Protokoll der Sitzung vom 21.03.2024

Doch, das ist da, und das wird auch schon gebaut, machen Sie sich dort doch einfach mal kundig.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage –

Ja, natürlich gern!

des Abgeordneten Vallendar?

[Anne Helm (LINKE): Nein!]

Ach, Vallendar? Dann lieber doch nicht. Das wird ein bisschen kompliziert.

[Zuruf von der AfD: Sehr souverän!]

Ich kann nur sagen: Sie wollen – gucken Sie ins Atomgesetz – Sie wollen weiter spaltbare Stoffe aus Plutonium und Uran ohne Klärung der Endlagerung, ohne Klärung der Sicherheitsrisiken wieder ins Leben bringen.

[Marc Vallendar (AfD): Warum ist denn der Strom in Frankreich halb so billig? Können wir das mal klären!]

Damit ist klar: Die Zukunft Deutschlands liegt nicht bei der AfD, die Zukunft Deutschlands liegt nicht in der Vergangenheit. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Dunja Wolff (SPD)]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Vorgeschlagen wird die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, Medien sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Betriebe. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 35 steht auf der Konsensliste.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 36:

Bundesweiter Abschiebestopp für Êzîd*innen und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 19/1486

In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke. – Bitte schön Herr Koçak, Sie haben das Wort! – Der Kollege wünscht keine Zwischenfragen.

Sehr geehrte Präsidentin! Kolleginnen! Heute ist der 21. März, Newroz oder Nouruz – sprich Neujahr – für die Völker Mesopotamiens. In dem Sinne wünsche ich allen ein fröhliches Newroz-Fest! Newroz pîroz be!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Sebahat Atli (SPD)]

Und unter uns: Es gibt mindestens sechs Abgeordnete in diesem Saal, die auch Newroz feiern. Und auch für Jesidinnen ist Newroz ein Tag der Hoffnung. Umso wichtiger, dass wir heute gemeinsam den Antrag der Linken beschließen: Stoppt die Abschiebungen von Jesidinnen! Und ich erkläre Ihnen, warum.

(Sebastian Scheel)

Es ist gerade mal ein Jahr her, dass der Deutsche Bundestag einstimmig beschloss, den Genozid, den Völkermord durch den sogenannten Islamischen Staat an den Jesidinnen im Irak anzuerkennen. Doch in Deutschland wird wieder regelmäßig in den Irak abgeschoben, und immer öfter trifft das auch Jesidinnen, wie uns aus der Community berichtet wird. Die größte jesidische Diaspora in Europa lebt in Deutschland, geschätzt rund 250 000 Menschen. Pro Asyl schätzt, dass derzeit bis zu 10 000 Jesidinnen ausreisepflichtig und von Abschiebung in den Irak bedroht sind. Jesidinnen haben Ende des vergangenen Jahres teils monatelang in einem Camp auf der Bundestagswiese bei Regen und Schnee ausgeharrt, um gegen ihre Ausweisung zu protestieren, viele von ihnen sogar mit dem extremen Mittel des Hungerstreiks, denn sie haben Angst.

Vielleicht hilft es, noch mal ins Gedächtnis zu rufen, wovor sie Angst haben und was 2014 passiert ist. In einem durch den amerikanischen Krieg vollkommen destabilisierten Irak breitete sich der Islamische Staat aus, der mordend und vergewaltigend durch die Regionen zog. Innerhalb weniger Monate wurden bis zu 10 000 Jesidinnen ermordet, 7 000 Frauen und Kinder entführt, verkauft, vergewaltigt und unvorstellbare 400 000 Menschen vertrieben.

Im Stich gelassen von der Welt waren es damals jesidische Selbstverteidigungseinheiten, die sich mit der Unterstützung der kurdischen YPG und YPJ dem Islamischen Staat in den Weg gestellt und sehr viele Jesidinnen gerettet haben. Es war die kurdische Frauenbewegung, die mit dem Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“ den Vormarsch des Islamischen Staat insgesamt zurückgedrängt hat.

Doch diese Menschen leiden in Deutschland wiederum unter politischer Repression. Wer „Jin, Jiyan, Azadî“ – Frau, Leben, Freiheit – ruft und dem Widerstand sowohl gegen den Islamischen Staat als auch gegen das Regime im Iran unterstützt, muss sich auch gegen die Kriminalisierung von Kurdinnen in Deutschland einsetzen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Werner Graf (GRÜNE)]

Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich den Bundestagsbeschluss von 2023 zitieren:

„Ihre sichere Rückkehr“

also die der Jesidinnen –,

„ist aufgrund der hoch volatilen Sicherheitslage, die noch immer in Sinjar vorherrscht, kaum möglich: Immer wieder erstarken lokale Keimzellen des IS in Sinjar oder umliegenden Gebieten.“

Menschenrechtsorganisationen vor Ort berichten Ähnliches. Der Islamische Staat und seine Ideologie sind nicht einfach verschwunden, sondern bedrohen nach wie vor das Leben der Menschen dort.

