Protokoll der Sitzung vom 18.12.2007

Auch der Orientierungsplan Kindergarten ist angesprochen worden. Es ist richtig, es sind nur 30 Kindergärten in das wissenschaftliche Programm hineingenommen worden. Aber auch Sie wissen, dass insgesamt über 1 000 Kindergärten indirekt an der Evaluation dieses Orientierungsplans beteiligt sind. Ich denke, das zeigt, wie groß das Interesse ist und wie ernst diese Aufgabe auch im Kultusministerium genommen wird.

Eine Aussage ist richtig – das sehen auch wir von FDP-Seite nach wie vor mit großer Sorge –: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine starke Abhängigkeit zwischen dem Bildungserfolg und der sozialen Herkunft der Kinder. Das ist in der Tat ein gravierendes Problem. Wir haben gerade zum Dreikönigstreffen der FDP einen Antrag zum Thema Hauptschule auf den Weg gebracht, weil es in dieser Schulart eine Konzentration von Kindern gibt, die schlechtere Startbedingungen haben als andere. Wir haben uns darüber Gedanken gemacht, wie wir dieser Situation begegnen können.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal mit allem Nachdruck sagen – auch mit Blick auf die Verhandlungen, die zurzeit zwischen Ministerpräsident Oettinger und den kommunalen Landesverbänden laufen –: Wir brauchen ein stärkeres Engagement im frühkindlichen Bereich, nicht nur hinsichtlich der Betreuungssituation, sondern auch bezüglich der frühkindlichen Erziehung und Bildung.

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass in wenigen Jahren alle Kinder, die in Baden-Württemberg eingeschult werden, auch wirklich schulreif sein sollen. Dieses Ziel werden wir aber nur erreichen, wenn wir in diesem Bereich mehr Erzieherinnen und Erzieher als heute, die zudem besser ausgebildet sein müssen, beschäftigen. Das sagen wir nach wie vor mit großem Nachdruck.

(Zurufe der Abg. Ursula Haußmann SPD und Brigitte Lösch GRÜNE)

Das sollte von unserer Seite auch ein Bestandteil der Verhandlungen zwischen der Landesregierung und den kommunalen Landesverbänden sein.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Thema ansprechen, das auf unserer bildungspolitischen Agenda mittlerweile einen wichtigen Schwerpunkt darstellt: Musik in der frühkindlichen Erziehung und in der Grundschule. In BadenWürttemberg gibt es dazu eine ganze Reihe von Initiativen.

Zum Teil kommen die Anregungen hierzu aus Rheinland-Pfalz und aus Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Dazu zählt das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“. Wir halten es gerade im Hinblick auf die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Situation für sehr wichtig, dass im Kindergarten und in der Grundschule sehr viel mehr darauf geachtet wird, wie Musik in diese Bildungsbereiche integriert werden kann. Deshalb ist dieses Projekt, das auch hier im Land in ersten Modellversuchen getestet werden soll, ein wichtiges Thema. Wir wünschen uns, dass dieses Thema im Rahmen unserer Agenda sehr viel ernster genommen wird.

(Beifall des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Ich komme an dieser Stelle zum Ende. In der zweiten Runde folgen noch einige Anmerkungen zum Thema.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich dem Herrn Minister für Kultus, Jugend und Sport, Helmut Rau.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die empirische Bildungsforschung hat eine enorm große Bedeutung für Deutschland und für Baden-Württemberg. Das wird auch dadurch unter Beweis gestellt, dass wir in Baden-Württemberg über die international angelegten Studien hinaus weitere Studien in Auftrag gegeben haben bzw. an solchen teilnehmen.

Ich erinnere an TOSCA, eine Studie, die die Leistungsfähigkeit der beruflichen Gymnasien unter Beweis gestellt hat. Ich darf sagen, dass wir derzeit in der Startphase für eine vergleichende Hauptschul- und Realschulstudie sind, die das Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung unter der Leitung von Professor Baumert durchführen wird. Wir haben eine wissenschaftliche Begleitstudie, die die Entwicklung der Bildungshäuser für Drei- bis Zehnjährige mit aufarbeitet. Bei den letzten beiden handelt es sich um Längsschnittstudien, was im bildungswissenschaftlichen Bereich sehr wertvoll ist.

