Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Was Sie von der Opposition uns hier vorlegen ist schon sehr eigenartig. Sie wollen, dass einzügige Hauptschulen die Bezeichnung „Werkrealschule“ bekommen. Ich darf daran er innern, Herr Zeller und auch die anderen Damen und Herren von der Opposition, was Sie vor gut einem Jahr, im Novem ber 2009, über die neue Werkrealschule gesagt haben: Sie ha ben gesagt, das sei Etikettenschwindel,
das sei eine pädagogische Mogelpackung. Jetzt wollen Sie ge nau diese Bezeichnung für alle einzügigen Hauptschulen ver wenden. Da komme ich nicht mehr mit.
Wenn wir Sie an dieser Stelle wirklich ernst nehmen sollen, dann müssen Sie einmal deutlich Ihr Bedauern darüber aus sprechen, dass Sie die neue Werkrealschule so schlecht gemacht haben. Andernfalls ziehen Sie diesen Vorschlag zu rück. Das eine passt nicht zum anderen.
Was die Notenhürde betrifft, die Sie abschaffen wollen, kann man mit uns reden. Es ist völlig richtig, dass diese Notenhür de an dieser Stelle systemwidrig ist. Aber dann müssen wir auch eines schaffen: Wir müssen wirklich in Klasse 5 anfan gen, die Kinder individuell zu fördern, damit sie den mittle ren Bildungsabschluss als Regelabschluss bekommen.
Ich habe es in früheren Reden schon gesagt: Wir haben im Land eine Werkrealschule – jetzt ist sie auch die neue Werk realschule –, die das schon vorher geschafft hat. Amtzell hat mit der alten Werkrealschule 75 % der Schüler zum mittleren Bildungsabschluss geführt. Das ist genau das Konzept, das wir flächendeckend umsetzen müssten. Dann bräuchten wir die Notenhürde in der Tat nicht mehr.
Zu Ihrem Antrag auf Genehmigung integrativer Schulmodelle: Zunächst einmal herzlichen Dank, dass Sie unser Wahlpro gramm so ausführlich zitiert haben. Ich kann nur sagen: Will kommen im Klub! Schön, dass Sie bei uns abschreiben.
Bei uns ist das nämlich schon lange Beschlusslage. Allerdings gibt es zwei feine Unterschiede zu Ihren Vorschlägen.
Zum einen: Bei Ihnen ist nur von den Kommunen die Rede. Wir wollen, dass alle am Schulgeschehen Beteiligten einver standen sind, wenn im Bildungsbereich vor Ort etwas Neues ausprobiert werden soll. Sie reduzieren Ihre integrativen Schulmodelle wieder auf den Begriff „Gemeinschaftsschule“. Das ist sehr verräterisch; Herr Schebesta hat schon das Nöti ge dazu gesagt. Das ist viel zu eng gefasst. Es gibt viele Mög lichkeiten der integrativen Zusammenarbeit. Wir wollen das Ganze nicht nur auf die Gemeinschaftsschule reduzieren. Des halb lehnen wir Ihr Begehren an dieser Stelle ab.
Meine Damen und Herren, auch ich komme nicht umhin, ei niges zum Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen zu sa gen. Natürlich haben wir uns über dieses Urteil gefreut. Ich möchte den wichtigsten Punkt – –
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wenn man sich darü ber freut, muss man doch nicht dagegen angehen! Das verstehe ich nicht! – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Unterbrecht die Dame nicht!)
Der aus unserer Sicht wichtigste Satz in diesem Urteil lautet – ich will ihn nur sinngemäß wiedergeben –: Es wird klar gestellt, dass im Schulgesetz genau festgelegt ist, wie die Werkrealschule umgesetzt werden soll, nämlich grundsätzlich zweizügig und an mehreren Standorten. Das Verwaltungs gericht sagt klipp und klar: Es steht dem Kultusministerium nicht zu, auf dem Verwaltungsweg Vorstellungen, die von die sen Festlegungen im Schulgesetz abweichen, zu realisieren.
Genau das hat nämlich stattgefunden, und genau das ist der Knackpunkt unserer Auseinandersetzungen im letzten Jahr ge wesen.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal Herrn Zeller zitie ren. Er hat im November 2009 gesagt, die FDP/DVP interpre tiere das Gesetz völlig anders als der – damalige – Kultusmi nister. In diesem Punkt haben Sie, Herr Zeller, völlig recht.
Aber Sie sagen weiter: „Die FDP/DVP erzählt Falsches und behauptet etwas in Bezug auf die Klassen 5 bis 9, was nicht zutrifft.“ An dieser Stelle war das, wie so oft, etwas voreilig, Herr Zeller. Wir wussten von Anfang an, was wir politisch wollten.
Wir haben das auch legislativ umgesetzt. Wir haben die Be stätigung jetzt bekommen. Wir haben bis heute an unserer Be schlusslage festgehalten und sie bis heute immer wieder kom muniziert. Manchmal mahlen die Mühlen eben etwas länger.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, verehrte Frau Dr. Schick, um Ihnen Folgendes zu sagen: Sie sind neu in diesem Haus, und Sie sind eine mutige Frau.
Ich fordere Sie auf: Nutzen Sie die Chance, die Ihnen das Ur teil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen bietet. Ich habe schon vorhin gesagt: Im Grunde ist alles ganz einfach: grund sätzlich zweizügig, an mehreren Standorten. Überlassen Sie es den Kommunen und den Schulleitungen, wie sie das um setzen. Vor Ort sind die Kreativität und das pädagogische Know-how vorhanden. Die Betroffenen wissen auch um die örtlichen Bedürfnisse. Deshalb: Haben Sie Mut, entlassen Sie die Schulen in die Freiheit, die wir von der FDP immer ge wollt haben und die ihnen auch das Schulgesetz dem Wortlaut nach gewährt.
