freigehalten werden sollte. Dies bedeutet für uns auch, dass keine Kopftücher an Schulen getragen werden sollten.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Die Schule soll ein neutraler Raum sein, der alle Schülerinnen und Schüler gleich behandelt, ohne Ansehung ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, so wie es das Grundgesetz in Artikel 3 postuliert. Das soll sich auch optisch im Schulbild niederschlagen. Das Kopftuch mit der Begründung, mit der es muslimische Mädchen und Frauen tragen, ist nicht mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu vereinbaren, also auch nicht mit dem Frauenbild, das sich im Grundgesetz abbildet und für das wir stehen. Und dies gilt unabhängig von der Frage, welche religiösen Aussagen oder Gründe dem Tragen des Kopftuches zugrunde liegen.

Ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren wird seit längerer Zeit intensiv in Politik und Medien diskutiert. Anstoß der aktuellen Debatte ist insbesondere die Prüfung eines solchen Verbotes im FDP-geführten Integrationsministerium von Nordrhein-Westfalen. Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein Westfalen, unterstützt dieses Vorhaben. Die Integrationsstaatsekretärin von Nordrhein-Westfalen, Serap Güler, hat sich für ein Verbot ausgesprochen, da die freie Entfaltung des Kindes durch ein Kopftuch gefährdet ist. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!