PISA hat in der öffentlichen und in der politischen Wahrnehmung den höchsten Stellenwert; das ist richtig. Deshalb ist PISA aber noch lange nicht das Ein und Alles. Die erste PISAStudie hat manches, was wir damals schon auf den Weg gebracht hatten, bestätigt. Dabei denke ich an die Entwicklung der neuen Bildungspläne. In anderen Bereichen hat die Studie deutlich gemacht, welcher Handlungsbedarf besteht. Dabei denke ich insbesondere an die frühe Lese- und Sprachförderung.

IGLU und PISA 2006 haben erfreuliche Trends aufgezeigt. Sie können inzwischen auch Trends abbilden, weil der PISAProzess seit sechs Jahren, der IGLU-Prozess seit fünf Jahren läuft. Mithin haben wir nicht nur einen Untersuchungsstichtag, sondern können inzwischen auch vergleichen, was über die Jahre hinweg passiert ist.

Bei IGLU, einer internationalen Grundschul-Leseuntersuchung am Ende von Klasse 4, sind wir nach Aussage von Professor Bos, der das IGLU-Konsortium geleitet hat, inzwischen

an der europäischen Spitze angekommen. Weltweit liegen wir signifikant nur noch hinter Hongkong und Singapur.

Ganz wichtig ist die Tatsache, dass eine frühe Förderung offensichtlich greift, denn die sogenannte Risikogruppe ist bei uns in Deutschland – entgegen dem internationalen Trend – deutlich kleiner geworden, nämlich um fast vier Prozentpunkte; das entspricht einem Rückgang von über 20 % gegenüber 2003. International sind die Risikogruppen größer geworden. Wir bekommen also offensichtlich etwas hin, woran andere Länder – ob mit Einheitsschulsystemen oder gegliederten Schulsystemen – noch stärker zu knabbern haben.

Ein wichtiges Ergebnis ist auch, dass die Schere zwischen Schülerinnen und Schülern aus bildungsferneren Elternhäusern und Schülerinnen und Schülern aus bildungsnahen Elternhäusern nicht weiter aufgegangen ist, sondern sich ein Stück weit geschlossen hat. Die Konzepte der frühkindlichen Bildung bei uns werden durch IGLU im Wesentlichen bestätigt. Was IGLU nicht leistet, das hat Professor Bos bei einer Anhörung hier in Stuttgart vor wenigen Tagen gesagt. Er hat gesagt – ich zitiere ihn wörtlich –:

Wenn man ein anderes Schulsystem will, muss man das politisch begründen. Die Daten von IGLU und PISA ge ben für diese Entscheidung nichts her.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Bei PISA – und ich will mehr Gewicht auf PISA legen – gibt es Gewinner und Verlierer. Zu den Verlierern zählen eindeutig Schweden und Frankreich. Ganz eindeutig! Da kann man fast von einem Absturz reden. Schweden, das uns die Frau Kollegin Rastätter hier in vielen Debatten als leuchtendes Vorbild vorgehalten hat, hat seine Form offensichtlich nicht halten können. Frankreich hat wie Schweden ein System mit Einheitsschulen.

Es gibt aber auch einen eindeutigen Gewinner im internationalen Vergleich, und dieser eindeutige Gewinner im internationalen Vergleich heißt neben Finnland Deutschland.

Wenn ich die Daten der OECD-Länder aus den Jahren 2000 und 2006 miteinander vergleiche, dann ergibt sich: Deutschland hatte im Jahr 2000 unter den 30 OECD-Ländern die unbefriedigenden Positionen 21 im Lesen, 20 in Mathematik und 20 in den Naturwissenschaften. Im Jahr 2006 haben wir innerhalb der OECD-Länder – wieder dieselben 30 Länder zugrunde gelegt; die, die noch hinzugekommen sind, sind hier schwieriger zu bewerten, weil es da keine Entwicklung abzubilden gibt – die Positionen 14 im Lesen, 14 in Mathematik und 8 in den Naturwissenschaften.

