Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP)

Zum Thema „Kinder mit einer Lernbehinderung“. Eigentlich, Frau Rastätter, wissen Sie – Sie sind ja selbst vom Fach –, dass kein Kind die E-Schule besucht, ohne dass vorher mit zusätzlichem sonderpädagogischem Personal in der Regelschule, in der das Kind war – in der Regelschule! –, versucht worden ist, einen Verbleib in dieser Regelschule zu gewährleisten.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Gerade nicht! Das Gegenteil ist der Fall!)

Sie wissen auch, dass diese Schulen nicht den Auftrag haben, die Schulzeit von der fünften bis zur neunten Klasse zu organisieren, sondern dass es der Schulauftrag der Schulen für Kinder mit einer Lernbehinderung ist, eine Rückschulung zu erreichen. Knapp 2 000 Kinder im Jahr – die letzte Statistik, die ich habe, stammt aus dem Jahr 2005 – verlassen diese Schulen nach einer gewissen Zeit wieder und gehen zurück in ihre Regelschule. Nachdem sie entsprechend sonderpädagogisch beschult worden sind, ist eine Rückschulung möglich.

Andere Kinder, die erst spät in eine solche Schule kommen, werden in Modelle mit den Berufsfachschulen überführt und einem Beruf zugeführt. Ich glaube, es ist schon ziemlich vermessen, wenn man sagt, dem Land fehle Integration. Wir haben in Baden-Württemberg 19 000 Kinder mit einem Förderbedarf, mit einer Unterstützungsnotwendigkeit, die an einer Regelschule sind. Ein ganz großer Teil von Kindern sind also an einer Regelschule und sollen da auch bleiben.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Auch integriert!)

Wir sollten jetzt den Expertenrat abwarten. Liebe Frau Rastätter, am besten wäre es, Sie würden diesen völlig ungenügenden Gesetzentwurf – Note 5,5 – zurückziehen.

(Lachen der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Er ist unsinnig, er ist unvollständig, er kommt zur Unzeit, und er maßt der Politik die Rolle an, Fachmann und Fachfrau in einem Bereich zu sein, der weit über unsere Möglichkeiten hinausgeht. Das nehme ich ausdrücklich auch für mich in Anspruch. Ich brauche Expertenrat; wenn Sie ihn nicht brauchen, sei es recht. Aber ich finde, er schadet uns nicht.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP)

Ein Wort zum Schluss. Man könnte den Gesetzentwurf – ich bin ja Betriebswirt – mit dem Motto „Quick and dirty“ kennzeichnen. Er hat es nicht verdient, dass er in die nächste Lesung findet. Ziehen Sie ihn zurück, Frau Rastätter!

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Zeller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Rastätter, die Richtung des Gesetzentwurfs stimmt. Das will ich ausdrücklich festhalten. Um die letzte Äußerung von Herrn Hoffmann aufzugreifen: Herr Hoffmann hat mit seiner Rede die Note 5,5 verdient.

(Beifall der Abg. Renate Rastätter GRÜNE – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Im Gegenteil! – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Der Lehrer spricht!)

Seit über 20 Jahren, meine Damen und Herren, will die SPD die Inklusion. Wir haben in der Vergangenheit mehrere Gesetzesinitiativen vorgelegt, und wir haben vor allem in der Zeit der Großen Koalition Schulversuche durchgeführt, die allesamt erfolgreich waren. Das haben auch Sie – Herr Hoffmann, Sie waren damals nicht im Landtag, aber Ihre Vorgänger – nicht bestritten.

Insofern ist klar geworden, dass das, was wir mit der Inklusion wollen, nicht nur machbar, sondern auch tragfähig und finanziell umsetzbar ist.

Nun hat der Artikel 24 der UN-Konvention hier eine neue Diskussion entfacht. Allerdings ist es wenig hilfreich, wenn der Kultusminister in der Schulausschusssitzung eine semantische Definition von Integration oder Inklusion vornimmt. Die vertragliche Verpflichtung und Formulierung ist eindeutig klar: Das Land – Deutschland und damit auch Baden-Württemberg – hat eine völkerrechtliche Verpflichtung, diesen Vertrag umzusetzen. Im Übrigen war das schon 1994 in Spanien – ich erinnere nur daran – in der sogenannten Salamanca-Erklärung der OECD-Staaten, auch mit Zustimmung Deutschlands, so beschlossen worden.

