Protokoll der Sitzung vom 10.03.2010

Sie haben zu Recht von dem notwendigen Anpassungsdruck für unsere Wirtschaft gesprochen, und der Atomausstieg ist genau dieser Druck zur Veränderung hin zu einer Energiewende. Die Zukunft unseres Landes strahlt nicht in Gorleben oder in der Asse, sondern sie strahlt in den erneuerbaren Energien. Deshalb wird es Zeit abzuschalten, Herr Mappus.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wir wollen aber nicht nur über die Wettbewerbsfähigkeit von Firmen reden, sondern auch darüber, dass Menschen in Würde arbeiten können. Denn in der Tat: Derjenige, der morgens früh aufsteht und hart arbeitet, der muss von seinem Einkommen leben können, meine sehr verehrten Damen und Her ren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP)

Wer ihn in Kombilohnmodelle steckt oder auf staatliche Stütze schickt, der beschädigt die Würde von Arbeit. Deshalb ist die richtige Antwort für diejenigen, die morgens aufstehen und hart arbeiten, der Mindestlohn und nicht irgendwelche staatliche Stütze. Darum geht es bei dieser Auseinandersetzung.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Dieser Mindestlohn ist auch deshalb unerlässlich, weil die Renten derjenigen, die in den letzten Jahrzehnten dieses Land aufgebaut haben, davon abhängen, wie sich die Lohnentwicklung in der Wirtschaft derzeit gestaltet. Wer die Lebensleis tung dieser älteren Menschen respektieren will, der muss für den Mindestlohn sein, damit sie auch weiterhin am Wohlstand dieses Landes partizipieren können, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Damit der Staat die Löhne festsetzt!)

Wer wie Sie, Herr Mappus, die Sozialpartnerschaft und das gute Miteinander mit den Beamten im Land betont, der darf nicht im gleichen Atemzug beim Personalvertretungsrecht massive Einschnitte der Beteiligungsmöglichkeiten der Personalvertretungen einführen, der darf nicht auf dem DGBLandeskongress Süßholz raspeln und dann, wenn es um die Sache geht, knallhart gegen die Sozialpartnerschaft und gegen Arbeitnehmerinteressen Politik machen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die SPD ist klar: Soziale Marktwirtschaft lässt sich daran messen, wie mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land, in den Unternehmen dieses Landes, aber auch im öffentlichen Dienst dieses Landes, umgegangen wird. Da müssen Sie noch einiges zulegen.

(Lachen des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Auch in der Bildungspolitik stellen Sie sich nicht den Herausforderungen unserer Zeit. Anstatt die Dynamik von Veränderungen aufzunehmen, bleiben Sie im starren Korsett des bisherigen, überholten Bildungssystems. Das Wort „Ganztagsschule“ ist in der Regierungserklärung gar nicht aufgetaucht. Das verkorkste Projekt Werkrealschule

(Lachen bei Abgeordneten der CDU)

wurde en passant erwähnt.

Deshalb sage ich Ihnen, Herr Mappus, Frau Ministerin: Es mag durch ein geschicktes Auftreten möglich sein, ein gewisses Interesse zu wecken,

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Bei wem?)

aber substanzielle Reformen lassen sich nicht durch einen Marketinggag ersetzen. Deshalb kommt es nicht so sehr darauf an, wie häufig und wie viel Sie in den nächsten Monaten mit den Menschen reden, sondern darauf, was Sie ihnen in der Bildungspolitik Neues zu sagen haben.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Ihr redet noch nicht einmal! – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wir sagen: Im Mittelpunkt der Bildungspolitik müssen gleiche Bildungschancen für alle Kinder stehen, egal, welcher Herkunft,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das hat er doch gesagt! – Zuruf von der CDU: Das hat Herr Mappus doch gesagt!)

ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Das ist aber auch wichtig, um die Arbeitsgesellschaft für die Zukunft vorzubereiten. Denn wir brauchen jedes Talent. Es darf kein Talent in den nächsten Jahren verschüttgehen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU, der Grünen und der FDP/DVP – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Die klatschen alle! Wieso klatscht ihr da? – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Weil er recht hat! So ist es! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD: Dann müsst ihr etwas ma- chen!)

Wer dies ernsthaft fordert, lieber Herr Hauk, muss dann in diesem Land auch kostenfreie Bildung vom Kindergarten bis zur Hochschule gewährleisten.

(Beifall bei der SPD)

Da muss sich die CDU an ihren Landesparteitagsbeschlüssen messen lassen

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

und sich endlich einmal auch hier hinstellen und die Kindergartengebührenfreiheit einführen und darf sie nicht nur auf ihren Parteitagen versprechen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Deckungsvorschlag machen!)

