Soweit die Phrasendreschmaschine zu einer Verankerung, die nach 29 Jahren EU doch eigentlich selbstverständlich sein sollte. Unsere Stadt soll also der Hub, neudeutsch für Angelpunkt oder Zentrum, einer progressiven Zivilgesellschaft werden. Dieser Begriff wird dem Marxisten Antonio Gramsci zugeschrieben, Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens.
Damit sind wir schon beim Kern des Problems. Zivilgesellschaftliche Akteure sind unzureichend demokratisch legitimiert und ihre gesellschaftlichen Initiativen nur temporär. Der Filter Zivilgesellschaft dient als Ausschlusskriterium und wird topdown initiiert, quasi eine NGO durch GOs, um gesellschaftliche Strömungen zu kanalisieren und zu kontrollieren.
Die Realität sieht ganz anders aus. So sind wir in diesem Jahr mit dem von der EU ausgerufenen Europäischen Jahr der Jugend konfrontiert. Am 30. Mai habe ich im Fachausschuss den Senat befragt, was dafür in Berlin getan werden soll. Antwort: Eine Verlosung von Interrailtickets, von der EU-Kommission als DiscoverEU betitelt.
Gestatten Sie die Zwischenfrage? Ich bin neu im Haus und auch sehr naiv. Mir ist nicht so ganz klar, Sie sprachen immer von Europa. Ich hatte immer den Eindruck, gemeint ist damit die EU, oder ist es umgekehrt? Das würde ich gern klargestellt haben, bevor Sie weiterreden.
Nein, das hat durchaus System. Wenn Sie hier „Europa“ hören, denken Sie bitte EU. Damit ist nicht der Subkontinent mit den 47 Staaten gemeint, sondern eine schwindsüchtige Mitgliedergemeinschaft mit gerade einmal 27 Staaten.
Warum ist das so? – Das hat Methode. Unausgesprochenes Ziel der EU sind natürlich die Vereinigten Staaten von Europa. Die betroffenen Menschen, die in diesem Bereich leben sollen, sind nie gefragt worden. Das wird auch in Zukunft nicht geschehen.
Wie Sie wissen, findet heute und morgen ein EU-Gipfel statt. Um der Schwindsucht entgegenzuwirken, soll den Staaten Moldau und Ukraine ein Beitrittsstatus zugeschrieben werden. Dabei sind alle Voraussetzungen für eine Aufnahme ausgehebelt worden. Die Ukraine, ich darf daran erinnern, hat den drittgrößten Kriminalitätsindex von 33 Staaten in Europa, von Europa wohlgemerkt.
Wenn Sie Europa hören, lieber Kollege, denken Sie EU, ansonsten hätten Staaten wie Island, die Schweiz, Norwegen oder auch Großbritannien, die alle ganz bewusst nicht Teil dieser Geldverbrennung sein wollen, ein gehöriges Wörtchen mitzureden. – Danke sehr!
Ich komme zurück zu den Interrailtickets. Im Senat wurde nicht ein Wort von der katastrophal hohen Jugendarbeitslosigkeit von durchschnittlich 13,9 Prozent bei den 14- bis 25-Jährigen in der EU erwähnt. Spitzenreiter ist Spanien mit 30 Prozent, gefolgt von Italien, Griechenland und dann Schweden.
Für diese jungen Menschen steht außer Zugfahrkarten kein Cent in Berlin bereit. Das ist eine Schande für eine linksgestrickte Regierung in dieser Stadt, die bei jeder anderen Gelegenheit die europäische Solidarität wie eine Monstranz vor sich her trägt. Die AfD hat durchgerechnet, dass für den Einzelplan 08 in diesem Jahr knapp 17 Millionen Euro und für 2023 knapp 22 Millionen Euro eingespart werden könnten. Das könnte der Jugend in der EU zugutekommen, aber nicht mit diesem Senat.