Der Artikel 24 der UN-Konvention verpflichtet die Staaten zur vollen Inklusion, und zwar vom Kindergarten über die Schule bis zur beruflichen Ausbildung. Begründet wird diese Haltung – ich will das nochmals deutlich machen – mit den

allgemeinen Menschenrechten auf volle Partizipation, auf eine bessere Förderungschance, auf eine größere Effektivität im Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Nochmals: Es geht hier um einen Rechtsanspruch, und zwar – ich füge das hinzu – unabhängig von Haushaltsvorbehalten. Ich kann nicht sagen: Wenn kein Geld da ist, kann ich das nicht machen. Es hat damit nichts zu tun. Es gilt auch nicht mit Einschränkungen, etwa „nur für Sinnesbehinderungen“ – da können wir es gelten lassen –, sondern es gilt insgesamt.

Im Übrigen gibt es auch einschlägige Forschungsergebnisse – Herr Hoffmann, die empfehle ich Ihnen einmal; ich bin gern bereit, Ihnen diese zur Verfügung zu stellen – aus der Zeit seit den Neunzigerjahren bis heute, die eindeutig belegen, dass in Sonderklassen und Sonderschulen für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen, die Lernprobleme haben, keine Verbesserung erreicht wird, sondern dass im Gegenteil dort, wo es um gemeinsamen Unterricht geht, um sogenannte Integrationsklassen, mehr und bessere Lernleistungen erzielt werden. Das gilt sowohl für den kognitiven Bereich als auch für den sozialen Bereich. Das ist unbestritten, und – wie gesagt – unsere Schulversuche haben dies auch eindeutig bestätigt.

Wie sieht die Realität in Baden-Württemberg aus? Wir haben erst kürzlich von der Landesregierung den Bericht zum Sonderschulwesen bekommen. In Baden-Württemberg gilt nach wie vor: Wer dem Leistungsgang einer Schulart nicht folgen kann, wird zunächst einmal zusätzlich gefördert. Wenn dies nicht hilft, wird er umgeschult. Das ist Fakt.

Eltern haben kein Wahlrecht, zu sagen: Wir wollen unser Kind auf eine allgemeinbildende Schule schicken, und wir wollen, dass unser Kind dort mit all dem, was notwendig ist, gefördert wird. Dies ist in Baden-Württemberg nicht der Fall und ist im Übrigen so auch nicht angekündigt worden. Lassen wir uns da nichts vormachen: Nach wie vor gibt es keine klare Richtung, ob das, was in diesem Artikel 24 der UN-Konvention festgelegt ist, hier tatsächlich umgesetzt werden soll.

Im Übrigen könnte ich Sie jetzt zitieren. Viele Ihrer CDU-Kollegen haben vor noch nicht allzu langer Zeit auf genau dieser Position beharrt und haben alle weiteren inklusiven Entwicklungen radikal abgelehnt.

(Zuruf des Abg. Andreas Hoffmann CDU)

Auch Ihr Schwerpunkt auf der Entwicklung von Außenklassen, die Betonung von Außenklassen sowie die Ablehnung der integrativen Schulentwicklungsprojekte und das Zurückfahren dieser Projekte – nicht zuletzt in Emmendingen festgestellt – zeigen dies deutlich.

Was wollen wir? Die SPD will eine Wahlmöglichkeit für die Eltern haben. Herr Hoffmann, es ist einfach unrichtig, was Sie hier sagen. Ich bitte Sie, hierherzukommen und die Quelle für Ihre Aussagen zu nennen. Ansonsten haben Sie die Unwahrheit gesagt. Die SPD und auch ich haben zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass wir für die Abschaffung des Sonderschulwesens sind,

(Abg. Andreas Hoffmann CDU: Ach!)

sondern wir haben immer gesagt: Eltern sollen das Wahlrecht bekommen. Zum Wahlrecht gehört, dass ich beide Möglich

keiten habe. Deswegen geht es nicht um die Abschaffung, sondern es geht um die Schaffung der Voraussetzungen für das allgemeinbildende Schulwesen, damit Kinder mit Behinderungen auch dort qualifiziert gefördert werden. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall der Abg. Fritz Buschle SPD und Ilka Neuen- haus GRÜNE)

