Protokoll der Sitzung vom 26.10.2000

Weil wir gerade beim dualen System und bei der Stundentafel sind, noch eine Bemerkung dazu, liebe Frau Rastätter: Dass zur Stärkung der fremdsprachlichen Kompetenz Englisch in allen beruflichen Angeboten im dualen System verbindlich gemacht wird, ist schon außerordentlich wünschenswert. Aber es gibt überhaupt kein Land, in dem die Fremdsprache im dualen System verpflichtend ist. Sie liegt immer im Wahlbereich. Wenn wir 12 oder 13 Unterrichtsstunden – darüber können wir weiter hin- und herstreiten, wir haben aber immerhin am meisten – anbieten, ist die Wahrscheinlichkeit auf jeden Fall wesentlich größer, dass dann auch Englisch vorkommt, als wenn wir die Messlatte herunternehmen und sie auf acht oder zehn Stunden legen.

Vierter Punkt – ich glaube, Franz Wieser hatte es angesprochen –: Nirgends gibt es so viele Vollzeitangebote wie bei uns in Baden-Württemberg, nämlich rund 40 %. Der Bundesdurchschnitt liegt bei etwa 20 %, in manchen Ländern noch darunter. Was ein Vollzeitangebot bedeutet, wissen wir alle, nämlich einen dreifachen Einsatz an Lehrern. Es ist ein dreimal teureres Ausbildungsangebot als der Teilzeitbereich.

Fünfter Punkt, ein Aspekt, der noch nicht angesprochen wurde, aber außerordentlich wichtig ist: Die duale Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft ist nirgendwo so eng wie bei uns, vor allem deshalb, weil nur in BadenWürttemberg – nicht einmal in Bayern, sondern nur bei uns – eine gemeinsame Abschlussprüfung gemacht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Wenn man sich in der Zielsetzung einig ist, dann liegt die Schule doch hinsichtlich des Ausbildungsziels wohl kaum daneben, wenn man gemeinsam den Zielpunkt definiert und die Prüfung gemeinsam abnimmt.

Zusammenfassend will ich eine bescheidene Anmerkung machen, meine Damen und Herren: Wir haben insgesamt das am besten ausgebaute berufliche Schulwesen, und wir investieren – ich habe stapelweise Zahlen dabei und könnte es Ihnen belegen – mehr in die berufliche Schullandschaft als jedes andere Bundesland. Auch Katastrophenbeschreibungen, wie sie im Wahlkampf jetzt ständig zunehmen, können diese Wirklichkeit nicht vernebeln. Wer berufliche Schule so beschreibt, wie es zum Beispiel Ihre Spitzenkandidatin im März dieses Jahres getan hat,

(Abg. Döpper CDU: Woher soll sie es denn wis- sen? – Zuruf von der CDU: Sie weiß ja gar nicht, was das ist! – Abg. König REP: Wie heißt die?)

dem kann man nur empfehlen, wenigstens ein paar berufliche Schulen in diesem Land anzuschauen, bevor er weiter an bildungspolitischen Debatten teilnimmt. Jeder, der in eine berufliche Schule geht, sieht sofort, dass dieses Szenario, diese Katastrophen, die Sie ständig herbeizureden versuchen, nirgends in Baden-Württemberg auch nur annähernd der Wirklichkeit entsprechen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. König REP: Das habe ich auch festgestellt!)

Ein paar Sätze zur Lehrerversorgung: Trotz der bekannten strukturellen Probleme, die wir haben – daraus machen wir

überhaupt kein Geheimnis –: Es gibt kein Land, das so offen mit den Fragen der Unterrichtsversorgung und der Defizite umgeht, wie es bei uns der Fall ist. Da wird auch überhaupt nichts schöngeredet oder vertuscht, wie irgendjemand einmal gesagt hat. Wir haben eine solide Lehrerversorgung an unseren beruflichen Schulen. In diesem Schuljahr ist es eher etwas besser als im letzten Schuljahr und der Ausfall an Unterricht eher geringer. Und warum?

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Wintruff?

