Protocol of the Session on September 16, 2021

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Deshalb ist es naiv und verkürzt, das Ansinnen, als Lehrerin Kopftuch zu tragen, nur unter dem Blickwinkel der individuellen Religionsfreiheit zu diskutieren. Denn tatsächlich steht dahinter eine politische Agenda. Eine Agenda, die auf die Islamisierung des öffentlichen Raums und eine Verbindung von fundamentalistischer Symbolik und staatlicher Autorität abzielt. Die Kreise, welche das Kopftuch einfordern, sind dieselben, die dann auch bestimmte Inhalte aus dem Unterricht verbannen oder die Geschlechtertrennung an der Schule einführen wollen.

Lehrerinnen das Kopftuch zu erlauben, entschärft Konflikte an der Schule nicht, sondern es befeuert sie. Professor Bock, der für die Bildungsverwaltung ein Rechtsgutachten zum Neutralitätsgesetz erstellt hat, sieht zwei Konfliktlagen im Berliner Schulalltag, die durch Lehrerinnen mit Kopftuch verschärft würden. Zum einen werden Schülerinnen bei der Entscheidung, ob sie Kopftuch tragen oder nicht, einem nochmals erhöhten Druck ausgesetzt. Zweitens, so Bock, werde die Bildung miteinander im Konflikt stehender religiös-kultureller Gruppen verstärkt, und es komme im Extremfall sogar zu organisiertem Mobbing. Bei dem Verbot des Kopftuchs geht es also nicht um eine Schikane gegenüber der Lehrerin, sondern es geht um den Schutz speziell der Schülerinnen aus muslimischen Elternhäusern vor Indoktrination, Konformitätsdruck und Mobbing.

[Beifall bei der AfD – Frank-Christian Hansel (AfD): Bravo!]

Gerade an staatlichen Schulen muss es Freiräume geben für eine freie Persönlichkeitsentwicklung und daher ohne symbolhafte Indoktrination durch Lehrerinnen mit Kopftuch. Solche Lehrerinnen verhalten sich, indem sie ihre religiösen Überzeugungen unübersehbar zur Schau stellen, alles andere als neutral. Vielmehr senden sie eine Botschaft der Unentrinnbarkeit des Kopftuchs aus: Selbst wenn du einen qualifizierten Beruf wie den der Lehrerin ausübst und dabei den Staat repräsentierst, selbst dann hast du als Muslima Kopftuch zu tragen. – Diese Botschaft hat an unseren Schulen nichts verloren.

[Beifall bei der AfD]

Ich möchte aber auch noch kurz auf die im Neutralitätsgesetz ebenfalls geregelte Justiz eingehen. In diesem Bereich ist es eindeutig verfassungsrechtlich zulässig, das Kopftuch als religiöses Symbol zu untersagen. Hier hat die Politik Spielraum, und es ist bezeichnend, dass der grüne Justizsenator Referendarinnen dennoch gestattet,

(Dr. Maja Lasić)

vor Gericht mit Kopftuch aufzutreten. Der Senator zeigt damit seine Geringschätzung für die Neutralität des Staates,

[Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und die negative Religionsfreiheit.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Denn all diese zentralen Rechtsgüter sieht er als nachrangig an gegenüber dem Anliegen, unbedingt auch vor Gericht Kopftuch zu tragen. Die zugrunde liegende Salamitaktik ist selbst für den unbedarften Betrachter unübersehbar: Es fängt an mit den Lehrerinnen, dann folgen die Rechtsreferendarinnen, und am Ende stehen dann die Kopftuch tragenden Richterinnen und Polizistinnen. Deshalb ist es höchste Zeit, hier ein Stoppsignal zu setzen.

[Beifall bei der AfD]

Wir als AfD stehen uneingeschränkt hinter dem Neutralitätsgesetz und fordern, es so weit, wie es die Rechtsprechung irgendwie zulässt, aufrechtzuerhalten und weiter anzuwenden. Für uns hat das islamische Kopftuch bei Repräsentanten der Justiz nichts verloren, und auch an einer staatlichen Schule ist es nur in einer Konstellation hinnehmbar, nämlich wenn sich eine Schülerin nach Erreichen der Religionsmündigkeit und freiwillig dafür entscheidet. Ich komme zum Ende: Die staatliche Neutralität und das Vertrauen der Bürger in diese Neutralität sind zentrale demokratische Errungenschaften. Sie zwecks Anbiederung an den politischen Islam aufs Spiel zu setzen, wie Grüne und Linke es tun, ist unsäglich und zutiefst verantwortungslos.

[Beifall bei der AfD]

Deshalb werden wir als AfD auch in der kommenden Legislatur alles tun, eine Aufweichung staatlicher Neutralität zu verhindern. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Es folgt dann Herr Kollege Taş für die Fraktion Die Linke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist bekannt, dass das als Neutralitätsgebot definierte Verbot von muslimischen Kopftüchern im öffentlichen Dienst seit Jahren in der Gesellschaft und in allen demokratischen Parteien umstritten ist. Vorweg zur Rechtsprechung: Das Bundesverfassungsgericht hat am 27. Januar 2015 gegen das Land NRW geurteilt. Und das Bundesarbeitsgericht hat am 27. August 2020 gegen das Land Berlin entschieden. Aus den Urteilen werde ich jetzt nicht zitieren. Ebenso wie diese höchstrichterlichen Urtei

le kommt das diesbezügliche Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes Berlin vom 15. Juni 2015 zu dem Schluss, dass ein pauschales Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst nicht grundgesetzkonform ist. Abgesehen davon, dass die Bundesländer Berlin und NRW nicht den höchstrichterlichen Urteilen folgen, bleibt die Frage gesellschaftlich kontrovers. Deshalb ist weiterhin eine gesellschaftliche Diskussion notwendig.

Einige der Argumente für ein Kopftuchverbot sind meines Erachtens nicht stichhaltig – erstens: Das Tragen des Kopftuchs ist nicht zwingend vorgeschrieben. Darüber streiten weltweit Theologinnen und Theologen und Gläubige seit Jahrzehnten, wobei wohl die Mehrheit es als zwingend betrachtet, aber wenn wir von der religiösen Neutralität des Staates reden, wofür ich uneingeschränkt bin, dürfen wir auch als Gesetzgebende nicht darüber entscheiden, ob das Kopftuchgebot zwingend ist oder nicht. Darüber entscheiden die Gläubigen.

Zweitens: Das Kopftuch ist ein Symbol. Wie gesagt, das Kopftuch ist für Frauen, die es tragen, eine religiöse Notwendigkeit. Die Verbote und die Diskussionen darüber haben es auch zu einem Symbol gemacht. Das ändert aber nichts an dem Gebot.

Drittens: Die emanzipationspolitische Kritik am Kopftuchverbot ist gerechtfertigt, die Frage ist jedoch: Wird denn eine Muslima mit Hochschulabschluss, die ein Kopftuch trägt, dadurch frei, dass wir sie vom Arbeitsleben ausschließen?

Viertens: Der Staat Bundesrepublik Deutschland ist religiös neutral. Abgesehen davon, dass dies nicht zutreffend ist, dazu komme ich noch, der Staat mag religiös neutral sein, der Mensch nicht. Nun zur religiösen Neutralität unseres Staats: Natürlich habe ich großen Respekt vor jeglichem religiösen Glauben und den Institutionen, sprich, den Kirchen. Hier geht es aber darum zu eruieren, wie religiös neutral unser Staat tatsächlich ist. Das sechste Wort in unserem Grundgesetz ist „Gott“. „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen …“ – so beginnt bekanntlich unser Grundgesetz. Jetzt gibt es sicherlich auch hier im Raum Überkluge, die einwerfen, das sei ja die Präambel. Ja, aber das ist nicht die Präambel zu „Das Kapital“, sondern zu unserem Grundgesetz.

Herr Abgeordneter! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des fraktionslosen Abgeordneten Wild zulassen.

Von ihm sicherlich nicht! – Ich kann an der Stelle zum Thema religiös neutraler Staat Bundesrepublik Deutschland noch einiges ausführen.

(Hanno Bachmann)

Abgesehen von der grundsätzlichen Kritik am Neutralitätsgesetz stellt sich die Frage, warum eine 17-jährige Schülerin auf dem Gymnasium durch das Kopftuch beeinflusst wird, eine 17-jährige Schülerin auf einem Oberstufenzentrum aber nicht. Und nur so nebenbei: Das Neutralitätsgesetz sieht bekanntlich dieses Verbot auch für den Polizeidienst vor. Es ist nicht bekannt, dass dadurch, dass Polizistinnen im Dienst eine Kopfbedeckung Hijab tragen dürfen, beispielsweise in Schweden, Schottland, London, Toronto und bei der Grenzpolizei Kanadas, diese Länder und Grenzen unsicherer geworden sind.

Mein Ergebnis ist: Für uns muss zählen, was in den Köpfen steckt, und nicht, wie diese bedeckt sind. Aus diesen genannten Gründen werden wir sowohl den Antrag als auch den Änderungsantrag von Ihnen heute ablehnen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Dr. JasperWinter das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Neutralitätsgesetz zeigt einmal mehr, wie zerstritten die rot-rot-grüne Koalition ist. Da gehen einige Politikerinnen und Politiker der SPD in Ausschusssitzungen strategisch auf die Toilette, um sich einer Abstimmung zu entziehen.

[Joschka Langenbrinck (SPD): Stimmt doch gar nicht! Waren alle anwesend!]

