Protokoll der Sitzung vom 15.03.2011

Wenn wir jetzt in Europa auf Kernkraftwerke schauen, soll ten wir uns die Kernkraftwerke am Rande des Mittelmeers an sehen, am Mittelmeer und am Schwarzen Meer, also ins Mar marameer hinübergehend.

Es gibt eine zweite seismisch hochaktive Zone: Das sind die Alpen, die sich noch immer heben und gerade am Südalpen rand ein hohes Gefährdungspotenzial haben. Ich weiß nicht, wer sich noch an die Katastrophe von Longarone erinnert, wo ein Bergsturz in einen Stausee erfolgt ist, eine große Wasser menge über den Staudamm geflossen ist und in Longarone über 2 000 Menschen ums Leben gekommen sind. Das zeigt: Demut vor der Natur wäre eigentlich eine angemessene Hal tung.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nirgendwo.

(Beifall bei der CDU und der SPD sowie Abgeord neten der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Un tersteller.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jetzt wird geholzt!)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke wurden für die älteren um acht Jahre, für die neueren um 14 Jahre verlängert. Man muss wissen, dass wir bei den „neueren“ Anlagen über Anlagen aus den Achtziger jahren reden. Ein Auto aus den Achtzigerjahren hat bereits ein H-Nummernschild – nur, damit man weiß, was „neuer“ heißt.

(Zuruf des Abg. Dr. Dietrich Birk CDU)

Diese Laufzeitverlängerung wurde vor einem halben Jahr be schlossen. Nun stellen sich die Ministerin sowie Kollege Rül ke und Kollege Hauk ein halbes Jahr nach dieser Entschei dung, gegen die wir und gegen die auch die Sozialdemokra ten erbittert gekämpft haben, hierher und kritisieren diejeni

gen, die seit Jahren für den Ausstieg aus der Atomenergie kämpfen. Das muss man sich einmal vorstellen!

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Wolf gang Drexler SPD: So ist es!)

Wie viel Chuzpe muss man eigentlich haben, um in dieser Si tuation hier solche Reden zu halten? Das verstehe ich über haupt nicht.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Ihr seid doch gar nicht ausgestie gen! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: War um seid ihr denn nicht ausgestiegen? – Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Es ist 25 Jahre her, dass wir einen Super-GAU in Tscherno byl hatten. Bei diesem Super-GAU hat man damals argumen tiert: Die Russentechnik – alles problematisch – ist nicht mit unserer vergleichbar. Man hat argumentiert, dass sie dort schwerwiegende Bedienungsfehler gemacht hätten. Damit hat man die Diskussion wegbekommen.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Man hat gehandelt! – Gegenruf der Abg. Katrin Altpeter SPD: Was?)

Jetzt haben wir in drei Reaktoren in Japan einen schweren Un fall, von dem noch niemand weiß, wie er letztendlich ausgeht. Betroffen sind drei Reaktoren in Japan,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Wir ziehen die Kon sequenzen!)

die dem technologischen Standard der Siedewasserreaktoren der Baulinie 69 in Deutschland entsprechen. Da sind wir uns einig.

Das heißt: In einer Menschheitsgeneration gab es zwei – wenn man Harrisburg dazunimmt, drei – schwerwiegende, schwe re Störfälle, katastrophale Unfälle. Es geht um Tschernobyl und wahrscheinlich auch um Japan. In all diesen Fällen hat man vorher gesagt: Das darf eigentlich gar nicht passieren, das Restrisiko liegt bei null Komma null null irgendwas. Das ist eigentlich ein rein theoretischer Wert; es kommt nicht vor.

Die Konsequenz daraus muss doch sein – wie es Kollege Kretschmann gesagt hat –, dass man sagt: „Wir haben uns ge irrt; das ist eine Risikotechnologie, und die ist durch den Men schen letztlich nicht beherrschbar.“ Das ist doch die Konse quenz daraus.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Klaus Herrmann CDU: 400 weltweit! Kein Wort dazu!)

Jetzt haben wir gehört: Auch von der Ministerin werden Erd beben hier mit Erdbeben in Japan verglichen. So hat sich eben im Detail auch der Wissenschaftsminister geäußert.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Ihr Herr Trittin behaup tet das!)

