Notwendigkeit ist so groß wie nie. Europa ist aus dem Grauen des Krieges und des Holocaust entstanden. Aber Europa wird zunehmend kalt und dunkel. Es schottet sich ab, schließt die Grenzen und vergisst oder verdrängt derzeit diesen Gründungsimpuls. Was dann übrig bleibt, ist Verrohung, eine Haltung, vergleichbar mit der der Mörder in Polen, dass man eben hart sein müsse, um das Eigene zu verteidigen, dass Leichenberge ertragen werden müssen, wenn man dem höheren Ziel der eigenen Interessen und einer ziemlich krude verstandenen eigenen Identität dienen wolle.
Wir zerstören uns derzeit von innen. Deshalb brauchen wir diesen Ort des Gedenkens, des Verstehens und der Begegnung. Deshalb ist es gut, dass im Konzept des Hauses explizit sowohl die Beteiligung der polnischen Community als auch ein Jugendbeirat vorgesehen sind. Die Opfer müssen gehört werden, und wir müssen Ehrlichkeit lernen.
Dabei muss es auch um den antislawischen Rassismus gehen, dem unsere polnischen Nachbarinnen ausgesetzt waren und es bis heute in Deutschland auch immer noch sind; mit Sicherheit auch deshalb, weil er eben von den Täterinnen und Tätern, die ja vergessen – ich erinnere an den Ausspruch von Jan Tombiński –, immer noch nicht thematisiert wird.
Zugleich ist die Gefahr für Europa durch Putins Russland so groß, wie wir es uns nie hätten vorstellen können. Auf gute Nachbarschaft kommt es jetzt also wirklich an. Das Konzept für das Deutsch-Polnische Haus, erarbeitet von vom Deutschen Polen-Institut und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, liegt seit Juni 2024 vor, inklusive einem Zeitplan zur Umsetzung. Ich verstehe den vorliegenden Antrag der Koalition so, dass sie die Bundesebene unterstützen möchte, damit dieses wichtige Projekt weitergeführt und – ich blicke da auf Berlin mit Sorge – die Gelder nicht gestrichen werden. Ein solches Haus wird sich nicht führen lassen wie ein Club, der irgendwelche Einnahmen generieren kann. Ich nehme Sie also beim Wort, und wir behalten Sie im Auge, insbesondere, was die Einbeziehung der polnischen Communitys hierzulande angeht. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 8. Mai feiern wir den 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Ich freue mich, dass wir diesen Tag dieses Jahr mit einem Feiertag begehen. In gleichem Maße begrüße ich die Errichtung des von der
Bundesregierung und dem Bundestag geplanten DeutschPolnischen Hauses mit einem Gedenkort für die Opfer der deutschen Besatzungsmacht in Polen von 1939 bis 1945.
Es ist schon viel gesagt worden zu den Plänen, die hier stehen. Angesichts des Ausmaßes der während der deutschen Besatzung und Gewaltherrschaft in Polen begangenen Verbrechen ist es längst überfällig und von entscheidender Bedeutung, dass ein würdiger Gedenkort an zentraler Stelle in Berlin geschaffen wird. Selbstverständlich ist das Projekt ein überparteiliches, aber dennoch – Heiko Maas ist hier schon gerade genannt worden – möchte ich noch einmal meinen Dank äußern, und zwar einmal dem Vorsitzenden des Deutschen Polen-Instituts, Heiko Maas, gegenüber, und dann noch Dietmar Nietan, der in seiner Funktion als Polen-Beauftragter der Bundesregierung einen ganz wesentlichen Beitrag zum Vorantreiben dieses Projektes geleistet hat.
Worum geht es im Detail? – Drei Säulen werden in Zukunft das konzeptionelle Fundament des DeutschPolnischen Hauses bilden: Gedenken, Begegnen und Verstehen.
Zum Gedenken: Ein zeitgemäßes Denkmal wird die zentrale Komponente dieses Deutsch-Polnischen Hauses im öffentlichen Raum darstellen. Das Gedenken an alle Opfer der deutschen Besatzung Polens von 1939 bis 1945 wird damit 86 Jahre – ich hoffe, wir sind schnell – nach dem deutschen Überfall auf Polen endlich prominent im Herzen Berlins verankert. Das Haus wird verschiedene Arten der Teilhabe an Gedenkakten und Veranstaltungen sowie individuelles Gedenken ermöglichen.
