Protokoll der Sitzung vom 03.02.2011

Meine Damen und Herren! Ich er öffne die 109. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württem berg und begrüße Sie. Ich darf Sie bitten, die Plätze einzuneh men und die Gespräche einzustellen.

(Unruhe – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Pst!)

Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Rudolf und den Herren Abg. Kleinböck, Krögner, Nelius und Stratthaus erteilt.

Krankgemeldet sind Herr Abg. Ernst und Herr Abg. Reichardt sowie Frau Abg. Wonnay.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt ist für heute Vormit tag Frau Staatssekretärin Gurr-Hirsch.

Dienstlich verhindert ist Frau Staatsrätin Professorin Dr. Am micht Quinn.

Meine Damen und Herren, unter Punkt 3 a unserer Tagesord nung ist die Zweite und Dritte Beratung eines Gesetzentwurfs zur Änderung der Landesverfassung vorgesehen. Sie sind ge mäß § 50 unserer Geschäftsordnung damit einverstanden, dass die erforderliche Fristverkürzung zwischen Zweiter und Drit ter Beratung stattfindet. – Hiergegen erhebt sich kein Wi derspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Kommu nale Schulentwicklung ermöglichen durch Genehmi gung einzügiger Hauptschulen als Werkrealschule und Genehmigung integrativer Modellschulen – Drucksa che 14/7261

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Schul standorte im Land im Schuljahr 2008/2009 und ihre weitere Entwicklung – Drucksache 14/4928

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Be gründung zu a und b je fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Lehmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Drei Wochen, nachdem wir Anfang De zember unseren Antrag zur Förderung kommunaler Schulent wicklung durch Genehmigung einzügiger Werkrealschulen

und integrativer Schulmodelle sowie Abschaffung der Grund schulempfehlung eingereicht hatten, stand die baden-würt tembergische Bildungspolitik mit der Werkrealschule wieder einmal vor einem Scherbenhaufen.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: So ein Quatsch schon am Morgen!)

Zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode haben betroffe ne Bürger und Kommunen gegen die Bildungspolitik der Lan desregierung geklagt und recht bekommen. Ich muss Ihnen sagen: Wenn in Baden-Württemberg Gerichte Bildungspoli tik machen, dann ist das ein wirklich schlechtes Zeichen da für, wie die Landesregierung mit der Bürgergesellschaft und mit den Betroffenen vor Ort kommuniziert.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wenn bildungspolitische Weltanschauungen durchgesetzt wer den, auch wenn sie nicht alltagstauglich sind und diese Nicht alltagstauglichkeit durch Gerichte festgestellt wird, dann muss das doch zu denken geben.

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben unlängst ein neues Regierungsprogramm verabschiedet.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Richtig!)

Darin habe ich den Satz gelesen:

Wir wollen unser erfolgreiches Bildungswesen organisch weiterentwickeln – im Dialog mit Eltern, Schülern, Leh rern und Kommunen.

Man müsste noch hinzufügen: und natürlich auch mit den Ge richten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei den Grünen)

Denn diese werden von Ihnen hier oftmals in die Bildungs politik einbezogen.

Eine Bildungspolitik wird nur gelingen können – das ist auch eine Lehre aus dieser Legislaturperiode –, wenn die Betroffe nen vor Ort ernsthaft einbezogen werden, wenn sie mitwirken und mitentscheiden können und nicht am Tisch des Kultus ministeriums oder des Kabinetts irgendwelche Entscheidungen getroffen werden, die jegliche Praxisnähe vermissen lassen.

Dies hat auch zur Folge, dass wir ganz groteske Regelungen haben, die Sie – auch in Verbindung mit der Werkrealschule – eingeführt haben. Man muss sich das einmal vorstellen: Ei

ne Werkrealschule ist nur dann eine Werkrealschule, wenn sie zweizügig ist. Sie ist eine Schulart, die mit der Hauptschule vergleichbar ist, aber es heißt: Werkrealschule darf sie sich nur nennen, wenn sie zweizügig ist. Wenn sie einzügig ist, ist es eine Hauptschule. Es gibt in der ganzen Bundesrepublik kein solches Schulmodell, das anhand der Zügigkeit einer Schulart festlegt, ob sie an einem bestimmten Standort laufen darf oder nicht.

