Protokoll der Sitzung vom 25.10.2000

Herr Staatssekretär, der Konsens mit Ausnahme der Rechten: Sie sollten sich korrigieren. Wir sind die Einzigen, die bis jetzt kritisch, aber sachlich zu diesem Bericht diskutieren.

(Beifall bei den Republikanern – Lachen bei der SPD)

Ein Punkt fehlt völlig: Keiner meiner Vorredner hat über die europäische Integration und über die Grundrechtecharta gesprochen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Was? Haben Sie keine Oh- ren?)

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Die Verträge von Maastricht und Amsterdam haben unser Grundgesetz und auch die Verfassung von Baden-Württemberg beeinflusst. Die Behauptung der Landesregierung, eine neue Grundrechtecharta würde der EU keine neuen Kompetenzen geben, ist so glaubwürdig wie die Behauptung vor Einführung des Euro, dieser sei so stabil wie die D-Mark. Wir müssen uns diese neue Grundrechtecharta einmal ansehen. Die Fassung vom 14. September liegt uns in deutscher Sprache vor. Amtssprache ist Englisch und Französisch, und keiner weiß genau, was dort drinsteht.

(Lachen bei der SPD)

Sie sprechen nicht juristisches Englisch. Sie sind nicht in der Lage, sich juristisch in Französisch zu unterhalten. Die deutsche Fassung ist im Rechtsstreit unbedeutend.

Nehmen Sie einmal Kapitel V Artikel 40 Abs. 4. Zitat:

Jede Person kann sich auf Englisch oder Französisch

so steht es in der Charta; nicht auf Deutsch –

an die Organe der Union wenden und muss eine Antwort in dieser Sprache erhalten.

Meine Damen und Herren, was bedeutet das für unsere Wirtschaft? Was bedeutet das für unsere Forschung? Was bedeutet das für unsere Kultur? Und welche Kosten entstehen dadurch? Und welche Nachteile sind damit verbunden? Deutsch ist immer noch die am häufigsten gesprochene Sprache in der Europäischen Union. Der Verlust von Deutsch als Amtssprache ist ein unbeschreiblicher Nachteil und Verlust für Deutschland. Das soll in einer Grundrechtecharta stehen, ohne das Recht auf die eigene Sprache? Sprache ist Denken und Sprache ist Identität.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Sie wollen doch die Charta gar nicht!)

Herr Kollege Dr. Caroli, wir gehen es jetzt einmal im Einzelnen durch.

Kapitel I Artikel 3: Recht auf Unversehrtheit. Da steht das Verbot drin – wörtliches Zitat –,

den menschlichen Körper und Teile davon als solche zur Erzielung von Gewinnen zu nutzen,...

Aber Experimente am Embryo und die Patentierung des menschlichen Erbguts erlaubt diese Union. Und das soll eine Grundrechtecharta sein? Und das unterstützt diese Landesregierung? Und das ist das Ergebnis intensiver Europapolitik?

Kapitel III Artikel 20: Die Gleichheit vor dem Gesetz. In der Juli-Fassung stand noch:

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Das wurde im September geändert in: „Alle Personen“. Warum? Was ist der Grund? Welche Bedeutung steckt in der Fassung der Amtssprache? Diese Änderung muss einen Grund haben. Welchen? Das sagt niemand.

Kapitel III Artikel 21 – Nichtdiskriminierung –: Was bedeutet der Satz – ich zitiere – „Diskriminierungen... wegen... der Weltanschauung, der politischen... Anschauung... sind verboten“. Was heißt denn das politisch?

Oder welche Folgen hat folgender Satz: „Jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist verboten“?

Wann kommt denn die erste Klage vor dem Europäischen Gerichtshof von einem Nicht-EU-Ausländer, der das Fehlen eines aktiven und passiven Wahlrechts als Diskriminierung bezeichnet und der dann womöglich vor dem Gerichtshof gewinnt? Und wie lauten – um diese Frage zu beantworten – die verbindliche französische und englische Fassung?

