Protokoll der Sitzung vom 09.02.2000

(Beifall der Abg. Dr. Noll FDP/DVP und Rech CDU)

Dies ist bei den jetzt vorliegenden Beschlüssen nicht gegeben.

Das Bundesjustizministerium möchte ein Eingangsgericht schaffen, das Landgericht und das Amtsgericht zusammenfassen, also eine Stufe haben. Außerdem sollen die Rechtsmittel drastisch beschränkt werden.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist gefähr- lich! Das ist ein unmittelbarer Angriff auf den Rechtsstaat!)

In einem Flächenstaat ist es dringend notwendig, dass wir Amtsgerichte haben, dass in den einzelnen Orten auch Amtsgerichte vorhanden sind. Das ist Voraussetzung für Bürgernähe. Im ländlichen Raum ist auch die Präsenz der Justiz für eine Demokratie ein Wert an sich.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wer das in einem Flächenstaat nicht anerkennt, ist nicht bürgernah.

Das Zweite betrifft Rechtsfehler: Die Bundesjustizministerin möchte, dass die erstinstanzlichen Urteile nur auf Rechtsfehler hin überprüft werden sollen. Das ist eine massive Einschränkung. Wir können heutzutage sowohl Rechtsfehler als auch Tatsachenfeststellungen überprüfen lassen, also auch, ob Tatsachen falsch festgestellt wurden. Und das will die Bundesjustizministerin abschaffen. Sie meint, es wäre schon recht.

(Abg. Bebber SPD: Die Böse!)

(Abg. Bebber SPD: Die Böse!)

Ja, selbstverständlich! Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund, Herr Kollege.

(Zuruf des Abg. Kiel FDP/DVP)

Dann meint sie, sie müsste die erste Instanz dadurch stärken, dass sie in die erste Instanz die fähigsten Richter gibt und in die zweite die Anfänger. Meine Damen und Herren, seit wann können Anfänger Richter kontrollieren, die eine lange Berufserfahrung haben? Also, auch dieser Gedanke, dass man in die zweite Instanz die Berufsanfänger nimmt und in die erste Instanz die Fähigeren, ist völlig falsch.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Praxisfern! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Ist sie dafür überhaupt zuständig? – Heiterkeit)

Eine amputierte zweite Instanz schwächt die erste Instanz. Das wissen wir alle. Wenn über einem Amtsgericht der „blaue Himmel“ ist, ist die Qualität eines Urteils geringer.

Es gibt noch mehrere Vorschläge, die sind aber teilweise zu juristisch.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das ha- ben sie so an sich bei einer Justizreform!)

Aber ich glaube, dass es für die Öffentlichkeit viel wichtiger ist, dass keine Amtsgerichte abgeschafft werden, dass es eine flächendeckende Präsenz gibt und dass keine Rechtsmittel beschränkt werden.

Deshalb meine ich, die SPD sollte auf ihre Bundesjustizministerin einwirken, dass sie diesen geplanten Unsinn bleiben lässt.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Dringend!)

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/ DVP: Sehr gut! Dringend!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Reinhart.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich kann meinem Vorredner in vollem Umfang zustimmen.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Völlig überraschend!)

Das ist nicht immer der Fall. Aber, Herr Kollege Oelmayer und Herr Kollege Bebber, Sie müssten eigentlich an vorderster Front darauf hinwirken,

(Abg. Bebber SPD: Wir sind nicht im Krieg, Herr Kollege!)

dass die Bundesjustizministerin, die wahrscheinlich keine forensische Erfahrung in der Advokatur hat, eines Besseren belehrt wird. Deshalb fordere ich Sie auf: Wirken Sie mit, dass eine solche unsinnige und auch noch fälschlicherweise als „große Justizreform“ bezeichnete Reform unterbleibt.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Denn was ist darin vorgesehen?

