Protokoll der Sitzung vom 26.11.2009

Alle Überlegungen, durch irgendwelche Maßnahmen mehr Geld in den Straßenbau zu lenken, werden wir jedoch entschieden ablehnen.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Innenminister Rech.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Dr. Rülke, Sie haben Bundesverkehrsminister Dr. Ramsauer zitiert. Er hat in der Tat zunächst von einem „Aufbau West“ gesprochen. Ich selbst habe davon nie gesprochen. Vielmehr habe ich immer gesagt: Nach dem berechtigten Programm „Aufbau Ost“ muss jetzt ein Programm „Ausbau West“ kommen. Aber wir haben uns inzwischen geeinigt. Die Verkehrsministerkonferenz, die vor wenigen Tagen in Heidelberg stattfand, hat sich einstimmig darauf verständigt, dass wir nicht Verkehrspolitik nach Himmelsrichtungen machen – nach Süd, Nord, Ost und West –, sondern sagen: Wir machen eine bedarfsgerechte Verkehrspolitik, eine Verkehrspolitik nach Bedarf.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren Kollegen, es müsste uns allen eigentlich wie Öl herunterlaufen: Wenn wir die Bedarfe in jeder Richtung ermitteln, dann ist Baden-Württemberg vorn. Deswegen ist meinem Anliegen völlig Rechnung getragen. Wir brauchen einen bedarfsgerechten Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich bin weit davon entfernt, hier eine Neiddiskussion entfachen zu wollen. Eine solche Diskussion würde uns nicht weiterhelfen.

(Beifall des Abg. Hans-Martin Haller SPD)

Ich stehe hinter jedem Euro und hinter jedem Cent – das habe ich schon hundertmal gesagt –, der in den letzten 16 Jahren in die neuen Bundesländer geflossen ist. Dass eine leis tungsfähige, eine starke Wirtschaft auch eine leistungsfähige, starke Verkehrsinfrastruktur benötigt, steht für mich völlig außer Frage. Was für Baden-Württemberg gilt, das gilt auch für andere Bundesländer, zumal für die neuen Bundesländer.

Aber jetzt ist ein Zeitpunkt gekommen, zu dem wir den Hebel umlegen können. Wir können nämlich die Geldströme dorthin lenken, wo die Verkehrsströme fließen, wo die Zuwachsraten am größten sind und wo die Not auf unseren Bundesfernstraßen am größten ist. Das ist in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Tho- mas Blenke CDU: Reden Sie doch einmal von der A 71!)

Herr Kollege Kretschmann, wir reden von Bundesfernstraßen, von Bundesstraßen.

(Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Über die Landesstraßen reden wir dann auch.

(Lachen des Abg. Claus Schmiedel SPD – Zurufe von der SPD)

Aber reden wir jetzt einmal über die Bundesfernstraßen und deren Finanzierung. Da haben Ihre Vergleiche mit den Radfahrern und den Fußgängern weiß Gott wenig Platz.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung steht schon seit Langem für die Einführung einer Pkw-Maut bei gleichzeitiger Entlastung der Autofahrer. Die Gründe sind klar – ich habe es gesagt –: Der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg braucht eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Für einen angemessenen Ausbau und Neubau sowie für eine angemessene Erhaltung benötigen wir gerade im Bundesfernstraßenbau eine bedarfsgerechte Finanzierung. Das bedeutet für mich eine Finanzierung, die von den Zwängen des Haushalts abgekoppelt ist.

Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre haben doch völlig klar gezeigt: Eine Steuerfinanzierung ist nur bedingt geeignet, um dieses Problem zu lösen. Die Haushaltsfinanzierung des Bundesfernstraßenbaus reicht bei Weitem nicht aus, um den Inves titionsbedarf auch nur halbwegs decken zu können.

Wir haben einen eklatanten Nachholbedarf. Das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Ich will nur eine Zahl nennen, die sich auf den Umsetzungsgrad des aktuellen Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen bezieht. Dieser Bedarfsplan hat eine Laufzeit von 2001 bis 2015. Jetzt, Ende 2009, also nach mehr als der Hälfte der Laufzeit, haben wir gerade einmal einen Erfüllungsstand von knapp 30 % des Investitionsvolumens erreicht – der vordringlichen Vorhaben wohlgemerkt.

Jetzt wird der Nachholbedarf bei den Autobahnen A 6 und A 8 hier bei uns im Land ganz besonders deutlich. Dazu muss ich nicht mehr sagen. Wenn es Sie beruhigt, kann ich Ihnen sagen: Ihr Verkehrsminister steht täglich auch zweimal dort, wohin er gehört, nämlich im Stau. Sie können auf diesen Autobahnen überhaupt keine Tages- oder Nachtzeit auswählen, zu der nicht das hohe Risiko bestehen würde, im Stau zu stehen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Wie ist das auf der A 71?)

Wir haben hier eine massive Unterfinanzierung. Das ist ein zunehmendes Entwicklungshemmnis für unsere Wirtschaft. Allein der sechsspurige Ausbau der A 8 in Baden-Württemberg wird in den nächsten Jahren noch etwa 1 Milliarde € kos ten.

