Protokoll der Sitzung vom 09.02.2000

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das war ein Zwischenruf!)

Ich bitte, unabwendbare Gespräche nach draußen zu verlegen.

Herr Abg. Kleinmann, Sie haben das Wort.

(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grü- nen)

Draußen kann man niemanden stören. Da haben Sie Recht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diese Große Anfrage eingebracht, um insbesondere die Bedeutung der Realschule wieder einmal in den Vordergrund zu stellen. Um es gleich vorweg zu sagen: Bei unserer gestrigen Fraktionssitzung haben wir mit Nachdruck noch einmal festgelegt, dass wir am dreigliedrigen Schulsystem festhalten wollen

(Abg. Wintruff SPD: Das wundert uns aber! – Zu- rufe: Man hört gar nichts!)

wenn Sie es nicht wundert, sind wir ja erfreut, Herr Kollege Wintruff –: Hauptschule, Realschule und Gymnasium als weiterführende Schulen.

Es gab auch schon ganz andere Überlegungen, Herr Kollege Wintruff, zum Beispiel die Hauptschule, die durch die

Werkrealschule zum Teil aufgewertet worden ist, mit der Realschule in Verbindung zu bringen. Wir wollen aber das dreigliedrige System beibehalten.

Ich sage Ihnen auch klipp und klar: Vor allem auf dem Land – ich komme ja aus dem Wahlkreis Rottweil – spielt die Realschule insbesondere für sehr viele Schülerinnen eine große Rolle, weil dort viele Eltern trotz der Empfehlung durch die Grundschule, ihr Kind solle das Gymnasium besuchen, sagen: „Ich schicke mein Mädchen doch lieber nur auf die Realschule.“

(Abg. Hauk CDU: Und was ist mit den Jungen?)

Die Gründe sind leider oft nicht ganz nachvollziehbar – zumindest für mich nicht; von Ihnen, Frau Bregenzer, sicherlich oft auch nicht. Ich versuche auch als Pfarrer, wenn ich in solche Familien komme, sie dahin gehend zu beraten, dass sie der Empfehlung durch die Grundschule, ihr Kind aufs Gymnasium zu schicken, auch folgen sollten.

Dennoch: Der Realschulabschluss als mittlerer Abschluss bietet auch den Mädchen und Jungen die Möglichkeit, später zum Beispiel eine Banklehre zu absolvieren, bietet ihnen jedenfalls Ausbildungsperspektiven und berufliche Perspektiven, wie sie ein Hauptschüler und auch ein Hauptschüler mit Werkrealschulabschluss nicht haben.

Grundsätzlich soll das nicht heißen, dass wir Hauptschulen mit Werkrealschulabschluss abwerten wollten, im Gegenteil. Wir wissen, gerade die Hauptschulen brauchen Fürsprecher, die hinter ihnen stehen. Nach wie vor wählen weit über 30 % als weiterführende Schule die Hauptschule. Deshalb stehen wir mit Nachdruck dahinter, wollen damit aber gleichzeitig feststellen: Wir wollen den qualitativen Unterschied zwischen Realschulabschluss und Hauptschulabschluss nicht verwässert wissen, und dies, wie gesagt, aus dem Grund, weil es andere Möglichkeiten zur Ausbildung, zur Weiterbildung und zum beruflichen Werdegang gibt.

Meine Damen und Herren, wir versuchen auf diese Weise, auch die Diskussion über das Gesamtschulsystem noch einmal aufzugreifen, ein System, das wir als FDP/DVP-Fraktion einst sogar, zumindest teilweise, befürwortet haben, nun aber ablehnen. Wie gesagt, wir wollen am dreigliedrigen Schulsystem insgesamt festhalten.

Meine Damen und Herren, es ist aber wichtig – das ist der nächste Punkt –, dass bei den Realschulen ein gewisses Profil vorhanden ist. Sie wissen ja, dass man hier ab der siebten Klasse wählen kann, zum Beispiel Französisch, was in letzter Zeit, Frau Vossschulte, sogar verstärkt gemacht wird, weil dann leichter die Möglichkeit gegeben ist, an ein weiterführendes Gymnasium mit dem Abschluss Abitur zu gehen, als wenn man zum Beispiel „Natur und Technik“ bzw. „Mensch und Umwelt“ wählt, weil da ja die zweite Fremdsprache erst noch neu gelernt werden muss.