Gleichzeitig weicht der grüne Justizsenator den Inhalt des Gesetzes auf, indem er umstrittene Sonderregelungen für Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare erlässt. Im Bildungsausschuss gab es letztens ein so uneinheitliches Abstimmungsverhalten der Koalition, dass die Vorsitzende des Ausschusses überhaupt Mühe hatte, die Stimmen, die alle unterschiedlich ausfielen, zu zählen. Die einen stehen zum Neutralitätsgesetz, die anderen wollen es eher abschaffen. Im Ergebnis ein uneinheitliches Bild der Koalition! Gleichzeitig haben weder die Verwaltung noch die vom Gesetz Betroffenen Klarheit, was eigentlich in Berlin gelten soll.

Selbst bei schwierigen Fragen – das sind hier richtig schwierige Fragen – muss man sich auch irgendwann einmal entscheiden, Verantwortung übernehmen und dann hier für Klarheit sorgen. Frau Lasić! Ich fand Ihre Rede sehr gut, aber die Entscheidung über dieses Thema auf die nächsten Koalitionsverhandlungen zu vertagen, anstatt es in den letzten Jahren in der Koalition zu klären, das ist eigentlich ein Armutszeugnis.

[Zuruf von Dr. Ina Maria Czyborra (SPD)]

Das ist gerade nicht Verantwortung übernehmen, jedenfalls nicht, wie ich es verstehe.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Bei allen Schwierigkeiten – Sie haben mir sagt, es muss abgewogen werden, was richtig ist – steht für uns Freie Demokraten nach einem Prozess der Diskussion fest, dass wir uns zum Neutralitätsgesetz bekennen. Die Neutralität des Staates muss in der Schule genauso wie in der Justiz gewährleistet sein. Eigentlich ist es ja paradox, eine kritische Haltung zu Religion in unseren staatlichen Institutionen und die Forderung nach einer klaren Trennung von Staat und Kirche werden mittlerweile fast als antireligiös dargestellt. Dabei waren das ja eben gerade die Ziele der Aufklärung.

[Beifall bei der FDP]

Aufklärung und Entkoppelung von Staat und Religion, ein jahrhundertelanger Prozess, haben uns doch die liberalen Freiheiten und den Gewinn für unser liberales Zusammenleben erst verschafft. Deswegen sind wir Freien Demokraten ganz klar an der Seite der Aufklärung und der Neutralität der staatlichen Institutionen.

[Beifall bei der FDP]

Deshalb muss es doch auch so sein, dass die Menschen, die den Staat repräsentieren, auf religiöse Symbole verzichten sollten, weil sie Vorbildfunktion haben. Herr Taş! Sie sagten gerade, dass Sie die Neutralität des Staates an sich gut finden. Aber dann können Sie es eben gerade nicht in die freie Entscheidung, in die Wahl der Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates stellen, sondern dann müssen Sie klar sagen, dass das eben an der Stelle nicht geht, das religiöse Symbol zu tragen.

[Beifall bei der FDP]

An die Adresse der AfD: Das jetzt nur auf das Kopftuch zu beziehen, das überhöht und emotionalisiert die ganze Debatte. Für uns Freie Demokraten geht es um religiöse Symbole aller Art. Das ist wichtig. Stellen Sie sich doch mal vor, Sie sind Betroffener in einem Gerichtsprozess, zum Beispiel um § 219a, das ist dieser merkwürdige, immer noch bestehende Paragraf, das sogenannte Werbeverbot für Abtreibung, und dann sitzt Ihnen ein Richter mit einem deutlich sichtbaren Kreuz gegenüber! Hätten Sie dann das Gefühl, dass dieser tatsächlich neutral und unabhängig entscheidet? Und wie geht es eigentlich an Schulen, wenn Lehrkräfte offen religiöse Symbole tragen, aber gleichzeitig junge Menschen Informationen zur Evolutionstheorie, zur Homosexualität und zu Schwangerschaftsabbrüchen geben sollen? – Das ist dann eben nicht neutral, und deswegen hat es an diesen Stellen im Sinne einer liberalen und toleranten Gesellschaft, so wie wir sie uns in Berlin alle miteinander – oder fast alle miteinander – wünschen, nichts zu tun. Deswegen brauchen wir an diesen begrenzten Stellen Neutralität.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Beifall von Joschka Langenbrinck (SPD)]

(Hakan Taş)

Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vallendar von der AfD-Fraktion zulassen.

Nein! – Ich komme zum Schluss. Wir halten weiter an unserem Ziel eines weltanschaulich neutralen Staates fest und treten für eine Gleichberechtigung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein. Religionsfreiheit und Entfaltung von Religion müssen in Berlin natürlich gewährleistet sein, doch in Schulen und Gerichten müssen staatliche Einrichtungen neutral bleiben. Ich finde, wir finden, der Berliner Senat hätte sich um eine rechtssicherere Form des Gesetzes bemühen müssen, anstatt sich öffentlich darüber zu streiten, in den letzten Jahren uneinheitlich zu sein und hier eine Debatte zu führen und nicht voranzukommen. Das wäre für mich verantwortungsvolles Regierungshandeln gewesen. Anscheinend aber ist die Koalition so erschöpft, dass sie das nicht mehr leisten kann, und deshalb gehört sie abgewählt.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]