Protokoll der Sitzung vom 13.06.2006

Ich kann anbieten, meine Damen, meine Herren, dies in fünf Jahren zu wiederholen.

(Heiterkeit und Beifall)

Ich darf Sie, Herr Präsident Straub, bitten, die Leitung der Sitzung zu übernehmen.

Danke schön für die gute Zusammenarbeit heute Morgen.

(Beifall im ganzen Haus)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste! Ich möchte mich zunächst sehr herzlich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür bedanken, dass Sie mich trotzdem zum Präsidenten des 14. Landtags von Baden-Württemberg gewählt haben. Ich sehe dies als großen Vertrauensbeweis an und werde mir natürlich alle Mühe geben, dieses Vertrauen auch zu rechtfertigen.

Es gehört zu meinem Amtsverständnis, dass ich Ansprechpartner aller Abgeordneten bin. Jede und jeder von Ihnen soll das Gefühl haben, dass ich mich für alle Kolleginnen und Kollegen verantwortlich fühle und mich für die Wahrung ihrer Rechte einsetze.

Dies will ich vor allem auch gegenüber den neu gewählten Abgeordneten versichern. Wo immer es Fragen für Sie geben mag: Ich bin mit meiner Verwaltung für Sie da.

Im Jahre 1956, also vor 50 Jahren, hat die Wahlperiode des 1. Landtags, der aus der Verfassunggebenden Landesversammlung hervorgegangen ist, ihren Abschluss gefunden. Der Landtag von Baden-Württemberg kann also auf eine über 50-jährige Tätigkeit zurückblicken. Dies mag Anlass sein, über unsere parlamentarische Arbeit nachzudenken. Dies führt direkt zum Thema Parlamentsreform, die nie abgeschlossen ist, sondern eine ständige Aufgabe für uns darstellt. Es ist mir aufgefallen, dass die Feststellung „BadenWürttemberg ist Spitze“ meist nur in Berichten der Regierung steht. Ich frage mich, warum dies nicht auch für den Landtag gelten soll und muss. Auch er muss auf der Höhe der Zeit sein und ständig an sich arbeiten, um seine Organisation und seine Arbeitsstrukturen zu verbessern.

Ohne Ihnen jetzt fertige Lösungen anbieten zu wollen, erschienen mir einige Punkte einer Überlegung wert: So haben einzelne Parlamente mit dem Instrument der Regierungsbefragung gute Erfahrungen gemacht. Es konnte damit auch die Lebhaftigkeit der Parlamentsdebatten verbessert werden. Wir müssten uns also überlegen, ob wir solche Regierungsbefragungen ebenfalls einführen wollen.

Gerne greife ich die Anregung aus dem Kreis der Fraktionen auf und mache mich dafür stark, mehr, dafür aber kür

zere Plenarsitzungen durchzuführen. Denn nur das Plenum ist wirklich geeignet, die politisch-parlamentarische Debatte vor den Augen der Öffentlichkeit auszutragen und die Themen, die uns angehen, in die Öffentlichkeit zu transportieren.

Mehr Plenarsitzungen bewirken auch mehr Rede und Gegenrede. Das bisher starre Regime der Redezeiten kann lockerer und flexibler gehandhabt werden. Der Alterspräsident hat das Instrument der freien Redezeit angesprochen. Ich meine auch, dass sich das bewährt hat, und das ist bis zum Ende der 13. Legislaturperiode auch nie missbraucht worden.

Auch außerhalb des Plenums sollten wir die parlamentarische Arbeit transparenter machen, indem wir mehr öffentliche Anhörungen durchführen und häufiger öffentliche Ausschusssitzungen abhalten. Die Geschäftsordnung gibt uns dazu schon jetzt die entsprechenden Möglichkeiten, die aber in der Praxis kaum ausgeschöpft werden. Hier sollten wir unsere Geschäftsordnung intensiver gebrauchen.

