Protokoll der Sitzung vom 20.07.2000

Das Wort hat Herr Abg. Dr. Caroli.

(Große Unruhe)

Herr Dr. Caroli, Sie haben das Wort.

(Abg. Bebber SPD: Ihre Ministerin traut sich nicht! – Zuruf von der SPD: Kläre das mit Dobel!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich meine, wir sollten bei dieser Diskussion ein gewisses Niveau wahren. Ich werde mich jedenfalls bemühen, den Pegel wieder anzuheben.

Auf was es uns, meine Damen und Herren, im Besonderen ankommt, und da liegt auch unser Vorwurf begründet: Sie,

die Damen und Herren von der Landesregierung, haben durch das Verfahren, das Sie gewählt haben, unnötigerweise Verärgerung und Verunsicherung in nahezu allen Gemeinden von Baden-Württemberg herbeigeführt.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben damit zugleich dem Naturschutz in unserem Land geschadet, weil dadurch die Akzeptanz zwangsläufig abnehmen muss.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle möchte ich einen neuen Aspekt in die Diskussion bringen. Im ebenfalls dicht besiedelten und hoch industrialisierten Land Holland wurden 20 % der Landesfläche angemeldet,

(Abg. Scheuermann CDU: Wie viel Wasser? – Abg. Hauk CDU: Wie viel Watt?)

in Dänemark 25 %,

(Abg. Hauk CDU: Wie viel Wattenmeer?)

in der Toskana 15 %. Jetzt können Sie mit Ihrem Wasser kommen, Herr Scheuermann.

Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren: Warum? Ganz einfach: Diese Länder schielen in kluger Voraussicht auf die Förderkulisse der EU in fünf oder sechs Jahren.

(Zuruf Abg. Dr. Carmina Brenner CDU)

Dies wurde leider bei dem Vorgehen in Baden-Württemberg auch nicht bedacht. Sonst hätte man bei ausreichendem Dialog, wie es in Bayern geschah, zunächst einmal eine Kulisse erarbeitet, die nachher auch für die Landwirtschaft eine Chance bedeutet hätte, und wäre dann im Dialog mit den Gemeinden zur genauen Abgrenzung gekommen und hätte ausreichend aufgeklärt, nämlich zum Beispiel darüber, dass sehr wohl die bestehenden Nutzungen aufrechterhalten bleiben können, dass selbst Investitionsvorhaben teilweise oder vollständig durchgeführt werden können, wenn diese dem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen. Darüber hätte sehr ausführlich aufgeklärt werden müssen. Dies wurde von der Landesregierung ebenfalls versäumt.

Meine Damen und Herren, was passiert denn jetzt? Man muss sich einmal vorstellen, jetzt geht die Landesregierung dran und arbeitet diese Riesenhaufen ab. Ich weiß jetzt nicht, wie viele Monate ins Land gehen.

(Zuruf von der CDU)

Ich kann auch sagen: Berge oder Waschkörbe. – Dann kommt etwas, was genau den gleichen Prozess wieder in Gang setzt: Die genauere Gebietsabgrenzung wird nämlich – es gibt bisher gar keine parzellenscharfe Abgrenzung – erst bei der Aufstellung der Managementpläne berücksichtigt.

Sie müssen im Anschluss Managementpläne erstellen. Stellen Sie sich vor: Bislang war man unzureichend vorbereitet, nachher kommen die Managementpläne, und erst dann werden die Gemeinden merken, was wirklich gemeint war.

Dann bekommen Sie genau die gleichen vollen Waschkörbe wieder. Da kann ich nur sagen: Missmanagement hoch zehn. Die Landesregierung hat in einer wichtigen Strukturaufgabe vollständig versagt. Sie gefährdet die Landesinteressen dadurch, dass wir aufgrund des Versäumnisses womöglich Strafe zahlen müssen, und vor allem bereitet sie eine Förderkulisse durch die EU vor, die dem Land zum Schaden gereichen kann. Insofern kann man nur sagen: Dies ist ein Feld, das die Landesregierung so unzureichend bearbeitet hat, dass man sich für das Land Baden-Württemberg eigentlich schämen müsste.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Das Wort hat Herr Abg. Hauk.

