Protokoll der Sitzung vom 10.03.2010

Sie haben hier etwas gemacht, worauf ausgerechnet bei Ihnen niemand gekommen wäre: Sie haben peinlichst genau sämtliche Konfliktthemen vermieden. Zum Schluss haben Sie gesagt, Strittiges müsse auf den Tisch.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Sie haben aber nichts auf den Tisch gelegt.

(Beifall bei den Grünen)

Sie haben eine Regierungserklärung abgegeben, ohne Zahlen und konkrete Zielvorgaben zu benennen. Ich glaube, ich weiß, was Sie hier machen: Sie machen die Merkel.

(Heiterkeit und Beifall bei den Grünen – Lachen des Ministerpräsidenten Stefan Mappus – Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das ist nicht das Schlechteste!)

Ausgerechnet Sie machen die Merkel. Sie fangen hier genauso an, wie die Bundeskanzlerin

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das ist noch lan- ge nicht schlecht!)

den Bundestagswahlkampf angetreten hat: Bloß nicht anecken, keine Stellung beziehen, Konfliktfelder umgehen, sich nicht klar positionieren, niemandem etwas zumuten.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Haben Sie nicht zu- gehört?)

Alles luftig, unverbindlich, wohlfeil und nebulös.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zim- mermann CDU)

Als ich gelesen habe, was dort über weite Strecken steht, habe ich gedacht, dass man geradezu gegen Watte boxt. Es ist eine Regierungserklärung der wohlklingenden Allgemeinplätze. Der schönste Allgemeinplatz, den ich heute von Ihnen gehört habe, lautete übrigens: „In Baden-Württemberg bleiben die Lichter an.“

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Solange die Grünen in der Opposition bleiben!)

Das habe ich zunächst nicht richtig verstanden, bis mir ein Licht aufgegangen ist. Das war eine klare Kritik an Ihrem Vorgänger Filbinger, der den Baden-Württembergern prophezeit hat, dass die Lichter ausgehen würden, wenn das Atomkraftwerk Wyhl nicht gebaut werde. Wir alle wissen: Wyhl wurde verhindert, und die Lichter blieben an.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aber mithilfe von Atomstrom blieben sie an!)

Dieser Satz zeigt Ihre Zuversicht, dass wir ohne Atomkraft auskommen. Danke für dieses Sahnehäubchen.

(Beifall bei den Grünen)

Ansonsten passt die Regierungserklärung zu dem, was Sie in den vergangenen 14 Tagen hingelegt haben: Das nennt man einen Fehlstart im Regierungsgeschäft.

Mit dem Hin und Her und vor allem der letztlichen Entscheidung, die Steuerdaten-CD nicht zu erwerben, haben Sie sich, dem Land und der Gerechtigkeit einen Bärendienst erwiesen, nur weil Sie der FDP hinterhergerannt sind,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Oh!)

die jetzt von der Steuersenkungs- zur Steuerschenkungspartei werden will.

(Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und Abgeord- neten der SPD)

Ihr Ansinnen, Herr Ministerpräsident, der Bund solle die Steuerdaten-CD doch bitte kaufen, also andere sollen Ihnen die Kohlen aus dem Feuer holen, die Ihnen zu heiß sind, zeugt weder von Mut noch von Glaubwürdigkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, machen Sie diese Entscheidung rückgängig. Denn wer Steuerhinterziehung stillschweigend duldet, gibt den Steuerhinterziehern einen Freibrief,

(Zurufe der Abg. Dieter Kleinmann und Dr. Hans-Pe- ter Wetzel FDP/DVP)

zumal diese ohnehin privilegiert sind und straffrei ausgehen, wenn sie sich selbst anzeigen.

Diese Fehlentscheidung ist zusammen mit der unbewältigten „Kies-Affäre“ wahrlich ein miserabler Start der neuen Landesregierung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Auch bei Stuttgart 21 läuft nichts rund. Jetzt steht die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm wieder zur Disposition. Ihre Wirtschaftlichkeit, d a s Kriterium bei der Frage der Realisierung, wird von der Bundesregierung infrage gestellt. Es kann sein, dass dieses Projekt zugunsten relevanterer Projekte verschoben wird.

Sie haben immer gesagt, beide Projekte hingen unmittelbar zusammen, das eine Projekt mache ohne das andere keinen Sinn. Was nun? Was geschieht, wenn die Kosten der Neubau

strecke steigen – das werden sie tun – und sie womöglich auf Eis gelegt oder verschoben wird? Sie haben jetzt das Ruder übernommen. Ändern Sie den Kurs! Lassen Sie Alternativen zu, und prüfen Sie, welche letztlich den meisten Sinn machen. Folgen Sie zumindest Ihrer eigenen Argumentation. Wenn Sie schon sagen, dass beide Projekte zusammengehören, dann setzen Sie jetzt ein klares Junktim, dann erklären Sie hier und jetzt: Stuttgart 21 wird nur realisiert, wenn die Neubaustrecke gleichzeitig gebaut wird. Alles andere ist Starrsinn und Eitelkeit.

(Beifall bei den Grünen)

Herr Ministerpräsident, immerhin haben Sie bei der Bestellung des neuen Kabinetts durchaus einen Coup landen können und mit Frau Professorin Schick eine kommunikative Frau zur Bildungsministerin gemacht. Aber eine neue Kultusminis terin darf über eines nicht hinwegtäuschen: Das, was wir in Baden-Württemberg vor allem brauchen, ist eine neue Bildungspolitik.

(Abg. Albrecht Fischer CDU: Das wollt i h r !)

Da ist nichts in Sicht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir brauchen kei- ne Basisschule!)

Das alte Produkt soll wohl endlich besser verkauft werden. Das ist offenbar Ihr Anliegen. Wir haben das schon bei der millionenschweren PR-Kampagne, mit der Sie lauter Werbeschnickschnack gemacht haben, gesehen. Aber das wird nichts helfen. Jetzt soll ein neues Gesicht die alte Politik sympathischer machen. Aber ich sage Ihnen: Ohne Richtungswechsel wird das auf Dauer genauso wenig überzeugen wie Ihre PR-Kampagne.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sollen wir die Ba- sisschule einführen?)

Schauen wir einmal, was in den ersten Interviews der neuen Kultusministerin zu lesen ist. In der „Heilbronner Stimme“ vom 2. März heißt es:

Das Schlagwort „länger gemeinsam lernen“ ist... überbewertet.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! Richtig!)

In der „Schwäbischen Zeitung“ äußert sie, die Debatte über das dreigliedrige Schulsystem sei eine „Verschwendung von Denkressourcen“.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen)

Das ist schon ein starkes Stück.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Basisschule!)

Vielleicht ist es eine Verschwendung von Denkressourcen unter dem Ministerpräsidenten Mappus; das kann schon sein.

(Zuruf des Abg. Ingo Rust SPD)

In Artikel 11 unserer Verfassung heißt es:

Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage