Protokoll der Sitzung vom 02.03.2011

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Das glaube ich, ja!)

Mit meinem Abschied möchte ich aber Dank verbinden. Sie haben mich zweimal zu Ihrer Vizepräsidentin gewählt. Das hat mich sehr stolz gemacht, und ich habe diese Aufgabe sehr gern und mit großer Freude übernommen. Sie haben es mir leicht gemacht, die Sitzungen zu leiten, und haben mir keine unüberwindbaren Schwierigkeiten in den Weg gelegt.

Durch die Zugehörigkeit zu diesem Hohen Haus über 22 Jah re hinweg und durch dieses Amt habe ich hier wunderbare Menschen kennenlernen dürfen und Freundschaften schlie ßen dürfen. Es gibt sie auch unter Politikern, und ich kann ge trost feststellen: Der Ruf, der Politikern im Allgemeinen vo rauseilt, trifft im Landtag von Baden-Württemberg nicht zu.

Mein Dank geht ganz besonders an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor mir, hinter mir, um mich herum, im ganzen Haus, die stets bemüht um präsidiale Kompetenz und Wirk kraft alles getan haben, um mich bei meiner Aufgabe zu un terstützen. Sehr herzlichen Dank.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wenn ich jemanden verärgert haben sollte, so geschah dies nicht mit Absicht. Aber mein Kampf gegen Kaugummi und Handys geschah aus dem Bemühen, diesem Hohen Haus die Würde zu bewahren.

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

Ich halte dies für ausgesprochen wichtig, denn einem künst lerischen Grundsatz gemäß bestimmt die Form den Inhalt und der Inhalt die Form.

Ich sage Dank für 22 wunderbare Jahre, von denen ich keines missen möchte. Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles er denklich Gute. Ich wünsche unserem schönen Land BadenWürttemberg immer einen der ersten Plätze bei allen Ran kings.

Ich räume nun diesen leider etwas unbequemen Sessel zum letzten Mal und übergebe das Wort an Herrn Präsident Peter Straub.

(Die Abgeordneten aller Fraktionen spenden stehend anhaltenden Beifall.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rufe jetzt Punkt 28 unserer Tagesordnung auf:

Schlussansprache des Präsidenten

Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Das ist ein geschichtsträchtiger Moment, denn faktisch ist das Teilzeitparlament jetzt Vergangenheit.

Internetfreunde würden sagen: Mit der neuen Wahlperiode startet der Landtag 2.0. Ich möchte die Professionalität unse rer Arbeit nicht relativieren. Trotzdem unterstreiche ich gern: Auch der 14. Landtag von Baden-Württemberg hat in der bis herigen Konstruktion und mit seinem „alten“ Selbstverständ nis Beachtliches geleistet.

Unsere Sachbilanz ist erstens vorzeigbar und zweitens das Werk aller vier Fraktionen. Bundestagspräsident Norbert Lam mert betonte bei der Konstituierung des Bundestags im Jahr 2009:

Regiert wird immer und überall,... Die Opposition macht den Unterschied,...

Die hinter uns liegende Wahlperiode war arbeitsintensiv und ereignisreich. Die Ihnen vorliegende Abschlussstatistik spie gelt das wider. Ich erwähne nur die markanteste Kennziffer: über 7 600 Drucksachen – ein Allzeitrekord, eine Steigerung um 45 % gegenüber den fünf Jahren zuvor.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Der Landtag hat genau genommen zwei Königsrechte: das Etatrecht und die Wahl des Ministerpräsidenten. Von Letzte rem mussten wir in dieser Wahlperiode zweimal Gebrauch machen. Denn die wohl größte Überraschung war, dass Mi nisterpräsident Günther Oettinger als Energiekommissar zur EU nach Brüssel ging, wo er – was mich nicht überraschte – schnell Renommee gewonnen hat. Zu seinem Nachfolger wählten wir am 10. Februar 2010 unseren Kollegen Stefan Mappus.

In einem Abschiedsinterview meinte Günther Oettinger sinn gemäß, Profifußballer und Spitzenmanager würden in der ver öffentlichten Meinung – je nach Leistung – mal gelobt und mal getadelt. Bei Politikern sei das anders: Kommentierung bedeute automatisch Kritik. Wenn etwas gut laufe, gebe es keine Würdigung. So entstehe ein schiefes Bild.

Ich denke, dem muss man zustimmen. Platzieren wir deswe gen unser Licht weit weg vom berühmten Scheffel; denn wir haben Gestaltungskraft bewiesen, und wir stehen besser da als im Juni 2006.

Die neue Regierungsbefragung erhöht nicht nur die Aktuali tät unserer Plenarsitzungen; sie gibt uns die Chance, früher und gezielter parlamentarischen Druck aufzubauen. Nach 19 Regierungsbefragungen dürfte unzweifelhaft sein: Das Inst rument taugt, und es gelingt immer besser, „Pressing“ zu spie len.

Ähnlich positiv sind die Erfahrungen mit einer anderen Neu erung: Kurzinterventionen können unsere Debatten befruch ten. Es lohnt sich also, dieses rhetorische „Tackling“ noch konsequenter anzuwenden.

Einen Nagel mit einer klaren Botschaft haben wir zu Beginn der Wahlperiode flott geschmiedet und unverzüglich durch ei ne Verfassungsänderung eingeschlagen: Die Legislaturperio de beginnt künftig einen Monat früher, nämlich am 1. Mai. Das optische Niemandsland zwischen dem Arbeitsende eines alten Landtags und der Konstituierung des Nachfolgers ist mi nimiert. Effizienzdruck und Leistungsverdichtung – der Land tag hat sich diesen allgegenwärtigen Phänomenen sichtbar ge stellt.

Auch der neue Landtag sollte dafür empfindsam bleiben. Die Wandlung zum Vollzeitparlament mit einer adäquaten Abge ordnetenentschädigung hat fraglos noch nicht den Zenit der öffentlichen Akzeptanz erreicht. Der quantitative Hinweis auf mehr Sitzungstage allein wird nicht genügen, um die Bürge rinnen und Bürger zu überzeugen.

Parlamentarisches Land gewinnen konnten wir dank der Fö deralismusreform I. Gewichtigster Beleg dafür ist das Dienst rechtsreformgesetz, dessen Entwurf knapp 2 kg wog.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Noch ermutigender war, dass wir daneben erfolgreich aus ei gener Kraft expandiert haben. Unser neu gegründeter Euro paausschuss hat seine ursprünglichen Skeptiker widerlegt: Er verliert sich nicht in „zweiten Lesungen“ parallel zu den Fach ausschüssen. Er zeigt vielmehr, wie man sich Einfluss ver schafft, nämlich durch eine Offensivstrategie, also dadurch, dass man seine geschriebenen und seine ungeschriebenen Möglichkeiten umfassend nutzt. So waren in 40 Sitzungen des Europaausschusses 28 namhafte Persönlichkeiten als Exper ten zu Gast.

Optimal verwertet haben wir den Ball, der uns durch den Ver trag von Lissabon und das nachfolgende Urteil des Bundes verfassungsgerichts bei den Mitwirkungsrechten zugespielt worden ist. Die Kernpunkte unserer Verfassungsänderung gel ten bundesweit als vorbildlich – sprich die Bindung der Lan desregierung an unsere Stellungnahmen, wenn EU-Vorhaben die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder be treffen, bzw. die Pflicht zur Berücksichtigung unserer Äuße rungen, falls Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder we sentlich berührt werden.

