Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Theurer FDP/DVP: Und wann kom- men Ihre Vorschläge? – Zuruf des Abg. Rückert CDU)

Sie versuchen jetzt, diesen Nachtrag, der keine Antworten gibt, als Erfolg zu verkaufen. Das wundert mich doch sehr. Das grenzt an Realitätsverweigerung. Wir haben ihn uns genau angesehen. Sie, Herr Finanzminister, gefallen sich als Bußprediger, aber der Ministerpräsident reist durch das Land und verspricht allerorten Kürzungsverschonung.

(Minister Stratthaus schüttelt den Kopf.)

Ja, wir stehen vor der Landtagswahl, und da verfährt der Ministerpräsident eben nach dem Motto „Allen wohl und keinem weh“ und hofft auf die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung. Das ist die Situation hier im Land, meine Damen und Herren: Der Finanzminister predigt, der Ministerpräsident sündigt,

(Heiterkeit der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

und Baden-Württemberg steuert mit Riesenschritten von einem Schuldenrekord zum nächsten. So kann es wahrlich nicht weitergehen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Drexler SPD: Und die FDP säuft Wein! – Abg. Theurer FDP/DVP und Abg. Blenke CDU: Wann kommen Ihre Vorschläge?)

Wir Grünen haben schon einige Vorschläge eingebracht, Herr Kollege Blenke. Zum Beispiel haben wir vorgeschlagen – auch das Thema Pensionslasten ist angesprochen worden –, die 13. Monatspension für den gehobenen und den höheren Dienst zu streichen.

(Zuruf von den Grünen: Reicht nicht aus!)

Dieser Vorschlag ist uns nicht leicht gefallen. Das würden wir den Betroffenen auch gern ersparen,

(Abg. Drexler SPD: „Die FDP/DVP stimmt zu“, habe ich gehört! – Gegenruf des Abg. Theurer FDP/DVP: „Interessanter Vorschlag“!)

aber wenn die Kassen mehr als klamm sind und das jährlich 100 Millionen € Einsparungen bringt, dann ist das, denke ich, ein richtiger Vorschlag. Sie haben ihn allerdings nicht diskutiert, sondern im Finanzausschuss einfach niedergestimmt und haben gesagt: Bald ist Landtagswahl; das können wir jetzt nicht machen. Wir warten also ab bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

Wir haben jetzt von Ihnen, Herr Minister, Ausführungen über die Tätigkeit der Arbeitsgruppe Finanzen in der großen Koalition gehört. Wir wissen, dass Sie eine Mehrwertsteuererhöhung planen, welche zu zwei Dritteln zur Sanierung der Haushalte verwendet wird, und dass die Bürgerinnen und Bürger im Land sowie die Wirtschaft weiter belastet werden. Darüber bin ich doch erstaunt, weil Ministerpräsident Oettinger noch im Juni gesagt hat:

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man die Mehrwertsteuer um ein bis zwei Punkte erhöht, wenn dann auch die Lohnnebenkosten abgesenkt werden.

Unter dem Strich dürften die Bürger nicht weiter belastet werden.

Na ja, das ist ja schon fast ein halbes Jahr her. Das Verfallsdatum dieser Aussagen scheint kurz sein.

Zurück zu unseren strukturellen Vorschlägen für den Landeshaushalt. Wir haben nicht nur die Streichung der 13. Monatspension gefordert. Wir haben außerdem vorgeschlagen, in die Landesverfassung eine Schuldenbremse nach Schweizer Vorbild einzubauen. Wir haben vorgeschlagen, dass es einen verbindlichen Plan geben muss. Wer Schulden macht, muss auch sagen, wie und mit welchen konkreten Maßnahmen er sie wieder zurückzahlen kann. Auch das haben Sie abgelehnt, Herr Minister Stratthaus. Heute predigen Sie weiter über Verantwortung und Konsolidierung, aber wenn es um konkrete Maßnahmen geht, sagen Sie: Um Gottes willen, das geht nicht.

Wir wollen Ihnen deshalb noch einmal vier Punkte vorschlagen:

Der erste: Das Prinzip Hoffnung ist am Ende. Wenn wir mitgeschrieben hätten, wie oft gerade in den Reden des Kollegen Herrmann und des Ministers Stratthaus das Wort „Hoffnung“ vorgekommen ist, dann würde das ja gar nicht mehr auf ein Blatt Papier passen.

(Abg. Kiefl CDU: Ein gutes Wort!)

Sie müssten eigentlich wissen, dass die Zeit des Prinzips Hoffnung vorbei ist.

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Der Mensch hofft, solange er lebt! – Abg. Theurer FDP/DVP: Grün ist doch die Farbe der Hoffnung!)

Sie haben jetzt 50 Jahre lang hier in Baden-Württemberg gehofft. Das Resultat ist eine Verdoppelung des Schuldenstands im Landeshaushalt

(Abg. Dr. Scheffold CDU: Wir haben die anderen Länder subventioniert! Das haben wir gemacht!)

von 40 Milliarden DM auf über 40 Milliarden € in der Amtszeit von Ministerpräsident Teufel, Herr Kollege Scheffold. Unter der Regierung von Ministerpräsident Oettinger geht das gerade so weiter. Das Resultat: Der Landeshaushalt schlingert am Rande der Verfassungsmäßigkeit.

(Abg. Herrmann CDU: Aber er ist verfassungsge- mäß!)

