Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Ich will mit Ihnen nun nicht über Detailfragen debattieren; da rum kann es doch in dieser Debatte überhaupt nicht gehen. Ich habe Ihnen vielmehr Beispiele genannt und klargemacht, dass wir gute Argumente gegen das Projekt ins Feld führen. Darüber muss man sich einmal öffentlich auseinandersetzen. Darum geht es.

(Abg. Albrecht Fischer CDU: Das machen wir seit 15 Jahren! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Sie wol len doch gar keine Argumente hören!)

All diese Einwendungen und Fragen sind zulässig, und sie sind notwendig.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Aber nicht neu!)

Sie sind verpflichtet, sich ernsthaft damit auseinanderzuset zen. Nur, wenn Sie das wollen, machen Gespräche einen Sinn. Das ist Voraussetzung, damit solche Gespräche stattfinden.

Ich sage noch einmal: Wir haben diese Durch- und Abwink mentalität zu diesem Projekt nun bereits 15 Jahre lang auch im Parlament erlebt. Das geht jetzt aber nicht mehr, weil ein breiter Bürgerprotest unsere Argumente unterstützt und trägt, und weil dieser Bürgerprotest Sie dazu zwingen wird, sich endlich mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen.

(Beifall bei den Grünen)

Ich darf noch einmal den Verbandspräsidenten Hans Heinrich Driftmann vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag zitieren. Er sagte vor zwei Tagen:

Ganz sicher müssen wir lernen, dass die Umsetzung sol cher Großprojekte, auch wenn sie demokratisch legiti miert sind, ganz anders und mit mehr Transparenz beglei tet werden muss.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Was sagt er zum Projekt?)

Die Bürger wollen ernst genommen werden und verste hen, was passiert, welche Auswirkungen es für sie per sönlich hat.

Das ist das Entscheidende.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rül ke FDP/DVP: Was sagt er zum Projekt?)

Ich sage Ihnen noch einmal: Sie sprechen von der Unumkehr barkeit des Projekts.

(Zuruf von der SPD: Ja! – Zuruf des Abg. Albrecht Fischer CDU)

Auch das Wort „alternativlos“ höre ich in den politischen De batten immer öfter. Das sind höchst problematische Begriffe. Es ist geradezu ein Wesensmerkmal der Demokratie, dass sie umkehren kann.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Egal, was es kostet?)

Wenn es neue Erkenntnisse und Bedingungen gibt, dann kann eine solche Umkehr auch erforderlich und notwendig sein. Gerade das ist es, was die Demokratie auszeichnet. Mit der Kündigung des Atomkonsenses

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Oh, jetzt kommt Atom! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Jetzt kommt die nächste Barrikade!)

geben Sie gerade ein Beispiel hierfür – obwohl es im Vertrag heißt, beide Seiten würden ihren Teil dazu beitragen, den In halt dieser Vereinbarung dauerhaft umzusetzen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das ist aber etwas an deres! – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/ DVP)

Auch wenn die Umkehr in der Atompolitik unserer Ansicht nach nicht sinnvoll und sogar höchst problematisch ist, auch wenn sie in eine ganz falsche Richtung geht, zeigt sich doch, dass dies eine Umkehr ist. So etwas kann man in einer Demo kratie machen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Warum ru fen Sie dann zum Barrikadensturm auf?)

Genauso ist auch Stuttgart 21 grundsätzlich umkehrbar.

(Beifall bei den Grünen)

Gerade angesichts dessen, dass es sich bei diesem Projekt um Vertragspartner der öffentlichen Hand handelt, ist es natürlich möglich, bei einer Beeinträchtigung übergeordneter Belange – wie z. B. einem schweren Nachteil für das Gemeinwohl durch hohe Haushaltsbelastung – die bestehenden Verträge aufzulösen. Dies könnte zu deutlich geringeren Kosten ge schehen, als Sie uns das immer vorführen. Die von Ihnen ge nannten Ausstiegskosten steigen ja ständig. Jetzt sind Sie schon bei 3 Milliarden € Ausstiegskosten angekommen.

Irgendwann ist dann der Ausstieg teurer, als das Projekt zu re alisieren.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Ja! – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, die Faktenlage hat sich geändert. Auf die Kosten bin ich eingegangen. Ein weiteres Argument ist, dass Güterzüge auf der Neubaustrecke nicht verkehren können, weil es diese leichten Güterzüge gar nicht gibt.

(Zurufe von der SPD und des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Das zeigt, dass eine Wirtschaftlichkeitsberechnung erforder lich ist. So etwas muss auf den Tisch. Das ist die Grundlage dafür, dass man aus der Konfrontation herauskommt. Da muss alles auf den Tisch und besprochen werden.

Herr Ministerpräsident, wir haben zudem insgesamt dramati sche Änderungen der finanziellen Rahmenbedingungen. Wir hatten eine Finanzmarktkrise, die Situation der öffentlichen Haushalte steht an der Abbruchkante in die Schuldenfalle, wir haben eine Schuldenbremse, wir dürfen ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen. Da ist doch die Frage, ob für ein Pro jekt, das nach Ihren Zahlen 7 Milliarden € und nach dem, was wir wissen, mindestens 11 Milliarden € kostet, die KostenNutzen-Relation heute noch stimmt.

Sie haben das Beispiel vom Häuslebauer gebracht. Jeder Häuslebauer, der dem Architekten Plan und Kostenvoran schlag gegeben hat und dann feststellt, dass die Kosten explo dieren, der hört mit dem Häuslebauen auf,

(Zuruf des Abg. Bernhard Schätzle CDU)

oder er baut vielleicht ein anderes, ein kleineres Haus.

(Beifall bei den Grünen)

Darum geht es hier auch, denn dieses „Haus“ gehört allen.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Ich sage Ihnen noch einmal: Ihre Feststellung, es sei ein Jahr hundertprojekt, und deshalb spiele Geld keine Rolle, kann nie mand akzeptieren.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Thomas Blenke CDU: Der erste Halbsatz war richtig, danach war es falsch!)

Ich möchte noch einmal sagen, worauf die Bürgerschaft ein Recht hat. Da das Geld in dieser Größenordnung schlichtweg nicht vorhanden ist – die Bahn investiert im Jahr 1,2 Milliar den € in die gesamte Schieneninfrastruktur von Deutschland –

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Der Bund, nicht die Bahn!)

korrekt, der Bund –, wird das für das Projekt, wenn man es anfängt, eine ganz einfache Folge haben: Es muss wie ande re Projekte enorm gestreckt werden.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Bei 53 Millionen!)

Die Stadt Stuttgart und ihre Bürgerschaft haben genau wie wir alle ein Anrecht darauf, zu wissen, ob dann die größte Bau grube Europas 10 oder 20 Jahre in der Stadt ist.

(Beifall bei den Grünen – Zurufe von der CDU)

Ich sage Ihnen noch einmal: Die Prioritäten liegen ganz wo anders. Die Prioritäten liegen etwa bei der Rheintalstrecke. Das ist in der Tat eine europäische Magistrale: von den Häfen von Rotterdam und Hamburg hin zu den Häfen von Genua

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Da seid ihr doch auch dagegen!)

über die Zentren der industriell stärksten Regionen. Das ist wirklich eine europäische Magistrale und ein wichtiger Gü terverkehrskorridor.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Was ist Ulm?)

Aber wie sieht es aus? Bis 2015 wird die Strecke noch nicht einmal zu 30 % aufgerüstet sein.