Protokoll der Sitzung vom 19.05.2022

Uns ist klar, dass das Gesetz allein nicht alle Gehwegschäden beseitigt, die Ampeln barrierefrei und die Verkehrsplanung fußverkehrsfreundlich macht.

[Heiko Melzer (CDU): Barrierefreiheit ist ja eh ein Problem!]

Das Fußverkehrsgesetz ist wie das Radverkehrsgesetz ein gleichberechtigter Teil des Mobilitätsgesetzes. Der Haushalt und die Aktivitäten des Senats spiegeln diese Gleichberechtigung jedoch in keiner Weise wider.

(Präsident Dennis Buchner)

[Paul Fresdorf (FDP): So ist es!]

Als FDP wünschen wir uns und fordern das mit unserem Antrag auch ein, dass der Senat den Fußverkehr deutlich stärker priorisiert

[Beifall bei der FDP – Beifall von Stefan Evers (CDU)]

bei der Mittelausstattung, der Unterstützung der Bezirke und bei den Maßstäben und Zielen der Verkehrsplanung. Das gescheiterte Experiment in der Friedrichstraße hat die Prioritäten des Senats exemplarisch offenbart: Vorrang für den Radverkehr auch in einer Flanier- und Shoppingmeile. Die Friedrichstraße und die Nebenstraßen sind vom Einzelhandel geprägt. Der Erfolg aller Maßnahmen muss sich daran messen lassen, ob die Umsätze in den Geschäften im Quartier steigen oder nicht. Die Prämissen für die nächste Experimentierphase lassen da nichts Gutes erahnen.

[Paul Fresdorf (FDP): So ist es!]

Der Senat vernachlässigt den Fußverkehr, und das mit Plan. Im gültigen Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr finden sich dazu interessante Zahlen: Gegenüber dem Bezugsjahr 2013 soll nach Willen des Senats der Anteil des Fußverkehrs am Modal Split von 32 Prozent auf 30 Prozent sinken. Die Berlinerinnen und Berliner sollen nach Willen des Senats weniger oft als heute zu Fuß gehen. Dieses Ziel halten wir als Freie Demokraten für falsch.

[Beifall bei der FDP]

Wir alle sind Fußgängerinnen und Fußgänger, viele Wege im Alltag erledigen wir per pedes. Wir erleben unsere Nachbarschaft, unsere Stadt am intensivsten, wenn wir sie durchschreiten. Von guten Gehwegen profitieren alle. Besonders für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, Ältere und Kinder entscheiden sich ihre Chancen auf selbstbestimmte Teilhabe an Wurzelverwerfung, Schlaglöchern, der Übersichtlichkeit an Gehwegen, der Höhe der Bordsteinkante, fußgängerfreundlichen Kreuzungen und Ampelschaltungen sowie an der effektiven Durchsetzung der Straßenverkehrsordnung, beispielsweise bei falsch parkenden Autos oder eben E-Scooter-Fahrern auf Gehwegen.

Nach den Plänen des Senats soll der Zustand der Gehwege in Berlin erst in den Jahren 2025/2026 erhoben werden. Die Auswertung erfolgt dann erst 2027, Schlussfolgerungen lassen sich dann erst für den Haushalt 2028/2029 ziehen. – Das ist viel zu spät.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Oliver Friederici (CDU)]

Wir wollen schneller Gehwege systematisch besser machen, wir hatten das auch in den Haushaltsberatungen so vorgeschlagen. Wir halten es ebenfalls nicht für akzeptabel, dass der Senat mit Ankündigung und ohne Scham

[Heiko Melzer (CDU): Oh! – Paul Fresdorf (FDP): Ja!]

sein Ziel verfehlen will, alle Ampeln bis 2030 mit Blindenakustik und Vibrationstastern auszustatten.

Es ist ein Unding, dass die Einrichtung von Zebrastreifen mehrere Jahre dauert. Planung und Umsetzung müssen so beschleunigt werden, dass ein Zebrastreifen spätestens ein Jahr nach Beschluss auf der Straße ist. Wir wollen das Queren von Fahrbahnen und Straßen sicherer machen mit Ampeln, Zebrastreifen, Gehwegvorstreckungen und auch mit dem Wegfall von Autoparkplätzen an Kreuzungen zugunsten von Stellplätzen für Fahrräder und E-Scooter. Wir wollen eine Infrastruktur, mit der Gehwege freier von Hindernissen, die Sichtbeziehungen an Kreuzungen besser und die Wege über Fahrbahnen kürzer werden. Dazu gehören auch fußgängerfreundliche Ampelschaltungen, sodass das Queren von breiten Straßen möglichst in einer Ampelphase erfolgen kann.