Dass unsere Landesverfassung mehr sein soll als ein Symbol unserer Eigenstaatlichkeit, verdeutlichten wir durch das Prä zisieren des Konnexitätsprinzips. Dieses Prinzip ist von Be ginn an in unserer Verfassung verankert. Es war seinerzeit ei ne verfassungspolitische Innovation. Wir haben also einen fünfeinhalb Jahrzehnte alten Edelstein unserer Landesverfas sung praktisch frisch geschliffen.

Singulär gefordert waren wir nach dem traurigsten Ereignis der jüngeren Landesgeschichte, dem grauenhaften Amoklauf von Winnenden und Wendlingen. Ein 17-jähriger ehemaliger Realschüler erschoss mit einer Waffe seines Vaters zunächst in seiner früheren Schule und dann auf der Flucht 15 Men schen. Gerade weil der Täter so jung war, stellte seine Tat grundsätzliche Fragen.

Uns als Parlament oblag, an vorderster Stelle nach Antworten zu suchen. 18 Kolleginnen und Kollegen übernahmen diese komplexe Aufgabe im Sonderausschuss „Konsequenzen aus

dem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen: Jugendgefähr dung und Jugendgewalt“. Ich meine, sie sind ihrem Auftrag bestmöglich gerecht geworden. Ihre Empfehlungen bleiben über diese Wahlperiode hinaus von Belang.

Enquetekommissionen sind vorzüglich geeignet, den Einfluss der Parlamente substanziell auszuweiten und parlamentari sche Kontrolle als politisches Controlling zu praktizieren. Das kostet Aufwand. Der aber lohnt sich. In dieser Wahlperiode haben wir das an der Enquetekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche Schulen, Aus- und Wei terbildung“ gesehen. Der 950-seitige Abschlussbericht ist ein riesiger Fundus an Erkenntnissen. Das Umsetzen hat bereits begonnen, und der nächste Landtag ist verpflichtet, hier wei terzumachen.

Angenommen, wir hätten vor sechs Monaten – angelehnt an das „Tor des Jahres“ der ARD-„Sportschau“ – das „Thema der Wahlperiode“ gewählt: Stuttgart 21 wäre wohl am häu figsten genannt worden. Wenig hat uns häufiger beschäftigt, nichts war heftiger umstritten.

Es kam zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses „Auf arbeitung des Polizeieinsatzes am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten“. Wir erlebten die Schlichtung mit Heiner Geißler – ein absolutes Novum, das auch den neuen Landtag in die Pflicht nimmt. Er muss erwägen, wie unsere parlamentarische Demokratie durch zusätzliche Schnittstel len hin zu den Bürgerinnen und Bürgern modernisiert werden kann.

Demoskopische Erhebungen liefern inzwischen unterschied liche Resultate bei der Frage nach den wichtigsten Problemen des Landes. Die einen vermelden, Stuttgart 21 sei unverän dert vorn in der Rangliste der Topthemen. Den anderen zufol ge haben Bildung, Energie, Umwelt und Wirtschaft mehr Be lang für die individuelle Entscheidung am 27. März. Hören wir also genau hin, was die Wählerinnen und Wähler in wel chem Ausmaß wirklich interessiert.

Ich wiederhole mich gern: Unsere Bilanz ist respektabel. Von der Neuordnung des Abfallrechts über das Novellieren der Landesbauordnung, das Nichtraucherschutzgesetz, die Werk realschule, den Verbraucherschutz, die Konzeption „Kultur 2020“ bis zum bevorstehenden Start der Onlinepetition – wir haben vieles, was für unsere Bürgerinnen und Bürger und für unsere Unternehmen Relevanz besitzt, voran- und ins Ziel ge bracht.

Buchstäblich bemerkenswert sind überdies die Staatsverträge mit den beiden großen christlichen Kirchen sowie den Israe litischen Religionsgemeinschaften.

