Protokoll der Sitzung vom 25.10.2000

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch die heutige Debatte zeigt, dass das Thema Zuwanderung an uns herangetragen wird, ob wir wollen oder nicht.

(Abg. Heiler SPD: Ja, ja!)

Ich denke auch, Herr Kollege Heiler, es wird sich nicht aus dem Wahlkampf heraushalten lassen,

(Abg. Heiler SPD: Es kommt darauf an, in welcher Form, Herr Minister! – Abg. Christine Rudolf SPD: Sie brauchen nicht so nachdenklich zu re- den!)

sondern es wird, wie Sie es vorhin selbst gesagt haben und wie Sie auch Persönlichkeiten unserer Partei – ich denke an Frau Kultusministerin Schavan – zitiert haben, darauf ankommen, dass man mit diesem Thema im Wahlkampf oder wo auch immer behutsam und sensibel umgeht

(Abg. Pfister FDP/DVP: Richtig! – Abg. Heiler SPD: Da haben Sie Recht!)

und dass man es nicht, wie Sie es vorhin formuliert haben, in den Schmutz zieht. Wenn wir mit diesem Thema so umgehen, sind wir, wie ich glaube, auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Richtig! – Abg. Bebber SPD: Wir trauen dem Frieden nicht!)

Aber wenn Sie glauben, das Thema könnte einfach tabuisiert werden, dann sind Sie auf dem Holzweg. Sie werden sehen, dass dann die Falschen, nämlich die Rechtsextremisten,

(Abg. Käs REP: Die einzig Wahren! – Abg. Deuschle REP: Die Richtigen! Die ehrlichen Leu- te!)

das Thema in die Hand nehmen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin davon überzeugt – von Konsens war heute ja viel die Rede –: Wenn es uns gelingt, im Konsens eine vernünftige, nachvollziehbare, rationale und konsequente Ausländerpolitik zu machen, und zwar in Wort und Tat, dann ist dies das beste Mittel, um den Rechtsextremisten auch dieses Thema aus der Hand zu nehmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD – Abg. Heiler SPD: Genau so ist es!)

Ich denke, dass wir uns in Baden-Württemberg viel Mühe geben und dass wir im Rahmen der Möglichkeiten, die wir als Land haben – wir sind eben nicht der Bund –, wichtige Schritte getan haben und – teilweise übrigens auch gemeinsam – vorangekommen sind. Deshalb darf ich bei den Punkten, die mir wichtig sind, anfangen und sagen: Es müsste doch eigentlich Konsens bestehen – selbst bei Ihnen, Frau Kollegin Thon, wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe –, dass wir sagen: Eine uferlose Zuwanderung wollen wir nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Pfister FDP/DVP: Will niemand!)

Das sagen auch die Grünen. Was wir brauchen, ist eine vernünftige Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung. Darüber müsste es doch eigentlich Konsens geben.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: So ist es!)

Also erster Punkt – genau, Herr Salomon –: Steuerung der Zuwanderung. Ich darf dazu einige Gesichtspunkte anführen.

Ich glaube, es gibt Konsens darüber: Deutschland muss an qualifizierten und erst recht an hoch qualifizierten Fachkräften interessiert sein.

(Beifall der Abg. Kurz CDU und Pfister FDP/ DVP)

Wir müssen schauen, dass wir in dem inzwischen globalen Wettbewerb, wie es so schön heißt, um die besten Köpfe nicht den Kürzeren ziehen. Daran muss bundesweit gearbeitet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Pfister FDP/DVP)

(Minister Dr. Schäuble)

Dazu gehört natürlich auch: Wenn Sie Spitzenkräfte haben wollen, müssen Sie ihnen selbstverständlich adäquate, kommode, attraktive Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisbedingungen bieten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP/ DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Besser als bei der Greencard!)

