Protokoll der Sitzung vom 22.11.2000

dann gaukeln Sie den Bürgern etwas vor, was Sie nicht einhalten können. Deshalb sind wir dafür: Videoüberwachung nur, wenn Beamte sofort eingreifen, wenn ein Verdacht auf eine Straftat vorliegt.

Noch zum Ort der Videoüberwachung: In § 26 Abs. 1 Nr. 2 des Polizeigesetzes, wo auf den Ort der Identitäts

feststellung verwiesen wird, wird auf den Einzelfall eingegangen. Es muss eine Verdachtsperson an einem bestimmten Ort da sein, nämlich an dem Ort, wo erfahrungsgemäß Straftaten verübt werden. Bei der vorgesehenen Bestimmung in § 21 Abs. 3 wird aber jeder, egal, ob ein Verdacht besteht oder nicht, beobachtet. Dies halte ich unter Abwägung der verschiedenen Interessen, unter Abwägung der Grundrechtseingriffe nicht für zulässig. Eine Aufzeichnung sollte nur möglich sein, wenn wirklich jemand das Geschehen beobachtet und auch eingreifen kann.

(Minister Dr. Schäuble: Darüber können wir ja im Ausschuss noch einmal reden!)

Danke, Herr Präsident.

(Minister Dr. Schäuble: Danke wofür?)

Ich will noch etwas anfügen.

Ich habe ihm gerade angezeigt, dass seine Redezeit zu Ende ist. Deshalb hat er sich bedankt – bloß, damit das klar ist.

Aus einer Verantwortung stehlen Sie sich etwas verschämt: Sie wollen die Investitionskosten den Kommunen auferlegen.

(Minister Dr. Schäuble: Nein! Wir haben ja auch Kosten!)

In der Begründung steht das doch drin. – Sie sagen: Gefahrenabwehr ist Aufgabe der Gemeinde als Ortspolizeibehörde. Aber mit dieser Begründung können Sie alle Kosten, die in diesem Zusammenhang entstehen, auch Personalkosten, auch die anderen investiven Kosten, der Kommune auferlegen. Daher ist es nicht logisch, mit dieser Begründung diese Kosten den Kommunen aufzuerlegen. Diese Kosten muss, ganz normal, der Staat tragen.

Deshalb, Herr Präsident und Herr Minister, zum Abschluss noch einmal: Die SPD-Landtagsfraktion befürwortet grundsätzlich das Instrument der Videoüberwachung an öffentlichen Straßen und Plätzen.

(Minister Dr. Schäuble: Aber?)

Wir wollen aber eine rechtliche Konzeption, die den Schutz der Bürgerinnen und Bürger in einer konkreten Gefahrensituation auch wirklich sicherstellt.

Wir möchten, da es nicht nur auf die bisher im Verfahren angehörten und sich äußernden Institutionen ankommt, im Innenausschuss eine öffentliche Anhörung haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Abg. Oelmayer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will beginnen mit einem Zitat aus einer Pressemitteilung der Landesregierung und des Innenministers, der hier heute den Gesetzentwurf eingebracht hat. Das Zitat lautet: „Nirgendwo in Deutschland lebt man sicherer als in Baden-Württemberg.“

(Beifall der Abg. Ingrid Blank CDU – Abg. Göbel CDU: Recht hat er!)

Das freut mich. Das kann ich nur unterstreichen. Das heißt aber, alles, was er uns hier vorgetragen hat – und er hat ja mehrfach die Rechtsbegrifflichkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ganz bewusst erwähnt –, alles, was wir als einschränkende Maßnahmen den Bürgerinnen und Bürgern zumuten, steht natürlich unter dem Level des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Deswegen muss man grundsätzlich noch einmal überlegen, ob denn wirklich diese Botschaften zusammenpassen: In Baden-Württemberg lebt man am sichersten in der Bundesrepublik Deutschland, und der Ministerrat bringt die offene Videoüberwachung auf den Weg. Vielleicht wäre auch eine Diskussion über die Frage notwendig gewesen: Welche Einsatzmöglichkeiten sind überhaupt erforderlich, um die Sicherheit noch weiter zu steigern?

Ein weiterer Punkt: Kollege Rech, Ihr Rechtsstaatsverständnis hat mich schon verwundert. Sie sprechen vom rechtstreuen Bürger, der eigentlich nichts zu befürchten hat. Die Konsequenz aus Ihrem Vortrag lautet: Dann können wir eigentlich überall per Video überwachen.

(Abg. Rech CDU: No!)

Wenn alle Bürger rechtstreu sind, können sie nichts gegen die Videoüberwachung einwenden. Kollege Rech, Sie wissen als Jurist genauso gut wie ich, dass der moderne Verfassungsstaat Freiheitsräume für Bürgerinnen und Bürger voraussetzt. Deshalb kann meines Erachtens die Videoüberwachung keinesfalls mit dem Argument der Rechtstreue der Bürger gerechtfertigt werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Herr Abg. Oelmayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Rech?

Ich habe so wenig Redezeit – vielleicht, wenn ich noch Redezeit übrig habe.

Nachdem Herr Redling um zwei Minuten überzogen hat – –

Dann darf er auch nachher noch fragen.

Ich möchte mich zum Gesetzentwurf selber auch noch äußern. Der Minister hat, wie Kollege Rech sagte, den Entwurf gut und schnell vorgetragen.

