Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

(Große Heiterkeit und anhaltender Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Capezzuto SPD: So isch no au wieder!)

Jetzt komme ich zu Ihrer Familienorgie, die Sie vorhin gebracht haben. Sie streichen das Programm „Mutter und Kind“. Wissen Sie, was Sie damit anrichten? „Mutter und Kind“, Herr Scheffold, ist das Programm gewesen, das eine große Rolle für uneheliche Schwangere spielte und die Entscheidung für oder gegen das Kind maßgeblich beeinflusste.

(Abg. Alfred Haas CDU: Vor 25 Jahren!)

Auch heute noch. Ich lese Ihnen nachher etwas vor. Der Herr Ministerpräsident hat einmal so schön gesagt: In Baden-Württemberg bekommt jeder eine Chance, und wenn er es nicht schafft, bekommt er eine zweite Chance, und wenn er es auch dann noch nicht schafft, bekommt er eine dritte Chance. Das ist klar.

(Ministerpräsident Teufel: Sie sind doch das Bei- spiel dafür! – Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Nur, wenn Sie dieses Programm abschaffen, geben Sie den Kindern und den Familien nicht einmal die erste Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist das Problem.

(Beifall bei der SPD – Abg. Capezzuto SPD: So ist es!)

Dann streichen Sie die Mittel für Familienerholungsmaßnahmen auf null.

(Abg. Alfred Haas CDU: Schon lange!)

„Gott sei Dank“, sehr schön, Herr Haas. Herr Haas hat gesagt: Gott sei Dank.

(Abg. Alfred Haas CDU: „Schon lange!“ habe ich gesagt!)

Jetzt lese ich einmal vor, was die Diakonie und die Verbände und Caritas sagen:

Die geplanten Kürzungen seien dennoch mit den oft geäußerten Zielen der Landesregierung nicht in Einklang zu bringen,

(Abg. Alfred Haas CDU: Machen Sie doch Ein- sparvorschläge!)

Familien zu fördern und die Pflegefähigkeit im häuslichen Umfeld zu stärken.

Das machen Sie alles kaputt. Es geht sogar noch weiter:

Die Verbände werfen der Landesregierung in manchen Bereichen eine widersprüchliche Politik vor. Erst vor zwei Jahren habe sie eine Förderung von Betreuungsgruppen für Demenzkranke beschlossen. Caritas-Direktorin... verglich die Kürzungspläne mit einer gerade frisch befeuerten Lokomotive, mit der man „eine Vollbremsung auf offener Strecke hinlegt“.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Unglaublich!)

Also schlimmer geht es wohl nicht! Caritas und Diakonie stehen ja nun nicht unbedingt der SPD nahe, Caritas auf jeden Fall nicht, Herr Haas, oder?

Nun kommen wir zur Weiterbildung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind doch ein Bildungsland. Bisher waren wir stolz darauf, dass jeder Erwachsene, der noch das Abitur machen wollte, die Abendrealschule besuchen konnte. Vor zehn Jahren waren das in Baden-Württemberg 3 770 Leute, jetzt sind es fast 5 790. Mit den Streichungen von 1,4 Millionen € im nächsten Jahr und 3,7 Millionen € im übernächsten Jahr ist es aus, sagen alle, die sich in der Erwachsenenbildung auskennen. Das ist der Tod der Erwachsenenbildung. Erwachsene Baden-Württemberger werden nach Hessen oder Bayern gehen müssen, um sich noch weiterbilden zu können. Deswegen sage ich: Wer für ein Bildungsland eintritt, muss den Menschen auch die Chance geben, sich auch später noch zu qualifizieren, später das Abitur zu machen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Im Übrigen beträgt da der Migrantenanteil 30 bis 50 %. Das ist eines der besten Programme zur Integration. Das machen Sie kaputt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wir können alles außer Bildung!)