(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Andreas Stoch SPD: Das Protokoll vermerkt: Kein Applaus bei der CDU! – Zuruf des Abg. Thomas Knapp SPD)
Das Wort erteile ich der Ministerin für Kultus, Jugend und Sport, Frau Professorin Dr. Marion Schick.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Lieber Herr Lehmann: Scherben bringen Glück. Sie er innern sich an Ihre Eingangsaussage vom Scherbenhaufen. Ein Scherbenhaufen – wenn Sie ihn denn identifizieren wol len – hat in unserem Kulturkreis vor allem eine Konnotation: Er bringt Glück.
Liebe Frau Arnold, ich will Ihren Appell, mehr Mut zu zei gen, gern aufnehmen und mit Mut eine zweite Phase der Wei terentwicklung der Werkrealschule für uns gemeinsam ins Vi sier nehmen.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns noch einmal vor Au gen halten, wie sich die Diskussion um eine der wichtigsten bildungspolitischen Innovationen in unserem Land in den letz ten Monaten und Jahren auf die Frage verengt hat, wie viele Kinder an welchen Orten lernen, dann muss man als Bildungs politiker aus einer solchen Verengung heraus sagen: Das kann es eigentlich nicht sein. Als Bildungspolitiker müssen wir doch darüber diskutieren, wie wir es schaffen, junge Men schen zum mittleren Bildungsabschluss zu führen. Meine Da men und Herren, das ist der strukturelle und bildungspolitisch innovative Grund, warum wir die Werkrealschule eingeführt haben: Wir wollen jedem jungen Baden-Württemberger und jeder jungen Baden-Württembergerin perspektivisch den mitt leren Bildungsabschluss ermöglichen. Das ist die Innovation.
Es ist im Übrigen auch bundesweit die klarste Aussage eines Hightechlands – und das ist unser Land –, perspektivisch zu sagen: Der mittlere Bildungsabschluss allein wird den Wohl stand des Landes und eine dauerhafte Berufsperspektive für junge Menschen über 30, 40 und 50 Jahre hinweg wirklich si chern. Das ist für mich der Grund, warum es sich lohnt, die Werkrealschule mit allen Detailfragen beherzt weiterzuentwi ckeln und nicht bei dem stehen zu bleiben, wo wir heute sind.
Nebenbei bemerkt: Wo sind wir heute? Das ist aus dem Stand heraus die erfolgreichste Schulart. Viele Kommunen und Schulen im Land haben die Chance beherzt ergriffen. Die Werkrealschule mit ihrem pädagogischen Konzept ist keines wegs an die Wand gefahren, sondern sie ist mutig und freudig im Land aufgegriffen worden.
Meine Damen und Herren, wir sollten jetzt die Chance ergrei fen, über das zu diskutieren, was in der Bildungspolitik wirk lich von Belang ist; denn die Bildungspolitiker sind keine ver kappten Strukturpolitiker vor Ort, sondern sie kümmern sich um die Bildung und vor allem um die Qualität der Bildung. Jetzt, nachdem der erste große Schritt mit über 500 Standor ten im Land geschafft wurde, ist der Zeitpunkt gekommen, in der Diskussion über die Werkrealschule neben die quantitati ve Betrachtung auch die qualitative Betrachtung zu stellen.
Mir tut es in der Seele weh, Herr Zeller, wenn Sie hier als Er folg verkaufen wollen, dass Sie demnächst gnädigerweise und großzügigerweise allen Kommunen in Baden-Württemberg, die mehr als 5 000 Einwohner haben, eine weiterführende Schule zugestehen. Was tun Sie denn, wenn eine Kommune mit 4 500 Einwohnern ein herausragendes pädagogisches Konzept für eine weiterführende Schule hat? Fällt diese dann bei der SPD durch das Raster? Das kann nicht sein.
Meine Damen und Herren, Bildungspolitik dürfen wir grund sätzlich nicht mit Milchmädchenrechnungen machen.
Ja, das ist schwer zu akzeptieren, aber es ist so. – Bildungs politik macht man nicht am Reißbrett, indem man wie in dem zitierten Gutachten Folgendes tut – das kann auch ein Fünft klässler –: Sie haben die prognostizierten Schülerzahlen ein fach durch 20 geteilt, also eine Klassengröße von 20 Schüle rinnen und Schülern angenommen, und darauf eine Schul strukturplanung angelegt. Wenn das nicht vom Reißbrett ist und Sie nicht gleichzeitig das Land verschulden wollen, wie es gegenüber jungen Menschen unverantwortlich ist, dann weiß ich nicht. Das ist am grünen Tisch geplant, meine Da men und Herren, und nicht die Bildungspolitik, die wir ma chen.
Was ist die nächste Stufe der Entwicklung der Werkrealschu le? Meine Damen und Herren, in diesem Prozess darf es kei ne Verlierer geben. Ich möchte einmal deutlich machen, wo rum es eigentlich geht, wenn wir das Thema bildungspolitisch diskutieren und nicht als verkappte Strukturpolitik vor Ort an sehen würden. Worum geht es eigentlich? Wir haben in der ersten Phase diskutiert, welche Schule eine Werkrealschule werden darf. In diesem Zusammenhang sind Kriterien aufge stellt worden, die im Bereich der Zweizügigkeit pädagogisch
und qualitativ begründet sind und im Übrigen durch das in frage stehende Urteil überhaupt nicht angezweifelt werden. Die Zweizügigkeit ist kein Thema.