Protokoll der Sitzung vom 09.06.2022

Wenn also die Inflation nicht so schnell vorübergeht, und das ist die Überzeugung der überwiegenden Mehrheit der

Ökonomen, dann wird kein Weg daran vorbeiführen, dass wir mit strukturellen Maßnahmen dem Problem begegnen müssen. Wir können nicht darauf hoffen, die Inflation einfach aussitzen zu können.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Martin Trefzer (AfD)]

Das hat dann zur Folge, dass auch unsere Ausgabenpolitik vor einer Zeitenwende stehen muss. Wir können nicht weiter unsere Bürger umfänglich zur Kasse bitten, wenn diese schon von einer Inflation bedrängt werden, und gleichzeitig können wir als Staat uns nicht mehr alles leisten, was sich der eine oder andere erträumt hatte.

Es ist aus unserer Sicht ein schwerer Fehler, die im September fällige Energiepreispauschale nicht auch an Rentner und Studenten auszuzahlen. Es ist ein schwerer Fehler des Senats, nicht den Vorstoß im Bundesrat aus Nordrhein-Westfalen zu unterstützen, diesen sozialen Missstand zu korrigieren. Schließlich sind gerade Rentner und Studenten von den Preissteigerungen erheblich betroffen, oft überproportional im Vergleich zu ihren Einkünften.

Werte Kollegen von der SPD! Es sagt ja schon etwas aus, wenn ausgerechnet der VdK, der größte Sozialverband in unserem Land, gegen eine Maßnahme klagen will, die eine sozialdemokratische Bundesregierung zu verantworten hat. Die immer weiter steigende Inflation stellt uns auch landespolitisch vor neue Aufgaben, nämlich vor die Aufgabe, die Bürger, wo immer es möglich ist, vor weiteren Belastungen zu bewahren. Die soziale Sicherheit der Berliner muss Vorrang haben vor teuren Tagträumen von einem Bullerbü, das es nie gegeben hat und wohl auch nie geben wird.

[Beifall bei der CDU]

Jetzt ist es an der Zeit, alles zurückzustellen, was die Berlinerinnen und Berliner belastet. Das reicht von den willkürlichen Erhöhungen bei Parkgebühren bis hin zur kostspieligen Berliner Umsetzung der Grundsteuerreform, die vor allem Eigentümer im Osten Berlins erheblich belasten wird. Solche Maßnahmen bergen sozialen Sprengstoff, denn es ist auch das Geld, das den Berlinern fehlen wird, um an unserem gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben und Bildungsangebote wahrzunehmen.

Und ebenso ist es letztlich eine soziale Forderung in dieser Zeit, die Wirtschaft nicht weiter mit Auflagen zu gängeln, sondern wo immer möglich zu entlasten und zu stärken, damit die Betriebe in dieser Stadt auch in der Zukunft investieren können, denn die fehlenden Investitionen von heute sind auch die Arbeitslosen von morgen. Die soziale Abwärtsspirale geht dann weiter. Das müssen wir gemeinsam verhindern.

[Beifall bei der CDU]

Die Aufgabe, vor der wir heute in einer Zeit der Zeitenwende stehen, ist klar: Berlin braucht ein Abgaben- und

(Präsident Dennis Buchner)

Gebührenmoratorium. Angesichts der sozialen Dimension der gegenwärtigen Inflationsrate bzw. der teils existenzbedrohenden Preissteigerung insbesondere für Energie und Lebensmittel sollten keine Beschlüsse des Landes Berlin gefasst werden, die zusätzliche finanzielle Lasten für die Menschen in Berlin bedeuten und damit auch die soziale Lage verschärfen. Deswegen fordern wir den Senat auf, dass all diese Maßnahmen unterlassen werden und dass zumindest für die Dauer dieses Belastungsmoratoriums auch ein finanzieller Ausgleich beispielsweise durch Zuschüsse oder ähnlich wirksame Förderprogramme erfolgt.

