Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

(Ministerpräsident Teufel)

Wir brauchen keine Föderalismusreform in Deutschland. Wir brauchen eine Zentralismusreform in Deutschland. Das wäre der richtige Begriff für das, was jetzt als Aufgabe ansteht.

(Abg. Wieser CDU: Wir brauchen eine andere Bundesregierung!)

Wir brauchen eine Stärkung der Landtage. Ich werde mich in der Föderalismuskommission in dem Bemühen um die Rückverlagerung von Gesetzgebungsrechten an die Landtage von niemandem übertreffen lassen. Darauf können Sie sich verlassen!

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, dafür – die Betonung liegt auf „dafür“ – geben wir dann auch Zug um Zug Mitbestimmungsrechte im Bundesrat auf, aber auch nur dafür und in dem Umfang, wie wirklich Gestaltungsrechte an die Landtage zurückkommen.

(Abg. Oettinger CDU: Sehr gut!)

Wir wollen keinen Beteiligungsföderalismus, sondern Gestaltungsföderalismus und Wettbewerbsföderalismus.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein Bundesstaat. Nach dem Grundgesetz stehen Bund und Länder gleichberechtigt nebeneinander. Die Länder haben eine eigene, nicht vom Bund abgeleitete Staatsqualität. Deshalb heißen sie im Grundgesetz übrigens auch „Länder“ und nicht etwa „Bundesländer“, wie so viele leider immer wieder falsch sagen.

(Abg. Kiefl CDU: Sehr richtig!)

Man muss schon staunen: In Frankreich, wo ich gestern bei einer Konferenz mit den Regionalpräsidenten war, stand auf allen Fahnen und Transparenten der Begriff „Länder“. In Deutschland höre ich aber immer den Begriff „Bundesländer“, obwohl es keine Bundesländer, sondern nach dem Grundgesetz nur Länder gibt.

(Abg. Rüeck CDU: Erst waren die Länder da, und dann kam der Bund!)

Die Ausübung der staatlichen Aufgaben ist grundsätzlich Sache der Länder. Dieser vom Grundgesetz garantierten Eigenständigkeit der Länder wird die Verfassungswirklichkeit in Deutschland nicht mehr gerecht. Der Föderalismus ist ein Fall für Sonntagsreden geworden. An den Werktagen wird er umgangen. Die staatliche Ordnung in Deutschland bleibt nicht erst seit heute weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die Chancen des Föderalismus liegen in der Vielfalt und in der Offenheit für neue Ideen. Diese Chancen werden viel zu wenig genutzt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Der Ruf nach der „bundeseinheitlichen Regelung“, die Totalnivellierung der Länder durch überzogene und unver

ständliche Ausgleichssysteme sowie das krampfhafte Festhalten an „gleichen Lebensverhältnissen“ beherrschen das Bild. Damit wird der so dringend notwendige Gestaltungswettbewerb um bessere Lösungen für ganz Deutschland verhindert. Diese Selbstblockade Deutschlands muss endlich aufgelöst werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Die Lösungen liegen auf der Hand:

Klare Trennung und Teilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern. Der Föderalismus muss seine gewaltenteilende Wirkung wiedergewinnen.

Mehr Zuständigkeiten für Länder und Länderparlamente und dafür Abbau von Mitentscheidungsrechten der Länder im Bundesrat.

Abbau der Mischfinanzierungen.

Festschreibung des Konnexitätsprinzips: Wer etwas beschließt, was Geld kostet, übernimmt auch die Rechnung dafür.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP und des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die baden-württembergische Landesverfassung ist seit 1952 dafür vorbildlich. Hätten unsere Städte und Gemeinden eine ähnliche Bestimmung, wie sie in der Landesverfassung steht, auch im Grundgesetz, dann müsste die Kreisumlage nicht jedes Jahr gesteigert werden, weil unsere Kreise einen Anspruch an den Bund auf Erstattung der Sozialausgaben hätten, für die sie verwaltungsmäßig zuständig sind, die sie aber nicht von Haus aus tragen müssten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Schon viel zu lange lädt der Bund die Kosten für seine Beschlüsse bei den Ländern und Kommunen ab. Das muss aufhören. Baden-Württemberg sagt Ja zur Solidarität unter den Ländern, aber wir sagen Nein zur völligen Gleichmacherei durch die Finanzausgleiche zwischen den Ländern.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ja, meine Damen und Herren, wir empören uns, wenn das Land Berlin seine jahrelange Misswirtschaft durch zu viele Ausgaben vom Bund und von den übrigen Ländern sanieren lassen will, und wir ärgern uns, wenn der Bundeskanzler nach Aussage des Bremer Bürgermeisters diesem Stadtstaat weitere Hilfe über das hinaus, was das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat, versprochen haben sollte. Wir empören uns darüber, dass am letzten Freitag der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten von SPD und Grünen ein neues Ausgleichssystem beschlossen hat, und zwar lautlos und ohne jede öffentliche Darstellung.

