Protokoll der Sitzung vom 15.03.2011

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir sehen noch einmal, dass die Nutzung der Atomkraft ein Risiko ist, das vom Menschen letztlich nicht beherrschbar ist. Denn durch die Verkettung unglücklicher Umstände, von de nen das Eintreten jedes einzelnen, für sich genommen, un wahrscheinlich ist, kann trotzdem der unwahrscheinliche Fall einer solch fatalen Katastrophe eintreten, und dies innerhalb von 40 Jahren.

Joseph Kardinal Höffner hat 1986 nach Tschernobyl zu den Gefahren der Atomkraft gesagt, es gebe Risiken, deren Fol gen so gewaltig seien, dass sie bei noch so geringer Wahr scheinlichkeit ihres Eintretens nicht zu rechtfertigen seien. Ich finde, die klaren Erkenntnisse dieses Kirchenmanns sind bei Ihnen, bei CDU und FDP, nach 25 Jahren noch immer nicht wirklich angekommen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wenn Fukushima uns etwas lehren sollte, dann ist es doch De mut angesichts der Grenzen unseres menschlichen Vermögens, alles – vermeintlich – zu beherrschen. Denn Japan ist bekannt lich ein Hochtechnologieland.

Daraus folgt nicht, dass wir in der Politik lauter risikolose Ent scheidungen treffen könnten. Aber wir als verantwortliche Po litiker müssen doch abwägen, welche Folgen ein Handeln ha ben kann. Wir sollten die Einsicht besitzen, dass wir eben nicht alles realisieren, was technisch machbar ist.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, Japan lehrt uns nicht, dass wir die Notstromaggregate oder die Zuverlässigkeit einzelner Sicher heitskomponenten unserer Kraftwerke jetzt nochmals über prüfen sollten. Das muss man dauernd machen. Ich hoffe, dass es auch getan wird.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Wolf gang Drexler SPD: Genau! – Abg. Peter Hauk CDU: Machen wir ja gerade! Das machen wir auch, aber nicht nur!)

Das ist nicht das Thema, das Japan uns vorgibt. Die Lehre ist: Wir sind nicht allmächtig und können solche Risiken im Letz ten nicht wirklich beherrschen. Das ist die Lehre aus Japan.

Die Ereignisse in Tschernobyl gingen in erster Linie auf menschliches Versagen zurück. Die aktuellen Ereignisse be ruhen auf technischem Versagen im Gefolge einer Naturkata strophe. Zu glauben, nur weil Baden-Württemberg nicht in ei nem stark erdbebengefährdeten Gebiet liegt oder weil es hier keinen Tsunami geben kann, könne hier nicht wieder eine neue Katastrophe passieren – aus ganz anderen Verkettungen her aus –, das ist der Irrtum, dem Sie unterliegen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das wissen wir schon lange und nicht erst seit Fukushima. Aber seit Fukushima wissen wir sozusagen hundertprozentig, dass wir die Nutzung der Atomkraft so schnell wie möglich beenden müssen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, das war unsere Maxime. Das war die Maxime der rot-grünen Bundesregierung. Daraus haben wir die Konsequenz gezogen und einen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Das war die Kernkonsequenz aus all diesen Vorhaben, schon vor Fukushima.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir haben das Ende der Atomkraft eingeläutet und gleichzei tig den erneuerbaren Energien zum Durchbruch verholfen. Diese beiden Teile der Energiepolitik kann man überhaupt nicht trennen. Aus unserem starken Nein vor 30 Jahren zur Atomkraft ist heute ein starkes Ja für die Energiewende hin zu den regenerativen Energien geworden. Wir sehen: In der Demokratie gehören ein starkes Ja und ein gutes Nein immer zusammen. Das ist die richtige Politik in der Demokratie.

(Beifall bei den Grünen)

Beides hat unsere Energieversorgung zukunftsfähiger und ver antwortbarer gemacht. Wir haben Deutschland vorangebracht und bundesweit bis heute ca. 350 000 neue Arbeitsplätze, vie le davon auch in Baden-Württemberg, in diesem Bereich ge schaffen. Sie waren dagegen und haben diese Energiewende durch Ihre Laufzeitverlängerung brüsk gestoppt. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Peter Hauk CDU: Das ist doch gar nicht wahr! Nirgendwo! Das müssen Sie belegen, Herr Kretschmann!)

Was ich heute von Ihnen erwartet hätte, Herr Ministerpräsi dent und Herr Fraktionsvorsitzender Hauk, war, dass Sie nach diesen dramatischen Ereignissen gesagt hätten: „Wir haben einen schweren Fehler gemacht. Diesen Fehler müssen wir heute eingestehen, und wir ziehen die Konsequenzen daraus.“ Das hätten wir heute von Ihnen erwarten können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Norbert Zeller SPD: So ist es! Genau darum geht es! Das ma chen die nicht!)