Ich will Sie nicht mit vielen Zahlen belasten, aber zwei oder drei sollte man sich schon merken: 19 vordringliche Bundesfernstraßenvorhaben mit Planfeststellungsbeschlüssen und sieben weitere Projekte im Rechtsverfahren mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von etwa 2 Milliarden € warten auf die Realisierung. Das sind Ausgaben und Aufgaben, die wir mit der bisherigen Finanzausstattung nicht annähernd werden bewältigen können.

Erschwerend kommt hinzu, dass der allgemeine Haushalt Schwankungen unterworfen ist. Wer wüsste das besser als wir in Baden-Württemberg? Der Haushalt ist auch dem Jährlichkeitsprinzip unterworfen. Aber Straßenplanung und Straßenbau kann man nicht von Jahr zu Jahr betreiben. Das ist eine Angelegenheit, die Perspektive braucht, die Planungssicherheit braucht, und zwar über Jahre hinweg.

Wir müssen deswegen in der Finanzierung des Bundesfernstraßenbaus dringend von der Haushaltsfinanzierung auf eine haushaltsunabhängige Nutzerfinanzierung umstellen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Es wurden Beispiele von den Ländern um uns herum genannt. Kollege Mappus hat das anschaulich geschildert. Das reichte bis hin zu der drastischen, sehr mutigen Neuordnung der Niederländer.

Deswegen, meine Damen und Herren, drei Punkte in aller Kürze:

Erstens: Die Einnahmen, die aus der Nutzung der Bundesfernstraßen resultieren, sollten ausschließlich für diese verwendet werden. Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wo Maut draufsteht, muss auch Maut drin sein. Anderweitig sollten diese Mittel – egal, ob für die Schiene oder für die Wasserstraßen – nicht verwendet werden. Wir machen in Baden-Württemberg nun wirklich alles, was möglich ist, um alternative Verkehrsträger voranzubringen. Machen wir uns aber nichts vor: Die Straße wird auch in Zukunft der Verkehrsträger Nummer 1 bleiben, egal, welch große Anstrengungen wir für die Ertüchtigung unserer Binnenwasserstraßen oder der Schienen unternehmen.

Die Rheintalbahn ist übrigens ein gutes Beispiel. Die Landesregierung setzt sich wirklich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass die Rheintalbahn in einem für Bürger und Umwelt verträglichen, optimalen Maß gebaut wird und die Verkehre auf die Schiene verlagert werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Dr. Rainer Prewo SPD)

Ein besseres Beispiel kann es nicht geben. Da nehmen wir alle mit – bis hin zu den Bürgerinitiativen, mit denen wir in regelmäßigen Kontakten stehen.

Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Die Straße wird auch künftig der Verkehrsträger Nummer 1 bleiben. Da können wir machen, was wir wollen. Solange wir den Bürgern das Autofahren nicht verbieten können, Herr Kretschmann, werden wir bei diesem Verkehrsträger eine Zunahme haben.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Die Alternativen at- traktiver machen!)

So ist das eben in einer freien, liberalen Gesellschaft. Wir schaffen attraktive Verkehrsträger und fördern sie in einem Maß, wie es kein anderes Bundesland macht. Schauen Sie sich unsere Regionalverkehrsgesellschaften und die Gelder an, die wir da hineinstecken.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD)

Zweitens: Die Einnahmen aus der Maut müssen direkt an die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft fließen und dürfen nicht wie bisher den Umweg über den Bundeshaushalt nehmen.

Drittens: Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Nutzerfinanzierung um eine Pkw-Maut. Eine Pkw-Maut ist eben nicht nur ein Instrument der Finanzierung durch die inländischen und die ausländischen Kraftfahrer. Wenn diese Einnahmen ebenfalls zweckgebunden und ohne Umweg über den Haushalt verwendet werden, dann erhöht sich die Flexibilität bei der Infrastrukturfinanzierung ganz deutlich. Mit der Komplettierung um eine Pkw-Maut herum sind wir auf dem besten Weg zu einem zukunftsfähigen System der Fernstraßenfinanzierung. Dann zahlen verursachergerecht all diejenigen für die Autobahnen im Land, die sie auch tatsächlich nutzen.

Aus Gründen der Praktikabilität – ausschließlich aus diesen Gründen – wird als Einstieg wohl zuerst eine Vignettenlösung greifen müssen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zurufe der Abg. Karl- Wilhelm Röhm und Rudolf Köberle CDU)

In einem weiteren Schritt kann auch eine Pkw-Maut fahrleis tungsabhängig und zunehmend als ökologisch ausgestaltetes Verkehrslenkungsinstrument eingesetzt werden. Darauf hat Herr Kollege Mappus zu Recht ganz deutlich hingewiesen.

Meine Damen und Herren, vielleicht noch ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Kretschmann. Manchmal schmerzt es mich schon oder berührt mich peinlich, dass diejenigen, die weniger Straßen wollen, genau diejenigen sind, die dann die teuersten Straßenverkehrsprojekte verlangen oder ein Straßenprojekt durch alle möglichen Forderungen so teuer machen, dass es gerade noch finanzierbar ist – zulasten anderer, die dann über Jahre und Jahrzehnte warten müssen.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Hört, hört!)

Es gibt viele Beispiele dafür.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Nicht von uns!)

Ich rede jetzt nicht nur von Krötentunneln.

(Zurufe)

Ja, doch.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Lärmschutz! – Zuruf: Grünbrücken, Krötentunnel!)

Ich meine vieles, was zu einer Verteuerung von Straßenbaumaßnahmen auf höchstem Niveau führt.