Protokoll der Sitzung vom 13.07.2010

Meine Damen und Herren! Ich er öffne die 97. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württem berg und begrüße Sie. Ich darf Sie bitten, die Plätze einzuneh men und die Gespräche einzustellen.

Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Rudolf und Herrn Abg. Behringer erteilt.

Entschuldigt ist Frau Ministerin Professorin Dr. Schick.

Dienstlich verhindert ist Frau Staatsrätin Professorin Dr. Am micht Quinn.

Meine Damen und Herren, im E i n g a n g befindet sich die Mitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 7. Juli 2010 – Energiebericht 2010. Die Mitteilung ist Ihnen als Drucksa che 14/6642 zugegangen.

Ich schlage vor, die Mitteilung des Wirtschaftsministeriums, Drucksache 14/6642, an den Wirtschaftsausschuss zu über weisen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, weise ich zu Tages ordnungspunkt 11 darauf hin, dass die Fraktionen übereinge kommen sind, den betreffenden Gesetzentwurf im Laufe des Vormittags einzubringen. Er wird dann umgehend im Plenum verteilt. Die Beratung des Gesetzentwurfs beginnt dann, wie vorgesehen, unter Tagesordnungspunkt 11, wenn Sie damit einverstanden sind. Ich weise auf § 42 Abs. 2 der Geschäfts ordnung hin. – Auch gegen dieses Verfahren erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

a) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregie

rung – Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Staatshaushaltsplan von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2010 und 2011 – Drucksache 14/6580

b) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Finanzministeriums – Sachstand und Ergebnisse der Arbeit der Strukturkommission für Aufgabenkritik und Haushalt (SKAH) – Drucksache 14/6146 (geänderte Fassung)

c) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Finanzministeriums – Umsetzung der Schuldenbremse nach den Regelungen in der Landeshaushaltsordnung – Drucksache 14/6223 (geänderte Fassung)

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich Herrn Finanz minister Stächele das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es besteht Grund zur Freude: Die Konjunktur erholt sich überraschend schnell. Die Bun desregierung geht noch von einem Wachstum in Höhe von 1,6 % aus. Die Institute setzen schon einiges drauf, und der DIHK korrigiert seine Wachstumsprognose für das Jahr 2010 auf immerhin stattliche 2,3 %.

Die Arbeitslosigkeit befindet sich fast wieder auf dem Vorkri senniveau.

Bei der Lohnentwicklung ist im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum eine Stei gerung um 0,8 % zu verzeichnen. Das ist der höchste Anstieg seit dem Ausbruch der Krise im vierten Quartal 2008.

Für Baden-Württemberg ist wichtig: Der Maschinenbau kehrt zu seiner alten Stärke zurück. Der Auftragseingang lag laut VDMA im Mai 2010 um 61 % über dem Vorjahresniveau. Da mit ist zwar noch nicht das Vorkrisenniveau erreicht, aber es handelt sich um einen gewaltigen Sprung. Das freut uns.

Das Exportgeschäft boomt. Es ist gewissermaßen die Trieb kraft für das Wachstum insgesamt. Für Baden-Württemberg ist nicht unwichtig: Das Exportgeschäft ist um 68 % gewach sen. Wenn man weiß, wie sehr gerade Baden-Württemberg vom Export abhängt, kann man sich wirklich mit großen Hoff nungen auf das Weitere ausrichten.

Ganz wichtig ist bei dem jetzigen Wachstum, bei dem, was an Konjunkturaufschwung zu erkennen ist: Es ist eine regionale Breite da. Nachfrage besteht nicht nur in Asien und Latein amerika, sondern auch die USA und Russland zeigen entspre chende Nachfragestärke. Für Baden-Württemberg besonders wichtig ist: Bei den Automobilherstellern geht es aufwärts. Insbesondere die Premiumprodukte erleben einen neuen Boom.

Kurzum: Baden-Württembergs Unternehmen verzeichnen teil weise ein Umsatzplus von 20 bis 45 % in den ersten Monaten des Jahres 2010, im Asiengeschäft – man mag es nicht glau ben – bis zu 100 %, allerdings von einem sehr niedrigen Ni veau aus.

