Protokoll der Sitzung vom 28.04.2005

(Abg. Zeller SPD: Die Zurufe von Theurer werden immer billiger!)

Zur Substanz der Hochschulen: Herr Ministerpräsident, ich kann Ihnen nur raten, nicht immer nur mit neuen Sachen zu beginnen, sondern sich auch einmal um die Substanz unserer Hochschulen zu kümmern. Laut Rechnungshofbericht besteht hier ein Sanierungsrückstand von 2,4 Milliarden €. Das heißt, wenn wir so weitermachen, dann brauchen wir 80 Jahre, um den jetzigen Sanierungsrückstand an unseren Hochschulen aufzuholen. Wir haben vorletztes Mal über Ulm gesprochen und letztes Mal über Mannheim. Jetzt sprechen wir zum Beispiel einmal über Konstanz.

Ich bringe hier einmal ein Beispiel, damit Sie nicht dauernd lachen, wenn wir über die Hochschulen sprechen. Der Rückstand ist katastrophal. In der Universität Konstanz sitzt einer der berühmtesten Philosophen der Gegenwart, Herr Professor Jürgen Mittelstraß, neben einer Chromwanne, die das Wasser aus den Baufugen auffängt, damit seine Bücher nicht nass werden. Das berichtet die „Stuttgarter Zeitung“ vom 15. April 2005. Das Flachdach ist undicht, und zwar schon seit Monaten.

(Abg. Reichardt CDU: Bei euch auch! – Abg. Schmiedel SPD: Unglaublich!)

Das wollte ich nur sagen.

Wir sind Spitze, aber was man jetzt machen muss, ist, vielleicht auch einmal an die Substanz zu gehen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Ursu- la Haußmann SPD: So ist es!)

Nachhaltigkeit ist hier gefragt, und deshalb muss man jetzt handeln.

Jetzt komme ich zu den Studiengebühren.

(Abg. Röhm CDU: Sind Sie dafür oder dagegen?)

Ja, das ist natürlich genau diese verkürzte Haltung: „Dafür oder dagegen?“

Ich habe in dem von Ihnen zitierten Interview – Sie haben mich ja nicht vollständig zitiert – in den „Stuttgarter Nachrichten“ Folgendes gesagt:

Es gibt aber nach wie vor begründete Bedenken. Ich halte nachlaufende Studiengebühren für sinnvoll, wenn das Geld tatsächlich den Hochschulen zur Verfügung steht.

Das haben Sie vorgelesen, aber den nächsten Satz natürlich nicht mehr:

Aber die soziale Abfederung bleibt ein Problem.

Genau darum geht es. Wir haben uns um die soziale Abfederung gekümmert,

(Abg. Fischer SPD zur CDU: Aber Sie noch nicht!)

aber Sie offensichtlich nicht. Wir haben das australische Modell angeschaut. Dort wurde mit 350 australischen Dollar begonnen, und jetzt sind sie bei 3 500 australischen Dollar pro Semester angelangt. Sie haben im Übrigen vor zwei Jahren allen Hochschulen Geld in Höhe von 120 Millionen € weggenommen, das Sie jetzt über Studiengebühren wieder hereinholen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Schmie- del SPD: So ist es! – Zuruf des Abg. Seimetz CDU)

Wir haben uns einmal angeschaut, was denn mit den Leuten geschieht, die nach Abschluss ihres Studiums eigentlich eine Familie gründen möchten und im Grunde genommen gerade zu diesem Zeitpunkt Geld hierfür haben müssten, die Kinder bekommen wollen und die sich ehrenamtlich engagieren sollen. All das verlangt man von den jungen Leuten, die sich zurzeit nur noch im Rahmen von Zeitverträgen realisieren können. Wir bekommen ja eine Generation von in Zeitverträgen Tätigen. Da haben wir gesagt: Zu allem dem, was diejenigen, die aus sozial schwierigen Schichten kommen, anschließend ohnehin zu tragen haben – die schleppen ja noch sonstige Belastungen mit sich herum, die sie abtragen müssen; das Studium kostet ja nicht nur die Studiengebühr –, noch Studiengebühren draufzupacken, das halten wir auch angesichts der demografischen Entwicklung für falsch.

(Abg. Mappus CDU: Der finanzpolitische Sprecher Ihrer Fraktion ist dafür! – Zuruf des Abg. Fischer SPD)

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Seimetz CDU: Der Schmid hat es auf den Punkt gebracht!)

Er ist dafür. Das ist aber doch nicht schlimm. In so einer Sache kann man doch streiten. Aber die Fraktion war immer dagegen. Ich habe mir das angeschaut, und ich bekenne hier: Ich halte es im Zusammenhang mit der sozialen Frage in der Bundesrepublik Deutschland für falsch, Studiengebühren einzuführen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Oettinger, Sie haben noch angesprochen – es tut mir Leid, ich würde es gerne schneller machen, werde aber immer unterbrochen –: Reformen im Arbeitsmarkt. Sie haben den Kündigungsschutz angesprochen, und Sie haben Mitbestimmung und Tarifrecht angesprochen. Hierzu muss ich einmal sagen: Ich habe immer gedacht, Sie würden sich in diesen Bereichen auskennen. Da fordern Sie im GEA für jeden neu Einzustellenden die Abschaffung des Kündigungsschutzes. Sie fordern jetzt als Neuestes für Berufseinsteiger eine Probezeit von drei Jahren. Wissen Sie eigentlich, was Sie zurzeit in der Wirtschaft machen können? Die Bundesregierung hat auf verschiedene Anwürfe aus der Industrie reagiert. Als Erstes war eingeführt worden, dass in kleinen Betrieben mit unter fünf Mitarbeitern kein allgemeiner Kündigungsschutz für alle mehr gilt, wenn sie noch jemanden zusätzlich einstellen und über die Fünfergrenze hinauskommen. Das wurde geändert. Wenn nun ein Betrieb jemanden einstellt, gilt der allgemeine Kündigungsschutz erst ab elf Mitarbeitern. Erstens.

