Protokoll der Sitzung vom 18.02.2005

Sie sagen nun immer, wir seien für Baden-Württemberg zuständig und es habe keinen Sinn, auf andere Länder oder

(Minister Stratthaus)

auf den Bund zu zeigen. Das ist natürlich nicht richtig. Wir sind eingebunden in Bundesgesetze,

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau!)

wir sind eingebunden in Landesgesetze, wir haben ein Beamtenrecht, wir haben ein Tarifrecht, das vom Bund und von den anderen Ländern bestimmt wird.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Finanzausgleich!)

All dies zusammen heißt, dass Baden-Württemberg eben keine Insel ist. Ich will jetzt gar nicht auf den Länderfinanzausgleich verweisen, sondern nur verdeutlichen, dass viele unserer Aufgaben strukturell durch wirtschaftliche oder durch rechtliche Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland vorgegeben worden sind.

(Beifall der Abg. Pfisterer CDU und Beate Fauser FDP/DVP)

Ich will jetzt keine grundsätzliche Darstellung mehr abgeben – das kann ein Finanzminister bei der Einbringung des Haushalts machen –, aber doch auf einige Argumente eingehen, die hier vorgebracht worden sind.

Es ist richtig, dass ich die Meinung vertreten habe, wir könnten bei einer weiteren Änderung unserer Steuerstruktur keinen Rückgang der Gesamtsteuereinnahmen mehr akzeptieren, sondern wir müssten umstrukturieren. Das heißt, wenn etwas verändert werden solle, müsse das aufkommensneutral geschehen. Das habe ich in der Tat gesagt.

Es gibt allerdings auch Situationen, in denen man gewissermaßen in Notwehr handelt. Was sich in den letzten Jahren in der Unternehmensbesteuerung in Europa abgespielt hat, bringt uns in eine Situation, die man fast mit einer Notwehrsituation vergleichen kann. Wir haben nämlich – ich komme nachher noch darauf – zugegebenermaßen die Unternehmensteuern im Jahr 2001 gesenkt, insbesondere die Körperschaftsteuer, aber in der Zwischenzeit haben andere Länder um uns herum – nicht nur die Beitrittsländer, sondern zum Beispiel auch Österreich – eine viel weiter gehende Senkung der Unternehmensteuern vorgenommen.

Meine Damen und Herren, man kann sich nun streiten, ob es nach unseren Gerechtigkeitsvorstellungen richtig ist, Kapital weniger zu besteuern als Arbeit.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ja!)

Das ist wirklich eine Frage, die man unter ethischen Gesichtspunkten stellen kann. Unter pragmatischen Gesichtspunkten muss ich eben feststellen, dass Kapital flüchtiger ist, als Arbeitskraft mobil ist. Deswegen ist es kein Zufall, dass der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Clement als Erster den Vorschlag gemacht hat, die Unternehmen weniger stark zu besteuern als die Arbeit.

Weil ich diesen Vorwurf von Herrn Kretschmann aufnehmen wollte, möchte ich noch einmal erklären: Es ist in der Tat so, dass wir eigentlich aufkommensneutral reagieren sollten. Aber in der augenblicklichen Situation der Unternehmensbesteuerung halte ich es fast für einen Akt der Notwehr, wenn wir hier etwas anderes vornehmen.

Die Frage ist nun: Wie kam es eigentlich dazu, dass wir in der heutigen Situation sind? Sie ist in der Tat nicht durch eine Steigerung der Ausgaben, sondern einzig und allein durch den Zusammenbruch der Einnahmen verursacht worden.

Ich will Ihnen die Zahlen nennen: Wir haben gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung seit dem Jahr 2000 Deckungslücken von insgesamt 12,7 Milliarden €. Für diese 12,7 Milliarden € haben wir folgende Deckung gefunden: Wir haben zwar 3,7 Milliarden € mehr Schulden gemacht, aber wir haben auch 9 Milliarden € eingespart. Das ist eine ganz außergewöhnliche Leistung,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

die hier in den letzten Jahren erbracht worden ist. Leider hat sie noch nicht ausgereicht.

Warum sind die Einnahmen so stark eingebrochen? Hierfür gibt es mehrere Gründe. Ein Grund ist eine gewollte Steuerentlastung. Es ist heute schon einmal zitiert worden, dass man die Spitzensätze, aber auch die Eingangssätze bei der Einkommensteuer sowie die Körperschaftsteuersätze heruntergesetzt hat.

(Abg. Zeller SPD: Sie wollten noch viel mehr!)

Zweitens hat man natürlich grobe handwerkliche Fehler gemacht. Man hat bei der Umstellung der Körperschaftsteuer dafür gesorgt, dass die großen Unternehmen zwei Jahre lang überhaupt keine Steuern zahlen mussten. In der Zwischenzeit sind wir wieder dabei, das etwas aufzuholen. Man hat auch durch eine miserable Wirtschaftspolitik – sie hat dazu geführt, dass wir beim Wachstum an letzter Stelle in der ganzen Europäischen Union stehen, und das schon seit Jahren – dafür gesorgt, dass nicht mehr Steuern eingehen.