[Beifall bei der CDU]

Für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen brauchen wir zusätzlich einen Härtefallfonds für Heiz- und Stromkosten, welcher im Fall drohender finanzieller Überforderung in Anspruch genommen werden kann. Wir sind insofern sehr dankbar, dass der Senat unsere parlamentarische Initiative zwar unter neuem Titel „Krisenfonds“ aufgreift und umsetzen will, aber ich denke, wir können gemeinsam in den nächsten Wochen über die konkrete Ausgestaltung, über die Kriterien für die Anspruchsberechtigung entscheiden. Unser Vorschlag dahingehend bleibt: Wir müssen vor allem die Menschen schützen, deren Haushaltsnettoeinkommen die Hälfte des Berliner Durchschnittseinkommens unterschreitet. Wenn die Zahl der Menschen, die zur Berliner Tafel gehen, sich mittlerweile verdoppelt, wenn erste Ausgabestellen einen Aufnahmestopp für Bedürftige erlassen, dann zeigt das, wie ernst die Lage ist. Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen in Berlin nicht weiter in die Armutsspirale geraten. Dieser Senat und dieses Parlament stehen vor der Aufgabe, die in diesen Zeiten die dringlichste ist, nämlich die soziale Sicherheit unserer Bürger zu garantieren, die Berlinerinnen und Berliner vor weiteren Belastungen zu schützen. Dieser Aufgabe müssen wir uns gemeinsam stellen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Herr Kollege! Ich darf Sie noch fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hansel von der AfD-Fraktion zulassen.

Nein!

Dann folgt in der Runde der Fraktionen die SPD-Fraktion mit dem Abgeordneten Stroedter.

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Wohlert! Vielleicht eine Vorbemerkung: Wenn Sie der Auffassung sind, wir brauchen einen Härtefallfonds – wir sind das ja –, dann hätten Sie im Wirtschaftsausschuss zustimmen müssen und hätten in den Haushaltsberatungen nicht mit Nein stimmen dürfen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Kai Wegner (CDU): Das hätte es nicht besser gemacht! – Ronald Gläser (AfD): Da klatschen nicht mal Ihre Genossen!]

Es ist das Problem Ihrer Politik, dass Sie hier immer etwas erzählen, aber wenn es darauf ankommt, machen Sie leider das Gegenteil.

Wir reden hier heute im Abgeordnetenhaus zum wiederholten Mal über die aktuellen Energiekostensteigerungen, die für viele Menschen schwer zu stemmen sind und Existenzfragen neu aufwerfen. Mancher hat jetzt eine Heizölabrechnung bekommen, die dreimal so hoch ist als vor zwei Jahren – um mal die Dimension dessen deutlich zu machen, was wir aktuell schon haben. Nicht nur in den unteren Lohngruppen, sondern auch im sogenannten Mittelbau verlieren immer mehr Menschen finanzielle Spielräume. Neben der Höhe der Miete entscheiden zunehmend insbesondere die Energiekosten künftig über den Wohlstand der Menschen. Unsere modernen Gesellschaften sind auf verfügbare und bezahlbare Energie in einem besonderen Maß angewiesen. Neben der Notwendigkeit der Wohnungswärme im Winter und der Strombedarfe für Haushaltsgeräte und Licht steigt durch die Digitalisierung der Energiebedarf auch für Mobilität und Alltagsverrichtungen. Das gilt im Übrigen nicht nur für Privathaushalte, sondern auch für die Wirtschaft. Deshalb ist Energie für uns Sozialdemokraten ein unverzichtbarer Teil der Daseinsvorsorge. Die Energieversorgung gehört vollständig in die staatliche Hand. Nur so können die Berlinerinnen und Berliner vor Spekulationen und überhöhten Energiepreisen geschützt werden.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Nachdem wir nun die Wasser- und Stromversorgung in das Landeseigentum überführt haben, ist der nächste Schritt die Rekommunalisierung der GASAG und der Wärmeversorgung und die Errichtung eines integrierten Betriebs in staatlicher Hand.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich erwarte mir vor dem Hintergrund steigender Energiepreise die Unterstützung dieser Pläne auch von der CDU, nicht nur jetzt, sondern auch, wenn es konkret wird.

