Protokoll der Sitzung vom 23.06.2022

Deswegen sage ich Ihnen das doch, Herr Reifschneider! – Auch die Straßenbahnflotte wird um bis zu 40 Prozent erweitert, übrigens genauso wie das Straßenbahnnetz. Wir planen neue Schienenverbindungen in unser Nachbarland Brandenburg, und wir haben dazu bereits in den ersten Monaten dieser neuen Regierung überfällige Entscheidungen für die Potsdamer Stammbahn und für die S-Bahn-Lösung im Nordwesten in Richtung Prignitz getroffen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir binden damit die Länder enger aneinander und verlegen den Pendelverkehr auf die Schiene. Das entlastet vor allem die Menschen, die am Stadtrand wohnen. Das ist

aber alles Langstrecke. Wer sich nach sechs Monaten beschwert, dass neue Strecken noch nicht fertig sind, der versteht nichts von Mobilitätspolitik.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Carsten Schatz (LINKE) – Paul Fresdorf (FDP): Es sind schon sechs Jahre!]

Wir sorgen dafür, dass die Mobilitätswende noch in dieser Legislatur einen spürbaren Unterschied für die Menschen macht, und zwar egal, wo sie in Berlin wohnen. Deshalb legen wir einen klaren Fokus auf die Umsetzung und auf alles, was rasch auf die Straßen zu bringen ist. Die Mobilitätswende darf auch in den Außenbezirken eben nicht mehr an der Bahnstation enden. Deswegen finanzieren wir Rufbusse, wir bringen mehr SharingMobility und Jelbi-Punkte an die Bahnhöfe, wir schaffen dort Radstellanlagen und aus Bundesmitteln selbstverständlich E-Ladepunkte und Paketstationen.

Ich muss springen – zur Redlichkeit gehört nämlich auch: Wir haben uns sehr hohe Ziele gesetzt, und wir müssen Schritt für Schritt, in der Hauptverwaltung genau wie in den Bezirken, die Umsetzung schaffen. Die hat Voraussetzungen, und dazu gehört vor allem Personal. Insofern ist es gut, dass die Bezirke mit diesem Haushalt auch mehr Personal bekommen. Ich erwarte, dass sie es wirklich auch für den Ausbau von Rad- und Fußverkehr einsetzen. Unser Job wird sein,

[Glocke der Präsidentin]

die Bezirke dabei zu unterstützen, dass sie überhaupt eine Chance haben, diese Stellen überhaupt zu besetzen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Tobias Schulze (LINKE)]

Drei Sätze muss ich noch trotz der Glocke sagen. Ich komme zu einem letzten Punkt und überspringe den Klimaschutz.

[Oh! von der SPD – Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Ich muss es tun. – Wir forcieren die Wärmewende. Die Wärmewende ist Klimaschutz, Herr Schneider. Wir forcieren den Ausbau der erneuerbaren Energien, und damit betreiben wir Daseinsvorsorge. Nur die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern kann langfristig dafür sorgen, dass wir die Energie- und Verbraucherpreise stabil halten.

[Glocke der Präsidentin]

Die Wärmewende macht unabhängig, und wie dringlich das ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass der Bundeswirtschaftsminister heute den Notfallplan Gasversorgung in Kraft setzen musste, weil der russische Präsident uns mit der Drosselung von Gaslieferungen erpressen will. Zur Wahrheit gehört – und das soll mein letzter Satz sein –, dass wir die Wärmewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht aus dem Haushalt finanzieren können. Dazu brauchen wir auch strategische Partnerschaften mit der Wirtschaft, mit den Energieunterneh

men, mit den Versorgern und auch mit den Gewerbetreibenden,

[Felix Reifschneider (FDP): Und den Bürgerinnen und Bürgern!]

die ihr Gewerbegebiet klimaneutral machen wollen – ob mit Wind, Sonne oder Geothermie. Sie sehen also: Regieren ist mehr als Haushalt, aber ohne den Haushalt ist alles nichts. Deshalb danke ich Ihnen für diesen Haushalt. Auf eine gute weitere Zusammenarbeit!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Ich rufe auf

lfd. Nr. g)

Einzelpläne:

08 Kultur und Europa

21 Kapitel 2101 – Beauftragte/Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB)

In der Rederunde beginnt die Fraktion der SPD. – Frau Kollegin Kühnemann-Grunow, bitte schön, Sie haben das Wort!

Ja, jetzt wird es teuer, ich weiß! – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute den Berliner Landeshaushalt. Vor allem unser Kulturetat hat selbst ohne die Bereiche Denkmalschutz, Europa und Weltanschauungsgemeinschaften einen Umfang von insgesamt 760 Millionen Euro. Daran wird deutlich: Berlin ist sich seiner Verantwortung als Kulturhauptstadt bewusst und versteckt sich nicht hinter dem Bund. Wir haben zudem eine breit aufgestellte Kulturförderung, die unter den anderen Bundesländern ihresgleichen sucht.