Eine wichtige Botschaft sowohl für Regierung und Verwaltung wie für die Öffentlichkeit ist es, die Präsenz des Landtags zu gewährleisten. Ich begrüße daher ausdrücklich, dass meine Anregung aufgegriffen worden ist, die parlamentslose Zeit zwischen dem Arbeitsende des alten Landtags und der Konstituierung des neuen Landtags zu verkürzen. Von der Vorverlegung der Wahlperiode um einen Monat wird nicht nur das Parlament profitieren, sondern sie wird als einen nicht unerwünschten Nebeneffekt auch einen Sparbeitrag bringen.

Es ist für mich klar, dass sich der Landtag auch inhaltlich neuen politischen Herausforderungen stellen und sie aufnehmen muss. Dies hat er, um ein Beispiel zu nennen, in der Europapolitik und bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren bereits erfolgreich praktiziert. Ohne unbescheiden zu sein, kann ich feststellen, dass er auf diesen Politikfeldern im Vergleich mit den Parlamenten anderer Länder sogar Schrittmacher ist.

Durch die Einrichtung eines eigenen Europaausschusses stärkt der Landtag seine europapolitische Kompetenz. Freilich wird der Europaausschuss für die parlamentarische Arbeit nur dann einen Gewinn darstellen, wenn sich die Ausschussmitglieder in der Sache einbringen und sich auch zeitlich stark engagieren. Auch muss die Landtagsverwaltung ihren Service insoweit erweitern. Dies gilt hier im Haus, aber es wird auch zu prüfen sein, ob eine ergänzende Präsenz in Brüssel notwendig und hilfreich ist.

Nach vielen Jahren einer ständigen Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund besteht jetzt die berechtigte Hoffnung, dass durch die Föderalismusreform die Landtage Gesetzgebungszuständigkeiten zurückgewinnen und neue Gesetzesmaterien übertragen bekommen. Wenn es soweit kommt, liegt es an uns, am Landtag, an den Abgeordneten und an den Fraktionen, die neuen gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger konsequent auszuschöpfen. In jedem Fall wird der Landtag durch die Stärkung seiner Gesetzgebungsfunktion an Bedeutung gewinnen.

(Präsident Peter Straub)

Die jetzt zum Abschluss kommende Föderalismusreform kann freilich nur ein erster Schritt sein. Ihr muss eine Reform der bundesstaatlichen Finanzverfassung folgen, und zwar noch in der laufenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestags. Die jetzige Schieflage, die schwache Länder belohnt und starke Länder über Gebühr bestraft, darf keinen Bestand haben. Solidarisches Verhalten können die so genannten Nehmerländer nur erwarten, wenn sie selbst bereit sind, ihre Sparanstrengungen zu verstärken und ihre Ausgaben zurückzufahren. Der Grundsatz „Fördern und fordern“ sollte als Devise auch für das System des Finanzausgleichs gelten. Wenn bisher die notwendigen Anreize hierfür fehlen, müssen sie geschaffen werden. Und wo offensichtlich ist, dass Länder ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, kann die Frage der Länderneugliederung nicht länger ein Tabu bleiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD und der Grünen)

Lassen Sie mich jetzt ein Thema ansprechen, das uns unmittelbar angeht und von der Öffentlichkeit argwöhnisch beobachtet wird: Auch der neue Landtag wird sich mit den Diäten befassen müssen. Ich habe wiederholt erklärt, dass bei der jetzigen Regelung die Abgeordnetenentschädigung im Vergleich zu den in der freien Wirtschaft gezahlten Gehältern, aber auch im Vergleich zu den Dienstbezügen der Beamten in Leitungs- und Führungspositionen zu niedrig ist und dass andererseits die Abgeordnetenversorgung zu großzügig bemessen ist.

Angesichts wachsender Versorgungslasten für die öffentlichen Haushalte und der daraus folgenden Notwendigkeit, die Alterssicherungssysteme zu konsolidieren, werden in meinen Augen auch die Abgeordneten ihren Beitrag leisten müssen. Dabei spreche ich mich für systemimmanente Korrekturen aus, wie sie auch die Diätenkommission empfohlen hat. Ein Systemwechsel wäre meines Erachtens nicht der richtige Weg. Er basiert auf ungewissen Prognosen, ist in den ersten Jahren – man schätzt, in den ersten 20 Jahren – erheblich teurer, führt auch zu rechtlich fragwürdigen Ungleichheiten, und es ist keinesfalls gewährleistet, dass die langfristig erwarteten Einsparungen auch wirklich zu erzielen sind.

