Protokoll der Sitzung vom 05.11.2009

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Es kommt da- rauf an, mit wem man koaliert! – Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Der erste, wichtigste Satz im Koalitionsvertrag – ich hoffe, dass alle hier dem zustimmen können, nachdem wir uns immer über zentralistische Eingriffe in unser Gesundheitswesen beklagt haben;

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Der Gesundheitsfonds bleibt doch!)

wir haben den Gesundheitsfonds über alle vier Fraktionen hinweg gemeinsam negativ beurteilt –, der erste für mich erfreuliche Satz im Koalitionsvertrag lautet:

Der Weg in die Einheitskasse und ein staatlich zentralistisches Gesundheitssystem sind der falsche Weg...

Wie wahr! Das haben wir gemeinsam immer wieder betont.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Oje! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Da reicht doch der Gesundheitsfonds!)

Lassen Sie uns anschauen, ob dieses Prinzip in dem Vertrag eingehalten wird.

Ich will mit Folgendem beginnen: Was bedeutet diese Entscheidung, die zentralistischen Einheitslösungen mit Nivellierung zu verlassen und wieder zu mehr Regionalität und VorOrt-Entscheidungen zu gelangen, für Baden-Württemberg?

Der Begriff der Regionalität findet sich in diesem Koalitionsvertrag mindestens sechs- oder siebenmal bei den verschiedensten Themen. Das beginnt z. B. bei der Beitragssatzautonomie. Wir alle haben zu Recht beklagt, dass gerade im Gesundheitswesen über diesen Gesundheitsfonds eine Übernivellierung stattfindet. Das heißt, dass die Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und übrigens auch der Arbeitgeber, die hier für gute Strukturen zur Verfügung stünden, im Übermaß in andere Länder geflossen sind,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wir reden nicht über das Programm der FDP! Das ist unglaublich!)

weil uns, die wir gute Strukturen hatten und hohe Beitragseinnahmen haben, dieser Gesundheitsfonds letztendlich strikt benachteiligt hat.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ihr seid euch doch schon einig, dass das bleibt! – Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE: Sie sind jetzt in Berlin nicht mehr in der Opposition!)

Nein. Deswegen sage ich, dass wir das ändern. Jetzt wird es wieder regionale Beitragssätze geben.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP zu Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das geht nicht in einer Wo- che! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Erst große Ba- cken machen und dann nichts tun!)

Das bedeutet, dass wir nicht mehr Beiträge von unseren Bürgerinnen und Bürgern verlangen müssen, als tatsächlich notwendig sind. Wir bezahlen im Moment höhere Beiträge, als wir hier in Baden-Württemberg für die Versorgung brauchen. Was darüber liegt, fließt in andere Länder.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Wir sind doch ein Volk!)

Es ist ein Riesenerfolg, dass die Beitragssatzautonomie wieder bei den Krankenkassen, bei den Versicherern und bei den Arbeitgebern landet.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Katrin Altpeter SPD: Das stimmt doch gar nicht! – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Was wird das denn kosten? – Zurufe der Abg. Ursula Haußmann und Alfred Wink- ler SPD)

Hinsichtlich der Vertragsspielräume wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass den Krankenversicherungen wieder genügend Spielraum gegeben wird, um regionalen Besonderheiten gerecht zu werden. Genau darauf waren wir in Baden-Würt temberg doch stolz: auf regionale Vereinbarungen, z. B. bei der Einführung der Stroke-Units, bei der Palliativmedizin usw. Das alles wurde durch Ulla Schmidt unmöglich gemacht. Dazu werden wir jetzt wieder eine größere Vertragsfreiheit regional vor Ort ermöglichen.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Was sagt die Ost-FDP dazu? – Abg. Ursula Haußmann SPD: Was ist bisher passiert? Nichts!)

Das geht bis zum Thema Bedarfsplanung. Was haben wir uns hier drin über die Versorgung im ländlichen Raum die Köpfe heißgeredet. Das werden wir auch weiter tun müssen; wir müssen uns um den ländlichen Raum kümmern, wo die Zahl der Krankenhäuser sinkt und wo Ärzte keine Nachfolger für die Arbeit in der Versorgung der Bürgerinnen und Bürger finden. Auch da, liebe Kollegin Mielich, wird ausdrücklich den Körperschaften wieder mehr Gestaltungsspielraum für Sonderverträge und für die Bedarfsplanung gegeben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wie oft mussten wir sagen, dass wir es nicht ändern können, weil es uns zentral vorgegeben wird?