Wenn man sich das jetzt noch einmal vergegenwärtigt: Bei dem, was in Tschernobyl geschehen ist, und dem, was jetzt in Japan geschieht, geht es doch nicht darum, dass wir hier Erd beben in der Größenordnung desjenigen von Japan oder Tsu namis hätten. Es geht vielmehr darum, dass es bei dieser Tech

nologie Restrisiken – oder nennen Sie es Risiken – gibt, die nicht beherrschbar sind. Bei uns können es andere Risiken sein. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Spätestens seit dem 11. September 2001 wissen wir, dass es Menschen gibt,

(Unruhe)

die Flugzeuge mit dem Ziel entführen, sie in Hochhäuser flie gen zu lassen. Wer gibt Ihnen und mir die Sicherheit, dass es nicht auch welche gibt, die nicht in Hochhäuser, sondern in Kernkraftwerke fliegen? Wer gibt Ihnen und uns die Sicher heit?

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU – Abg. Peter Hauk CDU mel det sich.)

Nein. Sie haben auch meine Zwischenfrage nicht zugelas sen.

Aus diesem Grund machen wir uns stark dafür, dass die sie ben ältesten Reaktoren in Deutschland abgeschaltet werden, weil sie nicht auf den Absturz von Verkehrsflugzeugen ausge legt sind.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Was ist mit den 400 weltweit?)

Jetzt sagen Sie, Frau Ministerin, in Ihrem Moratorium: Wir legen diese sieben auch still – Klammer auf: für drei Monate.

Ändert sich an diesem Risiko, das ich gerade benannt habe, in drei Monaten auch nur irgendetwas?

(Abg. Peter Hauk CDU: Aber dann müssen Sie doch alle abschalten, wenn Ihre Philosophie stimmt!)

Herr Kollege Hauk, Sie wissen es, ich weiß es, alle hier wis sen es, dass wir hier mehrfach Diskussionen über Flugzeug abstürze hatten und uns einig waren, dass die neueren Reak toren – Philippsburg 2, Neckarwestheim II – besser gegen Flugzeugabstürze ausgelegt sind als die alten. Deshalb sollte man, wenn man die Risiken minimieren will, zunächst einmal an die alten Reaktoren herangehen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Warum hat man es dann nicht gemacht? Sie hatten doch so lan ge Zeit!)

Deswegen sollten die sieben Reaktoren vom Netz genommen werden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Peter Hauk CDU: Sie hatten es doch in der Hand! Warum, Herr Kollege Untersteller, sind sie während der Re gierungszeit von Rot-Grün weitergelaufen?)

Jetzt zum Faktencheck. Sie haben das ja in einem Interview angesprochen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP begibt sich zu einem Saalmikrofon.)

Nein, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu. Von mir wur de vorhin auch keine zugelassen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Vor der Fra ge hat er Angst! – Unruhe)

Zum Faktencheck. Sie, Frau Ministerin, haben das in einem In terview in der „Frankfurter Rundschau“ angesprochen – ich will es jetzt nicht exakt zitieren –: Wir machen einen Faktencheck analog zu Stuttgart 21. Die energiepolitische Debatte haben wir in Deutschland seit Jahrzehnten. Seit Jahrzehnten – das wissen auch Sie – gibt es Szenarien über die Frage, wie man die Ener gieerzeugung in Deutschland gestalten könnte. Diese Debatte ist nicht nur von Atomkritikern – so sage ich einmal – bestimmt worden. Es gibt beispielsweise ein neueres Gutachten des Sach verständigenrats für Umweltfragen – das ist nicht irgendwer, sondern ein Gremium der Bundesregierung –, in dem der Sach verständigenrat dargelegt hat, wie man in Deutschland eine Energieversorgung auf der Grundlage von 100 % erneuerbaren Energien darstellen kann. Darin sind die Gutachter auch zu dem Ergebnis gekommen – das wissen auch Sie –, dass wir keine Laufzeitverlängerung brauchen.

Das Problem ist: Sie haben nicht auf sie gehört, und Sie ha ben auch nicht auf das Umweltbundesamt gehört, das im letz ten Jahr gesagt hat: „Lasst die Finger von der Laufzeitverlän gerung. Sie schadet uns nur, und sie nützt uns auch nichts für den Klimaschutz.“ Sie haben nicht auf sie gehört, sondern sind denen aus der Energiewirtschaft gefolgt, die damit ihre Profi te gemacht haben und machen wollen und ihre Position in der Energiewirtschaft sichern wollen. Das ist die Situation.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Geärgert, Frau Ministerin, hat mich eine Meldung von ges tern Morgen.

(Unruhe – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Nur gestern Morgen? – Heiterkeit der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir hatten im Umweltausschuss zuletzt eine kleine Ausein andersetzung

(Zurufe von der SPD: Oi! – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Ist das wahr?)

über die Frage „Nachrüstbedarf und Nachrüstsituation Ne ckarwestheim I“; ich komme nachher noch einmal darauf.