[Beifall bei der FDP]

Als FDP haben wir im Rahmen der Haushaltsberatungen mehrere Vorschläge gemacht, die Mittel für den Fußverkehr deutlich zu erhöhen. Diese wurden allesamt von SPD, Grünen und Linken abgelehnt.

[Paul Fresdorf (FDP): Das ist eine Schande! – Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

Der Presse ist jetzt zu entnehmen, dass die Koalition auf den letzten Metern die Mittelausstattung für den Fußverkehr noch korrigieren könnte; noch weiß man es nicht. Ich freue mich aber, dass Sie der Forderung der FDP damit nachkommen – spät, aber besser als gar nicht.

[Paul Fresdorf (FDP): Spät, später, Rot-Rot-Grün!]

Lassen Sie uns das Fußverkehrsgesetz mit Leben füllen! Das Gesetz enthält viele Soll- und Kann-Bestimmungen, deshalb ist es umso wichtiger, dem Senat Orientierung aus dem parlamentarischen Raum zu geben, damit es in Zukunft heißt: Gut zu Fuß in Berlin. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Oliver Friederici (CDU) – Paul Fresdorf (FDP): Das hätten Sie jetzt beinahe verpasst, Frau Senatorin! – Bürgermeisterin Bettina Jarasch: Das hätte ich ewig bereut!]

Für die SPD-Fraktion folgt dann Kollege Machulik.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Heute liegt ein Antrag der FDP mit dem schönen Titel „Gut zu Fuß in Berlin“ vor, der aus meiner Sicht aus zweierlei Gründen sehr bemerkenswert ist: Zum

(Felix Reifschneider)

einen muss ich dem Kollegen Reifschneider für diese sehr gute Rede – Sie hätten eigentlich auch bei uns in der Koalition dabei sein können – danken, denn Sie haben ein paar Punkte aufgenommen, und Sie haben sich auch bei uns bedankt, und Sie sind so vom Punkt her eigentlich unserer Meinung. Sie wollen den Fußverkehr fördern. Das würde ich mir von der gesamten FDP und auch von den anderen Oppositionsparteien wünschen, mit dieser Energie in den Fußverkehr hineingehen zu wollen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Sebastian Czaja (FDP): Da müssen Sie mal mit Frau Jarasch reden! – Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

Leider muss ich aber zu dem Antrag wiederum sagen: Sie negieren da ein paar Zuständigkeiten in Berlin. Wenn wir eins zu eins übernehmen würden, was in Ihrem Antrag steht, müssten wir nicht nur den Zuständigkeitskatalog von ganz Berlin verändern; wahrscheinlich müssten wir auch noch die Verfassung ändern. Da wäre ich mal sehr gespannt, wie das ausgehen sollte.

Da wir uns aber in der Erstbefassung mit Ihrem Antrag befinden, wird es jetzt nicht meine Aufgabe sein, das, was Sie nur kurz angesprochen haben, aufzuzeigen: was die Regierungskoalitionen – Rot-Rot-Grün und jetzt RotGrün-Rot – alles unternommen haben, um den Fußverkehr zu fördern. Sie haben es angesprochen: Mit dem Mobilitätsgesetz haben wir jetzt auch einen Fußverkehrsteil, und es ist einzigartig in Deutschland, dass das explizit so aufgenommen wurde.

[Paul Fresdorf (FDP): Jetzt müssen Sie es nur noch umsetzen!]

Das heißt also, wir haben wahrgenommen, dass der Fußverkehr innerhalb des Umweltverbundes in Berlin den größten Anteil einnimmt; das haben Sie ja auch mehr oder minder gesagt. Wir gehen jeden Schritt, wir durchqueren unsere Kieze, wir nehmen die Nachbarschaft per pedes wahr. Von den Verkehrsarten ist das die, die am meisten genutzt wird. Da sind wir uns auch einig. Darum haben wir so vieles getan und in die Wege geleitet.

[Heiko Melzer (CDU): Was denn?]

Auch in der jetzigen Koalition haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, dass Berlin fußgängerfreundlich werden soll. Nur ganz kurz: Lassen Sie uns das im Ausschuss noch mal bereden, denn jetzt ist die Zeit ein bisschen knapp dafür.

