Protokoll der Sitzung vom 09.02.2000

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich komme auf einzelne Punkte, die meine Vorredner von der linken Seite hier erwähnt haben.

Erster Punkt: Sie haben aus einem Entwurf vom Dezember 1999 zitiert.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Dezem- ber! – Abg. Bebber SPD: 21.!)

Sie waren nicht bei der Veranstaltung am letzten Freitag und Samstag in Berlin, bei der das Bundesjustizministerium seine Vorstellungen noch einmal konkretisiert hat.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Nein, da waren wir nicht! Wir haben uns um die Familie ge- kümmert, Herr Kollege!)

Die Vorstellung hat sich nämlich gar nicht geändert, sondern die Bundesjustizministerin hat dort weiter mitteilen lassen: Es bleibt bei einem Eingangsgericht. Natürlich spricht sie von einem „Eingangsgericht“. Aber was heißt das in einem Flächenstaat? Das heißt, dass sie die Auflösung der Amtsgerichte – – Vielleicht kann man einen Amtsgerichtsbezirk ein bisschen größer machen. Aber im Prinzip ist das eine Auflösung des Amtsgerichts.

(Abg. Bebber SPD: Nein!)

Das wurde auch von allen Seiten gesagt. – Sie können nachher etwas sagen.

Zweitens kann ich Ihnen bestätigen, dass sämtliche Richter und OLG-Präsidenten, die anwesend waren, gegen diesen Entwurf waren. Sämtliche Anwälte und alle Anwaltsvereinigungen sind gegen diesen Entwurf,

(Abg. Bebber SPD: Natürlich! Diejenigen, die ein- verstanden sind, gehen erst gar nicht zu einer sol- chen Veranstaltung, wie wir zum Beispiel!)

weil es um eine Einschränkung des Rechtsschutzes des Bürgers geht. Diesmal geht es ausnahmsweise nicht um irgendwelche Privilegien der Anwälte, sondern alle sagen: Hier wird der Rechtsschutz des einzelnen Bürgers betroffen.

Sie vergleichen immer mit der dritten Instanz, dem OLG, und Sie brachten zum Thema Bürgernähe das Beispiel Ehescheidung. Sicher glaube ich, dass jemand, der sich scheiden lassen will, durchaus bereit ist, bei einer so wesentlichen Entscheidung an einem Tag von Ravensburg nach Stuttgart zu fahren. Aber ist er bereit, wegen 1 500 DM von Ravensburg nach Stuttgart zu fahren, um in Revision gehen zu können? Das ist doch idiotisch.

(Abg. Dr. Schlierer REP: 1 200!)

Das ist doch völlig bürgerfremd.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist es!)

Er hätte dadurch viel höhere Kosten, als der Streitwert ausmacht. Er wird seinen Rechtsschutz aufgeben, weil ihm der Zeitaufwand viel zu groß ist.

Auf ein Zweites sind Sie gar nicht eingegangen: auf die Rechtsmittel, die eingeschränkt werden. Die Tatsachen können eben nicht mehr überprüft werden, außer mit diesem komplizierten Verfahren, das der Kollege Schlierer gerade dargestellt hat. Aber das ist wirklich bürgerfremd.

(Abg. Bebber SPD: Das war eine Frage der Zeit! Darauf gehe ich gleich ein!)

Die Bürgerrechte werden eingeschränkt, weil nur noch Rechtsfehler überprüft werden und die Tatsachen nur in der ersten Instanz erhoben werden. Was machen Sie bei folgendem Fall? Ein Dachdecker wird verklagt, weil Wasser eingebrochen ist. Der Gutachter in der ersten Instanz sagt: Ja, er ist schuld. Aber während der Berufungszeit kommt er drauf, dass die Rohrleitung kaputt war, und er bringt ein neues Gutachten. Aber das Urteil in der ersten Instanz ist richtig, weil es auf dem ersten Gutachten basiert. Das Urteil ist also nicht rechtsfehlerhaft, obwohl die Tatsache falsch ist, aber das Urteil kann nach Ihrem Entwurf nicht mehr aufgehoben werden. – Ich meine die SPD. Entschuldigen Sie, Herr Oelmayer, dass ich Sie gerade anschaue.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Macht nichts! – Abg. Bebber SPD: Das stimmt nicht! Aber es ehrt mich, wenn Sie es so sagen!)

Dann kann man das Urteil nicht mehr aufheben, weil das Urteil richtig ist und nicht falsch. Das sind die Mängel des Entwurfs.

Bei allen anderen Gerichtszweigen haben wir eine staatliche Behörde dazwischen, die objektiv entscheiden soll. Beim Verwaltungsgericht haben wir das Regierungspräsidium, beim Finanzgericht das Finanzamt. Überall haben wir eine Instanz vorweg.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das Verwal- tungsverfahren ist immer vorneweg geschaltet! – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Da haben wir überall drei Stufen: beim Finanzgericht, beim Arbeitsgericht!)

Ihr Vorschlag zielt nicht auf eine Dreistufigkeit, sondern auf eine Zweistufigkeit. Sie haben eine Tatsacheninstanz und eine Rechtsmittelinstanz. Das ist doch eine Einschränkung, Herr Kollege.

(Abg. Rech CDU: Wir haben 20 Minuten Zeit für die Klausur!)

