Protokoll der Sitzung vom 05.10.2000

Jetzt frage ich mich: Wenn man schon nach Berlin schaut und sagt „Es ist prima, wie die das machen“, warum nimmt man dann nicht wenigstens den Ansatz, Herr Minister? Von Berlin lernen, heißt siegen lernen.

(Unruhe bei der CDU – Abg. Wieser CDU: Sie ha- ben einen ganz roten Kopf bekommen!)

Deshalb hoffe ich – Sie können sich den Antrag ja noch zu Gemüte führen –, dass wir, wenn wir diesen Antrag beraten, tatsächlich beim Thema Public Private Partnership in Baden-Württemberg ein Stück weiterkommen.

Das zweite Versäumnis, das wir Ihnen vorwerfen, ist, dass Sie bei diesem ganzen kommunalen Agenda-Prozess, der jetzt in vielen Kommunen stattfindet, nicht den kleinsten Beitrag dazu leisten, dass über die ökologische Dimension, über die soziale Dimension, über die ökonomische Dimension auch die Eine-Welt-Dimension Berücksichtigung findet.

Allein die Transferstelle der Landesregierung zu diesem Projekt ist umweltorientiert – und nur umweltorientiert. Sie haben es schlicht versäumt, die Konsequenzen aus Rio zu ziehen, die auch in der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen wurden. Sie haben es versäumt, den Eine-WeltGedanken in diese Bürgerbewegung der kommunalen Agenda einzuspeisen.

(Abg. Wieser CDU: Und in Ihrem Papier?)

Deshalb fordern wir Sie auf, jetzt einen Schritt dahin gehend zu tun, dass Entwicklungszusammenarbeit in der Praxis auf die Ebene der Kommunen verlagert wird. Wir kommen nicht wirklich weiter, wenn es nicht gelingt, das Thema der einen Welt aus den kleinen Zirkeln der Kirchen oder der Gruppen der Entwicklungszusammenarbeit herauszulösen und zu einem wirklichen bürgerschaftlichen Engagement zu machen.

Wir schlagen in diesem Zusammenhang vor, ein Projekt „Eine Mark für die Dritte Welt“ aufzulegen, mit dem Städte und Gemeinden angehalten werden, eine Mark pro Einwohner für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen, und zwar Jahr für Jahr, und dass das Land aus seinen Mitteln die Hälfte dieses Programms trägt. Das wäre ein Gemeinschaftsprogramm von Land und Kommunen, um wirklich Fortschritte in der Umsetzung der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen. Wir sind auch der Meinung, dass es nachhaltig ist, wenn dies dann zu kommunalen Partner

schaften führt, zu Partnerschaften zwischen bürgerschaftlichen Institutionen bei uns und in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit.

Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt nennen, auch vor dem Hintergrund der Debatte heute Morgen: Wir sollten mehr dafür tun, dass es zu Eine-Welt-Begegnungen kommt und dass junge Menschen die Gelegenheit haben, die Lebensbedingungen in Entwicklungsländern selbst zu erleben, persönliche Bekanntschaften zu machen, um dann zurückzukommen und als Multiplikatoren für das Verständnis dieser einen Welt zu wirken. Wir sollten nicht nur Experten in die Entwicklungsländer schicken, sondern auch Begegnungen ermöglichen.

Es wäre mit einer geringen Anhebung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit möglich, unter Zusammenarbeit der Kommunen und Nichtregierungsorganisationen ein Programm für Eine-Welt-Begegnungen aufzulegen. Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, den wir noch beraten werden, in dem wir elf konkrete Punkte vorschlagen.

Ich hoffe, dass es uns gelingt, noch in dieser Legislaturperiode wenigstens einige neue Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit auf den Weg zu bringen. Denn mit dem, was wir zu diesem Thema in dieser Legislaturperiode erlebt haben, können wir nicht zufrieden sein.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Buchter.