Wir als FDP/DVP haben auch mit Nachdruck noch lange an dieser Weiterführung und dem fachgebundenen Abitur festhalten wollen. Jetzt haben wir die Übergangslösung bis zum Jahr 2002. Das heißt, alle, die damals neu auf die Realschule gekommen sind und noch nicht die zweite Fremdsprache ab Klasse 7 genommen haben, können jetzt noch das fachgebundene Abitur machen. Danach haben sie von vornherein, wenn sie wählen, eine Sicherheit. Wählen sie

eine zweite Fremdsprache – in diesem Fall Französisch –, können sie auch nachher problemlos die Weiterführung auf einem Gymnasium machen. Auch dies ist ganz wichtig. Die Realschulen brauchen ein ganz bestimmtes Profil. Somit halten wir es für sinnvoll, dass diese Wahlmöglichkeit ab Klasse 7 besteht.

Im Übrigen muss ich auch sagen: Ich habe jetzt sowohl an einer Grundschule unterrichtet als auch lange eine Klasse 9 und eine Klasse 10 an der Realschule und am Gymnasium unterrichtet. Es ist ein Unterschied, auch im Geist, an den verschiedenen Schultypen erkennbar. Das ist gut so, weil es im Grund von uns auch so gewollt ist. Aber, wie gesagt, ein bestimmtes Profil muss die Schule haben.

Das sind unsere zwei Schwerpunkte, die ich hier im Namen unserer Fraktion erläutern wollte. In der zweiten Runde wird dazu Frau Berroth auch noch etwas sagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Zeller SPD: Gut überbrückt!)

Das Wort hat Frau Abg. Lazarus.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Realschule ist der eigenständige Weg der Mitte zwischen den Bildungswegen, und entgegen anderen Bundesländern, die Haupt- und Realschulen zusammenfassen oder zusammenfassen wollen, um ein zweigliedriges Schulsystem zu schaffen, haben solche Pläne in Baden-Württemberg nie bestanden. Im Gegenteil, wir sind stolz darauf, mit der Realschule eine Schulart zu haben, die in ihrer optimalen Verknüpfung von Theorie und Praxis, von wissenschaftlichem Lehrstoff und Lebenswirklichkeit einem erheblichen Teil unserer Kinder sehr entspricht und ihnen damit auch noch beste Berufschancen ermöglicht.

Die Übergangsquote von der Grundschule auf die Realschule bestätigt diese Akzeptanz durch Schüler und Eltern. Nach einem ständigen Anstieg dieser Quote in den Siebziger- und Achtzigerjahren von zunächst 20 % steht diese jetzt ziemlich konstant bei etwas über 30 %, wenn man zumindest die beiden Stadtkreise Baden-Baden und Heidelberg herausnimmt, die etwa bei 20 % liegen.

Die CDU-Fraktion sieht diese hohe Akzeptanz in der ständig verbesserten Verknüpfung von Bildungs- und Arbeitswelt in den Realschulen begründet. So wird – ich kann nur einige Beispiele anführen – seit vier Jahren mit wachsendem Erfolg das Projekt „Wirtschaften, Verwalten und Recht“ angeboten. Dieses Projekt zeigt, wie innovationsfähig gerade diese Schulart ist. Ziel ist es dabei, im Unterricht Einsichten in wirtschaftliche Zusammenhänge, in Verwaltungsabläufe und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen zu erlangen. Dabei können die Inhalte praxisnah auch außerhalb der Schulmauern vermittelt werden. Wie sehr dieses Projekt gerade zur Realschule passt, macht deutlich, dass fast 70 % der Auszubildenden im öffentlichen Dienst Realschulabgänger sind. Zugleich wird mit einem solchen Projekt durch die direkten Einblicke in die Arbeitswelt erreicht, dass die Schüler sicherer werden, wenn es um die Berufsentscheidung oder die Entscheidung über den Besuch weiterführender Schulen geht.