Ich würde gern auch etwas zu dem Kataster sagen und wie Sie sich das vorstellen, die 5 300 Kilometer öffentlichen Straßenlands innerhalb eines Jahres wirklich zu überprüfen. Es ist schon sehr realistisch, was sich die Koalition da vorgenommen hat, um eine Bestandsaufnahme zu haben, aber darüber können wir uns dann fachlich im Ausschuss unterhalten, genauso wie über die Dinge, die Sie kurz angerissen haben, was die Personal

ausstattung und die Sachmittelausstattung angeht und welche Möglichkeiten uns jetzt noch eröffnet sind. Ich sage immer so: Gäbe es nicht die letzte Sekunde, würde gar nichts fertig werden; gäbe es nicht die letzte Meile, wären wir nicht am Ziel. – Vielen Dank!

Vielen Dank! – Es folgt für die CDU-Fraktion Kollege Friederici.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war wieder mal erfrischend, Herrn Machulik von der SPD-Fraktion zuzuhören. Normalerweise haben wir ja bislang immer gehört: Ein Antrag ist okay, das Vorgetragene ist okay –, und dann kommt eine Kaskade von Argumenten, warum die Koalition und insbesondere die Sozialdemokraten diesem oder jenem Sachverhalt nicht zustimmen können. Heute gehen Sie einen neuen Weg: Sie verschieben es auf die Ausschussberatung.

[Tobias Schulze (LINKE): Gehen Sie auch einen neuen Weg?]

Wenn man aber gerade Ihre Äußerung zwischen den Zeilen gehört hat, dann hat man jetzt schon gemerkt, dass Sie diesen Antrag in Bausch und Bogen ablehnen werden. Weil: Sie haben ja schon sehr viele Argumente geliefert – vorgeblich –; dass die Koalition schon so viel gemacht hätte. Wenn es denn so wäre, würden sich FDP und Union sehr freuen, aber mitnichten ist dies der Fall.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wissen Sie, die letzte rot-rot-grüne Koalition hat ein Mobilitätsgesetz verabschiedet, worin sie nur einen Teil des Stadtverkehrs organisieren wollte: zum einen den Radverkehr, und mit Widerwillen auch den Fußverkehr. Sie haben zwar die Fußverkehrsinitiativen beteiligt, aber in der konkreten Ausformulierung, dann, wenn es um konkrete Maßnahmen geht – Radverkehr, Fußverkehr –, siegt immer der Radverkehr. Radwege werden auf Gehwege verlegt, Fußwege werden verengt, und die Zustände der Fußwege, der Gehwegnasen, der Übergänge haben sich seit Regierungsantritt dieser rot-grün-roten Koalition in keiner Weise signifikant verbessert.

Ein beredtes Beispiel dafür ist die Beratung, die wir letzte Woche im Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses hatten. Während wir in der letzten Haushaltsberatung, ich glaube, 138 Änderungsanträge der Koalition zum bestehenden Mobilitäts- und Verkehrshaushalt hatten, hatte die Koalition diesmal, mit seichten Worten vorgetragen, null Änderungsanträge. Mithin bleibt es auch bei den mageren Ansätzen zum Ausbau des Fußverkehrs, zur Verkehrssicherheit, zur Förderung der Fußverkehrssicherheit und zum Ausbau von bestimmten Anlagen in den Bezirken. Sie wollen sich lediglich anschauen, wie die Gehwege und Fußwege in Berlin aussehen, und wollen Schlüsse

(Stephan Machulik)

daraus ziehen und ab 2029 Maßnahmen einleiten, um das zu verbessern. Da frage ich Sie ganz ernsthaft: Ist es wirklich noch so lange hin, sieben Jahre, bis Sie hier etwas verbessern wollen?

Deswegen ist es genau richtig, dass dieser Antrag hier heute mit einem klaren Arbeitsprofil zur Diskussion gestellt wird. Ich freue mich hier auch auf die Beratung im Fachausschuss. Die Unionsfraktion wird diesen Antrag unterstützen.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Das sage ich schon jetzt, zu dieser Zeit, weil ich ganz genau weiß, dass es richtig und wichtig ist, diesem Senat klar ins Stammbuch zu schreiben, was Sie für den Fußverkehr operativ und konkret tun müssen. Es reicht eben nicht, ein Mobilitätsgesetz für einen Teil des Verkehrs zu erlassen, für den Fußverkehr, und sich mit diesem Mäntelchen zu schmücken. Es müssen Taten folgen. Und der Haushalt, den Sie jetzt hier im Parlament verabschieden, zeigt eben in eine ganz andere Richtung:

[Beifall von Heiko Melzer (CDU), Roman Simon (CDU), Paul Fresdorf (FDP) und Felix Reifschneider (FDP)]