Er ist nach formaljuristischen Kriterien gerade noch verfassungsgemäß.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Ich weiß gar nicht, wie Sie dazu kommen, ihn so groß zu loben. Wahrscheinlich müssen Sie sich hier selber Mut zusprechen, denn mit diesem Nachtrag wird die Zukunft nicht gestaltet, sondern sie wird verscherbelt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen)

Ich würde gerne einmal einiges vorrechnen mit Steuerminder- und -mehreinnahmen. Da geht einiges durcheinander. Aufgrund der Zeit nur so viel: Wir haben natürlich kein Plus, sondern wir haben nur ein bisschen weniger Minus. Von einem Schuldenabbau kann keine Rede sein.

(Abg. Herrmann CDU: Das hat doch keiner gesagt! Sie haben vorhin etwas anderes aufgeschrieben!)

Wir nehmen immer noch 2 Milliarden € neue Schulden auf. Insofern möchte ich das hier noch einmal klarstellen, Herr Kollege Herrmann: Ein bisschen weniger Minus und kein Plus.

(Abg. Herrmann CDU: Eine Verringerung der Net- toneuverschuldung!)

Gestern ist die Wachstumsprognose des Sachverständigenrats gekommen. Daraus wird klar, dass der Hoffnung auf weiteres Wachstum – auch diese ist ja hier bei der CDU noch weit verbreitet – jede reale Basis fehlt.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Sollten die Beschlüsse der großen Koalition so aussehen, wie wir es gerade in der Zeitung lesen – mit Mehrwertsteueranhebung und „Reichensteuer“, die auch viele Betriebe im Mittelstand belastet –, dann wird es mit dem Wachstum auch in Zukunft sicherlich nichts werden. Insofern haben Sie auch hier wieder nur gepredigt, Herr Minister. Sie haben gesagt: „Bei der Unternehmensteuerreform müssen wir dringend etwas machen.“ Das, was jetzt in Berlin passiert, ist das genaue Gegenteil, und das lehnen wir entschieden ab.

(Beifall bei den Grünen)

Worum geht es? Den Begriff Kernaufgaben haben ja einige meiner Vorredner auch genannt. Allerdings sagen sie nie, welche Kernaufgaben das denn eigentlich sind

(Abg. Theurer FDP/DVP: Lesen Sie meine Rede!)

und vor allem was denn dann keine Kernaufgaben sind, Herr Kollege Theurer. Tatsache ist, die Debatte darüber, was langfristig die Kernaufgaben des Landes sind, wird nicht wirklich geführt, sondern das Prinzip Hoffnung regiert.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Reden Sie keinen Blöd- sinn!)

Ich möchte Ihnen noch eine Zahl vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung nennen. Bei einer Fortführung der jetzigen Finanzpolitik wird der Schuldenstand je Einwohner in Baden-Württemberg von 3 700 € im Jahr 2002 auf fast 33 000 € bis zum Jahr 2030 ansteigen. Das muss man sich einmal vorstellen! Da frage ich Sie, wie Sie die Chancen der Kinder und der Jugendlichen im Land tatsächlich sichern wollen, wenn Sie sich immer vor der Antwort auf die Frage drücken, was denn jetzt Kernaufgabe ist und was eben nicht.

Auch hierzu haben wir klare Vorschläge gemacht. Wir haben gesagt: Schluss mit der Förderung von Flughäfen, von Billigfliegern, von Messen, von verkehrspolitischen Großprojekten wie Stuttgart 21. Stattdessen setzen wir auf Bildung, und wir werden im Finanzausschuss noch einmal konkret die Anträge einbringen, liebe Kolleginnen und Kollegen, in denen wir Ihnen das darstellen. Da geht es insbesondere um ein professionelles personelles und pädagogisches Gerüst für die Ganztagsschulen im Land.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Blenke CDU: Und woher kommen die wirtschaftlichen Impulse für die Steuereinnahmen?)

Die wirtschaftlichen Impulse für die Steuereinnahmen kommen dann doch eher von uns. Von der CDU und der SPD werden sie, wie es im Moment aussieht, allem Anschein nach nicht kommen, sondern da wird es sicherlich noch schlechter werden.

(Abg. Blenke CDU: Grün ist die Hoffnung! – Abg. Seimetz CDU: Gut, dass Frau Sitzmann dabei noch lächeln muss!)

Meine Damen und Herren, der Herr Finanzminister hat gesagt, wir müssten die Sparpolitik, die jetzt angedacht ist, weiterverfolgen. Ich hoffe nicht, dass die Landesregierung

das tut, weil wir diese Politik für einfallslos halten. Wir haben die Rasenmähermethode, globale Minderausgaben und Einsparauflagen auch wieder in diesem Nachtragshaushalt. Damit werden die öffentlichen Finanzen sicherlich nicht gerettet. Was wir brauchen, sind vielmehr strukturelle Reformen mit einem längeren Atem und einem längeren Horizont.

Einige Kolleginnen und Kollegen treffen sich seit eineinhalb Jahren in der Enquetekommission „Demografischer Wandel“. Wir haben uns intensiv mit den Herausforderungen beschäftigt, die auf Baden-Württemberg zukommen. Es würde jetzt länger dauern, das auszuführen. Ich will deshalb nur ein paar Stichworte nennen: Schulentwicklung, Studienplätze, Pflege, Gesundheit und Pensionslasten. Das alles sind langfristige Probleme. Da geht es um Zeiträume von 10, 15 und 20 Jahren. Darauf haben wir von Ihnen bislang keine Antwort. Diese erwarten wir aber, und zwar auch auf die Frage, wie Sie denn die staatlichen Aufgaben und die Finanzierung in Einklang bringen wollen, wenn Sie Vorschläge von uns, wie sie auf dem Tisch liegen, zum Beispiel hinsichtlich des Einbaus einer Schuldenbremse, ablehnen. Bislang hat jedenfalls die Landesregierung ihre diesbezüglichen Hausaufgaben nicht gemacht.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Die Grünen auch nicht!)