Protokoll der Sitzung vom 27.02.2025

[Zuruf von Ario Ebrahimpour Mirzaie (GRÜNE)]

Es geht hier um weit mehr als Müll, der nicht in die richtige Tonne, sondern neben die Tonne geschmissen wird – ein Problem, das wir in vielen Siedlungen Berlins feststellen,

[Zuruf von Elif Eralp (LINKE)]

was aber symptomatisch und nicht ursächlich ist. Es geht hier um das Miteinander von Mieterinnen und Mietern. Es geht um das Miteinander von Kulturen. Oder geht es überhaupt nicht um die Kulturen? Geht es um bessere Kommunikation, Kontrolle oder, wie der Kollege Özdemir in der Morgenpost, glaube ich, unsere Präferenz der CDU vermutet hat: Geht es um Repression? – Das ist eine Täuschung, nebenbei. Es geht um Prävention und welche hilft eigentlich?

Die Mieterin jedenfalls, die sich so engagiert für ihre Nachbarn eingesetzt hat, hat nicht Dank, sondern Drohungen wahrgenommen – und zwar von Jugendlichen, die ihre Enkel sein könnten. Ihre Wohnungseingangstür wurde mit Hundekot beschmiert. Sie fühlt sich jedenfalls nicht wertgeschätzt und nicht sicher. Der Schulleiter, mit dem ich auf dem asphaltierten Hof vor seiner Schule sprechen konnte, hat aus voller Überzeugung und voller Leidenschaft über sein Kollegium gesprochen: wie sie sich an dieser Brennpunktschule für die Jugendlichen einsetzen. Die Jugendlichen sind auf ihren Skateboards vorbeigerauscht, und ich hatte das Gefühl, er kannte jeden Einzelnen und jede Einzelne mit Vornamen. Die Zukunft dieser Jugendlichen steht auf Messers Schneide,

(Bettina Jarasch)

und sie hängt von den Menschen rundherum ab, von den überzeugten und engagierten Lehrern, Sozialarbeitern und interessierten Nachbarn.

Wir müssen darüber nachdenken: Wie stärken wir das soziale Miteinander in solchen Brennpunkten? Wie helfen wir denen, die vor Ort wirklich helfen? Wie sorgen wir für Vertrauen in die Zukunft, in unsere Demokratie? Dazu müssen wir Antworten finden,

[Elif Eralp (LINKE): Aber nicht, indem Sie die Sozialarbeiter streichen!]

denn der gesellschaftliche Zusammenhalt und unser friedliches Miteinander bedürfen unserer konzentrierten Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wenn wir unser Zukunftsversprechen nicht einhalten, wenn wir zulassen, dass unsere Gemeinschaft als ungerecht empfunden wird, dann verliert unsere Demokratie Menschen, und das wollen wir alle zusammen verhindern.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das tun wir in Berlin in einem faszinierenden Schmelztiegel mit über 170 Nationen, die hier leben. Eine halbe Million Europäer leben in Berlin, in unserer Stadt, und davon allein rund 200 000 mit einem wie auch immer gearteten türkischen Hintergrund. Rund 50 000 stammen aus afrikanischen Ländern, rund 50 000 aus Nord- oder Südamerika, und wir haben aus Asien sogar rund 200 000 Mitmenschen in unserer Stadt. Mehr als 250 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften leben hier Tür an Tür, und Schätzungen zufolge haben wir rund 300 000 Muslime – das ist die größte muslimische und palästinensische Gemeinschaft in ganz Deutschland. Dazu haben wir 40 000 Berlinerinnen und Berliner, die jüdischen Glaubens sind.