Herr Kollege Caroli, ich frage mich schon, welches Naturschutzverständnis Sie haben, wenn Sie Naturschutz nur dann betreiben, wenn von der EU gerade Geld fließt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Sie leisten da fast einen Offenbarungseid.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der gesamten Diskussion um die FFH-Richtlinie dürfen wir doch keinen Rückfall in einen rein konservierenden, statischen Naturschutz erleiden. Verfolgen wir doch einmal alle Vorhaben von größerer Bedeutung. Wie ist die Diskussion bei Ihnen immer wieder angelegt? Sie führen die FFH-Richtlinie immer dann an, wenn es rein um die Konservierung einer bestehenden Nutzungsform geht, und lehnen sie generell immer dann ab, wenn es andere Pläne gibt, die Gebiete auch weiter- und fortentwickeln können. Dazu dient die Richtlinie eben gerade nicht. Ihre Lippenbekenntnisse höre ich wohl. Herr Kollege Kretschmann, ich nehme Sie beim Wort: Schutz durch Nutzung,

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Stra- ßenbau ist damit aber nicht gemeint!)

auch integrativ. Jetzt kommen wir zum Thema. Sie sagen, Straßenbau sei damit nicht gemeint. Herr Kollege Kretschmann, das würde ich so allgemein eben nicht sagen. Es kommt nämlich darauf an, was das Erhaltungsziel für das jeweilige Gebiet ist. Dazu muss der Straßenbau nicht widersprüchlich sein.

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Es gibt keine Organismen, die sich an Teerstraßen an- gepasst haben!)

Er muss nicht deshalb zwangsläufig widersprüchlich sein. Die Erweiterung eines Gewerbegebiets muss doch nicht widersprüchlich sein.

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Die Straße als ökologische Nische ist noch nicht erfun- den!)

Mich wundert es, wenn Sie sogar Flugplatzfelder – –

Herr Abg. Hauk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Reddemann?

Aber gerne, wenn sie nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Herr Abg. Reddemann, Sie haben das Wort.

Herr Hauk, teilen Sie mit mir die Auffassung, dass schon der frühere Umweltminister Harald B. Schäfer die FFH-Richtlinie hätte umsetzen müssen?

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Das hat er doch schon vorhin gesagt!)

Herr Kollege Reddemann, Sie haben völlig Recht: Schäfer hatte vier Jahre Zeit und hat in dieser Angelegenheit nichts, aber auch gar nichts getan.

Herr Kollege Kretschmann, ich muss Ihnen dazu sagen: Sie müssen sich schon genauer damit beschäftigen. Letztendlich kommen jetzt auch Ihre wahren Ziele ans Licht: Sie wollen die FFH-Richtlinie als ein Verhinderungsinstrument gegen die Wirtschaft und gegen die Weiterentwicklung der Städte und Gemeinden haben.

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Das ist überhaupt nicht wahr!)

Das ist sie gerade nicht.

(Beifall bei der CDU – Abg. Renate Thon Bünd- nis 90/Die Grünen: Das hat er doch nicht gesagt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Naturschutz geht es darum, zu einer Nachhaltigkeit zu kommen. Dies muss keine reine Flächennachhaltigkeit sein. Das ist Ihr statischer Ansatz. Es muss keine reine Flächennachhaltigkeit sein. Sie haben vorhin zu Recht auf den Reichtum der Natur hingewiesen. Reichtum muss sich nicht auf Gebiete und Gebietsquoten beschränken. Herr Kollege Caroli hat vorhin gesagt, Dänemark habe 15 %, die Toskana 20 % etc. Landesfläche angemeldet. Das mag ja alles richtig sein, Herr Kollege Caroli.

(Zuruf von der SPD: Es war umgekehrt!)

Klar ist aber eines: Die Richtlinie gibt keinerlei Gebietsquoten vor, und diese würden wir uns auch nicht oktroyieren lassen.

(Beifall des Abg. Göbel CDU)

Die Verhältnisse sind doch viel zu unterschiedlich. Wir leben doch im dichtest besiedelten Land der Europäischen Union. Man kann nicht mit einem Maßstab über alle Länder hinweg arbeiten. Gerade das bedeutet eine besondere Herausforderung für einen integrativen Naturschutz. Der Mensch ist Teil der Natur, dazu bekenne ich mich doch. Herr Kollege Kretschmann, ich will den Menschen vom Reichtum an der Natur nicht ausschließen. Es hat überhaupt keinen Wert: Sie machen zum Teil eine Naturschutzpolitik, die den Menschen ausgrenzt.

(Widerspruch von der SPD)