Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kollege Gall hat recht, wenn er sagt: „610 000 Straftaten sind zu viel.“ Diese Auffassung teilt sicherlich jeder hier im Haus. Wir müssen dies eben nur ins Verhältnis setzen. Wir stehen im Vergleich relativ gut da. All die Kritik der Opposition an der Sicherheitspolitik in diesem Land wird doch durch die vorliegenden Zahlen Lügen gestraft. Das muss man einmal deutlich sagen. Wir haben eine sehr hohe Aufklärungsquote. Wir stehen im Ländervergleich hervorragend da. Natürlich können wir immer noch besser werden; daran wird ja gearbeitet. Aber das muss man hier auch einmal feststellen und anerkennen.

Die FDP/DVP hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie zur Polizei dieses Landes steht. Wir wollen der Polizei geben, was sie für ihre schwere Arbeit braucht. Wie schwer und wie gefährlich diese Arbeit ist, das haben wir bei dem gestrigen Vorfall in Heilbronn wieder gesehen. Wir brauchen jetzt in erster Linie keine Gesetzesverschärfungen oder gar neue Sicherheitsgesetze, sondern wir brauchen in erster Linie eine gute Ausstattung mit Personal

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

und mit Ausrüstung.

Ich will hoffen, dass die unendliche Geschichte mit dem Digitalfunk doch noch zu einem guten Ende kommt. Dazu kön

nen wir beitragen, weil wir ja hier einen Modellversuch machen werden.

Ich will auch noch sagen, dass wir erwarten, dass die Polizeiführung die Landespolizeidirektionen darin unterstützt, dort, wo es besondere Probleme in bestimmten Polizeidirektionen gibt, Feinjustierungen vorzunehmen. Denn PD ist nicht gleich PD. Da kommt es auf die geografische Lage, auf Großereignisse, die dort stattfinden, etc. an. All das muss berücksichtigt werden. Die mittlere Ebene haben wir ja gerade dafür, um für einen Ausgleich zu sorgen, wenn es an einem Ort klemmt und dagegen an einem anderen Ort die Polizeidirektion vielleicht zu gut besetzt ist. Das müssen wir beachten.

Ein besonderes Augenmerk müssen wir unserer Meinung nach auf die Kriminalpolizei legen. In diesem Bereich haben wir ein bisschen die Sorge vor einer Überalterung. Man sollte einmal überlegen, ob die Direkteinsteiger, die Kommissaranwärter, die direkt zur Fachhochschule gehen, nicht gezielt zur Kriminalpolizei gelenkt werden sollten, weil wir dort immer wieder Nachwuchs brauchen, damit es dort keine Überalterungsprobleme gibt.

Ich will noch hervorheben: Wir Liberalen haben schon den „Otto-Katalog“ des Herrn Schily abgelehnt. Wir lehnen auch Herrn Schäubles Wunschzettel als gefährliches Spiel mit dem Feuer des Überwachungsstaats ab.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Unten in der Eingangshalle liegt das Grundgesetz aus. In Artikel 2 des Grundgesetzes steht:

… Die Freiheit der Person ist unverletzlich …

Artikel 10 Abs. 1 lautet:

Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)

Artikel 13 Abs. 1 lautet:

Die Wohnung ist unverletzlich.

Auch Ihre, Herr Scheuermann. Seien Sie froh und dankbar, dass Sie diese Verfassung haben.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Winfried Scheuer- mann CDU: Da steht noch mehr drin! – Abg. Wolf- gang Drexler SPD: Herr Scheuermann, ist Ihre auch unverletzlich? Habe ich nicht gewusst!)

Wir wollen, dass das so bleibt.

(Zurufe der Abg. Winfried Scheuermann und Karl Zimmermann CDU)

Die Polizei hat die Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger vor Straftaten zu schützen. Das tut sie hier in unserem Land im Einklang mit der Bürgerschaft und nicht gegen die Bürgerschaft. So ist es, und so soll es bleiben.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Und das ist auch gut so!)

Statt des obrigkeitsstaatlichen Ordnungshüters wollen wir den Polizeibeamten, wie er aus der Sicht der Bürgerschaft war, ist und bleiben soll, nämlich als Freund und Helfer.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Innenminister Rech.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Lassen Sie mich am heutigen Tag zunächst einmal Folgendes sagen: Die Polizei in Baden-Württemberg ist nach diesem unfassbaren Mord an einer 22-jährigen Beamtin und dem versuchten Mord an einem 24-jährigen Beamten tief betroffen und tief getroffen. Ich habe deshalb als äußeres Zeichen der tiefen Trauer der gesam ten Polizei Baden-Württembergs Trauerflor an den Streifenwagen des Landes angeordnet. Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen. Ich setze meine ganze Hoffnung auf die Ärzte, denen es hoffentlich gelingt, das Leben des schwer verletzten 24-jährigen Polizeibeamten zu retten.