Der Leistungsdurchschnitt in den OECD-Ländern sinkt, der Leistungsdurchschnitt in Deutschland legt zu, er wächst. Das sind eindeutige Beweise dafür, dass wir entgegen einem internationalen Trend bei uns von Fortschritten sprechen können.

Die Risikogruppen haben auch hier deutlich abgenommen. Ihre Anteile liegen jetzt unter dem internationalen Wert. Beim letzten Mal lagen wir leider noch über dem internationalen Wert. Bei den sozialen Disparitäten haben wir uns deutlich verbessert, bleiben aber verbesserungsbedürftig. Die Tatsache, dass die soziale Herkunft und der Bildungserfolg mitei

nander in einem Zusammenhang stehen, ist in allen Ländern festzustellen; er ist nur unterschiedlich ausgeprägt. Wir hatten beim letzten Mal noch einen deutlich steileren sozialen Gradienten. Übrigens ist das Land mit dem unmittelbarsten und stärksten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg Frankreich. Wir sind in diesem Bereich deutlich besser geworden, haben aber noch weitere Schritte zu tun.

Ein zunehmendes Problem – und zwar innerhalb Deutschlands; denn wir haben noch keine Länderdaten, die kommen erst in einem Jahr, aber ich glaube, dass sich hier schon einiges aufzeigen lässt – müssen wir bei der Situation der Migranten der zweiten Generation feststellen. Es geht um die Migrantenkinder, deren Eltern zugewandert sind und die in Deutschland auf die Welt gekommen sind. Die Kinder, die neu zugewandert sind, haben bessere Leistungen vorzuweisen als die Kinder, deren Eltern zum Zeitpunkt der Geburt der Kinder schon in Deutschland waren. Das ist atypisch gegenüber anderen Zuwanderungsländern in Europa, und das muss uns alarmieren,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was macht die Lan- desregierung?)

weil zu befürchten ist – –

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was macht denn die Landesregierung?)

Sie ertragen es nicht, wenn jemand auch nur einmal ein Problem darstellt, Frau Haußmann.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Nicht immer nur fest- stellen! Sie müssen endlich einmal etwas tun!)

Ach, hören Sie doch auf! Lassen Sie mich doch einfach ausreden!

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Zuhören, Frau Haußmann!)

Es ist ganz einfach so:

(Abg. Ute Vogt SPD: Sagen Sie einfach, was Sie tun!)

Stelle ich positive Sachverhalte fest, ertragen Sie das nicht, weil es Ihnen lieber ist, wenn etwas schlecht läuft.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Stelle ich kritische Sachverhalte fest, dann haben Sie wohl ein Problem damit, dass wir auch zur Selbstkritik fähig sind.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Sagen Sie doch, was Sie tun! Das interessiert uns!)

Warten Sie doch ab! Schreien Sie doch nicht immer so dazwischen! Dann werden Sie es schon hören.

Bei den Migranten der zweiten Generation

(Unruhe)

haben wir ganz offensichtlich die Situation, dass das Problem über die Schulen allein nicht in den Griff zu bekommen ist.

Wir haben hier das Problem, dass eine große Zahl von Elternhäusern existiert,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Keine Weihnachtsge- schichte!)

in denen überhaupt kein Deutsch gesprochen wird. Wir müssen die Eltern in die Bildungsbemühungen mit einbeziehen. Wir brauchen eine ressortübergreifende Initiative der Bildungsanstrengungen von Eltern und Kindern. Nur wenn wir die Eltern dazu bringen, dass sie Einsicht aufbringen und Anstrengungen unternehmen, um sich an der Bildungsentwicklung ihrer Kinder zu beteiligen, haben wir eine bessere Chance, den Migrantenkindern gerecht zu werden.