Wenn wir aber für die Altersversorgung strengere Maßstäbe anlegen, trete ich unbedingt dafür ein, dass die Aktiventschädigung für die Abgeordneten erhöht wird. Wie ein Vergleich mit den Landtagen der anderen Flächenländer zeigt, hinkt Baden-Württemberg bei der Bezahlung seiner Abgeordneten weit hinterher. Eine Entschädigung aber, die nicht amtsangemessen ist, schadet dem Ansehen der Abgeordneten und damit dem Landtag insgesamt. Daher gilt es, auch in der Diätenfrage das richtige Maß zu finden und nicht vorschnellen, populistischen Vorschlägen nachzugeben.

Der Landtag wird ein weiteres spannendes Thema anpacken müssen: Es entspricht einer besonderen Tradition in BadenWürttemberg, dass zwischen Amt und Mandat nur eine eingeschränkte Unvereinbarkeit besteht. Daher ist ein in den Landtag gewählter Beamter grundsätzlich „kompatibel“, sofern er nicht in einem Ministerium oder bei einer oberen Landesbehörde höhere Funktionen wahrnimmt.

Von dieser Besonderheit, nämlich dass die Unvereinbarkeit in Baden-Württemberg nur sehr eingeschränkt gilt, haben in den letzten Wahlperioden vor allem auch kommunale Wahlbeamte profitiert. Andererseits hat die Diätenkommission in ihrem Bericht vom Dezember 2005 festgestellt, dass durch die Verwaltungsstrukturreform die Landratsämter und die Bürgermeisterämter der Stadtkreise einen ganz erheblichen Zuwachs originärer staatlicher Aufgaben erfahren haben. In diesem Maß ist für den staatlichen Aufgabenvollzug die Verantwortung der Landräte sowie der Oberbürgermeister und Beigeordneten in den Stadtkreisen gewachsen. Mit der Diätenkommission bin ich deshalb der Ansicht, dass die geltende Unvereinbarkeitsregelung in dieser Wahlperiode geändert werden sollte. Nach unserer auf dem Prinzip der Gewaltenteilung beruhenden Staatsverfassung führt daran wohl kein Weg vorbei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Grünen und der FDP/DVP)

Der Landtag wird sich im weiteren Zusammenhang auch Gedanken machen müssen, welche Konsequenzen die angestrebte Verringerung der Wahlkreise und die daraus resultierende Mehrbelastung der Abgeordneten in den Wahlkreisen für die Selbstorganisation der Parlamentsarbeit haben wird. Ich rege an, für diese und andere Fragen, die mit den Grundlagen und dem Selbstverständnis des Landtags zu tun haben und die ergebnisoffen diskutiert werden sollen, eine Kommission einzusetzen und sie zu bitten, dazu Vorschläge auszuarbeiten. Ich betone, es soll keine Kommission eingesetzt werden, um Themen auf die lange Bank zu schieben, sondern die Kommission soll angehalten sein, möglichst rasch Grundlagen zu erarbeiten, auf denen wir im Plenum dann eine Entscheidung treffen können.

Der Landtag ist durch die Wahl vom 26. März wieder größer geworden; die zusätzlichen Sitzbänke im Plenarsaal bringen dies augenfällig zum Ausdruck. Dies gibt mir Anlass, daran zu erinnern, dass der Landtag im Jahr 1956, also vor 50 Jahren, den Bau des Landtagsgebäudes beschlossen hat. Dieses Haus wird am Ende unserer Wahlperiode im Jahr 2011 50 Jahre in Betrieb sein. Seit 1961 hat dieser Plenarsaal sein unverändertes Gesicht behalten. Es hat sich im Laufe der Jahre gezeigt und ist mittlerweile offensichtlich, dass der Plenarsaal, der das Herz des Landtags bildet, heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen kann. Dafür gibt es informationstechnische, ergonomische, baubiologische und architektonische Gründe. Ich halte deshalb die Zeit für gekommen, auch hierzu eine Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Der Alterspräsident des 13. Landtags, unser früherer Kollege Rolf Kurz, hat uns hierzu in seinen Abschiedsworten am 22. Februar 2006 sozusagen als Vermächtnis Folgendes mit auf den Weg gegeben:

Das Parlament braucht ein Gebäude, in dem die besten Voraussetzungen für eine vernünftige Arbeit der einzelnen Abgeordneten gegeben sind. Haben Sie den Mut zu einer Architektur, die Weltoffenheit, Toleranz, aber auch Weitsicht, Solidarität und die Liebe zur Freiheit symbolisiert.

