Protokoll der Sitzung vom 23.05.2007

Wie kann es sein, dass ein Projekt, das dem Land in seiner Gänze schadet und bestenfalls in Stuttgart Flächen freimacht, von Ihnen als „Baden-Württemberg 21“ bezeichnet wird, nur um zu verdecken, wie wenig es dem Land nützt? Wie kann all dies sein? Ich verstehe es nicht.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das macht aber nichts! – Abg. Jörg Döpper CDU: Aufwachen!)

Frau Berroth, es spielt eine Rolle, ob die Menschen im Land verstehen, was die Politik tut.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ob Sie es ver- stehen!)

Ich bin auch ein Mensch in diesem Land, selbst wenn Sie es vielleicht gar nicht so wahrnehmen wollen.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das täuscht doch!)

Wie kann es sein, dass Fakten in dieser Diskussion so wenig berücksichtigt werden? Wie kann es sein, dass Zeitgewinne behauptet werden, die nicht existieren? Warum muss ich in jeder Debatte erneut erläutern, dass die Fahrzeit von Stuttgart nach Tübingen schon jetzt bei 42 Minuten liegt

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Nur mit dem Sprin- ter!)

und in Zukunft auch bei 42 Minuten liegen wird, während Sie jedes Mal behaupten, durch den Tunnelbahnhof entstünde bei dieser Strecke ein Fahrzeitgewinn von 20 Minuten?

(Zuruf des Abg. Jörg Döpper CDU)

Wie kann es sein, dass immer wieder Fahrzeitgewinne für Strecken in die ganze Welt behauptet werden, obwohl diese fast ausschließlich der Neubaustrecke zuzurechnen sind? Während durch die Neubaustrecke ein Fahrzeitgewinn von 25 Minuten entsteht, bringt der Verzicht auf die Wende im Kopfbahnhof nur fünf Minuten Fahrzeitgewinn. Wie kann es sein, dass bei allen Diskussionen dieses Faktum unterdrückt wird?

(Zurufe der Abg. Jörg Döpper und Helmut Walter Rü- eck CDU)

Herr Kollege, Sie sollten es einfach noch einmal auf sich wirken lassen. Ich glaube nicht, dass Sie das alles schon untersucht haben.

Wie kann es sein, dass ein Gefälligkeitsgutachten eines Stuttgarter Universitätsprofessors – der im Text auch schreibt, warum er so gefällig ist –, das dem Tunnelbahnhof eine Leis tungsfähigkeit attestiert, die über der des Kopfbahnhofs liegt – während bei realistischer Betrachtung das Gegenteil der Fall ist –, wo manipuliert wird, wo Abfahrtszeiten falsch kalkuliert werden, wo so getan wird, als brauchte man keinen Fahrplan, als könnten die Züge gleichmäßig über die ganze Stunde verteilt werden, wo systematisch Bedingungen zugunsten des Tunnelbahnhofs manipuliert werden, nicht hinterfragt wird?

Wie kann es sein, dass die Kosten für den Kopfbahnhof sys tematisch schlechtgerechnet werden? Wie kann es sein, dass 150 Weichen im Abstellbahnhof – der gar nicht mehr gebraucht würde, wenn man das Alternativkonzept realisierte – in ein elektronisches Stellwerk mit Hochgeschwindigkeitsstandard integriert werden sollen, nur um die Kosten des neuen Stellwerks in der Berechnung der Bahn von 85 Millionen auf 370 Millionen € nach oben zu treiben? Das ist eine Verfünffachung der realen Kosten durch Manipulation und Erfindung! Wie kann es sein, dass Sie dies alles nicht interessiert und Sie dies alles unbesehen glauben?

Wie kann es sein, dass Ihnen völlig gleichgültig ist, was dieses Projekt für den Bahnverkehr im Land bewirkt? Wie kann es sein, dass Sie gleichzeitig bereit sind, voll ausgelastete Züge – jeder zwölfte Zug, der zwischen Tübingen und Stuttgart verkehrt, wird wegfallen – im Juni beim kleinen Fahrplanwechsel wegfallen zu lassen? Wie kann es sein, dass Sie mit der Begründung, Sie hätten nicht die 15 Millionen €, um diese voll ausgelasteten Züge zu erhalten, bereit sind, voll ausgelas tete Züge zu streichen, während Sie gleichzeitig alle zwei Wochen 150 Millionen € zusätzlich für Stuttgart 21 zur Verfügung stellen?

Wie kann es sein, dass Sie das tun und gleichzeitig behaupten, Stuttgart 21 schade dem Bahnverkehr im Land nicht – obwohl doch das Geld auf diese Art und Weise vergraben wird?

Wie kann es sein, dass Sie bereit sind, einen totalen Investitionsstopp, selbst für den kleinsten Bahnhof in Oberschwaben, zu akzeptieren? Es wird keine neue Förderung mehr vorgenommen, und zwar nur deshalb, weil das gesamte Geld hier in Stuttgart verbuddelt werden muss.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das ist doch gar nicht wahr! Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Entschuldigung, Herr Kollege Drexler, ich habe das schriftlich: Bis zum Jahr 2010 wird kein einziger neuer Haltepunkt gefördert,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Aber nicht wegen Stuttgart 21!)

wird nicht einem einzigen neuen Antrag stattgegeben.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das ist ja völlig falsch!)

Das Geld wird in Stuttgart benötigt. Es gibt keine andere Begründung hierfür als die, dass das Geld zur Seite gelegt werden muss.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das ist ja völlig falsch, was Sie sagen!)