(Björn Wohlert)

Der Bund hat ein breitgefächertes Entlastungsprogramm mit verschiedenen Instrumenten und Hilfsangeboten zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht, um die Energiekostensteigerungen abzufangen. Ich will hier nicht wieder alles aufzählen, aber es gab und gibt Entlastungen bei der Stromrechnung, Einmalzahlungen für Beziehende existenzsichernder Leistungen und Steuererleichterungen.

[Heiko Melzer (CDU): Was ist denn mit den Rentnern und Studenten? Macht die SPD da auch was, oder sollen die weiter leiden?]

Vor allem Bürgerinnen und Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen profitieren davon. Das vergangene Pfingstwochenende konnten viele Menschen schon für erste Ausflüge mit dem 9-Euro-Ticket nutzen. Man sieht, die Bundeshilfen zeigen ihre Wirkung.

[Ronald Gläser (AfD): Volle Züge!]

In Berlin haben wir zusätzlich mit dem neuen Härtefallfonds „Energie“ bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft ein neues Hilfsangebot für soziale Lagen eingerichtet, die von den Bundesprogrammen noch nicht erfasst sind. Leider, wie ich gesagt habe, hat die CDU dem nicht zugestimmt. Es wäre wichtig, dass man hier nicht nur Sonntagsreden hält, sondern als Anwalt des sogenannten kleinen Mannes auch auftritt, wenn es darauf ankommt, anstatt nur eine Showveranstaltung zu machen.

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Woldeit von der AfD-Fraktion zulassen.

Nein! – Außerdem haben wir im Haushalt finanzielle Mittel eingestellt, damit die Bezirke auf die Sondernutzungsgebühren im öffentlichen Straßenland für den Rest des Jahres verzichten können. Diese finanzielle Entlastung kommt direkt der Gastronomie zugute. Das unterstützt die Unternehmen, schafft finanzielle Spielräume und sichert Arbeitsplätze. Der Gebührenerlass für die Gastronomie ist Teil des 330 Millionen Euro umfassenden Neustartprogramms für die Berliner Wirtschaft, das Senator Schwarz hier erfolgreich aufgelegt hat.

Von den allgemeinen Entlastungsmaßnahmen des Bundes, wie der Abschaffung der EEG-Umlage, die den Strom billiger macht, profitieren natürlich auch Rentnerinnen und Rentner und alle anderen. Aber ich will die Situation hier nicht schönreden. Die Sorgen älterer Menschen kenne ich gut und auch die Situation vieler Studentinnen und Studenten. Die haben meist nicht viel Spielraum im Portemonnaie. Deshalb setze ich mich weiter dafür ein, dass das weitreichende Instrumentarium des Bundes auf seine Wirkung hin überprüft und dass gegebenenfalls auch nachgesteuert wird.

[Zuruf von Stefan Evers (CDU)]