Jetzt kommt der für mich wichtigste Satz – deswegen habe ich die Debatte angestoßen, liebe Frau Ministerin Stolz – aus dem Koalitionsvertrag. Auf Seite 88 steht folgender Satz:

Um der gemeinsamen Verantwortung für regionale Bedürfnisse und Strukturen

darüber reden wir doch die ganze Zeit –

besser gerecht zu werden, wollen wir fachliche Einwirkungsmöglichkeiten für die Länder prüfen.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Prüfen!)

Fachliche Einwirkungsmöglichkeiten!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie oft mussten wir unseren Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass das Land nur die Rechtsaufsicht hat, aber keinerlei fachliche Einwirkungsmöglichkeiten, weil alles von Berlin vorgeschrieben wurde? Diese Möglichkeiten werden wir in den kommenden Jahren mit dieser neuen Ausrichtung der Gesundheitspolitik haben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Bis jetzt ist überhaupt noch nichts passiert!)

Deswegen glaube ich, wir sollten diesen Prozess jetzt in der konkreten Ausgestaltung – auch als Land Baden-Württemberg, in den gleichen Farben, nämlich Schwarz-Gelb, regiert – gemeinsam so umsetzen, wie es in dem Vertrag steht, und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, der Ärzte und der Krankenhäuser hier in diesem Land massiv mit in diesen Prozess einbringen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Katrin Altpeter SPD: Wenn es im Koalitionsvertrag um eines nicht geht, dann um die Interessen der Versicherten!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hoffmann.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Jetzt bin ich gespannt, was Sie zum Angriff der FDP auf Ihre So- zialministerin sagen!)

Lieber Herr Kretschmann, wollen Sie reden, oder darf ich reden?

(Heiterkeit bei der CDU)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich, dass wir nun in Berlin eine neue Bundesregierung haben. Lieber Uli Noll, das ist keine Frage.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde allerdings, dass wir im Landtag von Baden-Würt temberg nicht den Bundestag nachspielen sollten, sondern dass wir uns tatsächlich mit der realen Situation hier im Gesundheitssystem von Baden-Württemberg und deren Auswirkungen befassen sollten.

Eines ist klar – das ist unsere Rolle –: Wir sind nicht die, die in Berlin gestalten, wir sind Landtagsabgeordnete – wir sind hier im Landtag von Baden-Württemberg –; wir sind diejenigen, die jetzt in der Situation sind, die Dinge zu bewerten, die

aus Berlin gekommen sind, unsere Spielräume auszuloten und zu schauen, was wir daraus machen können.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Das glaubt man gar nicht! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Da muss man wirk- lich hinausgehen! – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Man merkt wirklich, wie begeistert Sie sind!)

Wir waren bisher gut im Gestalten. Baden-Württemberg gilt im deutschen Gesundheitswesen nach wie vor als die Schweiz. Bei uns kann man gut alt werden, gesund alt werden. Liebe Frau Mielich, das werden auch Sie nicht bestreiten.

(Heiterkeit)

Jetzt darf man darauf hoffen – da gibt es mehr als Hoffnung –, dass uns der Koalitionsvertrag Gelegenheit bieten wird, hier weiter gut gestaltete Gesundheitspolitik zu machen.

Was kommt auf uns zu? Das kann man im Grunde genommen mit drei Schlagworten zusammenfassen: Besinnung auf dezentrale Strukturen, lieber Uli Noll, Bekenntnis zur flächendeckenden Versorgung – sehr wichtig für ein großes Bundesland – und mehr Luft zum Atmen für Patienten, für Leistungsanbieter und für Krankenkassen. Das sind die großen Überschriften aus dem Koalitionsvertrag, und die sind auch richtig.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Bessere Luft wäre auch wirklich wichtig!)

Erste Bemerkung: Was passiert in Sachen Geld? Eigentlich wäre – der Gesundheitsfonds hat es ausgelöst – eine Beitragserhöhung nötig geworden. Die wird nicht gemacht, sondern es werden Steuermittel genutzt, um die Wirtschaft nicht mit zusätzlichen Beiträgen zu belasten und auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Rentnerinnen und Rentner nicht mit zusätzlichen Beiträgen zu belasten. Ich glaube, darüber – jetzt im Blick zurück auf Baden-Württemberg – muss man froh sein. Kein Land ist so sehr wie Baden-Würt temberg von der Wirtschaftskrise betroffen, und kein anderes Land ist derart von einer Steigerung der künftigen Entwicklung in der Wirtschaft abhängig. Ich glaube, auch niemand hier im Saal hätte gewollt, dass eine Beitragserhöhung über Baden-Württemberg hereinbricht. Deswegen können wir alle froh sein, dass man sich für die nächsten zwei Jahre auf das Steuermodell verständigt hat.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Schuldenfi- nanziert!)