Wir werden daher kein Geld freigeben, um das Konstrukt EU als aufpoliertes Trugbild zu präsentieren und es damit den wirklich Bedürftigen vorzuenthalten. Den überteuerten Einzelplan 08 und damit den Haushalt in vorliegender Form lehnt die AfD entschieden ab, und ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Es folgt dann der Senat, und für den Senat spricht der Senator für Kultur und Europa. – Bitte sehr, Herr Dr. Lederer!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Haushaltsentwurf ist natürlich ein Spiegel auch der zweijährigen Pandemiesituation. Das ist kein Geheimnis. Für den Einzelplan 08 heißt das, dass es die Aufwüchse der vergangenen Jahre jetzt so nicht mehr gibt. Wir haben die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die wir im sozialen und im wirtschaftlichen Bereich spüren werden. Deswegen ist es mir noch mal ein Anliegen, hier deutlich zu machen, dass wir höchst konzentriert und verantwortungsvoll mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umgegangen sind.
Trotz der angespannten Situation konnten wir Bestehendes mindestens sichern, Schwerpunkte in der sozialen Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern oder im Bereich der Kinder- und Jugendkulturangebote sogar ausweiten. Es ist sogar möglich, Neues in Angriff zu nehmen und die Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag auch finanziell zu untersetzen.
Die Schwerpunktsetzung im Kulturbereich möchte ich hier noch einmal nennen: Unsere Leitlinien sind die Teilhabe aller an kulturellen Angeboten, soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit in der Kultur. Das sind die Fragen von Räumen für die Kultur und die Sicherung sowie der Ausbau von Kulturangeboten in der Fläche. Natürlich, Frau Billig ist darauf schon eingegangen, ist auch die Erinnerungskultur ein ganz zentral wichtiger Schwerpunkt in unserer Stadt.
Bevor ich auf einige Punkte eingehe und um Zustimmung werbe für den Einzelplan 08: Generell war die Prämisse, dass wir hier nichts zusammenkürzen und nichts nachsparen. Die fast völlige Abwesenheit von kulturellem Austausch und später in der Pandemie der eingeschränkte Austausch haben uns doch gezeigt, wie essenziell für die Verständigung einer Gesellschaft über sich selbst die Kultur ist. Wir alle haben erlebt, wie die Jüngsten abgeschnitten waren von kulturellen Angeboten, von kultureller Bildungsarbeit, wie sehr uns Museen, Theater, Konzerte und Clubbesuche gefehlt haben, sei es zur Entspannung, zum Lernen, zur Begegnung, oder um sich an Themen zu reiben, neue Sichtweisen kennenzulernen.
Kunst und Kultur ist eine Säule der Strahlkraft Berlins. Berlin ist Kulturhauptstadt. Dem trägt der Doppelhaushalt 2022/2023 Rechnung.
Ich würde gerne einige Punkte herausheben, um die Bedeutung klarzumachen. Kunst ist Arbeit, und Arbeit muss anständig bezahlt werden. Seit 2017 ziehen wir Tariferhöhungen vor die Klammer, damit sie nicht aus künstlerischen Etats bezahlt werden müssen. Dafür sind 9,6 Millionen Euro 2022 und 15 Millionen Euro 2023 vorgesehen. Faire Vergütungen, Mindesthonorare, wir haben Gelder eingestellt zur deutlichen Erhöhung der Honorare der freien Mitarbeitenden in den Gedenkstätten und Landesmuseen. Das ist etwas, wo andere Bundesländer nach Berlin schauen. Erst gestern habe ich das im kulturpolitischen Spitzengespräch, Kamingespräch, in der nordrheinwestfälischen Landesvertretung wieder erlebt. Und dass, lieber Herr Oberjagdmeister Brousek,
Antidiskriminierung, Vielfalt und faire Arbeitsbedingungen für die AfD keine besondere Relevanz haben, spricht eigentlich Bände und disqualifiziert Sie kulturpolitisch.
Wir wollen Räume schaffen durch Miete, durch Kauf und Ausbau. Das Arbeitsraumprogramm ist hier schlechter ausgemalt worden, als es real ist. Wir sind über den 2 000 Räumen. Die sind in der Pipeline. Die gehen ans Netz. Wir haben mit der Unterstützung des Abgeordnetenhauses sogar noch einmal zusätzliche Mittel für die Anmietung von Räumen bekommen. Da bin ich sehr, sehr optimistisch. Ich gehe auch davon aus, Frau Meister, dass sich der gordische Knoten durchschlagen lässt, wenn alle an einem Strang ziehen und nicht auf eigene Rechnung arbeiten.