Absolut. Sonst kriegen Sie die Spitzenkräfte nicht. Herr Kollege Pfister nennt das Stichwort Greencard, dieses Schlagwort. Es war ja nicht so, dass jetzt mit dieser Methode Greencard, wenn ich es richtig sehe, die großen Spitzenkräfte nach Deutschland gekommen wären.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Kein Wunder!)

Also bleibt hier offensichtlich noch etwas zu tun, etwas zu verbessern, wenn wir im Wettbewerb um die Besten, die ja in unserem Interesse nach Deutschland kommen sollen, mehr Erfolg haben wollen.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Es ist schön, dass Sie sich hier eingereiht haben! – Abg. Bebber SPD: Prima!)

Zur Attraktivität gehört übrigens auch – auch da dürfte es Konsens geben –, dass wir ihnen eine vernünftige Abgabenlast in Deutschland anbieten müssen. Wer natürlich in Deutschland zu viel Steuern und zu viel Abgaben zahlen muss, der wird, wenn er sich auch ein anderes Land aussuchen kann, nicht zu uns kommen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Auch das ist wahr!)

Auch da, glaube ich, gibt es Konsens.

Das Zweite – auch darüber gibt es Konsens –: Ich weiß von zahlreichen Kollegen in der FDP/DVP – Herrn Dr. Glück, Herrn Kluck und anderen –, dass wir da eigentlich nicht anders denken. Aber man muss bei der Wortwahl aufpassen. Sosehr man bei dem Thema „Steuerung der Zuwanderung“ sagen muss und erst recht sagen darf, dass die deutschen Interessen vielleicht schon stärker als bisher berücksichtigt werden – es ist ein deutsches Interesse, wenn wir die Besten haben wollen –, müssen wir aber auch sagen: Nicht nur unter dem Gesichtspunkt unseres Interesses dürfen Menschen künftig auch weiterhin nach Deutschland kommen, sondern wenn jemand in Not ist, dann müssen wir ihm in seinem Interesse auch künftig helfen. Auch da muss es und wird es Konsens geben.

(Beifall bei der CDU, der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der FDP/DVP – Abg. Heiler SPD: Konsens!)

Da darf man doch gerade bei dem Thema Bürgerkriegsflüchtlinge einmal darauf hinweisen – das kann einfach nicht oft genug gesagt werden –: Kein Land hat bei dem Krieg auf dem Balkan, sei es in Bosnien-Herzegowina, sei es im Kosovo, bei der Aufnahme der Flüchtlinge so geholfen wie die Bundesrepublik Deutschland. Das zeigt übrigens, dass wir ein ausländerfreundliches Land sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das muss auch künftig so bleiben.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Es ist eine schiere Selbstverständlichkeit, dass auch künftig Menschen in Not oder politisch Verfolgte, wenn sie wirklich politisch verfolgt sind, nach Deutschland kommen können müssen.

Jetzt komme ich zum nächsten Punkt: Beim Thema Steuerung besteht nach meinem Eindruck noch etwas Diskussionsbedarf. Das betrifft den demographischen Gesichtspunkt. Verschiedene Kolleginnen und Kollegen haben ihn vorhin angesprochen. Richtig ist, dass wir darüber diskutieren müssen, in welchem Umfang, in welcher Zahl Menschen nach Deutschland kommen können, eventuell auch kommen können müssen, wenn man bedenkt, dass sich der Altersaufbau in Deutschland bekanntlich immer mehr in der Weise verändert, dass die Gesellschaft immer älter wird. Sie haben ja Recht, Frau Kollegin Thon: Das führt am Schluss dazu, dass die Sozialversicherungssysteme so im Grunde nicht mehr funktionieren können. Ich möchte es so sagen: Ich glaube, bei diesem Punkt besteht unter diesem Blickwinkel, bundesweit übrigens, noch Diskussionsbedarf. Da sind die Kommissionen von Süssmuth und Müller und wem auch immer alle eingeladen.

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Wa- rum haben Sie denn eine extra Kommission? Sie hätten doch da alle mitmachen können!)

Frau Kollegin Thon, da besteht, glaube ich, noch Diskussionsbedarf unter dem Gesichtspunkt der Demographie.

