Protokoll der Sitzung vom 25.11.2009

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: So ist es!)

Was ist zu bedenken, und wer hat welche Verantwortung? Ich habe mich nie an dem Pingpongspiel beteiligt, die Verantwortung sozusagen hin- und herzuspielen. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung, die wir als Länder in der KMK tragen; es gibt eine strategische Verantwortung des Landes, die ich zu tragen habe, und es gibt eine Verantwortung vor Ort, eine Verantwortung für die Studiengänge, die Sache der Universitäten ist. Wir haben übrigens, Herr Rivoir, nie Zwangsvorgaben bei der Umstellung auf Bachelor und Master gemacht. Ich wäre gespannt, zu erfahren, wie diese aussehen sollen. Vielleicht können Sie sie mir einmal zeigen. Denn wir sind in der Tat eine Koalition,

(Abg. Johannes Stober SPD: Es waren Vorschläge zur Verbesserung!)

die freiheitlich denkt und die nicht in Zwangsvorgaben denkt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Uns fällt dieses Wort noch nicht einmal ein.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Vielleicht kann er ein Beispiel geben!)

Das, was anzugehen ist, sind auch Bereiche, die wir als Themen für den Kongress am 8. März nächsten Jahres andenken. Das ist ein Kongress, der längst – übrigens auch schon vor Oktober – in der Planung war. Denn man muss auch eines sehen: Wenn man jetzt – das tun die Universitäten schon seit Langem – sozusagen Kaizen betreibt, nämlich eine permanente Optimierung der Studiengänge, dann sollte man eines

nicht tun: Man sollte nicht Dinge übers Knie brechen und dadurch womöglich noch Verschlimmbesserungen vornehmen, nur weil man schnell handeln will.

Die erste Stellgröße ist die Frage der Qualitätssicherung. Wir sind von einem staatlich genehmigten Studiengangsystem mit Rahmenprüfungsordnungen abgerückt und sind zu einem Sys tem gekommen, das auf der Verantwortung der Universitäten beruht. Die Seite, die dafür aufgebaut worden ist, ist die Qualitätssicherung, also das Akkreditierungssystem in Deutschland.

Wir wollen die studiengangbezogene Akkreditierung auf die Systemakkreditierung umstellen, und ich sage Ihnen auch gleich, warum. Die Akkreditierung sollte Studierbarkeit, Vergleichbarkeit und Standards sichern. Die Akkreditierung hat aber – das habe ich von Anfang an kritisiert – einen Grundfehler: Sie ist eine Papierformakkreditierung. Richtig wäre es, die Studiengänge dann zu akkreditieren, wenn sie bereits laufen, weil man erst zu diesem Zeitpunkt sehen kann, wo im Studium Probleme auftreten. Nur dann kann man auch die Evaluation der Studiengänge, das heißt die Vorlesungskritik der Studierenden, einbeziehen. Das ist die Grundvoraussetzung für eine wirkliche Bewertung von Studiengängen und eigentlich auch die Grundvoraussetzung für ein vernünftiges Akkreditierungssystem.

Deshalb habe ich in der letzten Sitzung des Wissenschaftsrats diese Thematik angestoßen und gesagt: Wir brauchen eine grundlegende Reform unseres Akkreditierungssystems.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Geholfen hat es nichts!)

Der Wissenschaftsrat wird sich dieses Problems annehmen, denn er ist das richtige Gremium hierfür. Er hat Erfahrung in der Akkreditierung von Hochschulen als Ganzem. In ihm sitzen die Länder; dort ist auch der Bund beteiligt, und dort sitzen hochrangige Wissenschaftler.

Die Verbesserung des Akkreditierungssystems ist also die Voraussetzung dafür, dass wir mit der Aufgabe der Genehmigung von Studiengängen, mit der Aufgabe von Rahmenprüfungsordnungen im Grunde dem System als solchem die Verantwortung übertragen haben. Es bedarf jedoch Strukturen, die dem gerecht werden.

Zudem muss bei der Akkreditierung auch die Frage nach den Arbeitsmarktchancen der Absolventinnen und Absolventen einbezogen werden. Es nützt uns nichts, dass wir wie in Großbritannien in der Akademisierung auf 50 % gehen, wenn wir dann bei den jungen Menschen eine Akademikerarbeitslosigkeit von 18 % haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Bei der Implementierung von „Hochschule 2012“ haben wir jeweils die potenziellen Arbeitgeber der Absolventen gefragt und die Studiengänge so eingerichtet und thematisch konzentriert, dass sie möglichst erfolgreich auf den Arbeitsmarkt führen.

