Protokoll der Sitzung vom 28.06.2000

Ein beträchtlicher Teil der Schüler fand nun im Zuge der generellen Umorientierung unserer Gesellschaft heraus, dass die Schule überhaupt nur eine der möglichen Betätigungen im Leben eines Schülers ist und dass deren Anforderungen auf möglichst rationelle und zeitsparende Weise erledigt werden sollten. Auch das halte ich für legitim, solange wir es zulassen.

(Abg. Bebber SPD: Was sagt denn die Frau Minis- terin zu diesen Sprüchen? – Abg. Zeller SPD: Das ist ein sehr merkwürdiges Bild von Schülern!)

Ein sehr realistisches, Herr Kollege Zeller. Ich habe sie selbst im Unterricht und komme gerade von einer Abiturprüfung.

Die heutige Situation ist die, dass der Wert der Grundkurse – im Bewusstsein der Schüler – gegen null sinkt und dass die Leistungen, die im Leistungskurs erbracht werden, durchaus nicht immer dem entsprechen, was man sich wünschen würde.

(Abg. Bebber SPD: Fehlt nur noch, dass Sie die Peitsche herausholen!)

Der schleichende Niveauverlust führt dazu, dass wir in den Schulen heute Leistungen haben, die durchaus nicht immer angemessen sind. Ich denke, dass daran dieses System Schuld ist. Die hohe Zahl der Studienabbrüche ist kein Ruhmesblatt für unsere Oberstufe. Von Hochschulreife oder Studienreife kann in nicht so sehr vielen Fällen die Rede sein. Die Hochschulen stöhnen unter dem mangelnden Grundlagenwissen der anrückenden Abiturienten.

(Abg. Zeller SPD: Ach!)

Dann fragen Sie sie mal.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Die Opposition greift nun diese neue Oberstufe heftig an. Da muss ich den Grünen sagen: Der Antrag, den Sie hier eingebracht haben, „Praxisgerechte Reform der gymnasialen Oberstufe“, ist so voller Fehler, dass ich mich damit nicht abgebe.

(Abg. Rückert CDU: Sechs! – Zuruf des Abg. Beb- ber SPD)

Bei der SPD stehen wir wieder vor demselben Ausgangspunkt: Der Schüler ist noch fleißiger, noch eifriger. Von normalen Schülern gehen Sie, glaube ich, überhaupt nicht mehr aus.

(Abg. Zeller SPD: Dass Schüler sich bei Ihnen nicht motiviert fühlen, ist mir klar!)

Sie fordern die Beibehaltung des Kurssystems und die Ausweitung der Wahlmöglichkeiten. Damit verstärken Sie die Fehler der Vergangenheit und tragen dazu bei, dass die im Übrigen von allen ernst zu nehmenden Institutionen geforderten gründlichen Kenntnisse in Deutsch, Mathematik und Fremdsprache noch weiter zurückgedrängt werden.

Sie sollten sich Nordrhein-Westfalen als Beispiel nehmen. Die dortige Kultusministerin hat die Mathematikarbeiten aus dem Abitur eingezogen und fiel von allen Stängeln, und das helle Entsetzen hat sie ergriffen, weil sie gemerkt hat, dass die Unterschiede katastrophal sind.

(Abg. Zeller SPD: Das liegt an den Schülern, oder wie?)

Bei uns soll das Gegenteil erreicht werden. Die Schüler sollen in den grundlegenden Fächern auf gleichem Niveau – ich hoffe, dass das deutlich höher liegt als das Grundkursniveau – unterrichtet werden.

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Es gibt keine A- und B-Kurse, Frau Rastätter, sondern es gibt einen Kurs für eine Sprache und für Deutsch und Mathematik.

(Abg. Nils Schmid SPD: Die Gesamtschule in der Oberstufe!)

Das hat mit Gesamtschule in der Oberstufe nichts zu tun, sondern das hat damit zu tun, dass Schüler in grundlegenden Fächern eine allen gemeine Bildung erhalten.

(Zuruf des Abg. Nils Schmid SPD)

Das ist auch ein Sinn von allgemeiner Bildung, dass sie allen gemeinsam ist.

(Abg. Zeller SPD: Nach Ihrem Modell sind drei unterschiedliche Leistungskurse in einer Lern- gruppe!)

In der Oberstufe, Herr Zeller, sind die Schüler 18, 19, 20 und teilweise 21 Jahre alt. Sie werden doch sehr wohl wissen, wie sie sich im Unterricht profilieren können und noch mehr dazu beitragen können, als im Durchschnitt verlangt wird.

(Abg. Zeller SPD: Das haben Sie doch gerade eben bezweifelt!)