Wie viele Menschen müssen und können nach Deutschland kommen, ohne dass wir die Gesellschaft in ihrer Integrationsbereitschaft und -fähigkeit überfordern? Das ist der Punkt, über den diskutiert werden muss.

(Beifall bei der CDU)

Da sehe ich noch Handlungsbedarf.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Wenn wir darüber streiten, ist es der richtige Punkt!)

So ist es. Lieber Herr Kollege Salomon, ich stelle alle Bemerkungen von mir heute immer vor die Klammer gezogen unter das Stichwort Konsens. Ich komme noch zu einigen anderen Punkten. Aber das Bemühen, hier zu einer Lösung zu kommen, kann doch eigentlich nicht scheitern.

Noch zum Thema Steuerung, wo auch ich persönlich immer noch mit mir ringe. Wir müssen ja Folgendes sehen: Wir haben zum einen Bedarf an qualifizierten, erst recht an hoch qualifizierten Arbeitskräften. Darüber habe ich vorhin gesprochen. Wir müssen aber doch auch ehrlich einräumen, dass es bei uns in Deutschland viele Jobs gibt, die nicht attraktiv sind und die diejenigen, die sich auf dem einheimischen Arbeitsmarkt bewegen, seien es Deutsche, seien es schon lange in Deutschland lebende Ausländer, nicht wahrnehmen wollen. Auch über diesen Bereich muss man reden. Es sind nicht die qualifizierten Arbeitskräfte, die wir in diesem Bereich brauchen, sondern hier brauchen wir Menschen, die bereit sind, auch unbequeme und unattraktive Tätigkeiten wahrzunehmen. Darauf will ich hinaus.

Das werden wir nicht in der Weise lösen können, dass wir immer mehr Menschen aus dem Ausland kommen lassen,

(Minister Dr. Schäuble)

die im Grunde genommen die Jobs ausführen sollen, die die Einheimischen, aus welchen Gründen auch immer, nicht wahrnehmen wollen. Das kann nicht aufgehen. Das wird sonst zur endlosen Spirale. Ich sehe ja die Nöte in den entsprechenden Branchen. Aber meines Erachtens muss bei diesem Segment einmal ganz rational vorgegangen werden. Warum soll da kein Konsens entstehen? Es kann nicht im Dissens gesehen werden, dass wir uns in Deutschland sozusagen auf Dauer eine Art soziale Arbeitswelt aufbauen, in der es eine Schicht gibt, die die einigermaßen attraktiven, zum Teil hoch qualifizierten Tätigkeiten wahrnimmt, und eine andere Schicht soll dann quasi die unteren, die unbeliebten Tätigkeiten machen und soll auch nichts anderes tun dürfen. Das kann gar nicht aufgehen.

Es ist übrigens interessant, Herr Kollege Heiler: Gerade bei diesem Punkt haben sich die Gewerkschaften in der Diskussion aus wohlweislichen Gründen, die ja klar auf dem Tisch liegen, immer zurückgehalten. Deshalb meine ich, dieses Segment kann man nur in der Weise angehen: Wenn wir tatsächlich aus aktuellen Gründen Hilfe von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern brauchen, sollte man hier an einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in Deutschland denken, aber nicht an einen Daueraufenthalt und an eine Dauerarbeitserlaubnis. Wenn sie auf Dauer da sind, werden wir die Menschen – das haben wir in der Vergangenheit schon oft gesehen – nicht in bestimmten Branchen sozusagen festhalten können. Das haben wir in der Gastronomie erlebt. Meine Schwiegereltern hatten ein Hotel. Es war immer so, dass die Menschen, die aus dem Ausland gekommen sind, sich in dem Augenblick, in dem die Wartefrist für diesen Posten vorbei war, einen anderen Arbeitsplatz gesucht haben, der nicht so hart war, der attraktiver war. Deshalb sollten wir hier, denke ich, über ein temporäres Aufenthaltsrecht sprechen.