Wir haben auch in mehrfacher Weise deutlich gemacht, dass man dazu Rahmenbedingungen braucht. Ich nenne sie noch ganz kurz. Es geht um die Klassengröße. Wir wollen keine Inklusionsklassen haben, die größer als 20 Kinder – mit maximal fünf Kindern mit Behinderungen – sind. Wir wollen prinzipiell in diesen Klassen das Zweiklassenlehrerprinzip haben. Wir wollen diese Schulen als gebundene Ganztagsschulen führen. Nebenbei ist im Übrigen klar, dass dazu auch die entsprechende Fort- und Ausbildung gehört.

Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Heute haben wir an den Förderschulen – ich bin einer, der noch tagtäglich in dieser Arbeit drinsteckt,

(Abg. Elke Brunnemer CDU: Tagtäglich aber nicht! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Vor allem heute nicht!)

im Gegensatz zu manch anderem, der hier steht und irgendwelche Dinge behauptet – und anderen Sonderschulen eben keine entsprechende Versorgung mit Sonderpädagogen. Tun Sie deswegen nicht so, als ob dort praktisch die heile Welt stattfände.

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Noch einen letzten Satz, der mit diesem Thema nichts zu tun hat – Herr Präsident, erlauben Sie mir dies noch –: Wir haben derzeit eine Diskussion über die Beteiligung von Baden-Würt temberg an der PISA-Studie. Ich fordere für meine Fraktion den Kultusminister auf, sich einer erneuten PISA-Studie nicht zu entziehen. Baden-Württemberg muss auch künftig daran teilnehmen. Er soll seine Empfindlichkeiten lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Lachen des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das beeindruckt uns aber sehr!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Zielrichtung sind wir uns alle einig. Wir wollen eine möglichst gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen, auch der behinderten Menschen, an unserer Gesellschaft, und zwar nicht am Rande der Gesellschaft, sondern mitten in unserer Gesellschaft.

(Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Prima!)

Deshalb werden auch wir uns – das ist überhaupt keine Frage; Herr Hoffmann hat dies schon breit ausgeführt – intensiv Gedanken darüber machen, was die UN-Konvention, die jetzt nationales Recht geworden ist, für unsere Bildungslandschaft bedeutet. Aber wir wollen dies in Ruhe und mit der nötigen Sachkompetenz, mit dem nötigen Sachverstand machen. Denn da ist noch manche Frage offen. Dies sehen wir genauso wie Kollege Hoffmann.

Wir wollen auch das Wahlrecht der Eltern stärken. Aber ich habe schon in der letzten Plenardebatte zu diesem Thema gesagt: Das bedeutet für uns nicht absolute Freiheit für die Eltern, zu entscheiden, wo ihr Kind beschult wird, sondern es bedeutet, dass zunächst einmal das Kindeswohl im Mittelpunkt steht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Norbert Zeller SPD)

Das begrenzt dann unter Umständen auch das Wahlrecht der Eltern.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Dennoch werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen, Frau Rastätter,

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Das habe ich be- fürchtet!)

weil er einen Teil enthält, den wir auf keinen Fall mittragen. Sie haben das ausgeführt: Sie wollen drei Sonderschularten abschaffen. Diesen Weg gehen wir auf keinen Fall mit. Das kommt für uns überhaupt nicht infrage. Es handelt sich um die Förderschulen für Lernbehinderte, die Schulen für Erziehungshilfe und die Schulen für Sprachbehinderte. Wir wollen diese Sonderschulen erhalten. Denn es gibt noch immer – das wird es auch in Zukunft geben – Eltern, die ihre Kinder in diesen Schulen beschulen lassen wollen, weil sie Kinder haben, die einen Förderbedarf haben, der deutlich über das hinausgeht, was eine allgemeine Schule leisten kann. Wir wollen auch die Sachkompetenz, die in diesen Schulen vorhanden ist, weiter behalten und ausbauen. Wir wollen darauf nicht verzichten.