Diese Laufzeitverlängerung war ein Kniefall vor der Atom lobby und nichts anderes. Es gab für die Laufzeitverlängerung weder Klimaschutzgründe, noch gab es einen Grund wegen

einer Stromlücke, noch sind dadurch die Strompreise gesun ken. Das ist die Wahrheit. Das sind die Tatsachen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die Realität unserer Energieversorgung, die Realität überal terter Atommeiler mussten Sie dazu ausblenden. Die techni schen Konzeptionen von Neckarwestheim I und Philipps burg 1 stammen bekanntlich aus den Sechzigerjahren. Man wusste schon vorher, dass es keine gute Zukunft bedeutet, sol che Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Richtig!)

Neckarwestheim I wäre schon im letzten Jahr stillgelegt wor den, wenn es nach uns und nicht nach Ihnen gegangen wäre.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Moratorium, das jetzt beschlossen worden ist, haben al le, die das Vorgehen verfolgt haben, als das erkannt, was es ist: Es soll eine Beruhigungspille sein, um Sie über die Wah len zu retten. Das ist der wahre Grund.

(Abg. Peter Hauk CDU: So ein Blödsinn!)

Die Formulierung, die Ihr Ministerpräsident in der Presse konferenz in Berlin gebraucht hat, es sei ein „emotionaler Ausnahmezustand“ in Deutschland gegeben, spricht allerdings sehr für meine These. Jetzt will man für drei Monate abschal ten, bis sich die Emotion wieder beruhigt, und dann geht es irgendwie weiter.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Aber das ist nicht unsere Position. Unsere Position heißt: Die se alten Meiler gehen endgültig vom Netz. Das ist die Konse quenz, die wir heute ziehen müssen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich sage noch einmal: Es ist ein Irrtum gewesen, zu glauben, man könne all die Gefahren, die mit diesen alten Atomkraft werken verbunden sind, bändigen. Das war ein schwerer Irr tum; denn es zeigt sich, dass wir das nicht können. Deswegen müssen diese alten Atomkraftwerke sofort stillgelegt werden. Das ist die klare Konsequenz, die sich aus allen Analysen, die wir haben, und aus dem schweren Unfall, den wir jetzt leider mitverfolgen müssen, ergibt.

Meine Damen und Herren, Frau Gönner, Herr Kollege Hauk, da kann es nicht um eine Faktenschlichtung gehen.

(Abg. Peter Hauk CDU: Es geht um keine Schlich tung! Es geht um Transparenz! Es geht um die Rich tung! – Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Da kann es jetzt überhaupt nicht darum gehen, analog zu Stutt gart 21 irgendeine Faktenschlichtung einzurichten. Kein ein ziges politisches Thema ist in der Vergangenheit so intensiv diskutiert worden wie die Atomtechnologie und die Energie politik – kein einziges Thema!

(Abg. Hans Heinz CDU: Darum geht es ja gar nicht!)

Die Konsequenzen liegen alle klar auf dem Tisch.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich zitiere noch einmal Erwin Teufel aus dem Jahr 1986 nach Tschernobyl:

Die Weichen für Alternativen zur Kernkraft müssen heute... gestellt werden und nicht erst nach dem Jahr 2000...

Die Zukunft gehört nicht der Kernkraft, weil kein Mensch mit so großen Risiken leben will, wenn... es risikoärme re oder gefahrlose Arten der Energieerzeugung gibt.

Erwin Teufel: schöne Worte ohne Folgen.

(Abg. Peter Hauk CDU: Doch! Das ist doch nicht wahr! – Abg. Klaus Herrmann CDU: Sie haben nicht zugehört!)

Die CDU dreht sich seit 25 Jahren im Kreis.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Herr Ministerpräsident Mappus, Sie sind wirklich der un glaubwürdigste Umkehrer in dieser Sache. Es ist noch kein Jahr her, da haben Sie in brachialer Weise den Rücktritt von Umweltminister Röttgen, des Ihrer eigenen Partei angehören den Bundesumweltministers, gefordert, weil er sich gegen Ih re Pläne der schnellen Verlängerung der Laufzeiten von Atom kraftwerken auf einen sehr langen Zeitraum gewehrt hat – Ihr eigener Umweltminister –, und Sie haben die Bundeskanzle rin aufgefordert, ihn rauszuschmeißen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Norbert Zeller SPD: So ist es!)