Zum einen: Wir haben bei uns im Land und in der Republik die Rechtssicherheit und die Rechtsweggarantie als positive Standortfaktoren. Auch das muss man einmal betonen. Hierfür gibt es bisher höchste Wertschätzung. Die haben sich seit hundert Jahren bewährt. Dieser Reformentwurf schwächt die Rechtsstellung des Bürgers. Er baut Rechtsschutz ab und bewirkt das Gegenteil von mehr Bürgernähe. Er bedeutet Bürgerferne, obwohl in der Begründung von Bürgernähe gesprochen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Hans- Michael Bender CDU: So ist es!)

Insoweit möchte ich dem Kollegen Kiesswetter Recht geben. Eine Zusammenlegung von Amts- und Landgerichten bedeutete doch faktisch die Abschaffung der Amtsgerichte im ländlichen Raum. Derzeit haben wir alle 30 Kilometer ein Amtsgericht – in Wertheim, in Tauberbischofsheim, in Bad Mergentheim, in Buchen, in Adelsheim. Nach dem Reformentwurf würden wir unsere 106 Amtsgerichte verlieren. Wir hätten dann nur noch am Sitz des Landgerichts ein zentrales Gericht. Das wäre keine Bürgernähe.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Zweite: Es wird von Durchgangsinstanzen und einem Beschleunigungseffekt gesprochen. Durchschnittlich 4,4 Monate dauern die Verfahren bei Amtsgerichten und 6,6 Monate bei Landgerichten. Wir sind Spitze in Europa. Insoweit zieht dieses Argument nicht.

Das dritte Argument: Kostenersparnis. Wer bezahlt denn die Kosten? Die zahlt doch der Bürger über die Gerichtskosten. Wir haben durch das Aufkommen der Gerichtskosten einen Kostendeckungsgrad von 90 bis 104 %. Es ist doch nicht wahr, dass die Landeshaushalte durch die Kosten der Gerichte belastet würden, sondern Fakt ist: Nur 3 % – zu Recht erwähnt – macht der Justizhaushalt am Gesamthaushalt des Landes Baden-Württemberg aus. Baden-Württemberg ist damit übrigens Spitzenreiter. In NordrheinWestfalen liegt dieser Wert bei 5,9 %.

Fakt ist aber auch, dass wir nicht einmal 0,3 % dadurch bewegen können. Wir refinanzieren uns – übrigens gerade bei den Berufungen – durch die höheren Streitwerte und die dadurch höheren Gerichtskosteneinnahmen. Das heißt, die Rechnung ist falsch. Wir werden durch diese Reform mehr Kostenbelastung als Entlastung haben und im Übrigen weniger Einnahmen für den Staat.

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)

All das ist kontraproduktiv.

Und in der Sache selbst: Die Anwälte sind dagegen. Die Richter sind dagegen.

(Abg. Bebber SPD: Was? Wie? – Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen)

Ja, natürlich. Mittlerweile auch der Deutsche Richterbund.

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Herr Kollege Bebber und Herr Kollege Oelmayer, jetzt mal etwas zur Praxis. Jeder von uns weiß doch, Herr Kollege Junginger, was geschieht, wenn ein Richter den „blauen Himmel“ über sich hat.

(Abg. Bebber SPD: Das haben wir noch nie ge- habt: „blauer Himmel“! – Abg. Oelmayer Bünd- nis 90/Die Grünen: Das ist aber eine schlimme Un- terstellung!)

Dieser Richter wird seine Urteile eventuell nicht mit der gleichen Qualität schreiben, weil er weiß, dass ihm nichts passieren kann. Wenn aber noch eine Berufungs- und Tatsacheninstanz droht – –

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Entschuldigung, wir alle wissen, was es bedeutet, wenn zumindest die Möglichkeit des Hinweises besteht, dass man noch eine Tatsacheninstanz hat.

Das Zweite: Was heißt eigentlich Rechtsschutz für den Bürger? Wenn 50 % der Urteile in der Tatsacheninstanz der Berufung abgeändert werden, dann zeigt das doch gerade, dass die erste Instanz nicht immer die sichere Rechtssicherheit und den effektiven Rechtsschutz für den Bürger gewährleistet.

(Abg. Bebber SPD: Das ist doch ganz einfach!)