Jetzt haben Sie, Herr Kretschmann, vorhin ganz interessante Rechnungen aufgemacht, was die prozentuale Veränderung der Verschuldung in den Achtziger-, in den Neunzigerjahren und in den letzten Jahren betrifft. Das, was Sie da gesagt haben, ist sehr fragwürdig. Ich gehe nachher noch einmal darauf ein. Sie dürfen nicht einfach die prozentuale Steigerung der Verschuldung anführen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat eine nahezu doppelt so hohe Pro-KopfVerschuldung wie wir. Wenn Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ihre Pro-Kopf-Verschuldung gleichermaßen um 100 € erhöhen, dann ist die prozentuale Steigerung in Nordrhein-Westfalen nur etwa halb so hoch wie die in Baden-Württemberg,

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

weil die Basis eine andere ist. Das heißt, wenn ich schon total verschuldet bin, dann wird natürlich eine weitere Steigerung der Verschuldung prozentual immer kleiner werden. Aber in absoluten Zahlen geht sie gewaltig weiter.

Ich will noch einmal auf etwas eingehen, wozu ich etwas weiter zurückgreifen muss und was auch vor zwei Tagen bei der Rede des Ministerpräsidenten schon angeführt wurde. Die Entwicklung der Verschuldung in der Bundesrepublik Deutschland hat folgenden Verlauf genommen: Wir hatten eine relativ geringe Verschuldung bis zum Jahr 1969.

(Minister Stratthaus)

Unter der ersten sozialdemokratisch geführten Regierung zwischen 1970 und 1982 ist die Verschuldung in der Bundesrepublik Deutschland ungeheuer stark gestiegen.

(Abg. Zeller SPD: Wie war es in der Steinzeit? Sag einmal!)

Es war eine dramatische Verschuldung, obwohl diese Verschuldung nicht notwendig war, um Zinsen für alte Schulden zu bezahlen. Man hat das Geld mit vollen Händen hinausgeschmissen. Der beste Bundeskanzler, den Sie je gestellt haben, sieht es genauso.

(Abg. Zeller SPD: Wir haben nur gute Bundes- kanzler!)

Helmut Schmidt ist nämlich zurückgetreten, weil er diesen Zirkus nicht mehr mitmachen wollte.

(Abg. Zeller SPD: Eine eigenartige Art der Ge- schichtsfälschung! Gehen Sie zu Herrn Kohl, und fragen Sie, wie viel Schulden er gemacht hat!)

Sie können sich noch gut erinnern, dass Helmut Schmidt gesagt hat: „So kann es nicht weitergehen!“ Ihr Finanzminister Alex Möller ist zurückgetreten, weil er nicht mehr mitmachen wollte. Ihr Wirtschaftsminister Schiller ist zurückgetreten, weil er nicht mehr mitmachen wollte. Zum Schluss ist noch der Bundeskanzler zurückgetreten, weil er Ihre Verschuldungspolitik nicht mehr mitmachen wollte.

(Beifall bei der CDU – Abg. Zeller SPD: Wie viele Minister sind hier zurückgetreten?)

Es folgte dann die Regierung Kohl, die zwischen 1982 und 1990 eine ausgezeichnete Finanz- und Steuerpolitik gemacht hat. Man hat in dieser Zeit die Schulden, in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, abgebaut. Zugegebenermaßen hat sich nach der Wiedervereinigung die Sache in eine andere Richtung bewegt.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: In Baden-Württem- berg steigen die Schulden schneller als das Brutto- inlandsprodukt!)

Ich komme gleich darauf.

Jetzt will ich Ihnen einfach einmal ein paar Zahlen nennen. Zwischen 1996 und 2004 ist bei uns in Baden-Württemberg die Pro-Kopf-Verschuldung um 1 014 € gestiegen. Das ist zu viel. Jetzt möchten Sie sicher gerne wissen, wie sie in den anderen Ländern gestiegen ist: in Rheinland-Pfalz um 1 920 €,

(Zurufe von der CDU: Hört, hört!)

in Schleswig-Holstein um 1 960 €, in Niedersachsen, das finanzpolitisch immer noch von Ihrer ehemaligen Regierungsverantwortung geprägt ist

(Lachen des Abg. Zeller SPD)

natürlich, man kann das doch nicht in einem Jahr ändern –, um 2 000 €

(Abg. Fischer SPD: So hat man es auch im Bund nicht verändern können!)

und in Nordrhein-Westfalen um 2 030 €. Also, in Nordrhein-Westfalen ist die Verschuldung doppelt so stark gestiegen wie in Baden-Württemberg, und da kommen Sie noch hierher und halten uns solche Vorträge.

(Abg. Fischer und Abg. Stickelberger SPD: Und im Bund?)

Dazu habe ich die Zahlen nicht da.

(Lachen bei der SPD – Abg. Zeller SPD: So ein- fach kann man es sich machen!)

Im Unterschied zu Ihnen sage ich nur dann etwas, wenn ich es wirklich weiß. Sie würden einfach irgendwelche Zahlen nennen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Kübler CDU: Super! 1 : 0! – Abg. Zeller SPD: Die haben Sie mit Ab- sicht vergessen!)

Jetzt muss ich auch noch die Pro-Kopf-Verschuldung nennen, wie sie eben in Gottes Namen ist. Sie beträgt bei uns 3 500 €. Das ist viel zu viel. Aber wo steht denn NordrheinWestfalen? Dort liegt sie bei 5 700 €, in Schleswig-Holstein bei 7 000 €.