Jetzt kommen wir noch zur Wirtschaft. Ich habe gehört, Herr Oettinger will sich besonders um den Mittelstand kümmern. Dabei sind die Förderung von Mittelstandsdarlehen radikal gekürzt und die Innovationsförderprogramme schon 2002 komplett eingestellt worden. Und so geht es weiter. Der Industrie- und Handelskammertag hat jetzt in einem Positionspapier zur wirtschaftsnahen Forschung als Innovationsmotor in Baden-Württemberg Stellung genommen. Die Kammer wendet sich ausdrücklich gegen Kürzungen in der Grundfinanzierung der Institute der wirtschaftsnahen Forschung. Das sind die Forschungsanstalten, die Forschung sofort in Praxis umsetzen. Da waren wir ja bis

her gut. Was tut die Landesregierung jetzt? Genau das Gegenteil. Zum Jahresende schließt das Zentrum für Fertigungstechnik Stuttgart, weil das Land die Grundfinanzierung von 500 000 € streicht, obwohl eine Drittmittelquote von 75 % vorhanden ist. Was soll denn dieser Unsinn? Warum machen Sie denn dieses Zentrum kaputt? Sie tun doch nichts mehr für den Mittelstand, sondern Sie machen Strukturen, die Baden-Württemberg bisher vorwärts gebracht haben, kaputt. Von wegen „Ich kümmere mich um den Mittelstand“!

(Beifall bei der SPD)

Nun komme ich zum Sport. Herr Scheffold, Sie sagen jetzt einfach, man werde sich über die Kürzungen im Sportbereich noch einmal unterhalten. Sie machen ja das Spiel jedes Jahr: zuerst 10 Millionen €, dann 7 Millionen € Streichungen. Jetzt wollen Sie zweimal 5 Millionen € streichen. Jetzt hat sich der Sport gewehrt – zu Recht – und hat erklärt: Wir haben uns auf die Zusage verlassen, dass keine weiteren Kürzungen erfolgen. Jetzt wird Folgendes argumentiert: Aber die Übungsleiterpauschale bleibt bestehen. Das heißt, Sie machen nichts anderes, als dass Sie im Grunde genommen die Streichung vornehmen. Die Übungsleiterpauschale soll bestehen bleiben. Dann muss der Sport die fehlenden Mittel aus anderen Bereichen nehmen. Sie greifen damit sogar in die Finanzautonomie unabhängiger Verbände ein. Begreifen Sie eigentlich nicht, was Sie da anrichten?

(Beifall bei der SPD – Abg. Zeller SPD: So ist es, jawohl! – Abg. Capezzuto SPD: Überschätzung der Macht!)

Für den Straßenbau streichen Sie wieder 32 Millionen €. Herr Oettinger sagt dann so schön:

Wenn ich überhaupt in dem Bereich Selbstkritik in der CDU Baden-Württemberg übe, dann haben wir in 20 Jahren Alleinregierung von 1972 bis 1992 die Probleme der Verkehrskapazitäten von Schiene und Straße, lange auch vom Flugverkehr, unterschätzt. Da haben wir Nachholbedarf.

Jetzt wird wieder um 32 Millionen € gekürzt.

Im Übrigen ist die Straßenfinanzierung sowieso eine besondere Geschichte. Sie müssen sich einmal anschauen, wie Sie das mit Kreditfinanzierung und Tilgungsstreckung langsam hinkriegen. Das ist wirklich eine Meisterleistung der Finanzbeamten; das gebe ich zu. Aber es ist unehrlich und führt dazu, dass wir nur noch mit Streckungen und nicht mehr mit normalen Finanzierungsmöglichkeiten über die Runden kommen. Wir lagern alles aus. Das ist doch unmöglich! Wir machen Schattenhaushalte. An sich müssten wir all das, was da noch nebenher finanziert wird, in den Haushalt eingliedern. Dann sind wir auch wieder nicht bei der verfassungsmäßigen Grenze.

Nun hat Herr Oettinger eine Diskussion mit der Maut losgetreten. Das finde ich schon eine starke Geschichte: Die KfzSteuer kommt zum Bund. Der Bund kann sie dann auflösen. Bisher ging man allgemein davon aus, dass genau der gleiche Betrag – das sind 8 bis 9 Milliarden € bundesweit – dann auch tatsächlich über die Mineralölsteuer – das wären

15 Cent pro Liter – wieder hereingeholt wird. Vielfahrer zahlen mehr, Rentner und andere Leute müssten erheblich weniger bezahlen, wenn die Kfz-Steuer wegfällt, weil sie ihr Auto nicht so häufig benutzen. Das ist logisch.