(Abg. Rech CDU: Eingebracht!)

Nicht vorgetragen, sondern eingebracht. – Insbesondere geht es um Absatz 3 des § 21 des Polizeigesetzes, der auch die offene Videoüberwachung regeln soll, und zwar an Kriminalitätsschwerpunkten. Da habe ich die erste Differenz zu dem Gesetzentwurf und zum Minister. Der Kriminalitätsschwerpunkt ist bisher nirgends im Polizeigesetz definiert. Der Minister hat auf § 26 Abs. 1 Nr. 2 Bezug genommen und gesagt, dort sei schon eine Regelung vorhanden. Diese hat aber definitiv nichts mit dem Kriminalitätsschwerpunkt oder -brennpunkt in der Begrifflichkeit zu tun, wie sie jetzt in § 21 neu eingeführt werden soll.

Wieso verwenden Sie nicht die Formulierungen des § 26, wenn Sie keine neue Definition einführen wollen? Der Eingriff in die Freiheit von Menschen in dieser Gesellschaft ist immer nur dann verhältnismäßig und gerechtfertigt, wenn er bestimmbar ist – ein Rechtsgrundsatz, wie er in unserer Verfassung festgeschrieben ist. Deswegen können wir schon allein aus dieser Sicht dieser Formulierung nicht zustimmen.

Ein weiterer Punkt, der in dem Gesetz geregelt werden soll, ist die offene Aufzeichnung – wir haben das gerade gehört. Dahinter verbergen sich zwei Begrifflichkeiten. Hinsichtlich der Aufzeichnung als solcher haben wir gerade beim Kollegen Rech die Trendwende erlebt. Bei der ersten Debatte, die wir vor wenigen Wochen hier geführt haben, hat er noch ausgeführt: Da läuft eine Videoanlage, und da wird dann geguckt, auf jeden Fall wird mal aufgezeichnet. Jetzt hat er begriffen, wahrscheinlich durch die Botschaft seines Ministers,

(Abg. Rech CDU: Sie haben mich überzeugt!)

dass man dafür vielleicht doch Kolleginnen und Kollegen Polizeibeamte braucht, die gucken. Wenn die aber gucken, dann ist zur Verringerung des Eingriffs für die 99,9 % Menschen, die unberechtigt aufgenommen werden, weil sie nämlich auch in Ihrem Sinne rechtstreu sind, im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann aufzunehmen, Kollege Rech – und das hat uns auch der Praktiker aus Leipzig bestätigt, wo mit Videoüberwachung gearbeitet wird –, wenn sozusagen Gefahr im Verzug ist. Warum Sie diese Regelung nicht auch in Baden-Württemberg praktizieren wollen, bleibt mir verschlossen. Die Verhältnismäßigkeitsregelungen, die Sie, Herr Minister, bei Ihrer Einbringungsrede oft genug angesprochen haben, besagen aber, dass wir dann nach dem Mindestmaß vorgehen müssen. Das heißt, wir zeichnen nur auf, wenn tatsächlich ganz konkret Gefahr im Verzug ist.

(Minister Dr. Schäuble: Wenn Gefahr im Verzug ist, dann schicken wir die Polizei!)

Ein weiterer Punkt ist die Offenheit der Videoüberwachung. Wenn man den Gesetzentwurf genau durchliest, findet man darin ganz versteckt, dass Videoüberwachungsanlagen offensichtlich nicht nur stationär angebracht werden sollen. Wieso steht das im Zusammenhang mit der Offenheit? Mich interessiert, wie Sie die Offenheit gewährleisten wollen, wenn Sie die Videoüberwachung mobil einsetzen wollen. Das ist ein weiterer Punkt, der meines Erachtens aus dieser gesetzlichen Regelung nicht hervorgeht.

Einen letzten Punkt kann ich wegen der Kürze der Redezeit nur kurz erwähnen, nämlich die Speicherfrist.

(Minister Dr. Schäuble: Bitte was?)

Die Speicherfristen.

Wenn man Ihrer Regelung folgt, Herr Minister, wenn man das einmal logisch tut und sagt: „Wir wollen die 48 Stunden“ – Sie nehmen in dieser Zeit ja nicht nur dann auf,

(Minister Dr. Schäuble: Sie können auch mehr vorschlagen!)

wenn Gefahr im Verzug ist –, müsste man aber auch dafür Sorge tragen, dass für alle Fälle, die dann folgen, auch Löschungsvorschriften im Polizeigesetz enthalten sind.

(Minister Dr. Schäuble: Es wird doch gelöscht!)

Sie sagen: Nach 48 Stunden wird gelöscht. Es wird aber auch auf die bisherigen Löschungsvorschriften in § 21 des Polizeigesetzes verwiesen. Da heißt es: Wenn Verdacht auf eine Straftat besteht, ist das mit den 48 Stunden gar nichts.

(Minister Dr. Schäuble: Das ist logisch!)

Moment, ich bin noch gar nicht fertig, Herr Minister. Hören Sie doch einmal zu.

Herr Abgeordneter, ich darf Sie auf das Ende Ihrer Redezeit hinweisen. Wir führen hier keine Ausschussberatungen durch.

Ich komme gleich zum Ende meiner Rede, selbstverständlich.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Sie dann, wenn Sie länger speichern, unbegrenzt speichern. Da gibt es keine Löschungsvorschriften mehr.