Und zur Digitalisierung: Ja, da hat uns die Pandemie die Defizite aufgezeigt, deswegen gibt es da auch noch mal einen deutlichen Aufwuchs. Ich habe aber schon vor vier Jahren gesagt: Das wird tatsächlich eher ein Marathonlauf. Das wird man nicht auf einen Schlag hinbekommen, weil auch, das Digital Mindset in den Kultureinrichtungen zu verändern, ein Prozess ist, den wir mit der Technologiestiftung gemeinsam begleiten.
Kultursommerfestival und Draußenstadt-Angebote sind schon genannt worden. Auch die Stärkung der bezirklichen Kulturangebote, der Musikschulstruktur und der bezirklichen Bibliotheken gehört dazu. Wir wollen den Bibliotheksentwicklungsplan umsetzen. Der eintrittsfreie Sonntag in unseren Berliner Landesmuseen hat sich als großer Erfolg erwiesen; den werden wir fortsetzen.
Wir konzentrieren uns auf Kinder- und Jugendtheater, gerade auch außerhalb des S-Bahnrings. Die Museen und Gedenkstätten erhalten endlich zusätzliche Programmmit
tel für Ankäufe und Ausstellungen, und wir werden eine Kompetenzstelle nachhaltiges und klimaneutrales Sammeln in den Landesmuseen einrichten und die Provenienzforschung stärken; das brauchen wir auch.
Die Kunstvereine NGBK und NBK sind endlich aus den Lottomitteln herausgelöst und in den Haushalt genommen worden. Weitere Ankerinstitutionen können mit Programm und Personal gestärkt werden. Der Tanz für ein junges Publikum wird ausgebaut. Literaturstipendien gibt es zukünftig auch für Übersetzerinnen und Übersetzer zur Stärkung der Bibliodiversität. Wir bauen Förderprogramme aus und erhöhen bestehende, zum Beispiel im Bereich Jazz oder durch die Neuschaffung von Programmen für Alte Musik. Der Tag der Clubkultur, in der Pandemie eingeführt, ist jetzt fest im Haushalt verankert, wird also in diesem Jahr das dritte Mal stattfinden, im nächsten Jahr das vierte Mal. Dass wir die Stipendien 2023 noch mal deutlich aufstocken – auch das ist eine Lehre aus der Coronapandemie.
Über Europa und die Politik der EU kann man sich wie die AfD delektieren. Ich glaube, wir haben mit globalen Problemen zu tun, die sich nationalstaatlich alleine nicht mehr lösen lassen, und deswegen ist es auch richtig, dass wir eine europapolitische Strategie entwickeln, dass wir die Oderpartnerschaft und den Kulturzug Berlin–Wrocław stärken; das ist ein starker Punkt in der Zusammenarbeit zwischen Polen und Berlin. Da haben wir uns eine Menge vorgenommen. Beim Denkmalschutz haben wir die Finanzierung der nächsten Schritte sichergestellt, um den Antrag, den Welterbevorschlag Karl-Marx-Allee und Interbau 1957 in das nächste Verfahren zur deutschen Tentativliste einzubringen. Wir fördern das Archäologische Haus am Petriplatz und setzen die Grabungen am Molkenmarkt fort. Auch die Fortsetzung und Weiterentwicklung unserer starken Pandemie- und Hilfsprogramme im Einzelplan 13 ist eine sehr solide Arbeitsgrundlage.
Ich schließe mich dem Dank an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses an. Ich möchte einen Dank aussprechen an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses, die hier in den Haushaltsberatungen eng mit uns kooperiert haben. Das war ja ein ziemlicher Husarenritt, da noch mal drüberzugehen.
Ich danke auch der Senatsverwaltung für Finanzen für die wirklich vertrauensvolle Zusammenarbeit und natürlich den Mitarbeitenden in meinem Haus. Den Wert von Kultur für die Gesellschaft, die Notwendigkeit europäischer Verständigung gerade in diesen Zeiten haben wir in den vergangenen Pandemiejahren deutlich erkannt.
Wir erleben eine weitere Facette jetzt in der veränderten Sicherheitslage und den mutigen künstlerischen Positionierungen gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine. Wenn Kultur Auseinandersetzung und Verständigung ist, ist es der Kulturhaushalt auch. – Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen Monaten! Jetzt werbe ich um Zustimmung für diesen Haushalt.