Jetzt sagt Herr Oettinger Folgendes, und die ganze Presse schreibt das auch noch:

(Heiterkeit bei der SPD und den Grünen)

„Wir machen eine Maut. Wir schaffen die Kfz-Steuer ab.“ Erstens geht Ihr Vorschlag nach dem EU-Recht gar nicht. Sie können die Maut nur auf Autobahnen machen. Wenn Sie sie auf Autobahnen machen

(Abg. Oettinger CDU: Ja!)

ja, ich komme gleich drauf –, dann müssten Sie eine Maut erheben, die zuerst einmal die 10 Millionen € hereinholt. Wenn Sie etwas für den Straßenbau tun wollen, brauchen Sie eine hohe Maut. Da hat ja schon jemand geäußert, dass es teurer wird. Das heißt, Sie wollen über die Maut – das sind dann 4 Cent pro Kilometer bei der Autobahn – die Ausfälle bei der Kfz-Steuer hereinholen, und darüber hinaus wollen Sie die Maut so hoch ansetzen, dass Sie noch Geld für den Straßenbau haben. Ist das so? Sie wollen also den Autofahrer erneut belasten – dann müssen Sie das aber auch sagen! –, und zwar erheblich, sonst bekommen Sie daraus kein Geld für den Straßenbau.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas zum Bereich der Innenpolitik sagen. Was haben wir hier über das Antiterrorprogramm diskutiert! Und was machen Sie jetzt? Jetzt streichen Sie das Antiterrorprogramm wieder zusammen. Nach Madrid waren Sie wenigstens noch bereit, uns aufmerksam zuzuhören, als wir vertraten, dass man das nicht tun sollte. Jetzt machen Sie es wieder. Von 12,53 Millionen € im Jahr 2001, in dem Sie das Programm begründet haben, gehen Sie auf 35 000 € zurück. Von 12,53 Millionen € auf 35 000 € pro Jahr! Das ist Terrorismusbekämpfung in Baden-Württemberg – schönen Glückwunsch! Ich warte bloß darauf, dass es den nächsten Vorfall gibt; dann müssen wir wieder etwas machen. Sie müssen Terrorbekämpfung doch langfristig angehen und nicht erst dann, wenn es einen Vorfall gibt, wieder hochziehen!

(Beifall bei der SPD)

Von den 50 Stellen in diesem Programm streichen Sie schon wieder vier. Das ist eine völlig falsche Sicherheitspolitik. Herr Oettinger erklärt auf dem Parteitag, gestrichen werde bei der inneren Sicherheit und bei der Polizei nicht. Recht herzlichen Glückwunsch zu diesem Haushalt, Herr Oettinger! Dann stimmt das ja, was Sie sagen.

Das Nächste ist: Gehen Sie doch einmal in die Polizeidienststellen, und gucken Sie sich die Ausrüstung an. Der Funk bricht ständig zusammen. Die Polizeibeamten verständigen sich im Einsatz teilweise über Handys, was hinsichtlich der Geheimhaltung besonders toll ist, und teilweise sogar über Privathandys, weil sie gar keine Diensthandys haben. Das ist die Situation.

(Abg. Blenke CDU: Aber Sie wissen, dass das mit dem Funk eine bundesweite Sache ist! Reden Sie doch keinen Unsinn! – Zuruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD)

Und in dieser Situation redet der Innenminister von blauen Uniformen! Gehen Sie doch einmal dem nach, was Sie eigentlich tun müssten, nämlich die Polizei richtig ausrüsten, anstatt Hirngespinste über neue Uniformfarben zu verfolgen. Das ist nun wirklich ein Nebenkriegsschauplatz.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nur ein kleiner Teil gewesen, aber es ist der wesentliche Teil. Sie haben weder Strukturveränderungen angesprochen, noch haben Sie angesprochen, wie Sie das mittelfristig machen wollen. Warten Sie auf Wachstum, oder was wollen Sie eigentlich machen?

(Abg. Dr. Scheffold CDU: Was haben S i e ei- gentlich für Vorschläge angesprochen?)

Darüber werden wir im Januar reden. Wir reden hier über Ihre Vorlage. Heute haben wir gehört, dass alles, was Herr Oettinger versprochen hat, in diesem Haushalt nicht enthalten ist. Analog zu Max Frischs Roman „Homo Faber“ müssen Sie aufpassen, Herr Oettinger, dass Sie nicht der „Homo Laber“ in der Landespolitik werden.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)