Zweitens: In der Bundesrepublik Deutschland kann jeder, egal, welchen Alters, auf zwei Jahre befristet eingestellt werden. Das ist schon jetzt möglich. Weshalb soll man diese Möglichkeit denn auf drei Jahre ausdehnen, wenn sie schon jetzt nicht wahrgenommen wird?

Drittens: Jeder Arbeitnehmer über 52 Jahre kann unbeschränkt nur noch befristet eingestellt werden. Demnach gibt es hier gar keinen Kündigungsschutz mehr, weil die Industrie gesagt hat: „Wir würden die Älteren ja gern einstellen, wissen aber nicht, wie das mit der Gesundheit ist und ob sie noch so flexibel sind.“ Deshalb wurde jetzt von der Bundesregierung beschlossen, dass die erleichterten Befristungen noch länger möglich sind als bislang. Leider hat die Industrie auf diese Maßnahmen nicht reagiert. Wir haben bei der Altersgruppe der Arbeitnehmer über 55 Jahre nach wie vor nur 40 % Beschäftigung.

Für Existenzgründer, die möglicherweise mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, gilt der Kündigungsschutz nun erst nach vier Jahren. Jeder kann Leute für vier Jahre ohne Kündigungsschutz einstellen.

Was soll dann das Geschwätz, jetzt noch weiter am Kündigungsschutz herumzuwerkeln? Der Kündigungsschutz ist in Deutschland überhaupt keine Barriere mehr. Die Industrie muss das wahrnehmen, was wir in Berlin an Änderungen vorgenommen haben.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Dann wollen Sie die Mitbestimmung schleifen. Ich muss Ihnen sagen: Bei Alstom demonstrieren die Kollegen schon seit vier Tagen; sie brauchen Aufträge im Kesselbau, im Kraftwerksbau. Die freuen sich über Ihre Aussage, Kernkraftwerke länger laufen zu lassen. Aber sie haben als einzige Chance gegen den ausländischen Konzern ihre Rechte auf Mitwirkung und Mitbestimmung, damit sie auf gleicher Augenhöhe versuchen können, ihre Arbeitsplätze noch zu erhalten. Diese Rechte wollen Sie den Baden-Württembergerinnen und Baden-Württembergern nehmen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Ich möchte nicht zu lange sprechen, aber eines will ich schon noch aufgreifen. Zur Steuerreform kommen wir vielleicht nachher noch. Alles, was Sie zur Steuerreform vorgeschlagen haben, machen wir gerade. Die Körperschaftsteuer wird gesenkt.

Dann kommen Sie auf das Optionsmodell; das ist auch so eine Geschichte. Dieses Optionsmodell hat die SPD im Jahr 2000 in die Debatte um die große Steuerreform eingebracht. Das Land Baden-Württemberg hat dieses Optionsmodell abgelehnt. Zitat Erwin Teufel im Bundesrat am 17. März 2000:

An dieser … Ungleichbehandlung ändert auch das von Ihnen erfundene Optionsmodell nichts. Im Gegenteil: Es ist völlig unpraktikabel. Es ist vielmehr mit gefährlichen Fallstricken – insbesondere bezüglich der Erbschaftsteuer – versehen. Wenn überhaupt, dann ist dies allenfalls ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Steuerberater.

Sie sind Steuerberater, Herr Ministerpräsident. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie deswegen jetzt das Optionsmodell verfolgen wollen.

(Lachen des Ministerpräsidenten Oettinger)

Früher sagte das Land Baden-Württemberg: „Wir wollen das nicht“, und ein paar Jahre später wollen Sie es. Was ist das denn für eine abgestimmte Politik, Herr Ministerpräsident?

(Zuruf des Abg. Theurer FDP/DVP)

Steuerhinterziehung ist für mich keinen Deut besser als Sozialmissbrauch. Wir werden beides energisch bekämpfen.

Das hört sich gut an. Aber seit Jahren lehnen Sie alle Anträge von uns ab, die Steuerüberprüfungen zu verstärken und neue Steuerbeamte einzustellen – alles abgelehnt!

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Sie haben nichts zur Finanzierung des Haushalts gesagt – außer dass es Wachstum geben muss. Sie haben nichts über Privatisierung gesagt – außer dem tollen Satz: Wenn man etwas verkauft, kann man es nicht noch einmal verkaufen. Das ist, glaube ich, allen 128 Abgeordneten klar.

Zum Schluss: Was mich ebenfalls aufgeregt hat, ist, dass hier mit Behauptungen gearbeitet wird, die nicht stimmen. Beim Thema Polizei hören wir doch tatsächlich den Spruch:

Wir wollen die Polizeiarbeit künftig noch stärker operativ ausrichten. Das heißt konkret: Entlastung von Verwaltungsaufgaben, mehr Zeit für die Arbeit am Fall, mehr Präsenz vor Ort.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Richtig dreist!)

Sie haben während der Verwaltungsreform beschlossen, 772 Stellen für Verwaltungskräfte abzuschaffen. Alle Polizeibeamten in Uniform müssen sich jetzt wieder hinsetzen und tippen – in ihren Büros.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Die sind nicht „draußen“! Und jetzt kommen Sie mit diesen Sprüchen.

(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Mappus CDU)