Protokoll der Sitzung vom 07.10.2004

Meine Damen und Herren, wenn schon der Übergang von der Schule in die Berufsbildung für viele junge Menschen eine große Hürde darstellt, besonders wenn sie zu den 20 % eines Jahrganges in Baden-Württemberg gehören, die nicht oder nur bedingt ausbildungsfähig sind, wird die Lage für sie bei fehlenden Ausbildungsplätzen dann natürlich fast völlig hoffnungslos.

(Abg. Stickelberger SPD: Richtig!)

Wenn aber junge Menschen in unserer Gesellschaft nicht ausgebildet werden, ist nicht nur ihre eigene Zukunft chancenlos, sondern ist darüber hinaus die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft infrage gestellt.

(Beifall bei der SPD – Abg. Göschel SPD: Sehr richtig!)

Nun zur Lehrstellensituation, Stand 30. September dieses Jahres. Lassen Sie mich zusammenfassend zunächst sagen:

Erstens: Wenn die Initialzündung des Ausbildungspaktes, wie die Zahlen der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern aussagen, bisher zu einem Zuwachs von 3 % bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen gegenüber dem Vorjahr geführt hat, ist das sehr erfreulich.

Zweitens: Ob die Erfüllung der vereinbarten neu eingeworbenen Lehrstellen ein voller Erfolg ist, wie die Wirtschaft sagt, muss jedoch anhand der Größenordnung des Zuwachses und seiner Relation zu den Bewerberzahlen hinterfragt werden.

(Abg. Zeller SPD: Richtig!)

Drittens: Während sich insbesondere bei der Bereitstellung von Praktikumsplätzen zur Einstiegsqualifikation die Kammern hervorgetan haben, haben die Wirtschaftsverbände insgesamt zu wenig oder gar nichts getan und sich somit von den Vereinbarungen des Ausbildungspaktes verabschiedet.

(Abg. Schmiedel SPD: Sehr richtig!)

Viertens: Die von allen Seiten bestätigte noch bestehende Lehrstellenlücke zeigt, dass wir auch in diesem Herbst nicht jedem Jugendlichen, der sich beworben hat, einen Ausbildungsplatz anbieten konnten, weil es eben davon auch diesmal zu wenig gegeben hat.

Und nun die Zahlen zu Baden-Württemberg etwas genauer, Herr Kollege. Wenn die Wirtschaft die Zahl der vereinbar

ten 3 800 neu eingeworbenen Ausbildungsplätze sogar übertroffen hat, so besagt das eigentlich fast gar nichts. Die Zahl bezieht sich ja erstens auf das ganze Jahr 2004 – der Ausbildungspakt kam aber erst im Juni – und müsste zweitens mit der Zahl der im gleichen Zeitraum weggefallenen Ausbildungsplätze verglichen werden. Diese Zahlen gibt es aber nicht.

Auslöser des Ausbildungspakts war der stetige Rückgang der real neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Der Rückgang von 77 700 im Jahr 2000 auf 71 700 im Jahr 2003 entsprach einem Minus von 7,7 %. Selbst wenn bis jetzt, wie Sie dargelegt haben, im Land 3 % mehr Verträge abgeschlossen wurden, wird damit der Abbau, der in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, nicht aufgeholt. Für unsere Jugendlichen ist damit also die Lehrstellenlücke größer als im Vorjahr.

Hinzu kommt, dass wir auch eine größere Zahl von Bewerbern haben; denn gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der Bewerber nochmals um 6,2 % gestiegen.

Deshalb gab es eben Anfang September bei den Agenturen Baden-Württembergs noch 20 000 unvermittelte Bewerber auf lediglich 6 700 unbesetzte Ausbildungsstellen. Die Bilanz der Landesagentur weist nun zum Ende des Ausbildungsjahres, also 30. September, nur drei, vier Wochen später, die aktuellen Zahlen aus. Im Zeitraum von Anfang September bis Ende September wurden aber plötzlich aus den 20 000 unversorgten Bewerbern um einen Ausbildungsplatz nur noch – man wundere sich – 3 400.

Tausende Jugendlicher, meine Damen und Herren, sind nicht etwa vermittelt worden, sondern sind in Alternativen jenseits der dualen Ausbildung ausgewichen. Diese Bilanzmanipulation ist jedoch – das gebe ich zu – staatlich legitimiert und führt dann noch zu dem Effekt, dass Baden-Württemberg in der Statistik bei der Angebot-Nachfrage-Relation sogar im positiven Bereich liegt.

Das Ausbildungsjahr endete also am 30. September. Nach Einschätzung der Wirtschaft wird sich an der Bilanz bis zum Jahresende nicht mehr viel ändern, Herr Schuhmacher. Weil die Betriebe nämlich für ihre Entscheidung ein Jahr Zeit hatten, wird es für das abgelaufene Ausbildungsjahr auch nicht mehr viele neue Lehrstellen geben.

Andersherum: Man muss sich anstrengen, dass die 2 000 Plätze, die noch offen sind, vermittelt und weitere Praktikumsplätze geschaffen werden.

Die Ausbildungssituation 2004 zeigt, dass trotz Ausbildungspakt auch in Baden-Württemberg nicht allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen eine Vermittlung in das duale Ausbildungssystem angeboten werden konnte.

(Abg. Zeller SPD: So ist es!)