Natürlich. Gern, lieber Herr Wintruff.

Herr Staatssekretär, würden Sie es auch als eine solide Lehrerversorgung bezeichnen, wenn, wie aus uns vorliegenden Zahlen hervorgeht, das Oberschulamt Stuttgart bei der Versorgung im fachpraktischen Unterricht im Durchschnitt 19,9 % Unterrichtsausfall meldet? Für die gewerblichen Schulen insgesamt meldet das Oberschulamt Stuttgart einen Durchschnitt von 10,2 % Defizit im wissenschaftlichen Unterricht und von 9,1 % im fachpraktischen Unterricht. Ich habe Ihnen vorhin vorgerechnet, dass strukturell 1 000 Lehrer fehlen. Wie können Sie da von einer soliden Unterrichtsversorgung sprechen? Das ist mir wirklich ein Rätsel.

Herr Wintruff, jetzt nehmen wir einmal die Frage, die wir gerade vorhin besprochen haben: Wie wird der Standard definiert? Wenn wir wie die anderen Länder von 13 auf 12 Stunden heruntergehen, dann haben wir schon 500 dieser 1 000 fehlenden Stellen weg. Das ist eine Antwort auf Ihre Frage. Unsere Standards im beruflichen Schulwesen sind am höchsten von allen Bundesländern.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Wenn sie nicht er- reicht werden, helfen sie doch nichts!)

Lassen wir das so stehen. Da haben Sie die Möglichkeit zu kritisieren. Aber uns gibt das bei jeder Haushaltsaufstellung Ansporn, entsprechend Stellen zu schaffen und uns an diesem Höchststand der Möglichkeiten zu orientieren.

(Beifall bei der CDU – Abg. Carla Bregenzer SPD: Das hilft den Schülern aber nichts!)

Dann fragen Sie doch einmal in den Ländern, wo Sie die Verantwortung tragen, was es dort den Schülern nützt, wenn sie statt zwölf Stunden bloß zehn oder neun Stunden haben.

(Abg. Zeller SPD: Jetzt lassen Sie doch einmal die Platte sein! Das stimmt doch gar nicht! Das stimmt doch überhaupt nicht, was Sie hier erzählen! Das sind doch leere Behauptungen! Menschenskind, immer die gleiche Platte!)

Ihnen ist es immer unangenehm, wenn wir auf andere Länder verweisen. Das verstehe ich, dass Ihnen das unangenehm ist.

Ich war dabei zu sagen, warum die Unterrichtsversorgung bei uns solide ist. Zu dieser Frage kehre ich jetzt zurück. Sie ist deshalb solide, weil wir in diesem Schuljahr 200

(Staatssekretär Köberle)

Neustellen geschaffen haben und insgesamt 650 Einstellungen vornehmen konnten.

(Unruhe bei der SPD)

Jetzt hören Sie zu, und kritisieren Sie hinterher wieder. Machen wir es im Wechsel.

(Abg. Wintruff SPD: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein!)

Ein heißer Tropfen, der ein paar Millionen Mark wert ist. So leicht können wir mit dem Geld nicht umgehen.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Das machen Sie doch gar nicht!)

200 zusätzliche Neustellen, 30 Millionen DM für Grundversorgung, Mittel, die wir vorher nicht gehabt haben,

(Abg. Wintruff SPD: Man hätte halt über die vie- len Jahre hinweg mehr tun müssen!)

in diesem Jahr und auch in den folgenden Jahren 30 Millionen DM für Krankheitsvertretungen, allerdings auch für andere Schularten, nicht nur für die beruflichen Schulen, aber eben auch für die beruflichen Schulen.

(Abg. Wintruff SPD: Noch nicht einmal zehn Stunden bekommen alle Klassen Unterricht nach der Statistik! Das wissen Sie doch! Nicht einmal zehn Stunden!)