Wir alle wissen: Kern guter Bildungspolitik ist die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen. Aber dies setzt zunächst einmal voraus, dass überhaupt Unterricht stattfindet, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deshalb ist es so fatal, dass Sie eine millionenschwere Werbekampagne inszeniert haben, während gleichzeitig noch immer die Stellen für Krankheitsvertretungen fehlen und viel zu viel Unterricht ausfällt.

(Beifall bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Sehr richtig!)

Wer wirklich auf die Kinder eingehen will, der braucht ganztägige Bildungsangebote von Anfang an. Wir sind aber in Baden-Württemberg noch immer Schlusslicht bei der Ganztagsbetreuung der drei- bis fünfjährigen Kinder in Kindertagesstätten, und wir haben durch diese konservativen Profilierungsversuche von Ihnen, Herr Mappus,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: „Herr Ministerpräsi- dent“! Sagen Sie es doch einmal!)

auch noch dieses Damoklesschwert des Betreuungsgelds über den Familien hängen, das noch dazu führen wird, dass Kinderbetreuung eben nicht in echter Wahlfreiheit angeboten wird, sondern dass diejenigen, die die Kinderbetreuung nicht in Anspruch nehmen werden, gefördert werden. Wir sind für eine echte Wahlfreiheit; das setzt voraus, dass Kinderbetreuung in diesem Land noch mehr ausgebaut wird.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wer aber ernsthaft auf die einzelnen Kinder eingehen will, der muss auch in den Schulen Ganztagsangebote ernst nehmen. Wir brauchen keine Kürzung von Lehrerzuweisungen, wie sie in den alten Schulen in sozialen Brennpunkten vorgenommen wurde. Wir brauchen mehr pädagogisches Personal an den Ganztagsschulen, damit das Versprechen der Ganztagsschulen, den Kindern wirklich zu helfen, auch eingelöst wird. Sonst bleibt es leer und hohl, und die Enttäuschung bei den Eltern wird wachsen.

Wir brauchen Schulsozialarbeit in Ergänzung des pädagogischen Personals. Da reicht es nicht aus, auf die Kommunen zu schielen. Dies ist eine originäre Landesaufgabe. Denn Bildung an den Schulen ist Landesaufgabe. Da geht es um die

Gleichheit von Bildungschancen. Da muss das Land endlich auch die Schulsozialarbeit wieder finanzieren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Sie sind aber auch nicht bereit, innovative Schulkonzepte aus den Gemeinden ernst zu nehmen. Ob es darum geht, an einer Hauptschule auch einen Realschulabschluss anzubieten – einen echten Realschulabschluss, wohlgemerkt –, ob es darum geht, eine sechsjährige Grundschule einzurichten, ob es darum geht, einen G-9-Zug an einem Gymnasium einzurichten, ob es darum geht, die Inklusion von Kindern mit Behinderungen anzustreben – all diese Konzepte für ein längeres gemeinsames Lernen werden abgelehnt, und zwar mit einer obrigkeitsstaatlichen Haltung, die die Bürger nicht ernst nimmt, sondern die auf altem Denken beharrt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Mein Gott! – Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Wenn ich Sie auffordere, den Kommunen endlich Handlungsspielräume zu eröffnen und die aktive Bürgergesellschaft, bei der sich Menschen für Bildung engagieren, ernst zu nehmen, dann sage ich das nicht nur, weil das pädagogisch der bessere Weg ist, sondern ich sage das auch, weil in einem Land, das flächenstark ist, das seine Stärke aus der Dezentralität bezieht, wie es in Baden-Württemberg der Fall ist, strukturpolitische Entwicklungen davon abhängen, wie in Zukunft mit Schulstandorten umgegangen wird.

Sie haben ein Programm aufgelegt, das dazu führt, dass Hunderte von Schulstandorten in den nächsten Jahren gefährdet sind. Sie haben das besonders elegant gemacht, indem Sie die Drecksarbeit der Schließung den Kommunen überantwortet haben.

(Vereinzelt Beifall – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Jetzt einmal langsam!)

Dieses Konzept führt dazu,

(Abg. Peter Hauk CDU: Sie haben doch gar keines! – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

dass es ein Ausbluten – –

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Bei Ihnen sind doch viel mehr Schulstandorte gefährdet! Nennen Sie ein- mal die Zahlen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Herr Dr. Birk, fragen Sie einmal die Bürgermeister in Ihrem Landkreis.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Was ist mit Ihren Re- gionalschulen?)

Wer wirklich Schulstandorte erhalten will, der muss rein rechnerisch – da reicht auch die Volksschulbildung in Göppingen aus, Herr Dr. Birk – die Schüler länger zusammen lernen lassen. Dann könnten wir mehr Schulstandorte in diesem Land halten.