Das Fazit: So weit, so gut. Oder vielleicht sollte man besser sagen: S o weit, so gut. Denn daneben ist natürlich nach wie vor eine ehrliche Bestandsaufnahme notwendig, was die öffentlichen Haushalte anbelangt. Diese haben infolge der Fi nanz- und Wirtschaftskrise gewaltig gelitten. Wir wissen, dass der Bundeshaushalt in diesem Jahr mit neuen Schulden von rund 65 Milliarden € ausgeglichen werden muss. Die Länder haben ein Defizit von insgesamt ca. 34 Milliarden €. Dabei

(Minister Willi Stächele)

haben wir noch gar nicht eingerechnet, was Rot-Grün in Nord rhein-Westfalen an zusätzlichen Schulden machen muss bzw. was es machen will.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Die Kommunen hatten im Jahr 2008 noch einen Finanzie rungsüberschuss von 7,7 Milliarden €, im Jahr 2009 jedoch schon ein Defizit von rund 7 Milliarden €. Es hat uns also ge rade in den öffentlichen Haushalten gewaltig geschüttelt.

Meine Damen und Herren, trotzdem wissen wir: Das staatli che Eingreifen war notwendig, und es war alternativlos. Jetzt, nachdem wir Steuerausfälle verzeichnen mussten, nachdem wir mit den Konjunkturprogrammen auch Ausgabensteige rungen vornehmen mussten, gilt es die Konsequenz zu ziehen und mit dem Ende dieser Krise zum einen die Finanzmärkte neu zu ordnen, wirksame Regulierungen einzuziehen, und zum anderen die staatlichen Haushalte wieder in Ordnung zu bringen.

Meine Damen und Herren, die schöne Nachricht: Diese Ein sicht setzt sich europaweit durch; auch Paris ist mittlerweile für die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Man kann sagen, die schwäbische Hausfrau ist nun europaweit auf Sie gestour, und das ist gut so.

(Heiterkeit der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Selbst Berlusconi hat dieser Tage verkündet: Wenn sein Spar paket von 24 Milliarden € nicht angenommen wird, wird er sofort Neuwahlen ausschreiben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Berlusconi ist nicht zitierfähig!)

Kurzum: Das war sicherlich auch ein Stück Meinungsbildung. Das ist wichtig für die gemeinsame Finanzpolitik in Europa.

Im Lichte dieser Gesamtschau ist nun natürlich die Situation des Landeshaushalts von Baden-Württemberg zu betrachten. Wir wissen: Das Jahr 2010 und der Doppelhaushalt 2010/2011 haben uns eine gewaltige Neuverschuldung abverlangt. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass es darum ging, einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um sage und schrei be 7,5 % abzufangen. Das hat es in der Nachkriegsgeschich te noch nie gegeben. Die höchsten Rückgänge waren bisher Rückgänge um 1,3 % und 1,4 % Anfang der Neunziger- bzw. Anfang der Siebzigerjahre. Das heißt, wir mussten einen ge waltigen Auftragseinbruch bzw. Wirtschaftseinbruch abfan gen. Es war das Gebot der Stunde, mit unseren öffentlichen Haushalten zu reagieren, um die Arbeitsplätze im Land zu si chern.

Gerade jetzt, da die Staatsschulden ständig wachsen und mit dieser Frage auch Ängste verbunden sind, ist es ganz wichtig, dass wir sagen: Die Politik musste handeln. Mit dieser Aus gabenpolitik hat sie auch zum richtigen Zeitpunkt gehandelt, und zwar nicht konjunktursenkend, sondern wachstumsför dernd, und hat eine entsprechende Neuverschuldung in Kauf genommen.

Hätte es einen Rückgang in althergebrachter Form gegeben, also um etwa 1,3 % – das war zuvor das Höchstmaß an Rück

gang der Wirtschaftsleistung gewesen –, dann hätten wir nach weisbar mit den Rücklagen, die wir im Jahr 2008 gebildet hat ten, tatsächlich ohne Weiteres nicht nur 2008 und 2009, son dern sogar noch in den Jahren 2010 und 2011 ausgeglichene Haushalte vorlegen können. Aber die Ausgangssituation war eine andere – darüber muss man reden –: Es gab Einnahme ausfälle zu bewältigen, und im Interesse der Sicherung unse rer Arbeitsplätze gab es Mehrausgaben zu bestreiten.

Meine Damen und Herren, noch einmal zu der Zahl, die ins besondere für die öffentliche Diskussion bekannt sein muss: Die Bruttosteuereinnahmen liegen im Jahr 2010 voraussicht lich bei 23,4 Milliarden €. Im Jahr 2008 waren es noch 28 Mil liarden €. Dies bedeutet netto für den Landeshaushalt in die sem Jahr einen Ausfall in Höhe von 1,6 Milliarden €.