Es wird aber auch ein Ort der Begegnung sein. Ich freue mich, dass vor allen Dingen in diesem Haus Begegnungen ermöglicht werden. Ich empfehle sehr, sich das Projekt auf der Homepage einmal anzusehen. Dort kann man das reiche Bildungsprogramm einsehen, das sich schon heute insbesondere an Menschen aller Generationen aus Deutschland und Polen wendet und historisches Wissen und Kompetenzen, um Gegenwart und Zukunft in einem gemeinsamen Europa zu gestalten, vermittelt. Vorträge, Tagungen, kulturelle Veranstaltungen werden das Haus in Zukunft zu einem lebendigen Ort der Begegnung und Auseinandersetzung mit Polen und Deutschland im Herzen der deutschen Hauptstadt machen. Das DeutschPolnische Haus wird somit in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Polen-Institut über seinen Standort in Berlin hinaus tätig sein und zur Vernetzung beitragen.
Ein Denkmal allein vermag aber weder, die komplexe Geschichte der deutschen Besatzung Polens in den Jahren von 1939 bis 1945 zu erklären, noch vermittelt es Wissen über die Opfer. Deshalb werden Dauerausstellungen und
Wechselausstellungen ermöglicht. Da werden wir erfahren, wer die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges waren, was für eine Kultur – Susanna Kahlefeld hat es gerade schon erwähnt – zerstört werden sollte und wer die Menschen waren, die vor allen Dingen diese Kultur lebten und sie gestalteten. Das Deutsch-Polnische Haus eröffnete Räume, diese Menschen als handelnde Akteurinnen und Akteure kennen zu lernen.
Es ist wichtig zu wissen, wer unsere Nachbarn sind. Wir können die Bedeutung der Nachbarschaft unserer beiden Länder nur begreifen, wenn wir die gemeinsame Deutsch-Polnische Verflechtungsgeschichte verstehen. Ich habe übrigens eine polnische Großmutter; ich glaube, das ist recht typisch für jemanden, der in Berlin geboren ist. Wir können diese gemeinsame Verflechtungsgeschichte nur verstehen, wenn wir voneinander wissen.
Der Zweite Weltkrieg und die ungeheure Brutalität der deutschen Besatzung Polens sind das zentrale Ereignis, das bis heute einen Bezugspunkt in den deutschpolnischen Beziehungen darstellt. Wie tief der Schmerz bei den Polinnen und Polen bis heute ist, merken wir häufig erst dann, wenn sie uns mit Distanz oder zum Teil auch mit Ablehnung begegnen, weil sie einfach vermissen, dass wir das Leid, das wir da angetan haben, aufarbeiten. Dieses Deutsch-Polnische Haus ist ein großer Schritt zu diesem Verstehen.
Es wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, das ist hier schon angeklungen. Man kann auch kritisieren, dass wir diesen Antrag jetzt mit Dringlichkeit einbringen.
Ich will aber allen noch einmal sagen: Das polnische Volk wartet seit vielen Jahren auf ein entsprechendes Zeichen der deutschen Seite, und genau das soll es sein.
Durch die Errichtung dieses jetzt temporären Denkmals an jenem symbolträchtigen Ort – es ist ja hier schon angeklungen, der Ort der Kroll-Oper soll es werden – wird der Opfer zumindest in angemessener Weise gedacht. Wir legen zugleich den Grundstein für eine dauerhafte Auseinandersetzung mit unserer gemeinsamen Geschichte. In diesem Sinne versteht auch das Abgeordnetenhaus die Errichtung und Eröffnung dieses temporären Denkmals als ein wichtiges Bekenntnis Berlins, als Zeichen der gelebten Erinnerung und als bedeutenden Schritt hin zu einer gemeinsamen, zukunftsorientierten deutsch-polnischen Zusammenarbeit, einer deutsch-polnischen Freundschaft.
damit die polnischen und die deutschen Verflechtungen auch in Zukunft tragen und wir eine gute Völkerfreundschaft leben. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme es mal vorweg, meine Fraktion stimmt natürlich dem geplanten temporären Denkmal zu.
Ich sehe es auch so, das ist ein überfälliger Schritt in der Aufarbeitung einer Geschichte, die viel zu lange ausgeklammert und verdrängt wurde. Ich finde auch, der Standort lässt sich gut begründen. Er ist sehr zentral im Regierungsviertel, und in der Kroll-Oper, die sich früher auf diesem Grundstück befand, verkündete Hitler am 1. September 1939 den Überfall auf Polen.
