Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

sondern das Entscheidende herausarbeiten. Das Entscheidende ist: Wir wollen Europa! Wir dürfen nicht in finstere Zeiten zurückfallen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: „In finstere Zei- ten“!)

Das europäische Projekt darf nicht scheitern.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Der Europäische Konvent hat einen europäischen Verfassungsvertrag ausgearbeitet. 14 von 25 EU-Mitgliedsländern haben diesen Verfassungsvertrag mittlerweile ratifiziert. Das entspricht mehr als 50 % der Bevölkerung. In zwei Ländern ist die Volksabstimmung über diesen Verfassungsvertrag negativ ausgegangen, aber bestimmt nicht wegen des Verfassungsvertrags selbst, sondern weil andere Fragen im Vordergrund standen und auch deshalb, weil die Bürger zu Recht nicht akzeptieren, dass sich Europa um die falschen Dinge kümmert

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

und sich in Dinge einmischt, die es nichts angehen.

Zu Recht wollen die Bürger nicht von Brüssel bevormundet werden und misstrauen dem Zentralismus. Wir brauchen ein Europa, das den Blick auf das Wesentliche richtet statt auf den Krümmungsgrad der Banane, die Form von Traktorsitzen und den Biber im Aubereich. Wir brauchen eine klare Kompetenzzuschreibung für die Europäische Union und eine wirksamere Kontrolle der neuen Kompetenzordnung. Die Bürger haben bisher nicht den Eindruck, dass das funktioniert, und damit haben sie Recht.

Aber genau deshalb brauchen wir den Verfassungsvertrag. Deswegen müssen wir an ihm festhalten und müssen schauen, dass dieser Verfassungsvertrag auch in Kraft tritt.

(Beifall des Abg. Herrmann CDU – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Noch einer, der klatscht!)

Zweitens müssen die Bürger nicht nur wissen, ob der Staatsaufbau funktioniert und bezahlbar ist. Sie möchten auch wissen, wo Europa anfängt und wo Europa

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aufhört!)

aufhört.

(Heiterkeit der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Zu- ruf von der CDU: Sehr richtig!)

Wer sich zur freiheitlichen Demokratie, zu Gerechtigkeit, zur Gleichberechtigung von Mann und Frau und zu den Idealen des Humanismus und der Aufklärung auf dem europäischen Kontinent bekennt, der gehört zu Europa.

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Wir wollen niemanden ausgrenzen. Deswegen haben wir bei der EU ein funktionierendes Instrumentarium. Wir können über Assoziierungsmöglichkeiten viele Partnerschaften mit anderen Ländern in der Welt schließen. Aber Europa als Gemeinschaft kann doch nicht erfolgreich weiterexistieren, wenn wir die Europäische Union überdehnen. Deshalb sage ich ganz bewusst: Es war Österreich, das Anfang dieser Woche unser baden-württembergisches Verständnis von Europa und der Europäischen Union vertreten hat.

(Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Dafür sind wir dankbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der türkische Ministerpräsident Erdogan schickt seine zwei Töchter zum Studium in die USA und begründet das damit, sie könnten in der Türkei nicht studieren, weil sie ein Kopftuch tragen. Er sagt, deswegen müsse er seine Töchter zum Studium in die USA schicken.

Was glauben Sie, was in der Türkei in Zukunft passiert, wenn die dortige Regierung an solchen Auffassungen festhält? Das passt doch nicht damit zusammen, dass wir in Baden-Württemberg gleichzeitig zu Recht ein Kopftuchverbot für Lehrkräfte im Unterricht an öffentlichen Schulen beschließen. Deswegen bin ich sehr skeptisch, wenn es darum geht, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Ma- rianne Wonnay SPD: Was wollen Sie denn jetzt?)

Wir befürworten den schnellen Beitritt Kroatiens zur EU. Kroatien ist ein Land, das immer zu Europa gehört hat, das immer nach Westen orientiert war. Baden-Württemberg fühlt sich den Ländern im Donauraum besonders verbunden, und wir haben gerade mit Ungarn eine hervorragende Partnerschaft, die wir weiter pflegen wollen.

Wenn wir Europas Zukunft angehen wollen, müssen wir uns an die Arbeit machen. Wir brauchen Bürokratieabbau in Europa, und zwar nicht nur in geringem Umfang. Die Europäische Kommission hat in der letzten Woche eine Vorlage herausgegeben, nach der 68 Gesetzentwürfe gestrichen werden sollen. Das ist gut, aber das sind nur 68 Gesetzentwürfe, also Entwürfe, die noch nicht Gesetz geworden sind. Wir brauchen aber auch einen Abbau von Gesetzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Landesregierung hat ein Schwarzbuch herausgegeben. Dieses Schwarzbuch ist eine wichtige Anregung.

(Abg. Herrmann CDU: Ein Graubuch! – Heiterkeit)

Ein Graubuch. Gut. Aber es ist von Schwarzen gemacht worden, und deswegen ist dieses Buch gut.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Es ist doch so, dass wir in Deutschland diejenigen sind, die so viele Regeln in Brüssel verursacht haben; deshalb müssen wir auch diejenigen sein, die diese Regeln wieder abbauen. Wir brauchen einen vernünftigen Finanzrahmen in der Europäischen Union. Die Kommission hat für 2007 bis 2013 den Vorschlag gemacht, wir sollten den Finanzrahmen um 50 % steigern; das heißt, die Bundesrepublik müsste 50 % mehr Mittel aufbringen als bisher. Das ist doch nicht verkraftbar.

(Abg. Fischer SPD: Herr Kollege, Sie haben doch die Mehrheit im Europäischen Parlament!)

Wir brauchen eine Stärkung des Europäischen Parlaments – das geht nur über den Verfassungsvertrag –, und wir brauchen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Kein Nationalstaat kann sich heute allein verteidigen.

(Zurufe der Abg. Fischer und Gall SPD)

Hören Sie doch ein bisschen zu, und seien Sie nicht so nervös!

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wir hören schon lange zu! – Weitere Zurufe)

Lesen Sie einmal den Europabericht, und schauen Sie, was in Teil B steht. Das sind genau die Themen, zu denen ich im Moment rede.

(Unruhe bei der SPD)

Herr Wintruff, haben Sie den Europabericht vor sich liegen?

(Zurufe von der SPD)

Er hat ihn nicht gelesen. Gut.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Göschel SPD: Sagen Sie einmal etwas zu Teil A!)

Herr Wintruff, ich weiß nicht, ob Sie von Bildungspolitik etwas verstehen; beim Thema Europapolitik jedenfalls sollten Sie sich ein bisschen zurückhalten.

(Abg. Walter GRÜNE: Was steht denn über die Agrarpolitik drin? Kannst du dazu etwas sagen?)

Wir brauchen eine gemeinsame Wettbewerbs- und Wachstumsstrategie in Europa; nur so können wir uns in der globalisierten Welt behaupten.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich möchte Erwin Teufel, der im Verfassungskonvent hervorragende Arbeit geleistet hat, Dank sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Rückert CDU: Genau!)

Ich möchte auch – das muss auch einmal im Landtag von Baden-Württemberg gesagt werden – Peter Straub Dank sagen, der als Präsident des Ausschusses der Regionen die

Stimme der Regionen in Europa verkörpert und da hervorragende Arbeit leistet.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)