Der zweite Problembereich ist einer, der sich schlichtweg aus der Notwendigkeit des Ziels ergibt, das wir alle wollen, nämlich dass ein größerer Anteil eines Altersjahrgangs – bei uns

derzeit 40 % – zu einem akademischen Studium kommt. Das führt zwangsläufig zu einer größeren Heterogenität der Studierenden. Dieser Heterogenität müssen wir gerecht werden.

Wir führen derzeit Experimente durch und haben die Hochschulen auch aufgerufen, verstärkt mit Studiengängen daran teilzunehmen, in denen unterschiedliche Geschwindigkeiten angeboten werden, also für diejenigen, die die Voraussetzungen nicht so erfüllen wie andere, sozusagen ein langsameres Studium zu ermöglichen, die Module für langsamere Schritte zu öffnen. Eine andere Möglichkeit ist – darüber diskutieren wir derzeit mit unseren Hochschulen – die Vorschaltung sogenannter College-Semester.

Wir haben zwei Probleme. Wir haben zum Teil ein Qualifizierungsproblem in spezifischen, studiengangbezogenen Fähigkeiten, und wir haben ein Orientierungsproblem, weil wir immer spezifischere Studiengänge anbieten, von denen man auf der Schule, jedenfalls inhaltlich, noch nichts hören konnte. Deshalb wären ein, zwei vorgeschaltete optionale College-Semester eigentlich der richtige Weg, auch in einer genügenden Breite in ein etwas spezielleres Bachelorstudium zu führen.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Machen wir doch wieder G 9! – Abg. Johannes Stober SPD: Dann können wir doch gleich wieder G 9 machen!)

Dazu brauchen wir allerdings Veränderungen beim BAföG. Es muss mehr als ein Fachwechsel möglich sein, weil der Wechsel von einem solchen Semester in ein spezielles Studiensemester als Fachwechsel gelten würde, und wir müssen beim BAföG die strikte Fünf-Jahres-Obergrenze fallen lassen – das haben wir schon für unsere Kunst- und Musikhochschulen –, zudem müsste das HRG entfallen, weil im Hochschulrahmengesetz aus der Zeit von Frau Bulmahn noch die strikte Fünf-Jahres-Obergrenze für das Studium festgelegt ist.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Hört, hört!)

Die kam als strikte Vorgabe nicht von uns, sie kam von Ihrer Parteifreundin Edelgard Bulmahn. Aber sie muss weg. Die Obergrenze muss weg. Die Ministerin ist ja schon weg.

(Zuruf von der FDP/DVP: Die ist doch schon weg! – Heiterkeit – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Sie waren doch dabei! Schieben Sie das doch nicht auf andere! – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Herr Kretschmann, halten Sie sich zurück! Hö- ren Sie zu! – Gegenruf des Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE: Ich höre leider viel zu gut zu! Hier wird doch nur alles zerredet! Sie sind ein Zerredungs- künstler! Stellen Sie sich einmal den Problemen! – Gegenrufe von der FDP/DVP: Oh, oh!)

Herr Kretschmann, wenn Sie richtig zugehört hätten, hätten Sie gehört, dass ich sehr konkrete Vorschläge gemacht habe, über die wir diskutieren werden.

(Abg. Johannes Stober SPD: Die hätten wir schon längst zusammen umsetzen können!)

Der dritte Punkt ist die Frage – auch das wird ein Thema bei dem Kongress sein – nach der Grundstruktur der Studiengänge. Hier kommen wir zu dem Thema, dass die Probleme in ers ter Linie bei den Geisteswissenschaften an den Universitäten

auftreten. Hier stellt sich die Frage erst einmal nach drei oder vier Jahren; das war aber immer offen; dem müssen sich die Hochschulen mehr öffnen. Es stellt sich auch die Frage nach genügender Breite. Es stellt sich die Frage nach der Größe der Module – hier muss unter Umständen mehr zusammengefasst werden, was aber auch mehr Kooperation von Professorinnen und Professoren bedeutet –, und damit stellt sich auch die Frage nach der Prüfungsdichte.

Übrigens sind studienbegleitende Prüfungen für die Studierenden eine Erleichterung im Studium gegenüber den früheren Blockprüfungen.

(Abg. Johannes Stober SPD: Aber wissen Sie, wie viele es sind?)

Ich habe gerade gesagt: Man kann durch Zusammenfassung von Modulen hier durchaus weniger studienbegleitende Prüfungen machen und damit das Studium auch für Studierende sowie für Professorinnen und Professoren im Ablauf studierbarer oder auch lehrbarer und vermittelbarer machen.