In Polen hat die deutsche Besatzung kaum mehr hinterlassen als verbrannte Erde. 5 Millionen Polinnen und Polen wurden ermordet, darunter 3 Millionen polnische Jüdinnen und Juden. Ganze Städte, Dörfer und Familien wurden ausgelöscht. Mit der so genannten Intelligenzaktion haben die Nazis gezielt Menschen ermordet, die als potenzielle Trägerinnen oder Träger für Widerstand, polnische Identität und Bildung galten. Dazu gehörten Lehrer, Priester, Juristinnen, Ärzte, Künstlerinnen oder Gewerkschafter. Mit diesem brutalen Schlag gegen die polnische Elite rissen die Nazis ein intellektuelles und kulturelles Vakuum, dessen Folgen auch die demokratische und gesellschaftliche Entwicklung Polens in dem Krieg tief gekennzeichnet haben.
1940 traten die so genannten Polenerlasse in Kraft. Polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mussten ab da ein „P“ auf der Kleidung tragen. Sie durften zum Beispiel nicht mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen, keine Kirchen, Kinos oder Gaststätten betreten, keine Beziehungen zu Deutschen haben. Wer dieses Verbot brach, erhielt drakonische Strafen wie die Einweisung in ein KZ oder sogar die Todesstrafe. Das besonders Perfide ist: Polinnen und Polen, die sich wiedersetzten, also zum Beispiel nach der Ausgangssperre noch draußen waren, wurden in KZs gesperrt und dort als sogenannte „Berufsverbrecher“ mit dem grünen Winkel gekennzeichnet. Obwohl im Nürnberger Juristenprozess die sogenannten Polenstrafrechtsverordnungen als Verbrechen gegen die
Menschlichkeit qualifiziert wurden, sind ihre Opfer bis zum Jahr 2020 nicht offiziell als Verfolgte des Naziregimes anerkannt worden. Ich finde, dass das unglaublich ist. Das bedeutet, dass die Opfer keine Entschädigungsansprüche geltend machen konnten. Jahrzehntelang hielt sich das Narrativ, dass sogenannte „Berufsverbrecher“ verdientermaßen im KZ gesessen hätten. So wurden aus Opfern Täter gemacht. Das ist quasi eine nachträgliche Verfolgung.
Die Verachtung der Deutschen gegenüber ihren östlichen Nachbarn begann aber nicht erst mit den Nazis. Die konnten auf wirkmächtige Vorbilder aufbauen wie beispielsweise Bismarcks Antipolenpolitik, die massenhafte Ausweisungen von Polinnen und Polen bedeutete, wovon vor allem Jüdinnen und Juden betroffen waren, und die Germanisierung von polnischstämmigen Preußen mittels eines repressiven Kulturkampfes. Die Kolonisierung Polens wurde gesellschaftlich mit der angeblichen zivilisatorischen Überlegenheit der Deutschen gegenüber den Polen begründet.
Nach 1945 wurde dann viel über Versöhnung gesprochen – mit Frankreich, mit Israel, mit den USA. Und Polen? – Fast 30 Jahre lang hat man sich in der BRD geweigert, überhaupt die Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen. Das geschah erst 1970 durch Willy Brandt und selbst das nur unter massiven Protesten aus der deutschen Gesellschaft. Diese Frage war für Polen aber existenziell, schließlich hat die Sowjetunion sämtliche 1939 annektierten Gebiete einfach behalten. Das Land war geografisch nach Westen gerückt. Auch das ist wichtig in der Geschichte anzuerkennen.
Die polnischen Opfer hatten nach 1945 kaum eine Rolle in der Deutschen Gedenk- und Erinnerungspolitik gespielt. Der tief verankerte antislawische Rassismus wurde nicht reflektiert. Das ist beschämend, und darum ist es so wichtig, dass wir die Versäumnisse der Vergangenheit nachholen. Vor dem Krieg gegen die Ukraine war die polnische Community seit Jahrzehnten die zweitgrößte in unserer Stadt, und doch findet sie im Stadtbild nahezu keine Sichtbarkeit. Polnisch wird kaum an Schulen angeboten. In den westlichen Bezirken Berlins haben bisher nur Tempelhof-Schöneberg und CharlottenburgWilmersdorf überhaupt eine Städtepartnerschaft mit einer polnischen Gemeinde.
Ein Denkmal ist gut, aber es ist in erster Linie erst einmal ein Symbol. Es ersetzt keine Bildungsprogramme und keine strukturellen Veränderungen in unserer Erinnerungskultur. Ein Begegnungs- und Erinnerungsort kann da schon eine ganze Menge mehr leisten. Deswegen sind wir auch dafür, dass das Deutsch-Polnische Haus zügig errichtet wird.