Das ist die Realität. Wenn nur 15 % der Unternehmen im kommenden Jahr ihre Ausbildungsbereitschaft steigern wollen, wie die IHK mitteilt, wird das auch im kommenden Jahr die Lage nicht verbessern.

Die Landesregierung hat somit ihre im Ausbildungspakt unterschriebene, als verbindlich bezeichnete Verpflichtung,

allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen ein Angebot auf Ausbildung im dualen System zu unterbreiten, nicht erfüllt, Herr Wirtschaftsminister. Sie trägt schwer an dieser Verantwortung, weil sie sich in den vergangenen Jahren eben leider damit begnügt hat, die geschönten Bilanzen der Statistik als Erfolg zu verkaufen. Sie hat dem kontinuierlichen Abwärtstrend bei der Zahl der Ausbildungsplätze tatenlos zugesehen.

(Abg. Schmiedel SPD: Däumchen gedreht! – Abg. Dr. Birk CDU: Wo leben Sie eigentlich?)

Trotz der wachsenden Zahl der Schulabgänger, die zu versorgen waren, hat sie weiter nichts getan.

Die Landesregierung hat auch, wie das Ergebnis der eingeführten Kompetenzchecks bei den Kammern zeigt, nichts gegen die große Zahl der nicht vermittelbaren Jugendlichen getan. Wenn 20 % der Jugendlichen eines Jahrgangs aufgrund mangelnder Berufsvorbereitung den theoretischen Anforderungen anerkannter Ausbildungsberufe im dualen System nicht mehr gewachsen sind, muss sich doch die Frau Kultusministerin, die die Verantwortung im Bildungssystem trägt, hinterfragen lassen und die von der OECD getroffene Kritik einstecken.

(Beifall bei der SPD – Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit angezeigt.)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Ich bitte darum.

Meine Damen und Herren, in unserem Bildungssystem stimmt doch etwas nicht mehr, wenn ein Hauptschüler heute kaum noch seinen Traumberuf des KfzMechanikers erlernen kann, weil die gewachsenen Anforderungen den Abschluss der mittleren Reife fast unabdingbar für diesen Beruf machen. Somit muss sich aber doch die Kultusministerin die Kritik an einem veralteten, selektiven Dreiklassenschulsystem gefallen lassen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Das Handwerk braucht eben auch ausbildungsfähige Bewerber mit einer guten schulischen Grundlage und hat die Politik schon mehrfach aufgefordert, zu reagieren. Die Verweigerungshaltung der Bildungspolitik in diesem Land

(Abg. Kübler CDU: Glauben Sie das selbst?)

bleibt damit aber leider weiterhin eine der Ursachen dieser Ausbildungsplatzmisere.

(Beifall bei der SPD – Abg. Schmiedel SPD: So ist es! – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, Sie wollten vor geraumer Zeit zum Schluss kommen.

(Abg. Kübler CDU: Das wäre gut!)

Meine Damen und Herren, im Interesse unserer Jugend und ihrer Chancengerechtigkeit muss sich bald einiges ändern, auch in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Caroli SPD: Sehr gute Rede! – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Hofer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag, der Grundlage für die heutige Diskussion ist, gibt Auskunft über die Lehrstellensituation im Sommer des vergangenen Jahres. Wir alle wissen, das ist Schnee von gestern.

Interessant ist aber, im Rückblick festzustellen, dass BadenWürttemberg, wie in den vergangenen Jahren, bei der Angebot-Nachfrage-Relation unter allen Bundesländern mit weitem Abstand den Platz Nummer 1 im positiven Sinne einnimmt. Herr Wintruff, Ihrem Vortrag zufolge scheinen Sie ein ganz kleines bisschen in einer anderen Welt zu leben.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf von der CDU: Wolkenkuckucks- heim! – Abg. Wintruff SPD: Nein, nein! Sie haben halt keine Ahnung! Wenn Sie mehr Ahnung hätten, würden Sie so etwas nicht sagen!)

Beeindruckend ist die Vielfalt der Aktivitäten, die die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe im Land erhöhen.

(Abg. Wintruff SPD: Haben Sie gestern zufällig Zeitung gelesen?)

Ich brauche sie nicht alle aufzuführen; die meisten kennen sie. Mein Dank gilt insbesondere den Unternehmern, den Handwerksbetrieben, die ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung nachgekommen sind. Denen gilt es zu danken.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Besorgniserregend ist – das zeigt auch der Rückblick –, dass sich die Schere zwischen der Zahl der gemeldeten Stellen auf der einen Seite und der Zahl der Bewerber auf der anderen Seite im Jahr 2003 deutlich geöffnet hat. Das heißt, einem Rückgang der Zahl der gemeldeten Stellen um immerhin 10,8 % steht ein Anstieg der Zahl der Bewerber um 3,2 % gegenüber.

Jetzt wollen wir natürlich alle wissen, wie es ein Jahr später aussieht. Noch im Juli dieses Jahres – auch das muss man konstatieren, weil wir hier ja keine heile Welt vermelden wollen – war die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber groß. Die Schere hat sich sogar noch weiter geöffnet. Das sind die genannten 20 000 Jugendlichen, die noch nicht mit einer Lehrstelle versorgt sind.

(Abg. Wintruff SPD: Das stimmt nicht! Die waren Ende August!)