Kapitel III, neuer Artikel 22, Herr Caroli – Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen –: Was bedeutet denn das? Wir Republikaner reden seit 1997 – lesen Sie das mal im Landtagsprotokoll vom 20. März 1997 nach –

(Abg. Heiler SPD: Nein, nein! Nie im Leben! – Abg. Dr. Caroli SPD: Das machen wir nicht!)

von der französischen Leitkultur der Franzosen in Frankreich, der englischen Leitkultur der Engländer in England und von der deutschen Leitkultur, und die CDU greift diesen Begriff jetzt endlich auf. Aber die SPD hat vorhin die Bedeutung dieser Leitkultur geleugnet. Schumachers Erben treten seine Position mit Füßen.

Ist dieser neue Artikel 22 Ausfluss sozialistischen Denkens, und ist das der Anfang vom Ende der Leitkulturen, der Abschied von den Wertekulturen, die Wendung zu Misch- und Mixkulturen?

Ganz zum Schluss noch – meine Redezeit ist zu Ende – etwas zur Gleichheit von Männern und Frauen. Warum wurde denn die Formulierung vom Juli „Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen sind sicherzustellen“ in der Septemberfassung der Charta geändert in: „Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen sicherzustellen“?

Was bedeutet das: „die Gleichheit von Männern und Frauen“? Was steht da in der Amtsfassung?

Darüber können Sie nachdenken. Ihre Redezeit ist beendet.

(Heiterkeit des Abg. Kiefl CDU – Abg. Dr. Caroli SPD: Es wird Zeit!)

Meine Damen und Herren, Herr Präsident, diese Grundrechtecharta ist ein ganz explosives Gemisch, sprachlich unverständlich, juristisch fragwürdig. Wir werden den Bericht der Landesregierung natürlich zur Kenntnis nehmen. Dem Inhalt können wir nicht zustimmen.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort hat Herr Staatssekretär Stächele.

Es geht mir jetzt wirklich nicht um Herrn Krisch, Herr Präsident, meine Damen und Herren, aber ich will an einem Beispiel zeigen, wie hier die Unwahrheit verbreitet wird. Denn es gibt doch viele Zuhörer.

(Abg. Krisch REP: Unwahrheit?)

Zum Beispiel zur Sprache: Sie haben nicht richtig vorgelesen. Es heißt:

Jede Person kann sich in einer Sprache der Verträge

und das sind sämtliche Sprachen; der Deutsche auf Deutsch, der Franzose auf Französisch, der Spanier auf Spanisch –

an die Organe der Union wenden und muss eine Antwort in derselben Sprache erhalten.

(Abg. Krisch REP: In einer der Amtssprachen, Herr Staatssekretär, und Deutsch ist keine Amts- sprache!)

Ja, jetzt überlegen Sie doch einmal, was alles dazu gehört. Deutsch gehört dazu, und das ist in der Charta verbrieft. Deswegen sollte nicht die Unwahrheit verbreitet werden. Nur an einem Beispiel wollte ich belegen, wie hier Volksverdummung betrieben wird.

(Beifall bei der CDU, der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der FDP/DVP – Abg. Kluck FDP/DVP: Sehr gut!)

Herr Abg. Dr. Schlierer.

(Abg. Dr. Schlierer REP: Ich wollte eine Zwi- schenfrage stellen!)

Der Herr Staatssekretär ist weg.

(Unruhe)

Herr Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Frage?

(Unruhe – Staatssekretär Stächele schüttelt den Kopf.)

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aussprache.

Wir stimmen zunächst ab über die Beschlussempfehlung. Der Ständige Ausschuss empfiehlt in Abschnitt I Kenntnisnahme und in Abschnitt II, verschiedene Anträge für erledigt zu erklären. Wird dem widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist einstimmig so beschlossen.