Nein, ich habe gesagt, das System lässt dies nicht mehr zu.

(Abg. Zeller SPD: Das System ist schuld!)

Im Übrigen kopieren Sie in Ihren Eckwerten im Wesentlichen das nordrhein-westfälische Modell. Ich kann Ihnen erzählen, dass Schüler aus der 11. Klasse von hier nach Nordrhein-Westfalen gegangen sind und dort nach den Sommerferien in die 12. Klasse gekommen sind. In den Weihnachtsferien haben sie uns besucht und haben gesagt: „Wir langweilen uns in dieser Klasse 12 zu Tode, denn das haben wir alles schon in Klasse 11 gemacht.“ Das verlangen Sie.

(Abg. Zeller SPD: Wo steht denn, dass wir das verlangen?)

Verräterisch ist Ihre Forderung nach „Festigung des basalen Grundwissens“. Das ist erstens inhaltlich ein Nonsens und zweitens ein sprachlicher Popanz. Ich kann mir das nur so erklären, dass es eine Minimierung des Grundwissens bedeutet. Hätten Sie doch wenigstens von „solidem Grundwissen“ gesprochen; dann hätte man damit etwas anfangen können.

(Abg. Zeller SPD: Ich erkläre es Ihnen im Aus- schuss dann genauer!)

Danke. Darauf freue ich mich.

Weiterhin fordern Sie Informatik – in Ordnung! –, Sie fordern Technik und Wirtschaft, Sie fordern Einbezug der Berufs- und Lebenswelt, berufsqualifizierende Fähigkeiten. Komisch: Fächer, die geistige Bildung besonders fördern, kommen bei Ihnen überhaupt nicht vor. Dass man im Fach Deutsch zunächst einmal sprechen und formulieren lernen muss, dass man lesen und verstehen lernen muss, dass das die Grundlage für alles Denken ist und für die Auseinandersetzung mit den geistigen Dingen dieser Welt, das gibt es bei Ihnen nicht.

(Abg. Zeller SPD: Das gilt aber nicht nur für Deutsch! – Abg. Nils Schmid SPD: Aber nicht erst in Klasse 12! – Abg. Brechtken SPD: Es ist ein- fach gut, dass eine gescheit ist und alle anderen doof sind! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Sie müssen aber auch die Grundlagen dazu legen. Selbst in Klasse 12 sind die Schüler heute leider noch nicht in der Lage, einen Text richtig zu verstehen.

(Abg. Nils Schmid SPD: Das liegt aber nicht an der Oberstufe! – Abg. Brechtken SPD: Frau Kolle- gin, eine ist gescheit und alle anderen sind doof!)

Entschuldigen Sie, es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die diese Oberstufe herbeisehnen. Nur die SPD in BadenWürttemberg lehnt sie ab. Andere Länder sind da schon sehr viel weiter.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Welche?)

Ihre Forderung nach immer mehr im Lehrplan und nach immer anderem entspricht natürlich Ihrer Forderung nach

basalem Grundwissen. Denn nur auf Kosten der Allgemeinbildung kann das geschehen, oder alles bleibt wirklich elendiglich basal, und damit kann niemand mehr etwas anfangen. Nordrhein-Westfalen lässt grüßen. Meine Damen und Herren, damit können Sie keine Eliten und keine Führungskräfte heranbilden, und die brauchen wir dringend. Was Sie damit produzieren, sind Halbbildung und Dilettantismus.

(Beifall bei der CDU)

Sie fordern vermehrte Projektarbeit, Teamarbeit, selbstständiges Arbeiten, fächerübergreifendes Arbeiten. Herr Kollege Zeller, wann waren Sie zum letzten Mal in einer Schule?

(Unruhe bei der SPD – Abg. Zeller SPD: Zu Ihrer Information: wöchentlich mehrmals!)

All das wird heute gemacht. Sie nehmen die Situation nicht wahr. Sie sprechen ja heute noch vom Frontalunterricht. Offensichtlich wissen Sie nicht, was das ist; denn den gibt es schon lange nicht mehr.

(Lachen bei der SPD und der Abg. Renate Rastät- ter Bündnis 90/Die Grünen)

Ja, den gibt es nicht mehr! Heute steht kein Lehrer mehr vor einem Schüler und hält einen Vortrag von einer Dreiviertelstunde. Das ist Frontalunterricht.

(Unruhe)

Heute wird Unterricht fragend entwickelt, und das ist ein ganz anderer Unterricht.

(Beifall bei der CDU – Unruhe – Glocke des Präsi- denten)

Sie übersehen die gegenwärtige Situation,