Noch absurder wird es, wenn Sie, Frau Ministerin, sagen – das haben Sie ja festgelegt –, dass eine zweizügige Werkreal schule, die aufgrund des demografischen Wandels einzügig wird, dann Werkrealschule bleiben darf. Das müssen Sie ein mal jemandem im Land erzählen. Kein Mensch versteht, was Sie da eigentlich machen.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Andreas Stoch SPD)

Wenn Sie in der Systematik Ihres dreigliedrigen Schulsystems bleiben würden, müssten Sie versuchen, wirklich auch in der Fläche Schulstandorte zu erhalten. Aber Ihr Programm, das Sie aufgelegt haben, ist im Prinzip ein Flurbereinigungspro gramm in der Bildungspolitik mit der Folge, dass in der Zu kunft immer weniger ländliche Regionen überhaupt noch ei nen Schulstandort haben.

Ihnen ist doch auch das Schulentwicklungsgutachten von Ti no Bargel bekannt, das eindrücklich offengelegt hat, dass bis zum Jahr 2020 nur noch in 17,2 % der Gemeinden in BadenWürttemberg ein Hauptschulstandort vorhanden sein wird. Das heißt, Ihre Aussage „Kurze Beine, kurze Wege“, die Sie auch in Ihr Programm hineingeschrieben haben, hat überhaupt keinen Wert; denn vor Ort wissen die Eltern, dass das eben nicht funktioniert, dass Schulen schließen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Noch nie etwas von einer Grundschule gehört?)

Die Grundschulempfehlung ist ein weiterer Punkt, der in Ih rer Bildungspolitik eigentlich längst nicht mehr zu halten ist. Wenn man sich überlegt, dass in Heidelberg 15,4 %, in Waldshut aber 31,8 % der Viertklässler eine Grundschulemp fehlung für Haupt- und Werkrealschule bekommen, stellt sich für den Betrachter dieser Zahlen natürlich die Frage: Sind die Waldshuter dümmer als die Heidelberger? Das würde ich jetzt nicht sagen.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Sind Hauptschüler dumm?)

Genau das habe ich nicht gesagt.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Aber das ist doch klar, wenn Sie so etwas sagen! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: So eine Arroganz! Unglaublich! – Ge genruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Wenn man das missverstehen will! – Unruhe)

Wenn dann in der Region Waldshut im Sommer 2010 zehn Hauptschulen den Antrag gestellt haben, als Hauptschulen be stehen bleiben zu können und als Werkrealschulen anerkannt zu werden, um sagen zu können: „Wir sind eine Werkreal schule“, dann wird das auch einfach vom Kultusministerium hier in diesem Land vom Tisch gefegt, weil man sagt: Das

geht nicht; das steht nicht im Gesetz drin. Aber Sie können das natürlich ändern. Sie sind dafür verantwortlich, wenn die se Schulstandorte im ländlichen Raum nicht mehr existieren können.

Ich hatte Ihnen auch an anderer Stelle schon einmal gesagt, welche Konsequenzen das hat: Wenn in unserem Bildungs system, wie Sie es immer sagen, Durchlässigkeit bestehen würde, dann müssten Sie auch dafür sorgen, dass z. B. die Durchlässigkeit zu den beruflichen Gymnasien, gerade in der Region Waldshut, gegeben ist. Diese besteht aber nicht. Ge rade in diesen Regionen haben wir den höchsten Mangel an Plätzen in beruflichen Gymnasien.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Gerade in Waldshut! – Abg. Peter Hofelich SPD: Waldshut ist überall!)

Das heißt, Sie haben eine Schulstruktur im ländlichen Raum geschaffen, die den Schulen keine Entwicklung mehr ermög licht. Das muss sich ändern.

(Beifall bei den Grünen)

Ich muss Ihnen sagen, recht putzig scheint mir das, was die FDP im Jahr 2006 in ihrem Wahlprogramm geschrieben hat:

(Zuruf von den Grünen: Das ist interessant!)

Die FDP ist offen für regionale Schulprojekte, die flexib lere Übergangszeitpunkte in weiterführende Schulen zum Gegenstand haben...

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Jetzt noch mal! Das habe ich jetzt nicht verstanden! Lesen Sie das noch mal vor!)

Sie haben angekündigt, Sie wollen für integrative Schulpro jekte werben. Das war Ihr Ziel. Sie haben jetzt in Ihrem neu en Programm etwas verabschiedet, was genau dies beinhaltet. Dort heißt es: