In diesem Jahr kamen noch die Coronapandemie und der Lockdown hinzu, die das Problem verschärft haben. Kontaktbeschränkungen, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, finanzielle Sorgen, wenig Rückzugsmöglichkeiten, häusliche Stressfaktoren – all das sind Punkte, die die Gefahr häuslicher Gewalt noch verschärft haben. Die Gewaltschutzambulanz in der Charité, die Verletzungen niederschwellig und auch ohne polizeiliche Anzeige dokumentiert und untersucht, meldet besonders viele Verletzungen. Und zwar gab es auf dem Höhepunkt der Lockerungen im Juni infolge des Lockdowns aus dem März und April im Vergleich zum Vorjahresmonat einen Anstieg der Fälle um 30 Prozent.
Wenn viele Opfer vor einer Anzeige bei der Polizei zurückschrecken, müssen wir zumindest die niedrigschwelligen Angebote für Frauen und Mädchen so ausgestalten, dass diese auch an den Mut finden, sich dort zu melden. Aus diesem Grund ist es absolut richtig, dass das Thema Gewalt gegen Frauen wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit und auch der Politik tritt.
Der vorliegende Antrag widmet sich der Ergreifung wichtiger Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen in dieser Situation. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Forderungen, wie sie nun in diesem Antrag niedergeschrieben wurden, nicht neu sind, und das Thema auch nicht erst seit der Coronapandemie aktuell ist. Im Rahmen der vergangenen Haushaltsberatungen fehlte im Landeshaushalt die Umsetzung der Istanbul-Konvention vollständig.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an einen Antrag der Koalitionsfraktionen aus dem März dieses Jahres erinnern, wonach ein ressortübergreifendes Gremium einberufen werden sollte, das die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Berlin ausarbeiten sollte. Schon damals haben wir uns gefragt, warum es eines Koalitionsantrags bedarf, der in dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werden wird, um geltendes Recht umzusetzen.
Nichtsdestotrotz tragen wir den vorliegenden Antrag gerne mit. Ich sage aber auch im Namen meiner Fraktion deutlich, dass unser Anspruch ist, die darin aufgezählten Maßnahmen nun auch zügig umzusetzen. Präventionsarbeit ist wichtig, um die Eskalation von Gewalt von vornherein zu unterbinden. Aber auch der Ausbau und die Verstetigung weiterer Frauenhausplätze gemäß IstanbulKonvention und die Stärkung der schon bestehenden Häuser in Berlin muss schnellstmöglich vorangetrieben werden, um insbesondere Frauen in akuten Notsitua
tionen helfen zu können. Frauen und Mädchen verdienen unseren Schutz und unsere Hilfe und Unterstützung, und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist.
Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke folgt Frau Abgeordnete Ines Schmidt. – Frau Kollegin, bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Endgeräten!
Ehrlich gesagt, ich finde es furchtbar, immer wieder von diesen enorm hohen Zahlen von sexueller Belästigung, Nötigung, schwerer Körperverletzung, versuchten Totschlags oder Mord an Frauen zu lesen. Es geht mir jedes Mal unter die Haut, wenn ich lesen muss, dass letztes Jahr alleine in Berlin 15 646 Frauen Opfer von brutalen, zerstörenden Übergriffen auf ihre Körper wurden. Das sind 43 Angriffe pro Tag. Davon haben neun Frauen die Angriffe ihrer Partner schwersttraumatisiert überlebt, zehn Frauen haben es nicht geschafft. Sie wurden ermordet. Sie hinterlassen Kinder und Familien – und das alles, weil ihr Partner ihnen in blinder Wut, häufig in rasender Eifersucht oder im Suff, schlimmste körperliche Qualen zufügte, die mit dem Tod endeten.
Wir als Gesellschaft müssen verstehen, was Gewalt an Frauen heißt. Das Perfide an häuslicher Gewalt ist ja, dass es nie mit einem Schlag beginnt. Es beginnt mit einer spitzen Bemerkung, mit einer Lüge, mit Betrug oder einfach der Kontrolle des Handys. Gewalterfahrungen wie zum Beispiel Vergewaltigung, körperliche Schläge, Beleidigung oder das Verbreiten von intimen Bildern sind wie schwarze Löcher, die sich in Frauen ausbreiten. Sie nehmen Besitz von ihnen ein, werden in zeitlichen Abständen größer oder wieder kleiner. Manchmal verschlucken sie die Frau einfach restlos. Die Psyche wird den betroffenen Frauen einen Ausweg konstruieren: Sie wird sie in dem Glauben lassen, sie könnten aktiv an seinem Verhalten etwas ändern, könnten zum Frieden im Haus beitragen. Es mag Situationen geben, in denen es gelingt, durch Schweigen oder Unterwerfung weitere Aggressivität des Partners, eine Eskalation der Gewalt zu vermeiden: Eine betroffene Frau im achten Monat ihrer Schwangerschaft schilderte, dass sie seit drei Monaten kein Wort mehr mit ihrem Mann gewechselt habe und sich und ihr werdendes Kind so schützen konnte. Frauen entwickeln Überlebensstrategien. Es gibt einen Spruch: Auf partnerschaftliche Gewalt steht lebenslänglich, denn sie muss für immer damit leben.
Frauen sind nach Gewalt- und Trennungserfahrung traumatisiert. Sie können häufig erst nach langer Zeit – und ich meine, nach Jahren – über das Erlebte reden bzw. Anzeigen erstatten. Sie empfinden Scham, zum Opfer gemacht worden zu sein. Sie leiden an körperlichen Erscheinungen wie Schlaflosigkeit, Angstzuständen, Depressionen, Panikattacken. Diese müssen sie erst einmal überwinden. Was Frauen mit Sicherheit nicht gebrauchen können, sind Kommentare wie: Du musst ziemlich dumm gewesen sein, dass du es dir so lange hast bieten lassen. Oder: Mann, warum bist du denn nicht einfach abgehauen?
Partnerschaftliche Gewalt kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor. Das ist Fakt. Mal ganz ehrlich unter uns: Wir als Politik müssen dann auch die Frage beantworten: Wenn Frauen einfach gehen würden, wie sieht dann ihre Zukunft aus? – Es gibt immer noch zu wenige Frauenhausplätze, und wenn Frauen mit Kindern gehen, wissen wir hier doch alle: 60 Prozent aller Väter zahlen keinen Unterhalt, weil es verdammt noch mal ein Kavaliersdelikt ist. Einfach gehen heißt bei den überwiegenden Trennungen: sozialer Abstieg – bis hin zur Armutsgrenze.
Zum Schluss noch etwas ganz Wichtiges: 75 Prozent der massivsten Angriffe gegen Frauen – Mord inklusive – passieren nach der Trennungsphase. Es sind nämlich die Männer, die nicht gehen lassen. Sie lassen die Frauen nicht in Ruhe. Aus diesem Grund fordern wir unter anderem in unserem Entschließungsantrag erstens mehr Angebote zur Gewaltprävention in Kitas und Schulen, zweitens eine schnelle und langfristige Finanzierung der Täterarbeit in Berlin, drittens mehr Kapazitäten bei der Justiz sowie bessere Ausbildung und Fortbildung für Polizisten und Staatsanwaltschaft, viertens mehr öffentliche Kampagnen zum Thema Gewalt an Frauen und Mädchen und fünftens noch mehr und besser ausgestattete Frauenhäuser nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention.
Häusliche Gewalt darf kein Tabuthema mehr sein, denn jedes Mal, wenn eine Frau Gewalt erfährt, ist das einmal Gewalt zu viel. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Gewalt an Frauen und Mädchen entschlossen entgegentreten“ – wenigstens beim Titel dieses Antrags gibt es in diesem Haus keine zweite Meinung. Selbstverständlich muss
man der Gewalt an Frauen und Mädchen jederzeit entschlossen entgegentreten. Im Übrigen sollte man jeder Form von Gewalt entschlossen entgegentreten.