Die Attraktivität Berlins beruht auf der Vielfalt, auf der Qualität und auch auf der Dichte unserer Berliner Kultureinrichtungen. Die Theater, Tanzinstitutionen, die Stiftung Oper mit vier künstlerischen Bühnen, Orchester, Literaturhäuser und interdisziplinäre Einrichtungen tragen ebenso zur nationalen und internationalen Wahrnehmung der Stadt als bedeutendem Kulturstandort bei wie die Museen und Einrichtungen der bildenden Kunst, Gedenkstätten, Erinnerungsorte, die Bibliotheken und die Archive. Wir fördern insgesamt 70 Kultureinrichtungen institutionell, und über die Aufnahme bzw. über die Höhe einer solchen Förderung entscheidet das Abgeordnetenhaus im Rahmen der Aufstellung des Haushalts, also wir heute.

Ich freue mich sehr, dass knapp zwei Jahre nach Beginn der Pandemie Berlinerinnen und Berliner sowie Touristen

(Bürgermeisterin Bettina Jarasch)

die unterschiedlichen Kulturangebote wieder nutzen, die sie so lange vermisst haben. Während aber einige Institutionen mit Förderung und Kurzarbeit gut durch die Pandemie gekommen sind, sind kleine, private Projekte und zum Teil auch private Bühnen immer noch sehr stark gefährdet. Die pandemiebedingten Einschränkungen waren hart, aber mit dem schon im vergangenen Sommer erprobten Kultursommer haben wir ein Instrument – Sie konnten es in der vergangenen Woche mit der großen Eröffnungsveranstaltung erleben –, das die Pandemiefolgen abfedern soll und die Kultur damit überall in der Stadt wieder an Fahrt aufnehmen kann. Das heißt auch, dass wir die Förderung von Open-Air-Veranstaltungen weiter im Blick behalten. Andere Akzente werden vermutlich gesetzt werden müssen, im schlimmsten Fall dann, wenn uns die Pandemie mit neuen Virusvarianten oder steigenden Hospitalisierungsraten das Leben

schwermacht. Wir hoffen alle, dass wir davon verschont bleiben.

Auch im Zusammenhang des Kulturetats kann und darf der Krieg in der Ukraine nicht unerwähnt bleiben. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass die Kultur auch bei der Bewältigung der Folgen des Ukraine-Kriegs berücksichtigt ist. Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine und Russland suchen Schutz in Berlin. Für Geflüchtete, die in der Stadt bleiben, stellen die Kulturangebote bedeutende Integrations- und Sozialräume dar. Deswegen starten wir beispielsweise das Projekt PANDA Platforma und die Mondiale, die seit Jahren im Kontext von Migration, Asyl und Exil arbeitet, ganz im Gegensatz und ganz bewusst anders als die AfD, die den Diversitätsfonds streichen, die Mondiale-Projekte wegen Skurrilität und Absurdität abschaffen, das Gorki-Theater wegen seiner postmigrantischen Spielpläne schließen und die Mittel für Dekolonialisierung in der Erinnerungsarbeit einstampfen wollte – alles das so während der Haushaltsberatungen benannt.

[Beifall von Ronald Gläser (AfD) – Anne Helm (LINKE): Pfui!]

Die AfD hat weder verstanden, dass Berlin eine weltoffene Stadt mit geschichtlichem Bewusstsein ist, noch hat sie die Idee der Kunstfreiheit begriffen.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Bei den Haushalsberatungen war uns außerdem das Thema „Gute Arbeit“ wichtig, besonders in den Einrichtungen der freien Szene. Daher ist die Bereitstellung erheblicher Summen für Tarifanpassungen und Tariferhöhungen in den Landeskultureinrichtungen keine Frage politischen Stils, sondern für uns eine Selbstverständlichkeit.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Dazu gehört auch, die Lehrerinnen und Lehrer an den Berliner Musikschulen fest anzustellen. Auch hier wollen wir weiterkommen, die Quote erhöhen und arbeiten darauf hin, dass wir sie dann vielleicht in naher Zukunft alle im Dienst der Bezirke haben.

[Beifall von Torsten Hofer (SPD)]

Wir haben außerdem mit zusätzlichen Mitteln für Recherchestipendien ein wichtiges Instrument gestärkt, das die Arbeit der freien Künstlerinnen und Künstler finanziell unterstützt, aber Kulturpolitik ist inzwischen in erheblichem Maße Infrastrukturpolitik. Die Existenz und der Zustand der räumlichen Infrastruktur für die Produktion und Präsentation von Kunst und Kultur sind eine der wesentlichen Herausforderungen unserer Politik. Deshalb setzen wir mit diesem Haushalt auch die finanziellen und rechtlichen Voraussetzungen und machen den Ausbau und die Entwicklung zum Schwerpunkt.

