Protokoll der Sitzung vom 25.10.2000

Wir stimmen zunächst ab über die Beschlussempfehlung. Der Ständige Ausschuss empfiehlt in Abschnitt I Kenntnisnahme und in Abschnitt II, verschiedene Anträge für erledigt zu erklären. Wird dem widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist einstimmig so beschlossen.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, ihren Antrag Drucksache 12/5132 an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Ich darf formlos Zustimmung zu der Überweisung feststellen.

Damit ist Punkt 4 der Tagesordnung erledigt.

(Stellv. Präsident Weiser)

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Mittelstandsförderung – Drucksache 12/5615

Das Wort zur Begründung hat Herr Staatssekretär Dr. Mehrländer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Baden-Württemberg hat im Jahr 1975 als eines der ersten Bundesländer ein Mittelstandsförderungsgesetz erlassen. Es war aber nicht so, dass mit diesem Gesetz die Förderung des Mittelstands in Baden-Württemberg erfunden wurde. Persönlichkeiten wie Ferdinand von Steinbeis in Württemberg oder Heinrich Meidinger in Baden standen schon im 19. Jahrhundert für eine zukunftsgerichtete und an den Bedürfnissen des Mittelstandes orientierte Gewerbeförderung. Gleichwohl hatte damals der Landtag mit dem Mittelstandsförderungsgesetz die staatliche Förderung durch folgende Punkte auf eine neue Grundlage gestellt:

Die Förderung der mittelständischen Wirtschaft wurde mit Gesetzesrang zur staatlichen Daueraufgabe erhoben. Parlament und Landesregierung bekannten sich durch das Gesetz deutlich zu ihrer Verantwortung für die Förderung der mittelständischen Wirtschaft. Das Gesetz dokumentierte die Bedeutung der mittelständischen Struktur der Wirtschaft unseres Landes.

Meine Damen und Herren, das Mittelstandsförderungsgesetz hat sich im Lauf der Jahre bewährt. In den 25 Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes flossen insgesamt über 5 Milliarden DM in die Mittelstandsförderung. Mit diesen Geldern wurde der Nachwuchs an Fachkräften in kleinen und mittleren Unternehmen gesichert, wurden Existenzgründungen und Betriebsübernahmen gefördert, wurde Hilfestellung bei der Anwendung neuer Technologien und bei der Erschließung neuer Märkte geleistet. Nicht zuletzt konnte damit insbesondere Kleinbetrieben aus Handwerk, Handel, Industrie, Gastronomie und freien Berufen bei der Lösung ihrer Probleme geholfen werden.

Meine Damen und Herren, der vom Wirtschaftsminister eingesetzte Initiativkreis „Mittelstand und Handwerk 2000“ hat in seinen Empfehlungen 1998 eine Novellierung des Gesetzes vorgeschlagen und dabei auch konkrete Vorschläge für Änderungen gemacht. Die Anregungen des Kreises waren nach unserer Auffassung gut begründet. Die Landesregierung hat sie unter der Leitlinie, die Grundsätze der Mittelstandsförderung zu aktualisieren und das Förderinstrumentarium dem Strukturwandel anzupassen, im vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffen.

Der Entwurf für ein neues Mittelstandsförderungsgesetz stellt erstmals die Schaffung mittelstandsgerechter Rahmenbedingungen als wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe dar. Hierzu zählen im Einflussbereich des Landes insbesondere die Themen Privatisierung und Vorschriftenabbau. Die öffentliche Hand bekennt sich in Form eines Programmsatzes zur Privatisierung und Deregulierung als Daueraufgabe.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Hierzu gehört auch, dass sich die öffentliche Hand in ihrer wirtschaftlichen Betätigung stärker als bisher zurückhält. Grundsatz ist, dass der Staat nur dort wirtschaftlich tätig werden soll, wo er dies besser und wirtschaftlicher als private Unternehmen kann.

Ferner soll künftig die Förderung der freien Berufe ausgeweitet werden. Die freien Berufe, meine Damen und Herren, sind einer der dynamischsten Wirtschaftsbereiche überhaupt. Um das hier vorhandene hohe Arbeitsplatzpotenzial noch besser erschließen zu können, soll die bisherige Begrenzung der Förderung auf die in der Wirtschaft tätigen freien Berufe entfallen. Vorgesehen ist, dass in Zukunft alle freien Berufe, das heißt zum Beispiel auch die Heilberufe, gefördert werden können.

Meine Damen und Herren, neu ist im Entwurf des Gesetzes eine Festlegung der wichtigsten Förderbereiche in Kernbereiche, so zum Beispiel in den neuen Kernbereich „Existenzgründungen und Betriebsübernahmen“. Der Entwurf enthält auch ein Bekenntnis des Landes zu einer angemessenen und stetigen Ausstattung dieser Kernbereiche mit Fördermitteln. Damit soll mehr Kontinuität bei der finanziellen Ausstattung der Mittelstandsförderung erreicht werden.