Meine Damen und Herren, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe sollen bei der Arbeitsverwaltung zusammengefasst werden.

(Abg. Döpper CDU: Das ist eine Katastrophe!)

(Ministerpräsident Teufel)

Übrigens: 10 000 neue Bedienstete bei der Arbeitsverwaltung! Erstens: Wo sollen denn 10 000 Fachleute für diese Aufgabe herkommen? Das scheint mir die einzige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu sein, die die Bundesregierung, seitdem sie besteht, zustande gebracht hat, meine Damen und Herren, die einzige.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Aber jetzt geht es mir um die Schilderung dieses neuen Ausgleichssystems, das in keiner Zeitung gestanden hat, aber Baden-Württemberg wieder mit Millionenbeträgen belastet. Die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe sollen bei der Arbeitsverwaltung zusammengefasst werden. BadenWürttemberg hat die niedrigste Arbeitslosigkeit und die wenigsten Sozialhilfeempfänger. Der Ausgleich soll aber durch einen höheren Umsatzsteueranteil des Bundes erfolgen, und dieser Umsatzsteueranteil kommt überproportional aus Baden-Württemberg. Während wir also weit unterproportional Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger haben, haben wir beim Ausgleich weit überproportional Umsatzsteuereinnahmen und damit auch Umsatzsteuerprozentpunkte abzuliefern. Das trifft Baden-Württemberg und seine Kommunen von 2004 bis 2007 mit wenigstens 700 Millionen € zusätzlich zu den bestehenden Sicherungssystemen.

(Abg. Seimetz CDU: Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, was ich kritisiere, ist, dass baden-württembergische Bundestagsabgeordnete der SPD und der Grünen

(Abg. Wieser CDU: Unglaublich!)

dies entweder nicht merken oder trotz besseren Wissens zulasten unseres Landes im Deutschen Bundestag beschließen. Das ärgert mich.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe)

Sie dürfen gerne Zwischenrufe machen, aber bitte nehmen Sie doch Ihre Kolleginnen und Kollegen ins Gebet, dass sie nicht solche belastenden Dinge für unser Land am laufenden Band beschließen.

(Abg. Pfisterer CDU: Und die Vorsitzende ist im- mer dabei!)

Meine Damen und Herren, allein im ersten Halbjahr 2003 hat Baden-Württemberg 1,9 Milliarden € in den Finanzausgleich gezahlt. Seit 1950 haben wir über 45 Milliarden € an andere Länder gezahlt. Ohne diesen Finanzausgleich hätten wir keine Schulden, sondern Haushaltsüberschüsse, und selbst in einem so schwierigen Jahr wie 2003 müssten wir uns überhaupt nicht neu verschulden, wenn wir das behalten dürften, was die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft dieses Landes erarbeiten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wir hätten ein zusätzliches Wachstum von 1,5 Prozentpunkten. Das ist noch zurückhaltend gerechnet, denn wir könnten viele private Aktivitäten mit anschieben, die zu

sätzliches Wachstum über die 1,5 Prozentpunkte hinaus schaffen würden.

Meine Damen und Herren, die innerstaatliche Umverteilung übertrifft jedes gerechte Maß, und sie ist in dieser Form singulär in Deutschland.

Nach dem Länderfinanzausgleich, dem horizontalen Umsatzsteuerausgleich, den Bundesergänzungszuweisungen, dem Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, dem Ausgleichsfonds in der gesetzlichen Pflegeversicherung und dem Ausgleich auf der Ebene der Arbeitslosenversicherung nun ein weiterer Ausgleich im sozialen Bereich!

So geht das nicht mehr weiter. Hier muss der Landtag hinter der Landesregierung stehen

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)