Dazu zählt eine Vielzahl von Vorhaben, darunter die Investitionsoffensive im Kulturbereich und die Evaluation und gegebenenfalls Neuaufstellung des Arbeitsraumprogramms und der Kulturraum Berlin GmbH. Senat und Abgeordnetenhaus haben die Kulturverwaltung 2016 beauftragt, bis 2021 insgesamt 2 000 Räume zu sichern und das Arbeitsprogramm effektiver aufzustellen. Fakt ist, dass wir nach wie vor unseren eigenen Ansprüchen weit hinterherhinken und hier dringend viel besser werden müssen.

Wir begrüßen die Großprojekte – Entwicklung des Molkenmarkts. Ich kann das hier nur anreißen, weil die Zeit wirklich knapp ist.

Ich möchte trotzdem noch ganz kurz auf das Thema Europa zu sprechen kommen. Wir haben einen kleinen Europaetat, den wir heute ohne Änderungen bestätigen werden, weil alle Aufgaben der Koalitionsvereinbarung im Entwurf enthalten waren. Es sind Mittel für die Zukunftskonferenz, den Kulturzug Berlin–Breslau und die Verstetigung der Oderpartnerschaft sowie für die Entwicklung des Hubs für progressive Zivilgesellschaft vorgesehen. Die Förderung des Europagedankens ist ein allgemeines ressortübergreifendes Berliner Anliegen, dass über die Kulturpolitik weit hinausgeht. Es ist aber gut zu wissen, dass die Berliner Europapolitik betont, dass Europa ein Kulturraum ist.

Abschließend möchte ich mich noch bei allen Kolleginnen der Koalition, liebe Manuela, liebe Daniela, bedanken, aber natürlich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Senatskulturverwaltung, der Europaverwaltung und allen voran bei den beiden Staatsekretären Wöhlert und Woop. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Jetzt hat die CDU-Fraktion das Wort. – Herr Kollege Dr. Juhnke, bitte schön!

(Melanie Kühnemann-Grunow)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe vier Minuten, die zweite Rederunde entfällt bei uns, ich will mich also auf vier Punkte fokussieren, der erste sind die Finanzen. Das Geld ist für die Kultur im Aufwachsen gewesen, auch in diesem Haushalt. Das ist erfreulich. Gleichwohl gibt es einen erheblichen Sanierungsstau. Bei den Liegenschaften fehlt etwa eine halbe Milliarde, die man investieren müsste. Das ist nicht über Nacht gekommen, aber wir werden über Nacht vielleicht Zustände bekommen, dass wir etwas schließen müssen, nämlich eine Priorität eins. Das bedeutet, Abwendung von Gefahren für Leib und Leben. Dann sind es immer noch 90 Millionen, die wir haben müssten, um Liegenschaften zu finanzieren und zu modernisieren. Dafür sehe ich im Moment keine große Perspektive in diesem Haushalt.

Es sind auch andere Schwerpunkte nicht mit haushälterischer Hinterlegung fundiert, zum Beispiel ein Bibliotheks- oder Musikschulgesetz. Damit brüstet man sich, dass man das vorhat, da findet man aber nichts, geschweige denn ein Kulturgesetz oder Kulturfördergesetz. Ich glaube, das war ohnehin nur ein Wahlkampfplacebo bei den Parteien, die das vertreten haben. Auch die Literaturszene in Berlin ist traditionell unterfinanziert. Da könnte man noch mehr machen. Das Museumsdorf Düppel ist ohne jede Perspektive. Die Keibelstraße, der Campus für Demokratie werden nur halbherzig betrieben. Da könnten wir viel weiter sein, wenn der Senat gemeinsam etwas vorgehabt hätte.

Vielleicht noch ein Wort zu den Koalitionsfraktionen: Sie haben einen Kürzungsantrag bei der Opernstiftung eingebracht, nach dem Motto: Wo viel Geld drin ist, da kann man auch schnell was herausnehmen. – Ich halte das für einen kulturpolitischen Offenbarungseid. Aber so ist offensichtlich Koalitionskulturpolitik zu begreifen.

Kommen wir zum zweiten Punkt – inhaltliche Defizite, die es nach wie vor gibt! Sie haben es schon angesprochen, Frau Kühnemann-Grunow, das Thema Ateliers, Arbeitsräume, Proberäume. Es gibt mittlerweile keine großen Ergebnisse, aber es gibt nach wie vor Querelen um dieses Arbeitsraumprogramm. Es dauert alles viel zu lange. Die Zeit ist dort verloren. Auch das Thema Digitalisierung hinkt hinterher. Es ist erkannt, aber dort sind sicherlich noch viele Defizite. Das Zukunftsthema Nachhaltigkeit finde ich gar nicht im Haushalt. Wir haben nachgefragt; was uns dazu berichtet wurde, ist vergleichsweise rudimentär.