(Präsident Peter Straub)

Er schließt seine Ausführungen mit dem Appell:

Wichtig ist, dass dieser Landtag, dieses hohe Haus, von der Bevölkerung als lebendiger Träger unserer demokratischen Ordnung wahrgenommen wird.

Nirgendwo kommt die Symbolkraft des Landtags besser zum Ausdruck als hier im Plenarsaal. Schieben wir also das Problem nicht länger vor uns her, sondern gehen wir mit Mut, aber auch im Bewusstsein für den verantwortlichen Umgang mit Steuermitteln diese Entscheidung an.

(Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

In der Öffentlichkeit wird viel über Politikverdrossenheit geredet und diese durch Meinungsumfragen zu belegen versucht. Andererseits haben unsere großen Publikumsveranstaltungen, die wir als Tage der offenen Tür in den Jahren 2000, 2002 und 2005 durchgeführt haben, einen völlig unerwarteten und überwältigenden Zuspruch bei unseren Bürgerinnen und Bürgern erfahren. Somit sind solche Tage geeignet, das Interesse der Bevölkerung für die Politik im Allgemeinen und für das Parlament des Landes im Besonderen zu wecken und zu vertiefen. Ich spreche mich deshalb dafür aus, diese Tradition fortzuführen und in der neuen Wahlperiode möglichst bald einen weiteren Tag der offenen Tür zu veranstalten.

Wer schon einmal einen Tag der behinderten Menschen im Landtag miterlebt hat, weiß, wie wichtig es für die betroffenen Menschen ist, mit den Abgeordneten unmittelbar ins Gespräch zu kommen. Es ist für mich deshalb keine Frage, dass der Landtag auch in der neuen Wahlperiode einen Tag der behinderten Menschen organisiert, und ich möchte Sie schon heute dazu einladen, an diesem Tag sehr zahlreich teilzunehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Politik beginnt nach einem bekannten – und vielleicht auch schon etwas abgenutzten – Wort mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Dabei darf es aber nicht bleiben. Denn Politik bedeutet auch, wie schon Max Weber meinte, ein starkes, langsames Bohren von dicken Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Ich will in meinen Worten hinzufügen: Es gilt auch, die erkannten Probleme zu lösen. Daran müssen wir als Abgeordnete und muss der Landtag als Ganzes in den nächsten fünf Jahren entschlossen arbeiten. Dafür tragen wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Verantwortung, und darüber müssen wir ihnen Rechenschaft geben.

Ich bitte Sie deshalb alle, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daran mitzuwirken, dass der 14. Landtag den vor ihm liegenden Aufgaben gerecht wird und seine Arbeit im Dienste und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erfüllt.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir fahren in der Tagesordnung fort.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Wahl der stellvertretenden Präsidenten

Meine Damen und Herren, nach § 4 Abs. 6 der Geschäftsordnung werden die stellvertretenden Präsidenten in ge

trennten Wahlgängen nach demselben Verfahren wie der Präsident gewählt. Dabei steht nach parlamentarischem Gewohnheitsrecht das Vorschlagsrecht den Fraktionen in der weiteren Reihenfolge ihres Stärkeverhältnisses zu, wobei allerdings andere Vorschläge aus der Mitte des Hauses gemacht werden können.

Ich bitte um Vorschläge für die Wahl des zunächst zu wählenden Vizepräsidenten und wende mich an die SPD-Fraktion.

Das Wort erteile ich Frau Abg. Vogt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Im Namen der SPD-Fraktion möchte ich Ihnen vorab ganz herzlich zu Ihrer Wahl gratulieren und wünsche ich uns eine gute Zusammenarbeit und auch konstruktiven Streit dort, wo es das Parlament voranbringt.