Unsere wohl nachhaltigste Tat ist gewesen, dass wir der Fö deralismusreform II entschlossen vorausgegangen sind und unsere Landeshaushaltsordnung um eine Schuldenbremse er gänzt haben: der Schuldenstand vom 31. Dezember 2007 als Obergrenze, neue Kredite nur in Ausnahmesituationen und nur mit einem siebenjährigen Tilgungsplan. Unser Königs recht soll keine Lizenz mehr sein, zusätzliche Verbindlichkei ten aufzuhäufen.

Das Krisenjahr 2009 mit dem dramatischsten Konjunkturein bruch offenbarte jedoch brutal, wie sehr wir auf eine florie

rende Wirtschaft angewiesen sind. Keine zusätzlichen Schul den – das setzt ausreichende Einnahmen und erhebliche Spar anstrengungen voraus. Deshalb sollten wir auch in der nahen Endphase des Wahlkampfes einen Satz Manfred Rommels be herzigen:

Man kann gegen vieles Politik machen, bloß nicht gegen Adam Riese.

Mehr noch: Helmut Markwort, der frühere Chefredakteur des „Focus“, hat einmal in einer viel beachteten Rede herausge arbeitet, dass Politikerinnen und Politiker wie keine andere Gruppe sich selbst und ihr Tun ständig abwerten durch gegen seitige Beschimpfungen und das Unterstellen niedriger Moti ve.

Wir schreiben Anfang März 2011. Wahlkampf heißt verschärf ter Wettbewerb. Durch den Stil unserer Auseinandersetzun gen beeinflussen wir die Akzeptanz der Politik insgesamt. Wir dürfen da keinen Raubbau treiben. Lassen Sie uns also jeder zeit achtsam umgehen mit dem Grundkapital unserer Abge ordneten- und Regierungstätigkeit, nämlich mit unserem An sehen in der Öffentlichkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, vor Jahren hieß eine Bro schüre des Landtags „Politik von Menschen für Menschen“. Diese zeitlos gültige Charakterisierung gilt namentlich für je ne 29 von uns, die jetzt mit Ansage zu den Ehemaligen über treten.

Sie gilt aber ebenso für die 14 Kolleginnen und Kollegen, die im Laufe der vergangenen fünf Jahre ausgeschieden sind. Ich nenne stellvertretend unseren Exalterspräsidenten GustavAdolf Haas, und ich freue mich, dass er von der Zuhörertri büne aus – hoffentlich zufrieden – beobachtet, wie wir die von ihm eröffnete Wahlperiode zu Ende bringen. Herzlich will kommen, lieber Gustav-Adolf Haas!

(Beifall bei allen Fraktionen – Zuruf des Abg. Peter Hofelich SPD)

Der Personalwechsel ist natürlich ein Jungbrunnen der Demo kratie – allerdings mit einer zweiten Seite: Der Vitalisierung voraus geht ein Aderlass an Wissen, Erfahrung und Berechen barkeit.

Was abstrakt klingt, wird superplastisch bei unserem bisheri gen Doyen, also bei Ihnen, lieber Herr Kollege Fleischer. Ih re 35 Jahre „Laufzeit“ sind neuer Rekord, ein Jahr mehr als Wolfgang Daffinger und Erwin Teufel. 35 Jahre MdL muten gewaltig an, und der Schein trügt nicht. Sie, lieber Herr Kol lege Fleischer, waren beinahe in jedem politischen Feld zu Hause, und Sie haben immer tief gepflügt, wobei Sie klaren ordnungspolitischen Linien folgten. Als Ausschussvorsitzen der und stellvertretender Fraktionsvorsitzender trugen Sie ver siert parlamentarische Führungsverantwortung. Fast ein Allein stellungsmerkmal ist, dass Sie in vier Ministerien als Staatsse kretär amtierten.

Als Präsident des südbadischen Sportbunds hatten Sie eine große gesellschaftliche Kraft im Rücken. Das verlieh Ihnen zusätzlich politische Statur. Es machte Sie in der Diktion von Heiner Geißler zu einem „MdL plus“.