Endlich, Herr Präsident, meine Damen, meine Herren, die seit langem ausstehende Generaldebatte zur Entwicklungspolitik hier im Landtag. Die Globalisierung – das können wir heute konstatieren – hat einige Länder aus der Armutsspirale herausgeholt, andere aber haben jetzt noch größere Probleme als zuvor. Das heißt, in dem Verhältnis zwischen Nord und Süd hat es Veränderungsprozesse gegeben. Deswegen muss die Landesentwicklungspolitik darauf auch reagieren. Wir sind der Meinung: Daran, dass es nach wie vor Länder und Menschen gibt, denen jegliche Entwicklungsperspektive verwehrt ist, müssen wir unser Engagement messen und auch ausrichten.

Der wichtigste Schlüssel zur Entwicklung, meine Damen und Herren, ist die Bildung. Keine Entwicklung ohne Bildung. Dies hat auch Bundesministerin Wieczorek-Zeul erkannt

(Abg. Schmiedel SPD: Gute Frau!)

und zum ersten Mal seit 1992 die zuständigen Minister für Entwicklungszusammenarbeit zu sich gerufen. Das war am 5. Juli dieses Jahres. Alle Bundesländer waren vertreten, mit Ausnahme von Baden-Württemberg.

(Abg. Wieser CDU: Und der Bundeskanzler spricht auch nicht mit ihr!)

Jetzt will ich Sie, Herr Döring, fragen: Stimmt es, dass Sie, wie es hieß, gegenüber dem BMZ dieses Treffen als nicht wichtig eingestuft haben? Dafür hätte ich gerne von Ihnen eine Begründung.

Als Zweites würde ich gerne von Ihnen wissen: Haben Sie die bisherige Linie des Landes Baden-Württemberg, und zwar in Abstimmung mit den anderen Bundesländern, in eigener Selbstvollkommenheit aufgekündigt? Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Ergebnisbericht der Konferenz der Ministerpräsidenten 1998 in Bonn:

Zweitens: Die Regierungschefs der Länder appellieren an die Bundesregierung, die Länder bei der Entwicklungszusammenarbeit mit ausländischen Partnern mit ihren Erfahrungen und Möglichkeiten noch stärker als bisher in die konzeptionellen Überlegungen einzubeziehen und die Kohärenz von Entwicklungspolitik und Außenwirtschaft zur Sicherung nachhaltiger Entwicklung zu fördern.

Was also, Herr Minister Döring, ist nun die Linie der Landesregierung? Wollen Sie die Kooperation mit dem Bund bei der Entwicklungszusammenarbeit oder nicht?

Einen weiteren Punkt sollten Sie hier auch noch klären: Neben der entwicklungspolitischen Arbeit in Bezug auf Bildung ging es bei diesem Treffen auch um die Public Private Partnership, also die Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft, einem zwar jungen, aber sehr zukunftsträchtigen Feld der Entwicklungszusammenarbeit. Hier können wir feststellen: Wenn Baden-Württemberg nicht dabei ist, wenn Maßnahmen zu dieser Partnerschaft ergriffen werden, sind wir Zaungast. Ausgerechnet der Wirtschaftsminister schaut hinten drein, wie praktisch versucht wird, die Wirtschaft einzubinden. Das kann ich mir nicht erklären. Ich glaube, da liegt eine krasse Fehleinschätzung der Bedeutung des Treffens von Ihrer Seite vor, Herr Minister.

Jetzt noch kurz zum Rückblick: Ich glaube, man muss dem Kollegen Schmiedel völlig Recht geben. Herr Minister Döring, bei Ihrer Entwicklungspolitik fällt auf, dass nichts auffällt. Das ist das Dramatische.

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Ich nenne ein paar Stichworte dazu:

Zunächst das Leitbild. Stand 1992: Veränderungsprozesse wurden nicht berücksichtigt. Wir haben zwei Jahre lang die Debatte hier ausfallen lassen. Es wäre dringend notwendig, endlich von Ihnen zu hören, was Sie denn, bitte schön, zukunftsträchtig als Ihre Entwicklungspolitik definieren. Bisher Fehlanzeige bei der Nachhaltigkeit, zu der wir seit Rio verpflichtet sind. Dazu ist auch nichts zu hören gegenüber den Ländern des Südens.