Herr Wintruff, das haben wir wirklich ausdiskutiert. Das bestreitet doch überhaupt niemand. Aber es ist bei manchen Klassen auch nicht notwendig, dass sie ein volles Angebot mit 13 Stunden bekommen,

(Abg. Wintruff SPD: Doch, doch!)

weil es bestimmte Angebote sind, wo es so vereinbart ist und wo eine Reduzierung auch gerechtfertigt ist, weil die Schüler die entsprechenden Voraussetzungen von allgemein bildenden Schulen mitbringen.

Jetzt will ich noch in ein paar Sätzen sagen, wo wir die Probleme sehen. Sie sehen ja auch viele Probleme. Darüber sollten wir ja wohl auch reden.

Ich glaube, dass uns in Zukunft nicht nur die Anzahl der zur Verfügung stehenden Stellen Schwierigkeiten machen wird, sondern auch die Frage, ob alle diese Stellen mit den richtigen Leuten besetzt werden können. Wie können wir das erreichen?

(Abg. Zeller SPD: Ist das eine Frage an die Regie- rung?)

Eine Voraussetzung haben wir in Baden-Württemberg, nämlich dass wir die Kapazitäten der Studienplätze und der Referendarplätze ausgebaut haben, dass wir keinen Numerus clausus haben, dass wir vor allem die Diplomstudiengänge ausgeweitet haben. Wenn jetzt bei uns in BadenWürttemberg geklagt wird, dass Hessen, Rheinland-Pfalz und andere Länder uns möglicherweise Lehrer abwerben, dann hat das auch damit zu tun, dass in anderen Ländern nach wie vor der Numerus clausus besteht und die Studie

renden hierher zur Ausbildung kommen und dann, wenn es um die Frage der Einstellung geht, natürlich wieder in ihre Länder zurückgehen.

Das ist auch die Erklärung für eine andere Zahl, die genannt worden ist. Hier wurde gesagt, es hätten sich in diesem oder im letzten Schuljahr – ich weiß nicht mehr, welches Jahr der Bezugspunkt war – 750 beworben und 450 hätten wir eingestellt.

(Abg. Wintruff SPD: Im letzten Schuljahr!)

Es gibt natürlich Mehrfachbewerbungen. Wenn sich jemand, der aus Hessen kommt, in Hessen, also in seinem Heimatland, und bei uns bewirbt und in Hessen ein Angebot bekommt, ist es doch ziemlich logisch, dass die entsprechende Person das Angebot in der Schule in Hessen annimmt.

Zweiter Punkt: Wir gehen unkonventionelle Wege mit der Direkteinstellung von Diplomingenieuren. Wir haben in diesem Jahr immerhin mit 80 Stellen angefangen, und wir öffnen den Zugang in die Schule für Absolventen der Berufsakademien und der Fachhochschulen weiter, vor allem für solche in IT-Berufen, die wir dringend brauchen, und schon zum kommenden Februar werden die ersten 30 Stellen für BA- und FH-Absolventen eingerichtet.

(Abg. König REP: Ohne Referendariat!)

Die Aufforderung ist schon an diese Seite des Hauses gerichtet worden: Tragen Sie bitte mit dazu bei. Da liegt die Hausaufgabe in Berlin und nicht bei uns. Die Initiativen sind ergriffen, dass die Sonderzuschläge für Lehramtsanwärter so verändert werden können, dass wir wieder mit der freien Wirtschaft konkurrieren können.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wann kommt das?)

Das ist keine Frage an uns. Wir haben alles getan, was machbar ist. Das ist jetzt wirklich eine Frage an die Adresse, die zuständig ist, nämlich an die Berliner Adresse.

(Abg. Wintruff SPD: Sie haben die Sonderzuschlä- ge in Bonn auch erst mit abgeschafft!)

Jetzt haben wir eine ganz andere Situation. Herr Wintruff, jetzt haben wir nicht die Situation – das wissen Sie –, dass Leute in der Wirtschaft keine Perspektive sehen. Früher war es andersherum. Früher standen viele vor der Tür, viele, die die Wirtschaft hinausgeworfen hat oder die dort keine Aufnahme gefunden haben. Die Zeiten haben sich geändert. Darauf müssen wir uns einstellen. Jetzt müssen wir dieses Ungleichgewicht in Ordnung bringen.