Die Praxisnähe besteht für die Realschulen ganz besonders – das nehme ich einmal als Beispiel – im naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich. Von allen Schulprofilen wird dieses von den meisten Schülern gewählt. Das ist keineswegs zufällig, denn Kenntnisse in der Informationsund Kommunikationstechnik sind mittlerweile Grundlage für fast alle Berufe geworden.

Die Grundkenntnisse werden in den Realschulen in den Klassen 7 und 8 im Pflichtunterricht vermittelt und danach vertieft. Die Anwendung erfolgt im Fachunterricht, und zwar nicht nur in den Naturwissenschaften. Das wird zurzeit gerade an den Modellschulen erprobt. Ein spezielles Fortbildungsprogramm für die Lehrer hat diese rechtzeitig qualifiziert. Dass Multimedia und Internet dort inzwischen Einzug gehalten haben, ist wohl selbstverständlich.

Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkte schlagen sich dann auch unmittelbar bei der Berufswahl nieder. So sind die Realschulabsolventen unter den informations- und kommunikationstechnischen Berufen besonders gut vertreten. Es gibt sogar Spitzenwerte: Bei bestimmten systemelektronischen Berufen sind fast 90 % Realschulabsolventen.

Diese Kenntnisse können die Realschüler natürlich hervorragend beim Übergang in berufliche Schulen gebrauchen, welche auch immer dann gewählt werden. Knapp 1 % der Realschüler gehen nach der zehnten Klasse auf das allgemein bildende Gymnasium, fast 30 % auf berufliche Gymnasien – die die meisten Schüler von den Realschulen übernehmen –, und immerhin 40 % besuchen Berufskollegs. Insgesamt bleiben also zwei von drei Realschülern in weiterführenden Schulen. Von dort aus stehen ihnen dann wirklich alle Wege offen. Das ist der Vorteil unseres bewusst so durchlässig gestalteten Schulsystems.

Deshalb verwundert es auch nicht, wenn sich in den Führungsebenen von Betrieben und Verwaltungen statistisch gesehen ziemlich genau ein Fünftel Realschulabsolventen an der Spitze und sogar fast ein Viertel im mittleren Bereich finden. Das spricht für die Qualität der Realschulausbildung.

Es bleibt die Frage nach weiteren Entwicklungsmöglichkeiten, eine Frage, die ich zum Teil schon in der kurzen Situationsanalyse beantwortet habe. Es gab und gibt in dieser Schulart keinen Stillstand. Die intensive Nähe zur beruflichen Praxis zwingt ständig zur Innovation im Lernangebot. Aus Sicht der CDU-Fraktion liegt der Erfolg der Realschule in ihrer Fähigkeit, sich den Erfordernissen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandels anzupassen. Die CDU-Fraktion schätzt die oft nicht spektakuläre, aber effektive Arbeit der Realschulen.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP)

Das Wort hat Herr Abg. Wintruff.

Herr Präsident, Frau Ministerin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit nunmehr fast 15 Jahren sind etwa ein Drittel der Schüler eines Jahrgangs und deren Eltern zufrieden, wenn für sie die Grundschul

empfehlung zum Übergang in die Realschule abgegeben wurde. Die Eltern wissen, dass ihren Kindern dann eine Schulart offen steht, die den direkten Zugang zu einem mittleren Bildungsabschluss eröffnet und deren Zertifikat ihnen den breiten Zugang zur Bildung und zu einem lebenslangen Lernen bescheinigt.

(Zuruf des Abg. Rech CDU)

Unter den veränderten Qualifikationsanforderungen unserer Gesellschaft, die einen ständig wachsenden Bedarf an höheren und mittleren Qualifikationen einfordert, wissen die Eltern ihre Kinder in der Realschule in guten Händen. Der Bildungsübergang zur Realschule schafft einerseits Grundlagen für eine Berufsausbildung, die auch Berufen mit erhöhten theoretischen Anforderungen gerecht wird, und verbaut andererseits nicht den Einstieg in schulische Bildungsgänge der Oberstufe.