Wenn man draußen darüber spricht, muss man ein paar Kenn größen angeben, ein paar Haushaltszahlen liefern. Wenn ich darauf verweise, dass beispielsweise unsere Fachhochschulen pro Jahr etwa 300 Millionen € benötigen, dann kann man er messen, was es bedeutet, wenn plötzlich 1,6 Milliarden € feh len. Die Unikliniken brauchen etwa 600 Millionen € pro Jahr, und auch da weiß man, was es bedeutet, wenn plötzlich 1,6 Milliarden € ausbleiben. Wenn man – ich will Herrn Kollegen Goll nicht erschrecken – die ganze Justiz auflösen würde, hät te man gerade einmal 1,4 Milliarden € gespart. Aber es feh len 1,6 Milliarden €.

Man muss also ein paar Hausnummern danebenstellen, damit man sieht: Die Auflösung eines ganzen Ressorts würde nicht den Einnahmeausfall aufwiegen, den uns der Einbruch bei den Steuereinnahmen im Jahr 2010 beschert hat. Das muss man sagen, und darüber muss man reden. Denn man muss wissen, warum wir in den beiden Jahren des laufenden Doppelhaus halts in diese Verschuldung gehen mussten.

Meine Damen und Herren, deshalb hat für die Regierung und die Koalitionsfraktionen die Haushaltskonsolidierung für die kommenden Jahre nach wie vor Priorität. Die Neuverschul dung sollte jetzt so gering wie möglich ausfallen, und insbe sondere sollte sich die Gesamtverschuldung in den nächsten Jahren nicht weiter ausweiten. Denn eines wissen wir alle nur zu genau: Die in Jahrzehnten bereits aufgelaufene Verschul dung, die steigenden Versorgungsausgaben und die demogra fische Entwicklung bedrohen, wenn wir nicht gegensteuern, die Handlungsfähigkeit der kommenden Generationen. Das muss uns vor Augen sein, wenn wir die Finanzpolitik der Zu kunft machen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Okay! Jetzt konkret!)

Betrachten Sie allein den Zinsbetrag. Man muss darüber re den. Er macht allein 2 Milliarden € pro Jahr aus. Wenn die Zinsen um einen Prozentpunkt steigen, bedeutet das für die Refinanzierung in den nächsten drei, vier Jahren für das Land Baden-Württemberg eine zusätzliche Ausgabenbelastung in Höhe von etwa 400 Millionen € – vom übrigen Bundesgebiet ganz zu schweigen. Man bekommt schlaflose Nächte, wenn man darüber nachdenkt, dass eine Zinssteigerung in Höhe von einem Prozentpunkt im Bundesgebiet 17 Milliarden € Mehr ausgaben bedeutet.

Die Zahlen zu benennen bedeutet gleichzeitig, sich fest vor zunehmen, nach der Krise, nach dieser Banken-, Finanz- und

Wirtschaftskrise, umzusteuern und zu konsolidierten öffent lichen Haushalten zurückzukehren.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Lichte dieser Si tuation steht der Nachtragshaushalt. Zunächst wird die Regie rungserklärung des Ministerpräsidenten umgesetzt mit dem entscheidenden Ziel „Bildung, Bildung, Bildung“ – die Zu kunft unseres Landes.

(Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)

Wir senken den Klassenteiler bei den Grundschulen vorzei tig. Wir setzen in den Grundschulen Pädagogische Assisten ten ein. Das ist eine wertvolle Hilfe, die draußen dringendst erwartet wird. Wir leisten darüber hinaus auch haushaltsrecht lich Prävention in Bezug auf das, was der Amoklauf in Win nenden uns beschert hat, was wir abfangen müssen. Wir ge hen bei der Forschung in Zukunftsfelder, wie etwa BadenWürttemberg als Umweltinnovationslabor. Aber auch Strate gien für die Anpassung an den Klimawandel werden entwi ckelt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben für Amok prävention insgesamt 13 Millionen € vorgesehen. Das heißt also, hier wird nicht nur geredet, hier wird auch gehandelt. Wir sind dabei – auch das muss erwähnt werden –, eine Risi kobürgschaft, eine Rückbürgschaft für die L-Bank, für unse re Landesförderbank, einzustellen, und zwar dergestalt, dass unsere mittelständische Wirtschaft noch mehr und noch schneller mit Krediten versorgt werden kann. Wir stellen vor sorglich einen Titel für das ein, was die so wichtige Enquete kommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft“ an konkreten Vorschlägen für die Zukunft und die Zukunftssi cherheit bringen wird. Wir schaffen ein Programm zur Ver besserung der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum. Schließlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollten wir auch das Ausbauprogramm „Hochschule 2012“ mit 4 000 zusätzlichen Studienanfängerplätzen nicht vergessen.