Danke! – Ich gehe davon aus, dass wir uns gemeinsam nicht damit zufriedengeben werden, dass das Denkmal wie viele andere Provisorien in Berlin eine Dauereinrichtung wird. – Herzlichen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In wenigen Wochen jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Der Beginn dieses Krieges liegt bereits mehr als 85 Jahre zurück. Am frühen Morgen des 1. September 1939 überraschten deutsche Sturzkampfbomber die völlig unvorbereitete Bevölkerung von Wieluń im Schlaf und töteten ungefähr 1 200 Menschen. Was in den folgenden mehr als fünf Jahren deutscher Besatzung folgen sollte, war ein beispielloser Leidensweg des polnischen Volkes und ganz besonders der polnischen Juden. Es ist gut, angesichts des bevorstehenden Jahrestages des Kriegsendes auch an dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte zu erinnern.
Man darf aber zu Recht fragen, ob der sich in dem geplanten Deutsch-Polnischen Haus manifestierende besondere deutsche Weg der Erinnerung der richtige ist, um sich der Geschichte zu erinnern, und vor allem, ob es der richtige Weg ist, um das deutsch-polnische Verhältnis zu verbessern. Das Grundproblem bei der Idee des DeutschPolnischen Hauses ist, dass dieses Projekt von Deutschland konzipiert und finanziert wird, gleichzeitig aber polnischen Erwartungen gerecht werden will. Diese Zwitterkonstruktion funktioniert ganz augenscheinlich nicht. Eigentlich ist schon die Bezeichnung Deutsch-Polnisches Haus ein Etikettenschwindel.
Dabei sah der ursprüngliche Beschluss des Bundestages etwas anderes vor. Es sollte eigentlich das im Mittelpunkt stehen, was damals im Feuilleton-Debatten oft als „Polendenkmal“ bezeichnet wurde, also ein Denkmal für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus, wohlgemerkt konzipiert und errichtet von deutscher Seite. Daraus ist irgendwann das Deutsch-Polnische Haus als Blackbox für alle möglichen Ideen für den deutsch-polnischen Austausch, als Begegnungsstätte und Ort der Wissensvermittlung geworden, aber mit immer weniger Bezug zu dem eigentlichen Denkmalprojekt. Die Folge war dann, dass sich auch dieses Denkmalprojekt seit Jahren in Dauerschleife hinzieht.
Deswegen verstehe ich Ihre Ungeduld, Herr Cywinski, und ich verstehe auch, dass Sie da einen Kontrapunkt
setzen wollen. Das Grundproblem wird aber dadurch nicht gelöst. Dieses Grundproblem ist nun einmal der konzeptuelle Gegensatz zwischen einer Begegnungsstätte auf der einen Seite und einem Denkmal auf der anderen Seite. Florian Mausbach, der Stadtplaner und ehemalige Präsident des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung, hat genau auf diesen Konflikt hingewiesen, und er macht das schon seit Jahren. Mausbach war es, der 2017 ein Denkmal vorgeschlagen hat. Er fragt nun vollkommen zu Recht, warum man das Denkmal nicht für sich alleine stehen lassen kann, und worin der Sinn bestehen soll, es mit einer deutsch-polnischen Begegnungsstätte zusammenzuspannen. Ihm geht es um einen symbolischen Ort der Trauer und der Verarbeitung, ein Ort des Gedenkens für Deutsche und Polen und eben nicht um einen Ort der Wissensvermittlung und der intellektuellen Begegnung. Das gibt es nämlich auch schon an anderer Stelle und in anderen Formaten. Da kann man ihm eigentlich nur recht geben. Denn manchmal kann weniger auch mehr sein.
Ihr Antrag, sehr geehrter Herr Cywinski, das will ich einmal wohlwollend konstatieren, scheint genau diese Sicht Mausbachs auf das Problem zu teilen. Leider denken Sie den Ansatz Mausbachs aber nicht zu Ende und bleiben mit einem provisorischen Denkmal im Niemandsland zwischen beiden Ansätzen stecken. Sie können doch nicht ernsthaft ein provisorisches Denkmal, auch noch initiiert durch die Berliner Landespolitik, wollen, während nebenan das eigentliche Erinnerungsprojekt des Bundes noch ungeklärt ist. Ich glaube nicht, dass ein solches Vorgehen dem eigentlichen Anliegen gerecht wird.