Es ist nicht der Tag für Statistiken. Ich will dennoch in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass wir gottlob in den letzten acht Jahren von solch schrecklichen Taten verschont geblieben sind, dass aber in Baden-Württemberg seit 1945 insgesamt 54 Polizeibeamte durch Rechtsbrecher – also nicht durch Verkehrsunfälle, durch Unfälle bei Verkehrsunfallaufnahmen und Ähnlichem – getötet wurden. Im Jahr 2006 sind zudem 394 Polizeibeamte durch Straftäter verletzt worden.

Das alles zeigt, dass der Polizeiberuf alles andere als ungefährlich ist und dass die Beamtinnen und Beamten jeden Tag bei ihrem Einsatz ein hohes Risiko auf sich nehmen. Deshalb werden alle Polizeibeamten bereits während der Ausbildung durch situatives Handlungstraining hoch professionell auf konfliktträchtige und gefährliche Situationen vorbereitet. Auch nach der Ausbildung wird dies im Rahmen des regelmäßigen Einsatztrainings fortgeführt, um die Risiken zu minimieren. Aber ausschließen kann man ein Risiko niemals vollständig; die Polizeibeamten wissen das und leisten dennoch mit hoher Motivation Tag für Tag ihren Dienst. Dafür bin ich dankbar, und das ist auch ein Teil des Erfolgs der baden-württembergischen Polizei.

Ich bin allen Kollegen, die sich bislang hier und auch in den vergangenen Jahren schon zu diesem Thema geäußert haben, dankbar für ein hohes Maß an konstruktiver Kritik und Zusammenarbeit. Wir sind uns einig im Ziel, und wir sind uns in vielen Bereichen auch über die Wege einig, die uns dem Ziel näher bringen. Auch das will ich sagen.

Herr Kollege Gall, auch Ihnen stimme ich zu, wenn Sie sagen, die Statistik sei die eine Seite, und man solle diese nicht einfach unkritisch vor sich hertragen – ich interpretiere jetzt einmal Ihre Aussage. Das ist völlig richtig. Auch eine Aufklärungsquote von 60 % – die eine der höchsten in der Bundesrepublik ist – ist nur eine Seite der Medaille. Sie haben gesagt, im Umkehrschluss blieben 40 % der Taten unaufgeklärt. Das muss man jedoch genauer analysieren. Bei den Gewaltverbrechen, den Schwerverbrechen liegt die Aufklärungsquote bei 90 %. Natürlich können Sie nicht jeden Ladendiebstahl aufklären. Auch im Bereich der politisch motivierten Kriminalität, die Sie in Ihrer Rede auch angesprochen hatten, gibt

es Zahlen, die wir aufgrund des BGH-Urteils schlichtweg wieder herausrechnen müssen, etwa im Zusammenhang mit den verfremdeten Hakenkreuzabbildungen und Ähnlichem. Die Statistik ist also die eine Seite.

Ich sage aber noch einmal: Wir können in Baden-Württemberg mit Fug und Recht davon sprechen, dass wir ein sicheres Bundesland sind. Ich will jetzt nicht weiter die Statistik bemühen, sondern nur den Langzeittrend andeuten. Dieser Langzeittrend zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir haben beispielsweise in ganz wichtigen Deliktbereichen, die das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen betreffen, große Fortschritte erzielt. Die Straßenkriminalität verzeichnet einen Rückgang um 22 % und ist damit auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der gesonderten Erfassung, also seit 1989.

Ein weiterer ganz wichtiger Bereich sind die Einbruchsdelikte. Jeder, der wie ich schon einmal selbst von einem Wohnungseinbruch betroffen war, weiß – egal, wie hoch der Schaden war, der dabei angerichtet wurde –, dass das subjektiv natürlich Spuren hinterlässt.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Da fühlt man sich nicht mehr wohl in seiner Wohnung!)

Ja, natürlich. Meine Frau und meine Kinder waren zu Hause, und der Täter war laut Auskunft der Polizei immerhin mindestens zwei oder drei Stunden lang in unserem Haus. Da denkt man schon: Herrschaft noch mal! Das vergisst man auch so schnell nicht. Nun bin ich zwar kein ängstlicher Mensch, aber ich habe Verständnis für alle Bürger, die sich gerade durch solche Delikte innerlich sehr verletzt fühlen.

Bei diesen Wohnungseinbrüchen, die ja den inneren Kern der Privatsphäre betreffen und ein Unsicherheitsgefühl zurücklassen, sind die Fallzahlen in Baden-Württemberg seit Beginn der Neunzigerjahre um 50 % zurückgegangen.