Doch es geht um mehr als um Herkunft und Religion. Wir haben auch rund 300 000 Berlinerinnen und Berliner, die mit einer Schwerstbehinderung in unserer Stadt leben. Während Berlin für viele ein Ort der Begegnung und des Miteinanders ist, lebt über die Hälfte der Berlinerinnen Berliner, und davon über 300 000 Ältere, Seniorinnen und Senioren, allein in ihren Wohnungen. Dabei leben wir in einer großartigen, hektischen, schnellen Stadt, und ich finde das sehr schön, aber für viele Menschen ist es auch beängstigend. Ungewissheit, Zukunftsängste, die Anonymität dieser Metropole: Das sind Probleme, denen wir uns widmen müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sicher zur Freude der Linken – „Auferstanden aus Ruinen“ – und vielleicht auch des ein oder anderen Grünen,

[Katina Schubert (LINKE): Da träumen Sie von!]

zitiere ich mal Marx,

[Katalin Gennburg (LINKE): Bitte nicht!]

der zwar nichts Verwertbares gemacht hat,

[Zuruf von der AfD – Zuruf von Elif Eralp (LINKE)]

aber in einem Punkt dann doch: Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein – und damit auch die Herausforderungen für uns alle, die aus diesem gelebten Bewusstsein erwachsen.

[Zurufe von der LINKEN]

Die Bertelsmann Stiftung hat das in drei großen Umfragen 2017, 2020 und 2023 untersucht, und die aktuellste Umfrage zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland aus dem Jahr 2023 zeigt ein alarmierendes Bild: Von der Stärke der sozialen Netzwerke, dem Empfinden des sozialen Miteinanders, der Teilhabe und dem Gerechtigkeitsempfinden zeigen alle Indikatoren nach unten. Soziales Miteinander braucht gegenseitiges Kennen und Verständnis. Wir haben momentan die Situation, dass das Fundament unseres sozialen Miteinanders bröckelt, und das muss für uns ein Alarmsignal sein.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zum sozialen Miteinander habe ich eine schöne Erinnerung in meinem Herzen: Es ist zehn Jahre her, da leitete ich einen gemeinnützigen Verein, der Kultur- und Bildungsarbeit gemacht hat. Neben vielen Kultur- und Bildungsveranstaltungen erinnere ich mich an unsere integrativen Sportfeste. Wir brachten Mannschaften mit und ohne hohen Migrationsanteil, queere Teams, Fußballspieler, Sportler aus den verschiedensten Ecken Berlins zusammen und ließen sie einfach Fußball spielen.

[Beifall von Stephan Standfuß (CDU)]

Danach standen wir am Grill und haben miteinander geredet. Ich erinnere mich an einen besonderen Abend, da hat die mosambikanische Mannschaft ihre afrikanischen Spezialitäten auf den Grill geschmissen. Keiner der anderen Anwesenden, mich eingeschlossen, kannte das. Es war ein wunderbarer Abend des Miteinanders und des Kennenlernens, denn wir feierten gemeinsam. Genau auf diesen Plätzen, genau in diesem gesellschaftlichen Miteinander, bei solchen Situationen entsteht echter gesellschaftlicher Zusammenhalt.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von Tobias Schulze (LINKE)]

Deswegen müssen wir, ohne der Enquete-Kommission irgendwie vorgreifen zu wollen, das Ehrenamt und gesellschaftliches Engagement fördern.

[Anne Helm (LINKE): Im Moment wird es aber weggekürzt, alles!]

Wir alle kennen Demonstrationen, die für Gewalt missbraucht werden. Wir alle beklagen Überfälle auf Jüdinnen und Juden in unserer Stadt. Wir alle verurteilen Diskriminierung, die ein Mensch nur deswegen erleiden muss, weil er zum Beispiel ein Kopftuch trägt. Wir kennen alle viele traurige und sehr ernste Fälle, die wir zu untersuchen haben. Es gibt aber eben auch diese schönen und guten Beispiele.

