Wenn Sie die Lehrpläne noch nicht im Internet gesehen haben, so sage ich Ihnen: Sie sind in der Vorbereitung mindestens so weit wie die ganze Frage der Strukturen.
Das Ganze hat seinen inneren Zusammenhang. Immer wieder ist an Schulen gesagt worden: Es ist richtig, dass Schwerpunkte gesetzt werden können, aber es ist für uns ein Problem, in einem System, das nur die Gruppe für drei oder fünf Stunden kennt, das zu verwirklichen, was schon jetzt in den Lehrplänen steckt.
Ich möchte da gern an etwas erinnern, auch wenn ich damals noch nicht dabei war: 1994 sind in Baden-Württemberg für das Gymnasium Lehrpläne eingeführt worden, von denen man überall gesagt hat, übrigens auch quer durch die Parteien hier: Das sind die modernsten Lehrpläne in Deutschland, weil hier erste Ansätze für fächerübergreifendes Arbeiten da sind, erste Ansätze da sind, nicht alle Fächer von unten nach oben, sondern jahrgangsbezogen zu gliedern. Genau die Erfahrung im Umgang mit diesen Lehrplänen hat gezeigt: Wenn ich so etwas will, wenn ich mehr Lernen in der Zusammenschau will, wenn ich mehr fächerübergreifendes Lernen will, dann muss ich auch Strukturen schaffen, die es mir möglich machen, diese Ansätze zu verfolgen.
Jetzt sind wir in der Phase, in der wir aus den Erfahrungen mit einer Menge neuer Lernansätze strukturelle Konsequenzen für eine Oberstufe ziehen, die aufgrund der jetzigen Struktur sehr fachbezogen ist und nur ganz wenig berücksichtigt, dass in dieser Phase das Fächerübergreifende und das Interdisziplinäre wichtig sind.
Es ist ein Schritt von mehreren in einer Abfolge, einer Abfolge übrigens, bei der vor der Stärkung der Naturwissenschaften in der Oberstufe die Einführung des naturwissenschaftlichen Profils in Baden-Württemberg stand. Es stimmt doch nicht, dass wir oben anfangen. Wir haben unten angefangen. Wir haben das praxisorientierte Fach Naturphänomene, das naturwissenschaftliche Praktikum eingeführt. Wir haben mit diesem Praktikum Erfahrungen gesammelt. Jetzt steht die Frage an, ob dieses Praktikum verbunden wird mit einer Kernfachbindung. Es ist auch die
Frage, inwieweit wir das naturwissenschaftliche Profil in der Sekundarstufe I so stark machen wie das sprachliche Profil.
Also, ich finde es schon ein starkes Stück, wenn man als Bildungspolitiker das alles überhaupt nicht wahrnimmt, überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt, auch nicht die Entwicklungsleistungen, die in den Schulen damit verbunden sind, sondern die immer gleiche alte Leier vorbringt, die Sie seit zwei Jahren an jeder Stelle unentwegt wiederholen.
Vierter Punkt: Dieser Punkt wird in den nächsten Jahren spannend. Darauf freue ich mich schon. Wir sind uns alle einig, was die Lehrpläne angeht: weniger Themen, weniger Details, mehr Grundlagen, mehr Zusammenhänge. Was steht hier? Überflüssiges Faktenwissen muss weg – eine sehr verräterische Formulierung.
Ich habe die Devise ausgegeben: Versucht einmal, Lehrpläne so weiterzuentwickeln, dass zwischen 30 und 50 % detaillierter Inhalte wegfallen zugunsten von Vertiefung, von Zusammenschau, von Brückenschlag zwischen Fächern. Denken Sie nur an den ganzen Bereich der Kulturwissenschaften. Wir werden uns im Gymnasium über kurz oder lang zu sehr viel mehr Verbindungen zwischen Geschichte, Gemeinschaftskunde, Sozialkunde, Ökonomie, Erdkunde und dem, was in diesen Bereich sonst noch gehört, hinbewegen.
Es sind Fachgruppen gebildet worden, denen Vertreter des Landeselternbeirats, der Schüler, von Fachverbänden und Hochschulen angehören. Die Entwürfe werden nicht eher verabschiedet, bis das gelungen ist. Das ist ein Kernstück dieser Oberstufe, und es wird ein Kernstück in der Weiterentwicklung des Gymnasiums. Aber es glaubt doch wohl niemand hier im Raum, dass dies ganz leicht wird. Wir werden erbittert kämpfen um dieses und jenes Thema, um diese Epoche und jenen Namen, um die Frage, ob die Zeit von Bismarck in genügendem Umfang behandelt wird. Es wird riesige Auseinandersetzungen geben. Dann wünsche ich mir, dass nicht alle in die Büsche gehen, sondern alle aus den Büschen herauskommen. Dann stehen wir einmal gemeinsam dazu,
dass wir etwas Konzentriertes wollen, womit ein Fundament gebildet wird, die Grundlage gestärkt wird und das andere wegfällt. Das wird die ernsthafteste und die schwierigste bildungspolitische Debatte, vor der wir eigentlich stehen.
Es gibt in dieser Gesellschaft in Wirklichkeit doch überhaupt keinen Konsens darüber, was gelernt werden soll, wie gelernt werden soll und was der Kanon ist, auf den wir setzen müssen und der zum Abitur gehört. Dieser Konsens muss hart erarbeitet werden. Demgegenüber wird jede Debatte über Grund- und Leistungskurse nachrangig sein. Nur: Wenn ich die strukturellen Voraussetzungen nicht schaffe, kann ich die anderen Debatten nicht führen.
Im Herbst 2001 ist das fertig. Wir werden noch genügend Arbeit zu bewältigen haben, um das gemeinsam so auf den Weg zu bringen, dass am Ende gesagt wird: Das ist ein Wurf, das sind Lehrpläne, die zeitgemäßem, modernem Lernen gerecht werden.
Fünfter Punkt: „Arroganz der Macht“, „Durchpeitschen“ und das ganze Vokabular, das Sie unentwegt und mit fortschreitender Zeit auf den 25. März 2001 hin benutzen, werde ich nun täglich zu hören bekommen. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich weiß nicht, welche Vorstellung Sie vom Tempo in der Politik haben.
Seit Jahren wird über bestehende Schwachstellen in dem System diskutiert. Seit Jahren wird von allen möglichen Seiten geklagt. Wir haben nicht global gesagt: Das ganze System ist Mist. Vielmehr haben wir mit Hochschulen, auf der Grundlage einer Umfrage unter Studierenden, mit Personalleitern aus Unternehmen im Detail analysiert. Die Bundesdirektorenkonferenz der 16 Bundesländer hat sich bei ihrer Jahressitzung vor einem Jahr mit 16 : 0 Stimmen dafür ausgesprochen, die Oberstufe so neu zu ordnen, wie sie bei uns neu geordnet ist – 16 : 0 Stimmen!
Denen geht es so ähnlich wie Ihnen. Die kommen nicht aus den Büschen heraus; sie haben auch ein anderes Verständnis von Tempo.
Die wollen wahrscheinlich auch ganz unten anfangen. Ehe sie dann oben sind, sind wir 20 Jahre weiter, und man kann das Abitur in Deutschland endgültig wegwerfen, wenn man sich an einer ausländischen Universität bewirbt.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Sie erwecken unentwegt den Eindruck, es werde alles schwerer, die Noten würden schlechter und die Baden-Württemberger bekämen keine Studienplätze mehr. Sie raten mir, mich an Hamburg zu orientieren. Das ist ein Treppenwitz. Das Allerletzte, woran man sich in Deutschland in der Bildungspolitik orientieren kann, ist Hamburg.
Als Rheinländerin tut es mir ja in der Seele weh, aber auch mit Nordrhein-Westfalen ist das so eine Geschichte. Auch dies ist nicht gerade unser Vorbild,
wenngleich Frau Behler sehr wohl erkannt hat, wo die Schwachstellen liegen. Und weil sie erkannt hat, wo die Schwachstellen liegen, deshalb führt sie immer mehr zentrale Elemente ein,
Aber jetzt zur Sache: Sie wissen, weil ich es im Schulausschuss schon mehrfach gesagt habe, dass wir in BadenWürttemberg seit vielen, vielen Jahren mit die besten Abiturnotendurchschnitte in Deutschland haben, obwohl dieses Abitur schon jetzt ein Zentralabitur und ein anerkanntes Abitur ist.
Sie wissen genauso gut wie ich – jeder, der pädagogisch wirkt, weiß das –: Wenn andere Formen des Lernens eingeführt werden, wenn andere Anforderungen gestellt werden, dann führt das nicht zu Leistungsabfall, sondern es führt im Zweifelsfall dazu, dass mehr erbracht wird und dass mehr Motivation da ist.
Sie wissen auch, dass die Studienplätze, die nicht über die ZVS vergeben werden, zunehmend nicht einfach nach einem Notendurchschnitt vergeben werden, sondern dass die Entwicklung in eine ganz andere Richtung geht; das haben wir hier auch ausdrücklich gefördert. Die Voraussetzungen werden von unseren Universitäten, unseren Hochschulen transparent gemacht, eigene Aufnahmeverfahren werden entwickelt. Das heißt auf gut Deutsch: Die Chancen badenwürttembergischer Abiturientinnen und Abiturienten
werden bei solchen Vergabeverfahren größer und nicht kleiner werden. Das sollten Sie den jungen Leuten sagen und nicht zusätzlich Verwirrung stiften.