Zum Haushaltsvolumen: Die 0,025 % wurden vom Kollegen Schmiedel schon genannt. Herr Kollege Glück, Sie irren. Baden-Württemberg ist nicht mehr Spitze in Bezug auf die Länder.

(Abg. Schmiedel SPD: Schon lange nicht mehr!)

Ich lese es Ihnen konkret vor: 1999 Nordrhein-Westfalen 29 Millionen DM und Baden-Württemberg 20 Millionen DM. Die Situation wird sich noch verschärfen. Allein für das kommunale Engagement gibt Nordrhein-Westfalen von Landesseite schon 6,5 Millionen DM aus. Das ist ge

nauso viel, wie Minister Döring, dem federführenden Ressort überhaupt zur Verfügung steht.

(Abg. Schmiedel SPD: Zur Abwicklung von Pro- jekten!)

Da sehen wir, dass die Schere immer krasser auseinander klafft und Baden-Württemberg längst seinen Spitzenplatz verloren hat.

Zur Neukonzeption: Dazu ist bisher von Ihnen, Herr Döring, nichts angekündigt. Tatsächlich erhalten wir von Ihnen ständig Konsolation. Aber mit Trost und Beruhigung fangen wir hier nichts an.

Zur Länderkooperation: Das ist seit 1997 angedacht. 1998 haben die Ministerpräsidenten das vorhin zitierte Papier verabschiedet. Nur frage ich mich, was Baden-Württemberg, was Sie in Bezug auf Kooperation bisher gegenüber den anderen Ländern getan haben, außer dass Sie nicht an Treffen teilnehmen, und wo wir die Federführung bei einzelnen Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit übernehmen wollen.

Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit – the never ending story.

(Zuruf des Abg. Deuschle REP – Abg. Haas CDU: Schwätzen Sie mal alemannisch statt englisch!)

Tatsächlich tritt diese Stiftung draußen mehr als Klub auf denn als eine entwicklungspolitisch ernst zu nehmende Institution.

Die Stärkung der Nichtregierungsorganisationen wird immer wieder in Papieren gefordert. Damit stimmen wir völlig überein. Aber, bitte schön, was hat man denn bisher getan? Sie, Herr Döring, haben in Ihrer Amtszeit den Etat fast auf null heruntergeführt, jetzt, wo der Wahlkampf bevorsteht, werden wieder ein paar Mark aufgelegt,

(Abg. Schmiedel SPD: Brosamen!)

damit die NGOs zufrieden sind.

Oder gar Burundi – da spreche ich Sie alle an, meine Damen und Herren. Wir haben eigentlich eine Partnerschaft mit Burundi. Nur: Was passiert dort?

(Abg. Deuschle REP: Nichts! – Zuruf des Abg. Wilhelm REP)

Die Verhältnisse in Burundi sind dramatisch.

(Abg. Wieser CDU: Und der Bund holt seinen Botschafter zurück!)

Der Bund hat seinen Botschafter zurückgeholt. Es gab auch ein Schreiben. Das können wir noch einmal privat bereden. Ich bin dankbar, wenn wir da gemeinsam initiativ werden. Da haben wir überhaupt keinen Dissens, Herr Kollege Wieser.

Ich will darauf hinaus: Wenn uns seitens des Parlaments und auch seitens der Regierung die Hände gebunden sind, weil dort nach wie vor ein nicht rechtmäßiger Präsident das Zepter in der Hand hat, ist es zwingend notwendig, die Nichtregierungsorganisationen zu stärken, weil es unter

halb der Ebene von Regierung und Parlament eben auch noch Bürger und Bürgerbedürfnisse gibt. Die Nichtregierungsorganisationen könnten weiterhin kontinuierliche Hilfe in diesen schwierigen Situationen gewährleisten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aber auch hier bisher nichts, ganz zu schweigen von dieser kommunalen Entwicklungszusammenarbeit, den zitierten 50 Pfennig, die in Nordrhein-Westfalen seitens des Landes draufgegeben werden können, wenn die Kommune die restlichen 50 Pfennig gibt. Das halten wir für ein weiterführendes Konzept, aber bisher bei Ihnen nur Nachdenken und keine Entscheidungen.