Ich werde Ihnen mal an ein paar Beispielen darlegen, wie groß Ihre Entschlossenheit wirklich ist. Unser Antrag, eine repräsentative Datenerhebung zum Thema Zwangsverheiratung erstellen zu lassen, um auf der Grundlage gewonnener Daten dagegen gezielt vorgehen zu können, wurde von Ihnen abgelehnt – zu teuer, zu kompliziert, offensichtlich nicht wichtig genug für Sie. Unser Antrag zum Verbot von Straßenprostitution, wissend, dass dies die unwürdigste und für Frauen schlimmste Form von Prostitution ist und dass dieser Antrag zum Schutz der Frauen und zum Schutz der Kinder und Jugendlichen im hochkriminellen Umfeld des Straßenstrichs ist, wurde von Ihnen abgelehnt.
Unser Antrag zur Verpflichtung von U-Untersuchungen, um auch das Ausmaß an Genitalverstümmelung an Mädchen zu erfassen und darauf zielgerichtet Präventionsmaßnahmen aufzubauen, wurde von Ihnen abgelehnt. Unser Antrag „Verstärkter Schutz gegen häusliche Gewalt in Zeiten der Corona-Pandemie, Teil 2: Kriseneinrichtungen und Krisendienste sichern!“ wurde von Ihnen abgelehnt. Sie stellen in Ihrem Antrag die Gewalt gegen Frauen und Mädchen auch in den Zusammenhang mit Covid-19, aber dabei sind es doch Vertreter Ihrer Parteien – im Bundestag und auch hier im Haus –, die ständig einschränkende Maßnahmen beschließen, ohne die Folgen zu berücksichtigen.
Damit haben Sie die Situation gewaltbetroffener bzw. gefährdeter Frauen und Kinder weiter verschärft. Sie gefährden nicht nur die körperliche Unversehrtheit der Frauen und Mädchen, Sie gefährden durch Ihre überzogenen Maßnahmen auch die wirtschaftliche Sicherheit der Familien und erzeugen damit wieder Unsicherheit und auch Gewalt.
In Ihrem Antrag – das ist auch sehr löblich – wollen Sie mehr Geld für öffentliche Kampagnen zum Thema Gewalt an Frauen ausgeben. Das ist ja lobenswert. Im selben Atemzug streichen Sie dann aber Mittel für Präventionsarbeit an Schulen. Wie geht das bitte schön zusammen? Gerade die so wichtige Präventionsarbeit, auf die wir auch in den Ausschüssen immer wieder aufmerksam gemacht haben, schien Ihnen bisher nicht sehr wichtig zu sein – seit übrigens 20 Jahren nicht –, denn bis heute gibt es für ganz Berlin nur eine einzige Beratungsstelle mit dem Fokus Täterarbeit und keine Senatsverwaltung, die sich dafür zuständig fühlt. – Meine Damen und Herren, Sie haben in unterschiedlichsten Konstellationen in Berlin regiert oder mitregiert, einige von Ihnen hier schon seit Jahrzehnten, und trotz Heerscharen von Sozialarbei
tern und Hunderten von Projekten haben Sie die Fälle von Gewalt gegen Frauen und Mädchen nicht reduzieren können – im Gegenteil. Die sexuellen Übergriffe an Frauen und Mädchen inklusive der Fälle von Genitalverstümmelung nehmen ständig zu. Sie verwalten die Probleme gern, aber die Ursachen bekämpfen Sie eben nur halbherzig.
Wir haben es gehört: In Berlin eröffnet demnächst das achte Frauenhaus, und das neunte ist geplant. Ihr Konzept ist: Gibt es mehr Gewalt, brauchen wir mehr Schutzräume und Beratungsstellen. – Aber die Ursachen bekämpfen Sie nur halbherzig. Ihr Antrag fokussiert die häusliche Gewalt. Jeder einzelne Fall davon ist schlimm, und daher müssen alle Anstrengungen unternommen werden, diese Fälle zu reduzieren und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Da sind wir uns einig.