Jetzt gibt es natürlich auch Kriminalitätsentwicklungen – Herr Kollege Sckerl hat darauf hingewiesen –, die man registrieren muss und bei deren Bekämpfung man dann Schwerpunkte und Prioritäten setzen muss. Dazu zähle ich die Gewaltkriminalität und die Körperverletzungsdelikte. Hierzu gehören im Übrigen die Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte, deren Zahl dramatisch zunimmt. Den Anstieg der Gewaltkriminalität, auch unter Jugendlichen und Heranwachsenden, haben wir im vergangenen Jahr zwar stoppen können, aber dieser Deliktbereich bewegt sich – das räume ich ein – nach meinem Dafürhalten immer noch auf einem zahlenmäßig hohen Niveau, das nicht hinnehmbar ist. Die Zahl der Körperverletzungsdelikte steigt an. Unter den bis zu 21-Jährigen werden inzwischen über 53 % der Gewaltdelikte aus der Gruppe heraus begangen, und bei über 30 % dieser Delikte – Kollege Blenke hat dies zu Recht angesprochen – ist Alkohol im Spiel.

Wir haben schon viel getan, um diesem Trend entgegenzuwirken, z. B. mit der kommunalen Kriminalprävention. Allein in diesem Bereich haben wir 285 Projekte durchgeführt.

Es gibt auch ganz neue Trends, die mir bis vor einigen Wochen selbst noch verborgen geblieben waren, wie das „Flat ratesaufen“. Über all diese gesellschaftspolitischen Entwicklungen müssen wir uns auch unter dem Gesichtspunkt polizeilicher Prävention Gedanken machen.

Und dann gibt es, Herr Sckerl – ich will das nur mit wenigen Worten ansprechen, weil er das aufgegriffen hat; ich sehe ihn jetzt nicht;

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Da ist er!)

doch, da hinten ist er; Entschuldigung –, noch ein kurzes Stichwort, über das wir uns unterhalten müssen. Ich meine den Anstieg der politisch motivierten Kriminalität. Er verlangt uns weiterhin eine hohe Wachsamkeit ab. Wir haben im Jahr 2006 – ich runde das einmal auf – rund 2 300 Straftaten in diesem Deliktbereich registriert. Das war fast ein Viertel mehr als im Jahr zuvor. Damit bin ich jetzt, Herr Gall, beim Thema „Relativierung der Statistik“: Dabei waren auch 251 links motivierte Propagandadelikte, davon ein großer Teil Ermittlungsverfahren wegen dieser verfremdeten Hakenkreuze. Diese müssten nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom März, also vom letzten Monat, jetzt eigentlich wieder aus der Statis tik herausgerechnet werden.

Die Statistik ist in der Tat differenziert zu betrachten. Ich habe noch nie zu denen gehört, die das wie eine Monstranz vor sich hertragen.

Ich gehöre zu denjenigen, die einräumen und ganz klar sagen: Unsere Polizei ist hoch motiviert, hat eine hervorragende Ausbildung und eine im Ländervergleich hervorragende Ausrüs tung – da kann man immer noch mehr tun, und das müssen wir auch –, aber wir sind im Hinblick auf die Stellenzahl und die Anzahl des Personals nicht auf Rosen gebettet. Im Gegenteil, da liegen wir im Ländervergleich ziemlich weit hinten, wenn man die Fläche des Landes, die zu bedienen ist – die auch aus Gründen der subjektiven Sicherheit zu bedienen ist –, und die Einwohnerzahl einbezieht. Das ist nicht eben üppig. Aber, meine Damen und Herren, auch wir müssen uns im Hinblick auf die Finanzierbarkeit des Ganzen und im Hinblick auf unseren Haushalt der allgemeinen Verantwortung stellen. Unser Haushalt hat ein strukturelles Defizit im Hinblick auf die Personalkosten. Dem kann sich auch die Polizei nicht verschließen. Darüber werden wir reden müssen, und darüber werden wir reden.

Herr Gall, mir ist durchaus bewusst, dass das Arbeitszeitvolumen nach dem Stellenabbau – 236 Stellen beim WKD und 619 Stellen durch die verlängerte Wochenarbeitszeit – gleich geblieben ist, dass uns aber natürlich die Köpfe – insbesondere die jungen Köpfe – fehlen, die wir gerade jetzt in großem Maße für die Polizei gewinnen könnten.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Ja!)

Das können wir jetzt durchaus noch verkraften, aber wir müssen uns über die Entwicklung, insbesondere über die Altersstruktur der Polizei, schon jetzt unterhalten,

(Abg. Reinhold Gall SPD: Darum muss man sich jetzt kümmern, nicht erst in der Zukunft!)

damit sie uns nicht in wenigen Jahren vor fast unlösbare Probleme stellt. Das werden wir tun. Wir werden das mit großer Sorgfalt, aber auch mit großem Nachdruck tun müssen.

Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage in Baden-Würt temberg – das will ich noch sagen – ist kein Zufallsprodukt. Unsere Sicherheitsstrategie beruht vor allem darauf, dass wir