Wie kann es sein, dass Sie bereit sind, durch diesen Tunnelbahnhof, der nur acht Gleisen Platz bietet, auf Dauer einen unterirdischen Engpass zu schaffen, der keinen Integralen Taktfahrplan erlaubt und der gerade verhindert, dass wir gute Verbindungen in das ganze Land hinein erhalten – und nicht nur einige schnelle Verbindungen in wenige Orte?

Meine Damen und Herren, wie kann es in Baden-Württemberg, in Schwaben und in Baden, sein, dass Geld keine Rolle mehr spielt? Ein Professor der Universität Tübingen hat heute die Zustände an den Universitäten im Land treffend beschrieben: Sie sparen Stellen, sie kürzen, sie streichen, die Gebäude werden nicht saniert – es gibt allein in Tübingen einen Sanierungsrückstand von 400 Millionen € –, es knarzt und knirscht überall. Dabei müssten wir zusätzliche Studierendenplätze schaffen, und das Geld hierfür ist nicht da; Sie stellen es nicht zur Verfügung.

Er fragt, wie es sein kann, dass lieber der Stuttgarter Kessel untertunnelt wird, als dass Universitäten finanziert würden.

Auch ich stelle Ihnen diese Frage: Wie kann es sein, dass Sie 1,5 Milliarden € an Landesmitteln aus verschiedenen Töpfen für dieses Projekt bereitstellen wollen, gleichzeitig aber nicht einmal das Geld dafür haben, auch nur das Notwendigste für die Zukunft, nämlich für unsere Universitäten, zu unternehmen?

(Beifall bei den Grünen – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Wie kann es sein, dass Sie die Kostenrisiken dieses Projekts systematisch ausklammern, obwohl doch jeder weiß, dass dann, wenn die Deutsche Bahn zur Hacke greift und Tunnel gräbt, Kostensteigerungen von 50 % völlig normal sind? Wie kann es sein, dass Sie überhaupt darüber diskutieren, dass die se Risiken vom Land übernommen werden?

Schließlich ist die Frage: Warum wird der Kopfbahnhof so sys tematisch schlechtgeredet? Warum wird alles, was für den Kopfbahnhof spricht, von vornherein ignoriert, und warum werden künstliche Argumente für den Tunnelbahnhof bis hin zu der Behauptung herbeigezogen, nur Dampfeisenbahnen könnten in diesen Kopfbahnhöfen verkehren? Hinzu kommen die Manipulationen an den Kosten- und Leistungsrechnungen, die ich Ihnen schon vorgetragen habe.

(Zuruf des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Wie kann es also sein, dass eine Entscheidung, von der Sie behaupten, sie sei für das Land von so schicksalhafter Bedeutung, getroffen wird, ohne die Fakten zu kennen, ohne die Argumente zu berücksichtigen, ohne ernsthaft zu prüfen, welches die bessere Alternative wäre, und ohne die Kosteneinsparungen zu berücksichtigen, die sich durch einen Kopfbahnhof ergäben?

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Wie kann das alles sein, und wie konnte es dazu kommen, dass der Bundesverkehrsminister feststellt, die Alternativen seien nie geprüft worden – und das nach über zehn Jahren Planungszeit?

Ich habe für all diese Fragen keine Erklärung und kann sie Ihnen nicht beantworten. Vielleicht können Sie eine Antwort geben. Wenn Sie jedoch nur einen Wunsch eines nun scheidenden Parlamentariers mitnehmen wollen,

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ist schon wieder Weihnachten?)

dann ist es dieser: Treffen Sie diese Entscheidung auf einer realistischen Grundlage. Gehen Sie zumindest jetzt noch einmal ernsthaft die Prüfung der Alternative, nämlich der Sanierung des Kopfbahnhofs, an.

(Zuruf des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Ohne Kenntnis der Alternative so viel Geld auszugeben halte ich für schlechterdings unverantwortlich.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Michael Theurer FDP/ DVP: Bleiben Sie doch noch im Landtag!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Löffler.

(Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Niemand zwingt Herrn Palmer, zu gehen! Er kann doch auch bleiben! – Gegenruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: So lange, bis seine Fragen beantwortet sind!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Durchhaltewillen und Beharrungsvermögen sind Eigenschaften, die dieses Land und seine Menschen prägen. Das wissen wir spätestens seit dem vergangenen Wochenende: Der VfB Stuttgart ist Deutscher Fußballmeister, und der KSC ist Meister der Zweiten Fußballbundesliga.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜ- NE)

Entscheidungen mit Mut zum Risiko angehen, Weichen stellen, Signale setzen – dadurch zeichnete sich bereits vor 100 Jahren, nämlich am 21. Februar 1907, König Wilhelm II aus, als er den Weg für einen neuen Hauptbahnhof in Stuttgart und für neue Schienenstrecken in der Region frei machte.

Den Abgeordneten der zweiten württembergischen Kammer war klar: Wegen schlechter Verkehrswege darf das Land nicht vom Rest des Reichs abgekoppelt werden.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Und auf diesem Niveau sind Sie noch heute! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sei doch mal leise! Jetzt kannst du etwas lernen!)

Die Wirtschaftskraft des Nationalstaats boomte. Es galt, die Schienenstrecke von Leipzig–Berlin–Hamburg–Köln–Frankfurt–Stuttgart bis München zu schließen. Nur wo Verkehrswege entstehen, kann sich die politische Einigkeit festigen und können sich Wohlstand und Lebensqualität entfalten. Das galt damals von der Ostsee bis zum Bodensee, und es gilt heute zusätzlich vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)