Damit wir in diesem Kongress auch das studentische Votum einbeziehen können, haben wir eine – von Ihnen, Frau Bauer, genannte – E-Mail-Plattform geschaltet. Wir haben die Universitäten gebeten, auf ihrer Ebene parallel ebenfalls E-MailPlattformen zu schalten. Wir werden bis zum 15. Januar die studentische Kritik aufnehmen, verarbeiten, auf dem Kongress auch mit den Studierenden darüber diskutieren, aber vorher auch etwa mit den ASten und den Rektoren diskutieren.

Nun ist das auch eine europäische Frage. Ich war in der letzten Woche bei Generaldirektorin Quintin von der Generaldirektion für Bildung und Kultur in Brüssel. Ähnliche Fragen der Umstellung stellen sich in Spanien und in Frankreich, also gerade in den südlichen Ländern. Wir werden auch dies in unseren Kongress einbeziehen. Nach diesem Kongress wird es im März eine Bologna-Folgekonferenz geben. Die Europäische Union – Frau Quintin – hat mir zugesagt, dass über die Fragen, über die wir diskutieren, dann auch europaweit auf diesem Bologna-Folgekongress diskutiert wird.

Nun noch eine Bemerkung zu der Frage: Was wird denn noch umgestellt, und was wird nicht umgestellt? Man muss sagen: Auch in angelsächsischen Ländern, die schon lange Bachelor und Master haben, wurde nicht alles umgestellt. Übrigens: Gestern kam in den ZDF-Nachrichten um Viertel vor zehn eine interessante Meldung über eine amerikanische Universität, in der die Studierenden – –

(Abg. Martin Rivoir SPD: 17 000 Dollar Studienge- bühren!)

Richtig. Das hätte ich jetzt beinahe zu sagen vergessen. Dort zahlen Studenten 17 000 Dollar und sind hochzufrieden mit Bachelor und Master. Das war aber jetzt ein Einwurf von Ihnen, Herr Rivoir.

(Heiterkeit des Abg. Martin Rivoir SPD – Abg. Tho- mas Blenke CDU: Den nehmen wir zur Kenntnis! – Abg. Martin Rivoir SPD: Tolle Vorbilder! – Abg. Jo- hannes Stober SPD: Müssen wir bei uns auch mit sol- chen Studiengebühren rechnen?)

Nein. – Das betrifft das Medizinstudium. Medizin eignet sich nicht für die zweigeteilte Abstufung in Bachelor und Mas

ter. Das ist auch dort, wo das System gängig ist, nicht eingeführt worden. Bei den Lehrämtern ist es richtig, beim Staatsexamen zu bleiben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Bei Jura ist es so, dass Recht noch immer national ist und kein europäisches Recht studiert wird. Deshalb tun wir, glaube ich, gut daran, in Jura beim Staatsexamen zu bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Bauer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schön, dass wir uns einig sind, dass man etwas verändern muss, damit Baden-Württemberg so etwas wie ein Vorreiterland für eine gelungene Bologna-Reform werden kann. Wir alle scheinen ja in eine ähnliche Richtung zu denken und bemüht zu sein, die richtigen Ziele von Bologna in Erinnerung zu rufen und den Hochschulen dabei auf die Sprünge zu helfen, auf den richtigen Weg zu kommen.

Jetzt möchte ich ein paar Stichworte aufgreifen und ein paar Vorschläge machen, was die Politik dazu beitragen sollte und wie man vielleicht aus dem schönen Kommentieren herauskommen und konkreter werden könnte.

Eine Bemerkung noch vorweg: Warum wurden in der ersten Umstellungsphase, die jetzt weitgehend abgeschlossen ist, die Ziele von Bologna nicht besser im Blick behalten, sondern geradezu konterkariert? Da kamen zwei Interessen zusammen, so etwas wie versteckte Ziele, die hinter der Bologna-Fassade verfolgt wurden.

Die versteckten Ziele seitens der Landesregierung waren nämlich, das Studium billiger zu machen, die vielen Studierenden, die da kommen, billiger durch ein kürzeres Studium zu jagen. Vonseiten der Hochschulen verfolgten viele das Interesse, dafür zu sorgen, dass man mit den vielen Studierenden möglichst wenig zu tun hat. Auch da ging es also um ein Schneller und Billiger. Das war die wahre Devise, mit der die Bologna-Reformen bisher umgesetzt wurden. Diesen Geist müssen wir durchbrechen.