Daher haben mehrere Bundesländer vor dem Hintergrund des Genozids, des Traumas und der aktuell noch drohenden Gefahr beschlossen, Jesidinnen unter keinen Umständen abzuschieben. Aus Berlin – soweit wir zumindest wissen – sind bisher keine Jesidinnen abgeschoben worden, doch möglich ist es.

Lassen Sie uns heute gemeinsam ein Zeichen setzen und Jesidinnen, die viel Leid erfahren, den Genozid überlebt und hier Zuflucht gefunden haben, ein sicheres Leben ohne Angst vor Abschiebung an den Ort des Traumas ermöglichen! Bitte stimmen Sie dem Antrag zu!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Heute ist der Internationale Tag gegen Rassismus, und ich möchte eines kürzlich verstorbenen und heute beigesetzten ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiters hier im Abgeordnetenhaus, Mitbegründer der Opferberatungsstelle ReachOut Berlin und antirassistischen Aktivisten, Biplab Basu, gedenken. Er war der Anwalt rassistisch entrechteter und diskriminierter Menschen und kämpfte bis zuletzt an der Seite von Betroffenen für eine Gesellschaft ohne Rassismus. Berlin hat einen besonderen Menschen verloren. Biplab Basu wird in unseren Kämpfen weiterleben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von der LINKEN: Wuh!]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der CDU hat nun der Kollege Dregger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten einen Antrag der Linksfraktion, mit dem Abschiebungen von Jesiden gestoppt werden sollen. Um es vorwegzunehmen: Aus Berlin werden keine Jesiden abgeschoben. Der Antrag ist gegenstandslos.

Wie Sie alle wissen, finden generell keine Abschiebungen nach Syrien statt. Das gilt insbesondere auch für Jesidinnen und Jesiden. Abschiebungen in den Nordirak finden ebenfalls aus Berlin nicht statt, und in den Zentralirak werden nur schwere Straftäter und Gefährder abgeschoben, und das ist ohne Frage zu begrüßen.

Obwohl also dieser Antrag der Linksfraktion gegenstandslos ist, ist es gut, an das Schicksal der Jesiden zu erinnern, an dem wir Deutschen in den vergangenen Jahren intensiv Anteil genommen haben, denen Deutschland in vorbildlicher Weise in hoher Zahl Schutz gewährt hat.

(Ferat Koçak)

Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Minderheit, die ihr angestammtes Hauptsiedlungsgebiet im nördlichen Irak, in Nordsyrien und in der südöstlichen Türkei hat. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren sie gewalttätigen Versuchen eines Zwangsübertritts zum Islam durch das Osmanische Reich ausgesetzt. Es kam zu Massakern an den Jesiden. 1894 wurden während der vornehmlich an christlichen Armeniern und Aramäern verübten Massaker der osmanischen Truppen auch Tausende Jesiden getötet.

Seit Anfang der Nullerjahre sind sie wieder zur Zielscheibe fundamentalistischer Islamisten geworden und mussten um ihr Leben fürchten. Ab 2014 wurden Jesiden sodann zu Hauptopfern des sich ausbreitenden sogenannten Islamischen Staats, einer dschihadistischen Miliz, die ein Kalifat errichten wollte. Diese verbrecherische Terrorgruppe betrachtete die Jesiden als Ungläubige und verfolgte und ermordete sie. Gefangene Frauen und Mädchen wurden versklavt. Das Ziel war die völlige Auslöschung der Jesiden. Wer nicht zum Islam konvertierte, wurde sofort erschossen.

Es dauerte bis zum Dezember 2017, als der Islamische Staat aus den letzten von ihm gehaltenen Gebieten im Irak vertrieben wurde. In Syrien hat es bis März 2019 gedauert. Das hat die Gefährdungslage der Jesiden zwar verbessert, aber wirklich sicher fühlen sie sich auch heute nicht.

Düzen Tekkal beschreibt es so – ich zitiere –:

„Die Angreifer waren auch Nachbarn aus den umliegenden Dörfern. Der IS ist eine Ideologie. Und sie ist noch immer da.“

Zitat Ende.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koçak?

Bitte schön!

Bitte schön!