Heute wählen wir die Experten unserer EnqueteKommission. Wissenschaftler, Praktiker, Professoren, die die Voraussetzung für die Förderung unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts, für die effektive Bekämpfung von Antisemitismus, für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit und Diskriminierung aller Art profund untersuchen können und unsere Kolleginnen und Kollegen der Enquete-Kommission bestens dabei beraten können. Ich danke allen Experten, die bereit sind, mitzuhelfen. Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Dr. Kristin Brinker (AfD) und Rolf Wiedenhaupt (AfD)]

Ich freue mich wirklich sehr, dass wir uns gemeinsam entschieden haben, Zusammenhalt, Gemeinschaft und Toleranz eine eigene Enquete-Kommission zu widmen. Berlin ist immer ein Ort des Miteinanders, der Toleranz und des Verständnisses und muss es bleiben, und da, wo es nötig ist, müssen wir auch dafür sorgen, dass es wieder mehr wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Bevor die nächste Rednerin das Wort bekommt, muss ich auf die Rede der Kollegin Jarasch zurückkommen und rüge den Abgeordneten Timur Husein dafür, dass er eine verächtliche Handbewegung gegenüber der Rednerin gemacht hat. Das ist unparlamentarisch.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Dann darf ich der Kollegin Eralp für die Fraktion Die Linke das Wort geben. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Wir freuen uns, dass heute nach dreimaliger Vertagung durch die Koalition endlich die Wahl der Kommissionsmitglieder stattfindet. Wir freuen uns auch sehr, dass wir die beiden ausgewiesenen Antidiskriminierungsexpertinnen Saraya

Gomis und Hajdi Barz als sachverständige Mitglieder für die Arbeit in der Kommission gewinnen konnten und dass weitere wichtige Akteurinnen und Akteure, unter anderem Vertreterinnen und Vertreter von OFEK, KIgA, ADEFRA, dem DeZIM und dem Antidiskriminierungsverband dabei sind. Ihnen allen, die auch heute von der Tribüne zuschauen, möchte ich im Namen meiner Fraktion danken.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Orkan Özdemir (SPD)]

So sind verschiedene Expertisen und Perspektiven in der Kommission vertreten sowie die wichtigen Bereiche Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus, antiSchwarzer Rassismus und Antiziganismus.

[Jeannette Auricht (AfD): Und Deutschfeindlichkeit?]

Den Weg hierher muss ich aber kritisieren, der leider so gar nicht vom Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts geprägt war, den die Koalition zum Leitbild für die Arbeit in der Kommission erklärt hat. Auch von der angekündigten Überparteilichkeit kann nicht die Rede sein. Während die SPD zumindest versucht hat, uns und die Grünen einzubeziehen, hat sich die CDU dem verweigert. Ihr Einsetzungsbeschluss wurde weder mit uns noch mit der Zivilgesellschaft abgestimmt. Ihn ihm fehlen nun auch maßgebliche Berichte wie der zum anti-Schwarzen Rassismus und zur UN-Dekade aus dem Konsulationsprozess, die Empfehlungen der Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus oder auch der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus. Im Bereich Antisemitismus wurden einige genannt, aber auch nicht alle. Während manche Gesetze explizit Erwähnung fanden, fehlt ausgerechnet das Landesantidiskriminierungsgesetz, das die CDU bis vor Kurzem auch noch abschaffen wollte.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Unsere Forderung, den Fokus auf strukturellen und institutionellen Rassismus und Antisemitismus zu legen, wurde auch nicht berücksichtigt, aber auch der Staat und Behörden diskriminieren und sind mancherorts sogar von rassistischen Strukturen durchzogen, wie es auch bei der Berliner Polizei durch rechte Chatgruppen zutage getreten ist. Obwohl die SPD im Ausschuss für Integration, Frauen, Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung im November öffentlich Bereitschaft zeigte, noch Änderungen am Einsetzungsbeschluss vorzunehmen, geschah nichts dergleichen und unser gemeinsam mit den Grünen eingebrachter Änderungsantrag wurde einfach abgelehnt.

[Zuruf von der AfD: Oh!]

Dabei handelt es sich nicht um unsere alleinigen Vorschläge, sondern vor allem um Forderungen aus der Berliner Zivilgesellschaft und den Antidiskriminierungsverbänden, die Sie ernst nehmen sollten!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Thorsten Weiß (AfD)]

(Dirk Stettner)