Die hohe Akzeptanz der Realschule kommt aber auch aus der Erkenntnis der überwiegend praxisorientierten und aufstiegsorientierten Eltern, dass die fachlich fundierte Grundbildung der Realschule kontinuierlich durch Kompetenzbereiche erweitert wurde, die heute nachgefragt werden.

Unter den allgemein bildenden Schulen hat die Realschule seit 1994 mit dem neuen Fach Technik in den Klassenstufen 5 und 6 sich als erste der Stärkung des technisch-naturwissenschaftlichen Bereichs gewidmet. Positiv geprägt wird das Bildungsprofil der Realschule jedoch auch durch den Wahlpflichtbereich ab Klasse 7 mit seinen Wahlpflichtfächern „Natur und Technik“, „Mensch und Umwelt“ oder das Erlernen einer weiteren Fremdsprache. Hier findet sich der Ausgangspunkt zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen und die Chance zu einem fächerverbindenden und fächerübergreifenden Lernangebot.

Ein weiterer Akzent liegt auf dem Berufswahlunterricht als Vorbereitung eines Einstiegs in die Arbeits- und Berufswelt. Neue Wege für die Berufsorientierung sollten durch ergänzende Betriebsbesichtigungen und Schnuppertage in den Ferien oder verstärkte Betriebspraktika von Lehrern beschritten und damit die guten Ansätze der „eindeutig als zu kurz“ beurteilten BORS-Praktikumswoche ergänzt werden.

(Abg. Zeller SPD: Sehr gut!)

Der in den letzten zehn Jahren rückläufige Übergang von Realschülern in eine Berufsausbildung des dualen Systems ging einher mit dem rapiden Abbau von Ausbildungsplätzen in den Neunzigerjahren. Ich bin überzeugt, dass beim Vorliegen eines ausreichenden, auswahlfähigen Ausbildungsplatzangebots Realschülerinnen und Realschüler wieder ihre guten Voraussetzungen hier voll einbringen werden.

Da aber in dem kommenden Jahrzehnt die Schülerzahlen weiter steigen werden, ist es unsere Pflicht, eine bedarfsgerechte Zahl von Klassen der gymnasialen Oberstufe der beruflichen Gymnasien wie auch der Berufskollegs bereitzustellen.

Es ist nicht einzusehen, meine Damen und Herren, dass neue allgemein bildende Gymnasien gebaut und bestehen

de erweitert werden, aber zusätzliche Klassen in den beruflichen Gymnasien verweigert werden, obwohl es dort zu jedem Schuljahresbeginn zu Engpässen kommt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es muss doch möglich sein, dass das Anmeldesystem so organisiert wird, dass für die Realschüler und die beruflichen Schulen mehr Planungssicherheit eintritt.

Das gleiche Dilemma finden die Realschüler beim Berufskolleg vor. Es ist ein hervorragendes Bildungsziel, dass im Rahmen der informationstechnischen Grundbildung in den Klassen 7 bis 10 den Realschülern eine Qualifikation vermittelt wird, mit der sie einen verbesserten Zugang zu den neuen Berufsfeldern in Informatik und im Medienbereich haben. Obwohl die Zahl der IT-Berufe und Medienangebote ständig wächst, wird der Bedarf nach den einjährigen Berufskollegs für Technik und Medien nicht befriedigt. So bemüht sich beispielsweise die Gewerbliche Schule Rheinfelden um das Anschlussberufskolleg für technische Kommunikation, weil der Bedarf einer ganzen Region dafür vorhanden ist.

Die Durchlässigkeit unseres Schulsystems nicht voll zu garantieren, mit gezielter Lenkung von Ausbildungsgängen bei den Berufskollegs nur umzuschichten und die beabsichtigte Einschränkung des Angebots zur Erlangung der Fachhochschulreife nicht zurückzunehmen, Frau Ministerin, bedeutet, die Chancengleichheit von Realschülern einzuschränken und die positiven Ansätze einer weiterführenden Schulart zu konterkarieren.