Man darf die Menschen in dieser unverschuldeten Situation nicht alleine lassen. Vor allem muss auf Bundesebene die Sommerzeit intensiv genutzt werden, damit keine Energieengpässe im Herbst und im Winter entstehen. Da darf es keine falschen Ideale geben. Die Heizung in den Wohnungen und die Energieversorgung für die Wirtschaft müssen abgesichert werden. Der Energiestandort Ostdeutschland und die energieabhängigen Arbeitsplätze müssen dauerhaft erhalten bleiben.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Es darf auch nicht sein, dass Menschen in ihren Wohnungen frieren, weil sie kein Geld haben oder ihr Energieversorger kündigt. Ich erwarte deshalb mit Nachdruck, dass die Energieversorger Strom- und Gassperren bei Energieschulden nicht vollziehen, sondern aussetzen.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Wir führen im nächsten Wirtschafts- und Energieausschuss am 15. Juni 2022 deshalb eine Anhörung zum Thema Energiewirtschaft in Berlin-Brandenburg und zu den Auswirkungen eines möglichen Energieembargos auf die Energieversorgung für Industrie und Gewerbe in der Metropolregion Berlin-Brandenburg durch. Dort werden wir Zeit haben, über die Energiekosten für alle Akteure intensiv zu sprechen. Ich will unserer Anhörung hier nicht vorgreifen, aber auch mich erreichen viele Anfragen von Unternehmen, die unter den hohen Energiekosten leiden.

Energiekostensteigerungen und Energieverfügbarkeit

dürfen nicht Standorte in Berlin oder in Schwedt infrage stellen. Schwedt ist von elementarem Interesse für Berlin, ganz Ostdeutschland und die Bundesrepublik. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir den Standort sichern und die Arbeitsplätze am Standort erhalten. Wir sind eine Region.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Nun möchte ich noch ein paar Worte zur Frage eines Ölembargos sagen, das immer wieder groß in der Diskussion steht. Ich habe in meiner letzten Rede hier im Haus schon einmal betont, dass ich ein solches Öl- oder Gasembargo für falsch halte. Da teile ich die Meinung von Ministerpräsident Woidke ausdrücklich.

[Thorsten Weiß (AfD): Und die der AfD!]

Ein Embargo geht zulasten der Betriebe im Osten und der Bürgerinnen und Bürger. Außerdem heizt ein Embargo die Inflation, die hier schon zu Recht angesprochen wurde, weiter an. Auch die Inflation geht stärker zulasten der schwächeren Einkommen als zulasten der Besserverdienenden.

[Beifall bei der SPD und der AfD]

Wir brauchen daher dringend ein Programm des Bundes für besonders energieabhängige Unternehmen. Hier erwarte ich vom Bund ein Entgegenkommen. Es kann nicht zulasten einzelner Regionen gehen, ohne dass der Bund den Ländern beisteht.

Ministerpräsident Woidke hat auch recht, wenn er sagt, dass Deutschland überall eine sichere Versorgung brauche und dass der Bund hier in der Pflicht sei, Vorsorge für Versorgungssicherheit und Erhalt der Arbeitsplätze zu treffen. Da ist sicherlich noch einiges zu tun. Das ist von zentraler Bedeutung für ganz Deutschland. Es müssen finanzielle Hilfen vom Bund auch für den Umbau der Energiewirtschaft kommen. Der Bund muss die Probleme, die durch ein Öl- und Gasembargo entstehen werden, ernst nehmen und handeln. Da nutzt es allein nichts, wenn der Emir von Katar zusagt, möglicherweise Ende 2024 Flüssiggas zu liefern. Auch die Terminals, die an der Nordsee entstehen sollen, sind noch weit weg. Jetzt ist die konkrete Situation vorhanden. Ich erwarte Verständnis für die Situation in der ostdeutschen Region und die hundertprozentige Solidarität des Bundes für die betroffenen Arbeitsplätze. Ja, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie können davon ausgehen, dass sich die Koalitionsfraktionen und der Senat das hier genau ansehen werden. Wenn es erforderlich ist, und das ist nicht mehr auszuschließen, muss auch in Berlin nachgesteuert werden, und der Bund muss aufgefordert werden, weitere Hilfen auch gerade für die Einkommensschwächeren zu leisten. Unser Ziel als Koalition ist, dass gerade die Schwächeren in unserer Gesellschaft nicht im Stich gelassen werden und dass die vielen Betriebe, die energieabhängig sind, unterstützt werden, damit die Arbeitsplätze für die Region gesichert sind. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!