Außerdem wird im Entwurf künftig der Adressatenkreis eingegrenzt. Die Fördermaßnahmen des Landes sollen sich in Anlehnung an den Mittelstandsbegriff der Europäischen Union vorrangig an Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten richten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die gewichtigsten Änderungen soll es bei der Neuregelung der Vergabe öffentlicher Aufträge geben. Wir stützen uns hierbei auf die Empfehlungen der Enquetekommission „Mittelständische Familienunternehmen“, die das Vergabewesen von Land und Kommunen mit einer Intensität ausgeleuchtet hat, wie dies bisher im parlamentarischen Raum in der Bundesrepublik Deutschland wohl noch nicht der Fall war. Daher möchte ich den Mitgliedern der Enquetekommission Dank und Anerkennung aussprechen.

(Zuruf von der SPD: Bitte!)

Bei der vorgeschlagenen Neuregelung der Vergabe geht es vor allem darum, dass die privatrechtlich organisierten Unternehmen der öffentlichen Hand, insbesondere die Beteiligungsunternehmen des Landes und die kommunalen Tochtergesellschaften, bei der Vergabe von Bauaufträgen die Verdingungsordnung für Bauleistungen, kurz: VOB, an wenden. Ausnahmen hiervon sollen nur in engem Rahmen zulässig sein. Künftig soll unterbunden werden, dass durch die formale „Flucht ins Privatrecht“ sinnvolle und bewährte Vergaberegelungen für die öffentliche Hand umgangen werden. Solche Befürchtungen hatten bei der 1999 erfolgten Änderung des Gemeindewirtschaftsrechts viel Unmut und Kritik beim Handwerk und in Kreisen der mittelständischen Wirtschaft ausgelöst.

Meine Damen und Herren, die öffentlichen Unternehmen fungieren gleichsam als der verlängerte Arm des Landes bzw. der Kommunen, unabhängig davon, ob sie nun öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert sind. Das europäische Vergaberecht knüpft deshalb für seine An

(Staatssekretär Dr. Mehrländer)

wendbarkeit konsequent daran an, ob eine Einrichtung staatliche Funktionen wahrnimmt, und nimmt auf die Rechtsform der Einrichtung keine besondere Rücksicht. Diese Betrachtungsweise ist nicht nur bei Großaufträgen richtig, sondern logischerweise auch bei Aufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte. Wenn wir konsequent sein wollen, müssen wir somit in diesem Bereich, den der Landesgesetzgeber noch selbst regeln kann, grundsätzlich genauso verfahren. Deshalb soll mit dem Neuerlass des Mittelstandsförderungsgesetzes sichergestellt werden, dass auch bei den öffentlichen Unternehmen in privater Rechtsform faire, transparente und mittelstandsfreundliche Spielregeln für die Auftragsvergabe gelten.

Für die VOB-Anwendung sprechen aus mittelstandspolitischer Sicht folgende Punkte: Das im öffentlichen Vergaberecht geltende Prinzip des Vorrangs der öffentlichen Ausschreibung gibt allen Interessenten Chancengleichheit im Wettbewerb. Die Regeln der VOB bieten die nötigen und sinnvollen Vorkehrungen gegen unlautere Machenschaften wie Manipulation und Korruption im Umfeld der öffentlichen Auftragsvergabe. Die VOB sichert eine mittelstandsfreundliche Auftragsvergabe ab, denn vor allem das in der VOB vorgesehene Prinzip der losweisen Vergabe ist besonders mittelstandsgerecht, weil damit dem spezifischen Leistungsspektrum, aber auch der begrenzten Kapazität kleiner und mittlerer Unternehmen Rechnung getragen wird.

Mit diesen Vergaberegelungen für die öffentlichen Unternehmen, wenn sie vom Landtag so beschlossen werden, wird Baden-Württemberg unter den Bundesländern eine Vorreiterrolle übernehmen. Damit setzen wir zugleich ein starkes mittelstands- und handwerkspolitisches Signal.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf die Ergebnisse der Anhörung zu dem Gesetzentwurf eingehen.

Die Organisationen der Wirtschaft äußerten sich alle grundsätzlich positiv über das Novellierungsvorhaben an sich, aber auch über die mit dem Neuerlass angestrebten Änderungen. Die kommunalen Landesverbände, der Verband kommunaler Unternehmen, die Wohnungsbauverbände mit Ausnahme des Landesverbands Freier Wohnungsunternehmen äußerten sich kritisch

(Zuruf von der SPD: Was?)

insbesondere zur Privatisierung als ständige Aufgabe – § 1 Abs. 2 des Gesetzentwurfs –, zum Vorrang der privaten Leistungserbringung – § 3 –, zur Neuregelung der Vergabe öffentlicher Aufträge – § 22 Abs. 6 des Gesetzentwurfs und § 106 b der Gemeindeordnung.