Aber was Sie – auch in diesem Antrag – wieder vollkommen unterschlagen, ist die Gewalt an Frauen und Mädchen im – wie Sie es nennen – sogenannten kultursensiblen Raum. Da werden Mädchen von der eigenen Familie verfolgt, weil sie sich nicht freiwillig in eine arrangierte Ehe begeben wollen. Da werden Mädchen und Frauen auf offener Straße geschlagen und ermordet, weil sie die Ehre der Familie verletzt haben. Vielleicht sollten die sogenannten Feministinnen hier im Raum endlich mal den Elefanten, der hier im Raum steht, wahrnehmen und endlich zur Kenntnis nehmen, dass auch der massenhaft importierte politische Islam eine immer größere Gefahr für die Sicherheit von Frauen und Mädchen wird.
Er verhindert deren selbstbestimmtes Leben und beraubt sie ihrer Rechte. Von dieser Gefahr lese ich in Ihrem Antrag leider nichts und auch nichts, was Sie dagegen tun wollen. Das ist sehr schade.
Denn erst, wenn Sie sich auch diesem Problem widmen und die Gefahr klar beim Namen nennen, könnten wir diesen Antrag ernst nehmen. Probleme klar beim Namen nennen, das ist wahrscheinlich auch das Problem, das die Fraktionen hier haben. Und deshalb haben Sie uns bei diesem Entschließungsantrag auch außen vor gelassen. Sie möchten die Probleme nicht wahrnehmen und die Ursache nicht klar beim Namen nennen und bekämpfen.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Sie haben es schon festgestellt, Gewalt gegen Frauen und Mädchen findet im realen wie im digitalen Raum statt. Unser Antrag zielt darauf ab, in beiden Räumen zu wirken, und zwar gleichzeitig. Nur wenn wir jetzt noch einmal eine Schippe drauflegen, werden wir unsere hochgesteckten Ziele bis zum Ende der Legislaturperiode annähernd erreichen können. Eine Frage, die sich stellt, ist: Wenn sich alle so einig sind, warum dann dieser Antrag? Kann man nicht darauf verzichten? –
Nein, kann man nicht! Und dass es diesen Antrag gibt, dafür jetzt auch noch mal mein ausgesprochener Dank an die Frau, die nicht da ist, nämlich die Vizepräsidentin Manuela Schmidt!
Ah, habe ich nicht gesehen, Entschuldigung! Ich war noch beim Herrn Präsidenten. – Frau Präsidentin, vielen Dank an Sie, auch im Namen meiner Fraktion! Es ist ja nicht immer so einfach, fünf verschiedene Parteien, fünf verschiedene Fraktionen zusammenzubinden. Sie haben das sehr gut gemacht. Es war eine sehr angenehme Arbeitsatmosphäre. Ich finde, es ist auch ziemlich was bei rausgekommen. Das ist auch der Grund, weshalb man nicht auf diesen Antrag verzichten sollte.
Denn all diese Ansprüche, die wir hier gemeinsam formuliert haben, kosten Geld. Wir alle wissen, dass dieses Geld nicht nur im nächsten Jahr da sein muss, sondern auch darüber hinaus. Wir befinden uns ja bereits heute am Beginn der Aufstellung für den Doppelhaushalt 2022/23. Auch wenn dieser Antrag nur bis zum Ende dieser Legislaturperiode Bestand hat, sehen wir doch die Wirkung weit darüber hinaus. Egal wer ab 2022 diese Stadt regiert, heute wurde dieser Antrag von den daran beteiligten Fraktionen beschlossen. Das ist der Mehrwert, der weit über diese Legislaturperiode hinausgeht. Vielen Dank, falls Sie bemerkt haben, dass Sie zustimmen! Falls Sie es nicht bemerkt haben, Pech gehabt! Da sind Sie jetzt leider mitgegangen, mitgefangen. Deshalb ist dieser Antrag mir persönlich auch so wichtig, weil er weit über diese Legislaturperiode hinausreichen wird – hoffentlich. Man kann sich auch noch im nächsten und im übernächsten Jahr darauf beziehen.