Die Dreistufigkeit ist nur ein Vorwand.

Der Präsident des VGH Mannheim hat in letzter Zeit ausdrücklich erklärt, dass die Rechtskultur im Verwaltungsgerichtsverfahren zurückgegangen sei.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Jawohl! Arbeitsblatt 2000, erste Ausgabe lesen!)

„Es ist schlechter geworden gegenüber früher“, sagt der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Aber da- für sind dann Sie verantwortlich! Das können Sie nicht auch noch uns draufpacken!)

Doch, weil Sie dieses Verfahren immer als hervorragenden Vergleich heranziehen. Es ist schlechter geworden, das muss man sich klarmachen.

Der neue Entwurf, der uns letzten Freitag und Samstag in Berlin vorgestellt wurde – dazu haben Sie noch nichts Überzeugendes gesagt –, wurde allgemein abgelehnt, weil wir das heutzutage alles mit der Zivilprozessordnung regeln können. Die Richter können nach § 139 die Vorverfahrensfragen – mit Schlichtungsvorschlägen, mit Aufklärungsbeschlüssen usw. – vor dem ersten Termin klären, und das machen sie in Baden-Württemberg. Deshalb haben wir eine solch gesicherte Rechtsprechung. Wenn Sie zum Landgericht gehen, kriegen Sie vor der ersten Verhandlung einen Beschluss: „Bitte sagen Sie dazu noch etwas.“ Oder: „Legen Sie das noch vor.“ In Baden-Württemberg wird das so gehandhabt. Deswegen kann man mit der jetzigen Zivilprozessordnung all die Mängel, die Sie kritisieren, lässig beheben. Vielleicht kennen Sie noch das „Stuttgarter Verfahren“, das vor 20 Jahren hier kreiert wurde – im Rahmen der ZPO. Deshalb ist die Reform, die Sie machen wollen, völlig überflüssig; sie schränkt nur ein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Reinhart.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Kollege Oelmayer, ich gehe davon aus, dass Ihre vorigen Ausführungen weit unter den Qualitäten liegen, die Sie sonst aufweisen.

(Beifall des Abg. Wieser CDU)

Nur so kann ich es mir erklären, dass Sie kein einziges Wort zu den wirklichen Problemen gesagt haben, die wir aufgeworfen hatten.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Genau! Locker drüber weg!)

So kann man natürlich auch eine Debatte führen.

Sie haben keinen Satz dazu gesagt, dass es in der zweiten Berufungsinstanz keinen weiteren Tatsachenvortrag gibt.

(Abg. Bebber SPD: Das stimmt ja gar nicht!)

Sie haben keinen Satz über die Einschränkung der Bürgerrechte gesagt, und Sie haben auch keinen Satz darüber gesagt, dass bei dem ständigen Einzelrichter, der jetzt vorgesehen ist, die Qualität eher ab- als zunimmt. Es ist doch eine Tatsache: Wenn gerade ein junger Richter in einem Kollegialorgan ist, dann wird er dort kontrolliert und bemüht sich eher um Qualität. Er versucht, ein besseres Urteil abzufassen, wenn er zum einen in der Kammer kontrolliert wird und zum anderen noch eine Tatsacheninstanz über sich hat und sich gegenüber einer Rechtsmittelinstanz sowohl rechtlich als auch tatsächlich voll verantworten muss.

Ich will eines bewusst sagen, Herr Kollege Bebber: Ich will Ihnen zustimmen, was die Frage des vorgeschalteten Gütetermins angeht. Ich bin ein Anhänger der Konsenslösung und des Güteversuchs. Das halte ich ausdrücklich für richtig, auch unter dem Gesichtspunkt, dass es bei den Richtern Jäger und solche gibt, die man zum Jagen tragen muss, auch unter dem Gesichtspunkt, dass ein Richter die Verhandlungen sauber vorbereitet und dann mit Qualität die Parteien zu einer Gütelösung führt. Das will ich ausdrücklich betonen. Das halte ich für richtig, und das ist auch gut für den Rechtsstaat, weil jede Konsenslösung besser ist als eine Gewaltlösung. Das heißt, wenn man ein Urteil durch eine Gütelösung verhindern kann, ist das allemal besser, weil es oft dem Willen beider Parteien gerecht wird.

(Beifall des Abg. Göbel CDU)

Ich will aber auch auf Folgendes hinweisen – dazu haben Sie nichts gesagt –: Wenn Sie – –

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Man hat ja bloß fünf Minuten Zeit, Herr Kollege! Sonst hät- te ich Ihnen eine halbe Stunde lang etwas erzählt! – Heiterkeit des Abg. Brechtken SPD)

Herr Kollege Oelmayer, ich erwarte ja nur, dass Sie auch in die Solidarität Ihrer Anwaltskollegen zurückkehren und sagen, dass das, was die Bundesjustizministerin hier vorgelegt hat, nicht zu befürworten ist. Das erwarten wir von Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Das dauert zehn Sekunden! – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grü- nen: Haben Sie das bei Ihrem Bundesjustizminister gemacht?)

Der Kollege Kiesswetter lächelt. Ich muss natürlich sagen: Die VwGO-Reform ist vom FDP-Kollegen Schmidt-Jortzig gemacht worden.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Unter dem Exehrenvorsitzenden!)