Mehrere Vorschläge und Anregungen aus der Anhörung flossen nach entsprechender Prüfung in den Gesetzentwurf ein und führten zu Ergänzungen der Begründungen. Andere Anregungen und Vorschläge wurden nicht aufgenommen. Hierzu gehören Forderungen von Wirtschaftsorganisationen in Richtung einer Dotationsgarantie für die Mittelstandsförderung in Form eines festen Anteils am Landeshaushalt oder am Haushalt des Wirtschaftsministeriums.

Die Landesregierung ist hier der Auffassung, dass der Landeshaushalt über eine gewisse Flexibilität verfügen muss.

Wir sind aber dem richtigen Grundanliegen nach mehr Kontinuität und Stetigkeit in der Mittelausstattung durch das Bekenntnis des Landes in § 7 Abs. 1 des Entwurfs zu einer angemessenen und stetigen Finanzausstattung nachgekommen.

Der Ablehnung der Privatisierung als ständiger Aufgabe durch kommunale Organisationen sind wir nicht gefolgt. Hier möchte ich darauf verweisen, dass die Aussage in § 1 Abs. 2 einen Programmsatz darstellt. Keinesfalls ist damit eine Privatisierung um jeden Preis verbunden. Vielmehr sind stets neben den Erfordernissen der Wirtschaftlichkeit auch die Stetigkeit und die Qualität der Aufgabenerfüllung zu prüfen.

Noch einen Punkt möchte ich erwähnen: Die Argumentation, wonach die „verschärfte“ Subsidiaritätsklausel in § 3 zur „einfachen“ Subsidiaritätsklausel in § 102 der Gemeindeordnung in Widerspruch stehe, ist für uns nicht nachvollziehbar. Denn aufgrund des Regelungsvorbehalts in § 3 des Entwurfs des Mittelstandsförderungsgesetzes geht die Gemeindeordnung vor.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Namen der Landesregierung möchte ich an Sie den Appell richten, noch in diesem Jahr zur Verabschiedung des neuen Mittelstandsförderungsgesetzes zu kommen. Bis zu einer möglichen Behandlung im Wirtschaftsausschuss, wohl Ende November, werden uns auch, wie die Vorsitzende der Enquetekommission, Frau Abg. Netzhammer, uns mitgeteilt hat, die relevanten Berichtsteile und Handlungsempfehlungen der Enquetekommission vorliegen, sodass auch von dieser Seite die Voraussetzungen für ein zügiges Verfahren gegeben sein sollten.

(Abg. Capezzuto SPD: Eingebracht wissen wollen wir sie!)

Die Landesregierung ist der Auffassung, dass es uns gelingen wird, mit dem neuen Mittelstandsförderungsgesetz zu einer weiteren Stärkung des Mittelstands in unserem Land beizutragen. Ein starker Mittelstand ist letztlich gleichbedeutend mit Arbeits- und Ausbildungsplätzen in unserem Land.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP, Abgeordneten der CDU und des Abg. Capezzuto SPD)

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aussprache gestaffelte Redezeiten bei einer Grundredezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Das Wort hat Frau Abg. Schweizer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einbringung des Gesetzes zur Mittelstandsförderung wird einem langjährigen Anliegen der kleinen und mittelständischen Betriebe in BadenWürttemberg Rechnung getragen.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau!)

Das MFG von 1975 musste aktualisiert werden, und es musste den neuen Anforderungen einer völlig veränderten Wirtschaftswelt im Jahr 2000 angepasst werden. Ich plädiere dafür, dass man in Zukunft nicht mehr ein Vierteljahrhundert wartet, bis eine solche Anpassung dann stattfindet.

(Beifall des Abg. Capezzuto SPD – Abg. Kluck FDP/DVP: An wem lag es?)

Was ist der Mittelstand? In diesem Gesetz wurde die Definition der EU übernommen: Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 40 Millionen Euro. Das sollte aber keine starre Grenze sein. Vieles in der Wirtschaft ist flexibel, und wenn ein Unternehmen darauf achten müsste, den 251. Mitarbeiter nicht mehr einzustellen, nur um in dieser Kategorie zu bleiben, wäre dies sicher nicht in unserem Sinne.

Ein mittelständischer Unternehmer sagte einmal: Belässt man dem Mittelstand die notwendigen Mittel, hat er ohne staatliche Hilfe einen unglaublich festen Stand.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Der Mann hat Recht!)

Dieses Ziel ist leider auch mit der letzten Steuerreform bei weitem nicht erreicht worden.

(Abg. Dr. Puchta SPD: Aber die Richtung hat ge- stimmt, Frau Kollegin!)