Die Broschüre „Alternativen sind machbar – Grüne Vorschlä ge zu Stuttgart 21 und dem Entwicklungskonzept Filder“ stammt aus dem Jahr 1995.
Uns vorzuwerfen, wir instrumentalisierten den Protest für die Wahl – wir, die wir schon vor 15 Jahren hier mit allen Kräf ten parlamentarisch dagegen gearbeitet haben, als sich außer uns und einigen Umweltbewegten noch niemand groß für die se Frage interessiert hat –, das diskreditiert sich doch von selbst.
Der Protest stammt aus der Mitte der Bürgergesellschaft, und er verdient es, von Ihnen ernst genommen zu werden.
Ja, es sind immer auch die fünf MLPDler auf der Demons tration. Das ist richtig. Das kann man nicht verhindern. Auch sie haben das Recht, zu demonstrieren, solange sie es fried lich tun. Diese paar Sektierer haben aber mit der Protestbe wegung überhaupt nichts zu tun.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Friedrich Bullin ger FDP/DVP: Was war denn am Donnerstag fried lich?)
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Herr Mi nisterpräsident, das anzuerkennen ist die allererste Vorausset zung, um überhaupt aus der verfahrenen Situation herauszu kommen.
Herr Ministerpräsident, wir sind uns mit Ihnen einig: Wir hal ten die Vermeidung einer weiteren und immer tiefer werden den Spaltung von Stadt und Land für erforderlich. Es besteht die Gefahr, dass aus Gegnerschaft Feindschaft wird. Das zu verhindern, daran müssen in der Tat alle demokratischen Kräf te ein fundamentales Interesse haben, bei noch so großen Dif ferenzen in der Sache.
Das Einzige, was Sie immer wieder selbstkritisch sagen, ist: Wir haben schlecht kommuniziert. Das ist in der Tat schon ein Kern des Problems. Die Frage ist nur – wir haben das heute während der Rede des Ministerpräsidenten wieder erlebt –: Wie sieht Ihr Kommunikationsmodell aus? Das ist der Fron talunterricht der Fünfzigerjahre:
Der Lehrer erklärt die Welt, der Schüler darf eine Frage stel len, wenn sie nicht zu frech ist, und wer widerspricht, be kommt Tatzen.
Ich sage Ihnen: Das kann natürlich nicht funktionieren, Herr Ministerpräsident. Sie haben hier wieder die uns allen bekann ten Argumente vorgetragen.
Das dürfen Sie; das ist in Ordnung. Aber Sie müssen sich doch einmal ernsthaft mit den Gegenargumenten auseinanderset zen. In einer modernen Gesellschaft heißt Kommunikation, sich kritisch mit anderen Positionen auseinanderzusetzen. Das heißt Kommunikation.
Diese „Modernität“ ist in Wirklichkeit sehr alt. Man muss nur in den Platon-Dialogen lesen, wie Sokrates die athenische Ge sellschaft mit seinen „Was ist...?“-Fragen auf die Palme ge bracht hat. Das ist also nichts Neues, sondern das hat man schon immer getan, wenn es um wirklich fundierte, gute, kri tische Kommunikation geht; und nur darum kann es gehen, um etwas anderes nicht.
(Abg. Reinhold Gall SPD: Das gilt für beide Seiten! Für beide Seiten gilt das! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir haben uns schon lange mit Ihnen ausein andergesetzt! – Zuruf des Abg. Dr. Dietrich Birk CDU)
Wie wollen Sie, Herr Ministerpräsident, eigentlich aus dieser Konfrontation herauskommen, wenn Sie sagen: „Ich stehe für Stuttgart 21, ohne Wenn und Aber“?
Was sollen Gespräche dann eigentlich für einen Sinn haben? Worüber sollen wir reden, wenn noch nicht einmal ein Wenn und Aber möglich ist? Dann tragen wir bei solchen Treffen nur noch Monologe vor; das macht doch keinen Sinn.
Es gebe keine Planung, keine Finanzierung, keine Genehmi gung, keine Linienführung, keine Detailplanung, keine Plan feststellung. Dann sagten Sie: „noch nicht einmal gute Grün de“.
Diejenigen, die ehrenamtlich in vielen Jahren Alternativkon zepte entwickeln, könnten doch keine „Gegenregierung“ bil den, die mit viel Geld und Planungsbüro eigene Planfeststel lungsverfahren durchsetzt. Eine solche Äußerung ist doch aberwitzig.
Wie soll das denn funktionieren? Aber wenn Sie denen nicht einmal gute Gründe zugestehen, wie wollen Sie dann ernst haft mit ihnen reden?
(Beifall bei den Grünen – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Welche Gründe gibt es denn? – Abg. Klaus Herrmann CDU: Sie haben vorhin nicht zugehört!)
Ich sage Ihnen noch einmal: Wenn diese Gespräche einen Sinn haben sollen – und wir sind für Gespräche –, dann müssen Sie die Haltung aufgeben, dass andere keine guten Gründe für ih re Konzepte hätten. Ich meine, der Protest speist sich aus ei nem ganz unterschiedlichen Bündel von Motiven wie Kosten, verkehrlicher Kritik, städteplanerischen Aspekten und Ähnli chem. Aber glauben Sie mir: Die Hauptquelle des Protests ist, dass Sie den Protest gar nicht ernst nehmen und dass Sie den ken, die Gegner hätten noch nicht einmal gute Argumente. Das ist die Hauptquelle der Kritik.
Wenn Sie kritische Bürger einbeziehen wollen, müssen Sie immer voraussetzen, dass diese gute Argumente haben. Das ist die Grundlage jeder Debatte und übrigens die Grundlage von Demokratie überhaupt.
Ich mache dies jetzt an ein paar Punkten fest. Zentral ist die Frage der Kosten. Daran macht sich am meisten fest. Ich sa ge Ihnen: Die bei Großprojekten übliche Masche – man steigt ganz niedrig und billig ein, damit man sie durchsetzen kann, und hinterher explodieren die Kosten – funktioniert in der Bürgerschaft einfach nicht mehr.
Alles ist beschlossen, und dann gehen die Kosten hoch – das erlebt die Bürgerschaft bei x Projekten, und davon haben die Leute genug.
Das ist es: Sie können sich Protest einfach nicht anders vor stellen als aufgehetzt. Dass Menschen sich ihres eigenen Ver stands bedienen und von ihm öffentlich Gebrauch machen, wie Kant gesagt hat, ist Ihnen offensichtlich so fern wie der Mond.
Das will sich diese Bürgerschaft nicht mehr gefallen lassen, auch wenn Sie x-mal sagen, es sei beschlossen. Dass sie das nicht mehr tut, ist gut. Mit unserer parlamentarischen Initia tive sind wir 15 Jahre lang gegen die Wand gelaufen. Ich mei ne damit nicht, dass wir uns hätten durchsetzen müssen; wir sind eine Minderheit. Aber es wurde nur abgewunken. Das haben wir 15 Jahre lang erleben müssen.
Erst durch einen massiven Bürgerprotest sind Sie jetzt end lich gezwungen, auch in den Dialog mit der Bürgerschaft ein zutreten.
Der frühere Verkehrsminister Rech hat gesagt, Stuttgart 21 sei das am besten geplante und gerechnete Projekt der Bahn.